Im deutschsprachigen Verständnis dieses Begriffes unterscheiden sich Denkmale von anderen – sozusagen gewöhnlichen – Sachen prinzipiell dadurch, dass ihnen (wenigstens von manchen Menschen) ein besonderer – sozusagen ungewöhnlicher – Wert bzw. eine ebensolche Bedeutung zugeschrieben wird.
Titelblatt zu "Der moderne Denkmalkultus" (Riegl 1903) |
Dabei sind allerdings, um dies auch gleich festzuhalten, die Begriffe
„besonders“ bzw. „ungewöhnlich“ nicht unbedingt – wie oft missverständlich
angenommen wird – als quantitative Beschreibung ihres Wertes bzw. ihrer
Bedeutung zu verstehen, sondern wenigstens auch als qualitative. Es geht also
nicht unbedingt nur darum, dass die betreffende Sache eine mengenmäßig größere
Bedeutung hat als andere Sachen; d.h. wertvoller als andere Sachen ist. Es geht
– wenigstens manchmal, wenn nicht sogar zumeist – vielmehr darum, dass die
Bedeutung dieser Sache in irgendeiner signifikanten Weise anders beschaffen –
und daher in diesem Sinne besonders – ist als die der meisten anderen – im
Vergleich miteinander jeweils ungefähr gleichbedeutenden und daher in diesem
Sinne gewöhnlichen – Sachen.
Der Denkmalwert
Die Gründe, weshalb Denkmalen Wert bzw. Bedeutung zugeschrieben wird,
können dabei durchaus vielfältig sein. Die betreffende Sache kann z.B.
besonders bedeutend sein, weil sich durch ihre wissenschaftliche Untersuchung
(= Erforschung) Wissen gewinnen lässt, das auf anderem Weg (d.h. durch die
Untersuchung anderer, gewöhnlicher Sachen) nicht gewonnen werden könnte, dessen
Gewinnung aber dennoch allgemeinnützlich erscheint. Oder die betreffende Sache
kann z.B. von besonderer Bedeutung sein, weil sich manche Menschen mit dieser
Sache in irgendeiner Weise identifizieren, d.h. eine direkte Beziehung zwischen
sich selbst und dieser Sache herstellen, die sie in Bezug auf andere,
gewöhnliche Sachen nicht empfinden. Oder sie kann z.B. von besonderer Bedeutung
sein, weil sie die (oder wenigstens manche) Menschen an etwas erinnern oder
aufmerksam machen kann, das sie sonst vielleicht vergessen oder gar nicht erst
bemerken könnten; wie z.B. ein historisches Ereignis, das (ansonsten) keine bis
heute bemerkbaren Spuren hinterlassen hat, aber dennoch erinnerungswürdig bzw.
bemerkenswert erscheint. Diese Gründe schließen einander natürlich auch nicht
gegenseitig aus; d.h. eine bestimmte Sache kann auch gleichzeitig aus mehreren
dieser (und einer langen Reihe anderer) Gründe bedeutend und eventuell nur
aufgrund des Zusammentreffens mehrerer dieser Gründe außergewöhnlich wertvoll
sein.
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Zwar hat bereits der Begründer der modernen Denkmalwerttheorie, der
österreichische Kunsthistoriker Alois Riegl (1858-1905),
in seinem grundlegenden Werk zum Thema sehr deutlich gemacht, dass dieser Wert
„historischen“ Denkmalen (d.h. solchen, die nicht mit dem Zweck als Denkmal zu
fungieren geschaffen wurden, wie z.B. die Statue einer wichtigen historischen
Persönlichkeit) von uns heute zugeschrieben wird: „nicht den Werken selbst kraft ihrer ursprünglichen Bestimmung kommt
Sinn und Bedeutung von Denkmalen zu, sondern wir moderne Subjekte sind es, die
ihnen dieselben unterlegen“ (Riegl 1903, 7). Dennoch geht die
deutschsprachige Denkmalpflege, letztendlich ebenfalls Riegls Ausführungen zum Erinnerungswert
der historischen Denkmale folgend, in weiterer Folge weitgehend davon aus, dass
dieser den Denkmalen (in ihrer historisch gewachsenen Form und Substanz)
innewohnt; d.h. der Wert, der ihnen zukommt, irgendwie doch nicht nur
subjektiv, sondern schon auch irgendwie objektiv, besteht.
Als Folge davon wird – übrigens auch im außerfachlichen Verständnis –
der Denkmalwert (bzw. wenigstens der Erinnerungswert von Denkmalen) sehr gerne
als Konstante verstanden; bzw., genauer gesagt, als Konstante missverstanden:
ein Denkmal, so die vereinfacht abgekürzte Wahrnehmung, hat einen bestimmten, unveränderlichen
Wert; und zwar – wenigstens weitgehend – unabhängig von den (inneren und
äußeren) Umständen, in denen es sich befindet, und ebenso unabhängig vom
Standpunkt, aus dem es betrachtet wird. Sein Wert, so diese Vorstellung, ist
also sozusagen zeitlos: er kommt ihm gleichermaßen zu jedem beliebigen
Zeitpunkt zu, ob dieser Zeitpunkt nun vom Standpunkt des subjektiven
Betrachters aus in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft liegt.
Ebenso ist er z.B. völlig unabhängig davon, ob irgendwer das betreffende
Denkmal schon kennt und schon bewertet hat, oder das Denkmal tatsächlich noch
gänzlich unbekannt ist und daher auch noch gar nicht bewertet werden konnte.
Wie auch immer seine Bedeutung genau beschaffen sein mag, sie haftet unter
dieser Betrachtungsweise sozusagen dem Denkmal automatisch an, solange es –
objektiv betrachtet – ontisch existiert, d.h. solange es das Denkmal (in seiner
historisch wachsenden Erscheinung und Substanz) als Sache gibt.
Dieses Verständnis von Denkmalen als objektiv existierende, inhärent
wertvolle Sachen, entspricht sehr gut unserer generellen Vorstellung von dinglichen
Sachen und ihren Eigenschaften an sich. Es mag zwar, wie die bekannte
Redewendung zum Ausdruck bringen soll, vollkommen egal sein, ob „in China ein Sack Reis umgefallen“
(oder etwas anderes passiert ist, das sogar dem, der ihn beobachtet, vollkommen
gleichgültig) ist, aber wir nehmen selbstverständlich an, dass der Sack Reis
existiert und auch tatsächlich die Eigenschaft hat, umgefallen zu sein, auch
wenn das gar niemand bemerkt hat. Daher ist es auch sehr leicht und erscheint
sogar selbstverständlich, dass das bei Denkmalen – die ja auch Sachen sind – und
ihrem Wert nicht anders ist: das Denkmal existiert vom Zeitpunkt seiner
Entstehung bis zum Zeitpunkt seiner Zerstörung; und sein Wert ist eine seiner
essentiellen Eigenschaften. Sein Wert mag zwar durchaus erst durch den Ablauf
von Zeit irgendwann einmal entstanden sein; so wie der Sack Reis in China ja
auch ursprünglich einmal gestanden und erst irgendwann einmal in der
Vergangenheit umgefallen und dadurch sozusagen besonders (erwähnenswert)
geworden ist. Aber jetzt jedenfalls besteht er bereits, und zwar seit dem
Zeitpunkt seiner Entstehung weitgehend unverändert; nicht anders als der Sack
Reis in China jetzt liegt, seitdem er umgefallen ist.
Die Denkmalwertbestimmung
Betrachtet man den Denkmalwert auf diese Weise, versteht sich eigentlich
völlig von selbst, dass seine Bestimmung eigentlich nicht ein Akt der Bewertung
– im Sinne einer Zuweisung eines bestimmten Werts an eine an sich zuvor noch
wertlose Sache –, sondern vielmehr ein Akt der Beurteilung einer bestimmten
Tatsache ist. Unter dieser Betrachtungsweise besteht der Wert des betrachteten
Denkmals ja bereits und muss ihm daher auch gar nicht mehr zugeschrieben,
sondern nur noch seine Art bzw. Dimension – eben ob er besonders oder doch nur
gewöhnlich ist – festgestellt werden.
Euro-Banknoten (Bild: Blackfish based on European Central Bank) |
Die Denkmalwertbestimmung würde also etwa ebenso funktionieren wie die
des Werts einer Euro-Banknote: man schaut sich die betreffende Sache an und
bestimmt anhand der ihr inhärent innewohnenden Eigenschaften ihren relativen
Wert im Vergleich zu beliebigen anderen Sachen. Bei der Euro-Banknote schaut man
etwa auf ihre Größe, ihre Farbe und die auf ihr angegebene Zahl und bestimmt
damit ihren Wert: ist es eine 5, eine 10, 20, 50, 100, 200 oder gar 500 Euro
wert seiende Banknote? Dieser Akt der Beurteilung setzt dabei
selbstverständlich gewisse Sachkenntnisse voraus: man muss wissen, dass
Geldscheine jeweils einen bestimmten wirtschaftlichen Wert repräsentieren, dass
Scheine unterschiedlichen Wertes sich auch tatsächlich in Größe und Farbe
voneinander unterscheiden und dass die auf den Schein gedruckten arabischen
Ziffern nicht etwa nur eine Form der Verzierung der Banknote sind, sondern den
genauen Wert der Banknote auch noch als Zahl angeben. Weiß man das und auch wie
die Grundrechnungsarten funktionieren, kann man unschwer erkennen, dass die
kleinste der Banknoten den geringsten Wert hat, der 100 Mal geringer ist als
der der größten und somit ihren relativen Wert zueinander bestimmen. Stellt man
auf eine quantitative Beurteilung des Werts der Banknoten ab, folgt daraus
zwingend, dass die € 500-Banknote besonders bzw. außergewöhnlich wertvoll ist,
die € 5-Note hingegen nicht.
Nun kommt es aber bei Denkmalen nicht unbedingt nur auf die
quantitative, sondern oft wenigstens auch, wenn nicht sogar besonders, auf die
qualitative Beurteilung ihres Werts an. Um beim Beispiel der Euro-Banknoten zu
bleiben, wären in diesem Fall alle der bereits genannten Banknoten gänzlich
gewöhnliche Banknoten, weil es gibt sie alle in sehr vielen Exemplaren, die uns
alle genau dasselbe sagen; und das wissen wir auch alle schon. Aus
denkmalpflegerischer Sicht besonders wertvoll wäre hingegen eine (auch tatsächlich
„echte“, d.h. auch gültiges Zahlungsmittel seiende) € 22,36-Banknote, denn von
dieser hat noch niemand auch nur jemals etwas gehört, geschweige denn eine
gesehen und auch tatsächlich in der Hand gehalten. Auch das erfordert
selbstverständlich eine gewisse Sachkenntnis, nämlich wenigstens die, dass
Euro-Banknoten normalerweise – eben gewöhnlich – nur in den oben genannten
Nominalen produziert wurden und werden und daher eine echte Euro-Banknote über
€ 22,36 neu und wenigstens bislang einzigartig ist. Dass der quantitative Wert
des € 500-Scheins ziemlich genau das 22,36-fache des € 22,36-Scheins ist,
bleibt sich hier völlig gleich; wichtig ist nur, dass es € 500-Scheine sehr
oft, € 22,36-Scheine hingegen bisher sonst nicht gibt.
Etwa in diesem Sinn versteht auch die deutschsprachige Denkmalpflege den
Prozess der Denkmalwertbestimmung; und so hat er auch in die
Denkmalschutzgesetzgebung und die zugehörige Judikatur Einzug gefunden: „Die geschichtliche, künstlerische oder
kulturelle Bedeutung eines
Gegenstandes ist eine Tatsache, die
idR durch einen Sachverständigenbeweis
zu ermitteln ist.“ (Bazil et al. 2015, 22). „Für die Feststellung der geschichtlichen, künstlerischen oder
sonstigen kulturellen Bedeutung ist va die in der Fachwelt vorherrschende Meinung ausschlaggebend. Sie ist insbesondere durch
Bedachtnahme auf den Wissens- und Erkenntnisstand sachverständiger Kreise zu ermitteln“ (Bazil et al. 2015,
22-23). „Der Sachverständige hat die Tatsachen zu erheben (Befund) und aus
diesen Tatsachen auf Grund besonderer Fachkunde tatsächliche Schlussfolgerungen
zu ziehen (Gutachten)“ (Bazil et al. 2015, 23).
Für den Großteil der Denkmalpflege, insbesondere die Kunst- und
Baudenkmalpflege, erscheint das auch sinnvoll und ist sicher auch von Riegl –
auf den ja letztendlich der Vorschlag für ein österreichisches
Denkmalschutzgesetz (DMSG) zurückgeht, der schließlich in weitgehend
unveränderter Form 1923 als ebensolches erlassen wurde – als sinnvoll erachtet
worden. Riegl war ja seinerseits eigentlich Kunsthistoriker und – auch wenn er
durchaus auch ein Interesse an archäologischen Kunstdenkmalen hatte – mit
archäologischem Denkmalschutz und Denkmalpflege bestenfalls randlich befasst.
In der Kunst- und Baudenkmalpflege, die ja traditionellerweise immer
schon den Schwerpunkt der österreichischen Denkmalpflegeinteressen ausmacht (während
die archäologische Denkmalpflege eher ein Schattendasein führt), entspricht der
oben am Beispiel der Euro-Banknoten geschilderte Prozess auch in praktisch
allen Fällen der tatsächlichen, alltäglichen, denkmalpflegerischen Realität im
Bereich der Denkmalwertbestimmung: natürlich weisen die BeamtInnen einem Kunst-
oder Bauwerk nicht erst durch den Akt seiner Bestimmung einen bestimmten (und
noch dazu rein subjektiven) Denkmalwert zu, sondern beurteilen bloß (mehr oder
minder objektiv) auf Basis ihres besonderen denkmalpflegerischen
Sachverstandes, welcher Wert bzw. welche Bedeutung ihm durch einen weiteren
Personenkreis zugewiesen wird. Dass diese dabei auf den Kenntnisstand
sachverständiger Kreise abstellen müssen, versteht sich dabei von selbst
(besonders, aber nicht nur, aus Riegls Gesellschaftsverständnis an der Wende
des 19. zum 20. Jahrhundert): um das denkmalpflegerische Äquivalent des €
22,36-Scheins überhaupt als besonders bedeutend erkennen zu können, bedarf es
eben genau des besonderen Sachverstandes, der DurchschnittsbürgerInnen per
Definition fehlt.
Archäologische Denkmalwertbestimmung
So scheinbar selbstverständlich diese Methode der Denkmalwertbestimmung
jedoch ist, in der archäologischen Denkmalpflege kann sie, wenigstens zumeist,
nicht funktionieren; und daran leidet die deutschsprachige archäologische
Denkmalpflege nun schon seit langem. Denn so wichtig Riegls Denkmalwerttheorie
für die Bestimmung des Wertes von Denkmalen auch sein mag – egal, was man jetzt
genau von ihr halten will – und so gut sie auch im Bereich der Kunst- und
Baudenkmalpflege (und sogar im Bereich der Archivalien) funktionieren mag,
Riegl hat dabei (und auch in seinem Vorschlag für das DMSG) auf einen gerade
für die archäologische Denkmalpflege absolut essentiellen Punkt vergessen.
Wie das Beispiel mit der Bestimmung des Wertes von Euro-Banknoten
verdeutlichen sollte, muss – damit Riegls Denkmalwerttheorie und die damit
verknüpfte Bestimmungsmethode überhaupt sinnvoll funktionieren kann – die
betreffende Sache, deren Wert es zu beurteilen gilt, bereits der Betrachtung
mit den menschlichen Sinnen unmittelbar zugänglich sein: kann man die Sache,
deren Wert man beurteilen soll – eben z.B. den Euro-Schein –, nicht sinnlich
erfassen – d.h. Größe, Farbe, die aufgedruckten Zahlen, etc. nicht sehen, weil
noch gänzlich in einer Geldbörse verborgen – kann man ihren Denkmalwert auch
nicht bestimmen. In der Kunst- und Baudenkmalpflege besteht dieses Problem
normalerweise nicht, denn gewöhnlich kann man die Sache, die es dort zu
beurteilen gilt, und zumeist auch ihre entscheidungswesentlichen Eigenschaften,
einigermaßen problemlos mit dem freien Auge (oder anderen Sinnen) erkennen.
Riegls Denkmalwerttheorie geht daher – weil das seinen eigenen Erfahrungen als
Kunsthistoriker sicher entsprochen hat – stillschweigend davon aus, dass das zu
beurteilende Denkmal bereits bekannt und auch den Sinnen zugänglich ist.
Bei der überwältigenden Mehrheit aller archäologischen Denkmale (egal
wie man den archäologischen Denkmalsbegriff jetzt genau definieren will) ist
hingegen das genaue Gegenteil der Fall: diese sind nämlich gänzlich oder
wenigstens großteils unter der Erdoberfläche verborgen und daher sowohl noch
weitgehend, wenn nicht sogar gänzlich, unbekannt und auch der sinnlichen Wahrnehmung
durch den Menschen nicht zugänglich. Damit sie also für eine Beurteilung ihres
Denkmalwertes überhaupt zugänglich werden, müssen sie daher in der Regel zuerst
einmal entdeckt und auch ausgegraben werden. Sie zu entdecken ist zwar
heutzutage dank moderner archäologischer Prospektionsmethoden im Vergleich zu
Riegls Zeit erheblich einfacher geworden, aber um die für die Bestimmung ihres
Denkmalwerts unumgängliche Kenntnis ihrer genauen Erscheinung und Substanz ist
ihre Ausgrabung weiterhin unvermeidlich und wird dies wohl – wenigstens auf
absehbare Zeit – auch weiterhin bleiben.
Denkmalwert und Ausgrabung
Nun ist aber gerade ihre Ausgrabung ein für den Wert archäologischer
Denkmale absolut zentraler und essentieller Wendepunkt, insbesondere für unbewegliche
archäologische Denkmale, aber auch (wenn auch in etwas geringerem Ausmaß) für
bewegliche archäologische Kleinfunde. Denn die Ausgrabung ist eine invasive
Methode und zerstört daher wenigstens teilweise, oder verändert wenigstens
maßgeblich, sowohl die historisch gewachsene Erscheinung als auch die Substanz
des von ihr betroffenen Denkmals, also genau jene ihrer Aspekte, denen im Sinne
des herkömmlichen deutschsprachigen Denkmalverständnisses die Bedeutung eines
jeden Denkmals inhärent anhaftet.
Als Primärquelle wissenschaftlicher Forschung, d.h. als die Sache an
sich, in deren Erscheinung und Substanz die Informationen gespeichert sind, die
den „historischen“ Wert des archäologischen Denkmals im Sinne von Riegls
Denkmalwerttheorie ausmachen, gehen sie dadurch, ob nun vollständig oder auch
nur teilweise, verloren. Ob vollständig oder teilweise hängt dabei in erster
Linie davon ab, was man nun im konkreten Fall überhaupt als das betroffene
archäologische Denkmal betrachtet: jeden einzelnen beweglichen Gegenstand (den
„Fund“) und jede einzelne, durch menschliches Handeln verursachte und daher
archäologisch aussagekräftige, unbewegliche Störung des Bodenaufbaus (den
„Befund“) jeweils für sich; oder alle an einem bestimmten Ort vorkommenden
beweglichen Funde und unbeweglichen Befunde in ihren mannigfaltigen Beziehungen
(die „Kontexte“) zueinander. Wenn man vom Letzteren ausgeht, hängt die
vollständige oder teilweise Zerstörung des Denkmals dann natürlich sekundär
auch noch davon ab, ob man die „Fundstelle“ ganz oder nur teilweise ausgräbt,
wobei im ersten Fall das archäologische Denkmal als Primärquelle ganz zerstört,
im zweiten nur teilweise zerstört aber gleichzeitig maßgeblich verändert wird.
Dafür gewinnen die betroffenen Denkmale, bzw. wenigstens jene, welche
bewegliche Gegenstände (also „Funde“) sind, durch ihre Ausgrabung überhaupt
erst das, was ihren „Alterswert“ und ihre „Gegenwartswerte“ (= „Gebrauchswert“
und „Kunstwert“) im Sinne von Riegls Denkmalwerttheorie ausmacht. Denn erst
durch ihre Ausgrabung werden sie der menschlichen Sinneswahrnehmung unmittelbar
zugänglich, wodurch sich dem Betrachter das durch das Wirken der Zeit
notwendige Vergehen, d.h. Riegls „Alterswert“, überhaupt erst erschließt. Und
erst durch ihre Ausgrabung gewinnen sie einen „Gebrauchswert“, d.h. können für
irgendetwas praktisch verwendet oder auch wirtschaftlich genutzt werden, und
wird ihr „relativer Kunstwert“ erschließbar, d.h. das vergangene „Kunstwollen“
durch ihre spezifische Gestaltung, Form, Farbe, etc. sichtbar und damit der
Bewertung durch den subjektiven gegenwärtigen Betrachter zugänglich. Diese
Werte des betreffenden Denkmals waren, da es im Boden verborgen war, bis zu
seiner Ausgrabung gänzlich unzugänglich.
Es ist also gerade der Zeitpunkt ihrer Ausgrabung, an dem in Hinblick
auf den Wert archäologischer Denkmale sozusagen, um zum eingangs verwendeten
illustrativen Beispiel zurückzukehren, in China der Sack Reis umfällt. Das
stellt die archäologische Denkmalpflege vor ein extrem maßgebliches Problem in
Bezug auf die Beurteilung des Wertes archäologischer Denkmale. Denn der Wert archäologischer Denkmale verändert
sich nicht nur, je nachdem, ob sie
sich noch in situ – d.h. noch im
Erdboden, in dem sie sich bis zu ihrer Ausgrabung – oder bereits ex situ
– d.h. wohin auch immer sie nach ihrer Ausgrabung verbracht werden – befinden;
bleibt also im Unterschied zum Wert von Kunst- und Baudenkmalen sowie von
Archivalien über den denkmalpflegerisch relevanten Zeitraum gerade nicht
konstant. Sondern ihr Wert ist auch
– eben weil er nicht konstant bleibt – bei
der Betrachtung ex
ante – d.h. vorausblickend auf ihre Ausgrabung hin – ganz anders und viel schwieriger (falls
überhaupt) zu beurteilen als bei ihrer
Betrachtung ex
post – d.h. zurückblickend nach ihrer Ausgrabung; wodurch sich
ihre Bewertung ebenfalls ganz maßgeblich von der immer ex post erfolgenden
Beurteilung der Bedeutung von Kunst- und Baudenkmalen sowie Archivalien im
Sinne von Riegls Denkmalwerttheorie unterscheidet.
Die Bedeutung archäologischer Denkmale in situ und ex situ
Gerade als Primärquelle der wissenschaftlichen Forschung sind
archäologische Denkmale in der Regel nur dann (in einem denkmalpflegerischen
Sinn) von besonderer Bedeutung, solange sie sich noch (seit ihrer Deponierung
dort weitgehend, wenn auch so gut wie niemals im engeren Sinn des Wortes,
„unverändert“) in situ befinden. Denn nur in situ, d.h. in der Regel unter der
Erdoberfläche verborgen, ist die historisch gewachsene Erscheinung und Substanz
eines solchen Denkmals aus wissenschaftlicher Sicht unverändert und daher die
darin gespeicherte historische (bzw. archäologische) Information tatsächlich im
Original vorhanden. Die im Sinne Riegls (1903, 30) unverfälschte „Urkunde“, die
das archäologische Denkmal ausmacht und die es daher auch unverfälscht durch
moderne Störungen zu erhalten gelten würde, ist eben nur das, was tatsächlich
noch – aus der Vergangenheit auf die Gegenwart gekommen – im Boden vorhanden
ist.
Um diese „Bodenurkunde“ nun zu „lesen“, d.h. der sinnlichen Wahrnehmung
und damit sowohl der modernen (und sei es nur wissenschaftlichen) Nutzung als
auch der Beurteilung ihres Denkmalwertes zuführen zu können, muss man diese
Primärquelle unweigerlich dadurch zerstören, dass man sie ausgräbt und damit
ihre beweglichen Bestandteile ex situ verbringen kann. Bei dieser Zerstörung
der Primärquelle lassen sich zwar wenigstens manche der in ihr gespeicherten
historischen Informationen durch möglichst vollständige und genaue
wissenschaftliche Dokumentation der dabei gemachten Beobachtungen erhalten,
aber nicht die Primärquelle und damit auch nicht der ihr innewohnende
wissenschaftliche Denkmalwert selbst.
Den aus dem Boden und damit ex situ entfernten beweglichen Bestandteilen
der ursprünglichen Primärquelle (den Funden) kommt jedoch, insbesondere, wenn
bei ihrer Ausgrabung keine oder nur eine unzureichende wissenschaftliche
Dokumentation der dabei zerstörten aussagekräftigen Eigenschaften des Bodens
und der in ihm befindlichen Kleinfunde angefertigt wurde, gemäß dem derzeitigen
archäologischen Fachkonsens praktisch keine wissenschaftliche Bedeutung mehr
zu: „Die aufgefundenen Gegenstände sind
dann allenfalls noch Antiquitäten, für die Forschung kaum noch zu verwenden und
nur noch von geringer Bedeutung“ (Kriesch et al. 1997, 26). Sie sind im
Sinne Riegls sozusagen „nur“ noch bewegliche Kunstdenkmale.
Bronzefibeln mit Emailverzierung (Riegl 1901; Bild: Universitäts-Bibliothek Heidelberg) |
Diesen kann zwar durchaus dennoch weiter eine gewisse denkmalpflegerische
Bedeutung zukommen – Riegl (1901) selbst hat schließlich sein ebenfalls
grundlegendes Konzept des „Kunstwollens“ nicht zuletzt auf Basis seiner
Untersuchung der „spätrömischen Kunstindustrie“, d.h. in erster Linie
archäologischer Kleinfunde, entwickelt –, aber ist in aller Regel zumeist extrem
gering. Zwar lässt sich ein gewisser gegenwärtiger wissenschaftlicher
„Gebrauchswert“ von beweglichen Kleinfunden aufgrund der über die letzten beiden
Jahrhunderte massiv verbesserten naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden
postulieren, aber selbst dieser ist in der Regel nur vergleichsweise gering,
insbesondere bei der Betrachtung des jeweils konkreten Einzelfalls. Denn der ex
situ relevante konkrete Einzelfall ist der einzelne Kleinfund, und davon gibt
es – von nahezu jedem Typ – in der Regel große Mengen, d.h. fast jeder
bewegliche Kleinfund ist eine, auch für naturwissenschaftliche
Serienuntersuchungen, nahezu beliebig ersetzbare und somit im
denkmalpflegerischen Sinn eigentlich gewöhnliche Sache.
Aber davon abgesehen: inwieweit bewegliche Kleinfunde ex situ derartige
Bedeutung zukommen kann, dass sie überhaupt noch denkmalschutzfähig sind – und
bei wirklich außergewöhnlichen Einzelstücken wie z.B. der Venus von Willendorf
kann man Denkmalschutzfähigkeit durchaus annehmen – bleibt sich für die
archäologische Denkmalpflege, wenn sie dem Schutz der unbestritten
wissenschaftlich aussagekräftigsten und daher auch denkmalpflegerisch
bedeutendsten Quellen der archäologischen Wissenschaft dienen will,
letztendlich völlig gleich. Denn diese bedeutendsten Quellen, denen der mit
Abstand außergewöhnlichste wissenschaftliche Wert zukommt, sind die noch
unverändert im Boden in situ befindlichen, ungestörten archäologischen
Kontexte; und die gilt es besonders zu schützen. Ex situ geborgene bewegliche
Kleinfunde sind da – wenigstens vergleichsweise – egal, sind sozusagen der Sack
Reis in China, dessen Umfallen keinen (normalen archäologischen) Menschen
kümmert.
Die Beurteilung des Werts archäologischer Denkmale ex ante und ex post
Nachdem die ex situ geborgenen archäologischen Denkmale eigentlich
vergleichsweise egal sind, ist das ihre Beurteilung ex post, die ja durch ihre
Ausgrabung möglich geworden ist, eigentlich auch: es ist schön, dass man nun
auf Basis von Riegls Denkmalwerttheorie jene davon, denen (immer noch)
besondere (geschichtliche,) künstlerische oder sonstige Bedeutung zukommt, von
jenen unterscheiden kann, die weitgehend gewöhnliche Sachen sind; und Erstere
dann auch unter Denkmalschutz stellen und damit eventuell langfristig erhalten
kann. Sehr viele, wenn nicht sogar inzwischen viel zu viele (siehe dazu z.B.
Karl 2016), davon liegen aber bzw. kommen von ihrer Ausgrabung ohnehin in ein
öffentliches Museum; was die archäologische Denkmalpflege eigentlich,
wenigstens was bewegliche Fundgegenstände betrifft, einigermaßen obsolet macht.
Eigentlich wichtig wäre für die archäologische Denkmalpflege eine
Möglichkeit, den Wert (noch) in situ (im Boden verborgener) archäologischer
Denkmale ex ante, also vor ihrer Ausgrabung, beurteilen zu können, um diese
noch unverfälschten Bodenurkunden aufgrund ihres besonderen Werts für die
zukünftige wissenschaftliche Erforschung der Vergangenheit erhalten zu können.
Genau hier versagt aber die Methode der sachverständigen Beurteilung
denkmalschutzrelevanter Eigenschaften, wie sie von Denkmalschutzgesetzen wie
dem DMSG vorgesehen ist, nahezu vollständig, ebenso wie dafür Riegls
Denkmalwerttheorie nicht das Mindeste nutzt. Denn das, was es zu beurteilen
gilt, kann man nicht sinnlich erfassen, weil man – wenigstens oft – noch nicht
einmal weiß, dass es (an einem bestimmten Ort in situ) existiert; geschweige
denn, dass man, wenn man doch von seiner Existenz weiß, seine gemäß Riegls
Denkmalwerttheorie eventuell relevanten Eigenschaften beurteilen kann, die ja
noch großteils, wenn nicht sogar vollständig, unter der Erdoberfläche verborgen
sind. Damit kann ex ante der wissenschaftliche (bzw. historische) Wert der
archäologischen Denkmale normalerweise nicht beurteilt werden, während ihre
Alters- und Gegenwartswerte im Sinne von Riegls Denkmalwerttheorie noch nicht
einmal entstanden sind.
Anwendungsprobleme in der Praxis
Damit steht aber die archäologische Denkmalpflege in ihren Kernaufgaben
in der Praxis vor nahezu unlösbaren Problemen. Insbesondere wirkt sich das
Fehlen einer ex ante auf Denkmale in situ anwendbaren archäologischen
Denkmalwerttheorie enorm negativ auf die Möglichkeit der Unterschutzstellung
archäologischer Denkmale in situ nach dem konstitutiven Prinzip und des
rechtlichen Schutzes noch in situ befindlicher archäologischer Denkmale nach
dem deklaratorischen Prinzip aus (zu den beiden genannten Prinzipien siehe DGUF
2013).
Unterschutzstellungen nach dem konstitutiven Prinzip
Die Unterschutzstellung nach konstitutivem Prinzip funktioniert
wenigstens dann einigermaßen, wenn ein archäologisches Denkmal schon teilweise
erforscht ist; was insbesondere dank moderner, nicht oder nur wenig invasiver
(d.h. in den Boden eingreifender) archäologischer Prospektionsmethoden heute
deutlich leichter möglich ist als zu Riegls Zeiten. Denn es lassen sich durch
die archäologische Prospektion wenigstens mutmaßlich die ungefähren äußeren
Abgrenzungen und teilweise sogar der innere Aufbau der mutmaßlichen Substanz
der untersuchten Denkmale bestimmen; und das ist aus rechtlicher Sicht
essentiell: sachenrechtlich – und letztendlich befinden wir uns mit den
Denkmalen im Bereich des Sachenrechts – muss in den deutschsprachigen
Rechtsordnungen eine Sache nämlich sinnlich (und sei es nur mit technischen
Hilfsmitteln) wahrnehmbar und auch räumlich von anderen Sachen (wenigstens
einigermaßen eindeutig) abgrenzbar sein, um überhaupt eine eigenständige Sache
sein zu können. Kann man also z.B. eine archäologische Fundstelle nicht
einigermaßen eindeutig sinnlich vom sie umgebenden, archäologisch ungestörten,
Boden unterscheiden und damit auch ab- und eingrenzen, ist sie keine
eigenständige, sondern nur Teil einer anderen Sache (des gewöhnlichen Bodens)
und kann damit von vornherein kein Denkmal sein.
Dennoch bleibt selbst mit der heute durch Prospektionsergebnisse
einigermaßen gegebenen Abgrenzbarkeit archäologischer Fundstellen (und nur
diese können unter der Voraussetzung der halbwegs eindeutigen Abgrenzbarkeit im
sachenrechtlichen Sinn in situ-Denkmale sein) ihre konstitutive
Unterschutzstellung ex ante schwierig. Denn der Fundstelle kommt in der Regel
eben kein Alters- und modernen Gebrauchswert zu; und ihr wissenschaftlicher
(historischer) Wert ist weiterhin schwer beurteilbar, weil man selbst mit den
besten Prospektionsergebnissen in der Regel nur einen geringen Bruchteil der
möglicherweise in ihrer Substanz gespeicherten historischen Informationen und
damit ihrer denkmalschutzrelevanten Eigenschaften kennt. Auf derartiger Basis
ist es selbstverständlich generell schwer, den wissenschaftlichen Wert der
konkret betroffenen Sache, vor allem relativ im Vergleich mit anderen –
möglicherweise oder eben auch nicht – vergleichbaren Sachen, in Hinblick auf
seine im denkmalrechtlichen Sinn relevante Besonderheit zu beurteilen.
Umso schwerer ist es aber deshalb, weil eine wissenschaftliche
Denkmalwerttheorie noch in situ befindlicher archäologischer Überreste derzeit
gänzlich fehlt. In der Praxis müssen also Denkmalbehörden derzeit auf Basis
eines – oft aufgrund der Natur der Sache höchst unvollständigen – Wissens- und
Kenntnisstandes eine mutmaßliche Besonderheit eines mutmaßlichen
archäologischen Denkmals argumentieren. Damit auch vor Gericht durchzukommen,
wenn der betroffene Denkmaleigentümer gegen eine Unterschutzstellung mit
rechtlichen Mitteln vorgeht, ist oft sehr schwierig, selbst wenn – wie z.B. in
Österreich durch die Bestimmungen des § 1 Abs. 5 DMSG – das Beweismaß für die
ex ante-Unterschutzstellung noch nicht ausreichend wissenschaftlich
untersuchter (d.h. insbesondere noch nicht ausgegrabener) archäologischer Denkmale
im Vergleich zum denkmalrechtlichen Normalfall deutlich reduziert ist. Ex
ante-Unterschutzstellungen archäologischer Denkmale sind daher so gut wie immer
eine rechtliche Zitterpartie.
Deklaratorischer ex ante-Schutz noch in situ befindlicher Denkmale
Noch problematischer ist aber der deklaratorische ex ante-Schutz noch in
situ befindlicher Denkmale, den inzwischen nahezu alle deutschsprachigen
Denkmalschutzgesetze (oder wenigstens die Denkmalschutzbehörden) zu erreichen versuchen.
Das kann derzeit gar nicht rechtlich korrekt funktionieren.
Denn der rechtliche Schutz nach dem deklaratorischen Prinzip setzt
zwingend voraus, dass der Normunterworfene – d.h. der Durchschnittsbürger – auf
Basis der gesetzlichen Legaldefinition des relevanten Rechtsbegriffes
(wenigstens normalerweise) ex ante korrekt erkennen kann, wann er die
Schutzbestimmungen des jeweils relevanten Gesetzes zu beachten hat. Genau das
ist jedoch für den Durchschnittsbürger vollkommen unmöglich: um korrekt
erkennen zu können, ob er die Schutzbestimmungen des örtlich relevanten
Denkmalschutzgesetzes zu beachten hat, müsste er ex ante korrekt bestimmen
können, ob einer möglicherweise archäologischen Sache, die von einer seiner
geplanten Handlungen betroffen ist (oder wenigstens wahrscheinlich betroffen
werden wird), besonderer wissenschaftlicher Wert zukommt oder nicht.
Das kann er aber schon allein deshalb in aller Regel nicht, weil er gar
nicht weiß und oft in Ermangelung einer öffentlichen Zugänglichkeit von
amtlichen Fundstellenverzeichnissen auch gar nicht wissen kann, ob dort, wo er
eine bestimmte geplante Handlung setzen will, überhaupt irgendwelche
möglicherweise archäologischen Sachen vorkommen, die in den Bereich der
Legaldefinition des relevanten gesetzlichen Denkmalbegriffs fallen könnten. Aber
selbst wenn doch, kann er schon gar nicht bestimmen, ob deren wissenschaftliche
Bedeutung ausreichend besonders ist, dass der Gesetzgeber sie ex ante in situ
schützen möchte und daher die Schutzbestimmungen des jeweils örtlich relevanten
Denkmalschutzgesetzes auf sie anzuwenden sind. Denn diese Beurteilung erfordert
gerade jenen speziellen fachlichen Sachverstand, der dem Durchschnittsbürger
per Definition notwendigerweise fehlt; und wäre in der naturgemäß ex ante
zwingend gegebenen Unkenntnis des Normunterworfenen über die möglicherweise
denkmalschutzrelevanten Eigenschaften noch im Boden verborgener Sachen für ihn
ohnehin nur ex post möglich, selbst wenn er diesen Sachverstand doch hätte.
Es nutzt hier nicht einmal, wenn man, wie z.B. österreichische
DenkmalschutzjuristInnen, davon ausgeht, dass der Maßstab, den man bei der
Beurteilung der Frage anlegen muss, ob ein Normunterworfener eine Sache als
Bodendenkmal im Sinne des § 8 Abs. 1 DMSG erkennen kann, ein eher niedriger
ist; aber dieser z.B. einen römischen Reiterhelm wohl korrekt als Bodendenkmal
erkennen wird (Pieler 2017, 112). Denn der Durchschnittsbürger kann beim besten
Willen nicht ex ante wissen oder auch nur einen hinreichenden Grund für die
Vermutung haben, dass er, wenn er irgendwo in Österreich ein Loch in den Boden
graben will, dort – aller Wahrscheinlichkeit nach – einen römischen Reiterhelm
finden dürfte; denn die Wahrscheinlichkeit dafür ist so verschwindend gering,
dass man sie nur unmaßgeblich abgerundet als Null betrachten muss.
Damit scheitert aber der deklaratorische ex ante-Schutz noch in situ
befindlicher archäologischer Denkmale zwingend: der Normunterworfene befindet
sich, selbst wenn er durch seine Handlung in tatsächlich rechtswidriger Weise einen
archäologischen Fund, Befund oder Kontext zerstört, der wissenschaftlich besonders
bedeutend ist (bzw. bis zu seiner Zerstörung war) und daher tatsächlich gemäß
dem deklaratorischen Prinzip geschützt war, in einem unvermeidbaren und daher
notwendigerweise schuldbefreienden Rechts- bzw. Tatbestands- und Verbotsirrtum.
Tatsächlich kann sich der Normunterworfene gar nicht an die relevanten
gesetzlichen Schutzbestimmungen halten, selbst wenn er das will, wenn er nicht
– auf den bloßen, völlig unbegründeten Verdacht hin, dass schließlich „überall besonders bedeutende archäologische
Denkmale in situ vorkommen könnten“ –, jedwede Handlung von sich aus
unterlässt, durch die archäologische Denkmale in situ in irgendeiner
vorstellbaren Weise gefährdet werden könnten.
Letzteres ist zwar das, was die meisten deutschsprachigen Denkmalämter
gerne hätten und wenigstens das österreichische auch in rechtswidriger Weise in
seiner Anwendungspraxis durchzusetzen versucht (siehe dazu auch schon den
Beitrag "Behördliche Leseverständnisprobleme"), kann aber aus
rechtlicher Sicht nicht verbindlich der Fall sein. Denn der Staat würde dadurch
unverhältnismäßig – allein auf Basis eines gänzlich unbegründeten und in der
Mehrheit aller Einzelfälle objektiv falschen Verdachtes – in zahlreiche
verfassungsgesetzlich geschützte Grundrechte eingreifen, was ihm strikt
verboten ist.
Probleme bei der Regelung des Fundeigentums
Darüber hinaus folgen aus dem Fehlen einer eigenen archäologischen
Denkmalwerttheorie auch Probleme bei der Regelung des Fundeigentums. Diesen
werde ich jedoch in absehbarer Zeit einen eigenen Beitrag widmen und sie daher
hier nicht näher besprechen. Nur in aller Kürze sei aber hier darauf
hingewiesen, dass bei der Regelung des Fundeigentums das in deutschsprachigen
Denkmalschutzgesetzen häufige Abstellen auf den wissenschaftlichen Wert der
entdeckten Fundsachen selbstverständlich ebenfalls problematisch ist, denn, wie
bereits erwähnt, wird dieser in aller Regel durch die – und ganz besonders die
unsachgemäße – Bergung des Fundes ex situ wenigstens extrem stark verringert,
wenn nicht sogar nahezu gänzlich ausgelöscht. Daraus folgt zwingend, dass in
den meisten Fällen staatliche Schatzregale und andere gesetzliche Regelungen
des Fundeigentums, die auf der wissenschaftlichen Bedeutung der entdeckten
Gegenstände aufbauen, eigentlich nicht oder höchstens in extrem seltenen
Ausnahmefällen – in denen einem Fund auch nach seiner Bergung ex situ immer
noch aufgrund seiner eigenen Beschaffenheit besondere denkmalpflegerische
Bedeutung zukommt, wie eben z.B. bei der Venus von Willendorf – greifen können.
Schlussfolgerungen
Die in der archäologischen Denkmalpflege eigentlich essentielle
Unterscheidung zwischen der Bedeutung archäologischer Denkmale in situ ex ante (d.h. an Ort und Stelle
bevor sie – bei ihrer Ausgrabung – entdeckt wurden) und ex situ ex post (d.h. an dem beliebigen Ort, an den sie infolge
ihrer Entdeckung bei ihrer Ausgrabung verbracht wurden) wurde bisher nicht
ausreichend erkannt und in der Denkmalpflegepraxis und der
Denkmalschutzgesetzgebung daher auch nicht ausreichend beachtet bzw.
berücksichtigt. Denn es ist unbestritten und auch unbestreitbar, dass sich der
Denkmalwert archäologischer Denkmale – im Gegensatz zum weitgehend konstant
bleibenden Denkmalwert von z.B. Kunst- oder Baudenkmalen – am Zeitpunkt ihrer
Ausgrabung ganz fundamental verändert.
Das führt dazu, dass die Beurteilung archäologischer Denkmale im Sinne
von Riegls Denkmalwerttheorie, auf der letztendlich alle deutschsprachigen
Denkmalschutzgesetze aufbauen, in situ ex ante, also vor ihrer Zerstörung bei
ihrer Entdeckung durch ihre Ausgrabung, gar nicht, sondern (wenigstens de
facto, wenn man den Moment ihrer Freilegung in situ vor ihrer Bergung
beiseitelässt) immer erst ex situ ex post nach ihrer Entdeckung bei ihrer
Ausgrabung möglich ist. Eine eigene archäologische Denkmalwerttheorie, die eine
– und sei es auch nur eine sachverständige, geschweige denn eine
allgemeinverständliche – auch nur einigermaßen sachlich begründete und
verlässliche ex ante-Bestimmung des Werts eines noch nicht ausgegrabenen, in
situ befindlichen, archäologischen Denkmals gestattet, fehlt hingegen.
Nachdem aber das hauptsächliche Ziel der archäologischen Denkmalpflege
der Schutz der im Sinne Riegls „unverfälschten“ Bodenurkunde sein muss, der
notwendigerweise nur in situ ex ante gewährleistet werden kann, weil nur
dadurch der eigentlich besondere Wert der archäologischen Denkmale als
historische Primärquelle erhalten werden kann, ergeben sich aus diesem Fehlen
einer eigenständigen archäologischen Denkmalwerttheorie erhebliche und ohne sie
auch unlösbare Probleme für die archäologische Denkmalpflegepraxis. Den
archäologischen Abteilungen der Denkmalämter bleibt daher in der Regel gar
nichts anderes übrig, als die Gesetzeslage, die das, was sie eigentlich
erreichen sollen, niemals zu erreichen ermöglicht, auf die eine oder andere Weise
in der behördlichen Anwendungspraxis so hinzubiegen zu versuchen, dass sie ihre
eigentliche Aufgabe doch irgendwie erledigen können.
Dieses Hinbiegen geschieht meist dadurch, dass die Denkmalämter die
Veränderung des Denkmalwerts archäologischer Denkmale zum Zeitpunkt ihrer Ausgrabung
ebenso ignorieren wie die Unmöglichkeit, den vor der Ausgrabung bestanden
habenden Denkmalwert ex ante zu beurteilen; wenn sie überhaupt begriffen haben,
dass dieser Wandel stattfindet. Stattdessen versuchen sie, ihre ex post-Beurteilung
des Werts eines konkreten, bereits ex situ befindlichen (Rests eines) Denkmals
rückwirkend zum „konstant“ diesem auch in situ angehaftet habenden Denkmalwert
zu erklären. Damit kommt man bei den meisten Normunterworfenen und oft sicher
auch bei Richtern durch, die sich der Schwierigkeit bei der
Denkmalwertbestimmung nicht bewusst sind und einfach der ex post-Bestimmung
durch die Behörde glauben, ohne zu bedenken, dass diese Bestimmung ex ante gar
nicht möglich war. Aber rechtlich wie sachlich ist es dennoch hochgradig
unsauber.
Es bedarf die archäologische Denkmalpflege daher dringend einer eigenen
Denkmalwerttheorie, die eine ex ante-Bestimmung des Denkmalwerts noch in situ
im Boden verborgener archäologischer Denkmale gestattet. Nur das wird es
ermöglichen, eine rechtlich wie sachlich einigermaßen einwandfrei
funktionierende archäologische Denkmalpflege im deutschsprachigen Raum zu
schaffen.
Literaturverweise
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