und
die archäologische Standesidentität
Abstract: Mit dem Begriff Archäologie werden
normalerweise insbesondere materielle Sachen verbunden, insbesondere
Fundgegenstände, die man in der Landschaft finden, oder aber ausgraben muss;
wobei insbesondere das Ausgraben von Funden als die typische Aufgabe von ArchäologInnen
angesehen wird. Diese ArchäologInnen sehen sich selbst nicht erst heutzutage
als die Hüter der verlorenen Kulturschätze der Menschheit, um die sie sich zum
Wohle der Allgemeinheit als die dazu ausschließlich befugten ExpertInnen
kümmern wollen und sollen, ja sogar dazu verpflichtet sind. Es geht, so scheint
es, bei Archäologie ausschließlich um das materielle Kulturerbe, dessen stets
unvoreingenommene und selbstlose Verwalter jene hochqualifizierten
WissenschafterInnen sind, die ordentlich gelernt haben, was archäologisches
Kulturerbe ist und wie man mit ihm umgeht, und die nun dieses Wissen völlig
emotionslos in der Praxis anwenden, um den objektiv bestmöglichen Schutz des
archäologischen Kulturerbes zu erreichen.
In diesem Beitrag zeige ich, dass tatsächlich die Archäologie nicht
primär materielles, sondern in erster Linie immaterielles Kulturerbe ist, eine
bestimmte, ganz spezifisch gestaltete (und sich auch über die Zeit verändernde,
ursprünglich „westliche“) kulturelle Praxis, die bereits seit der Antike
hauptsächlich dem Zweck dient, Geschichte(n) über die Vergangenheit zu
erzählen. Gleichzeitig dient diese kulturelle Praxis und die für ihre Ausübung
charakteristischen Ausdrucksformen, Darstellungsweisen, Wissen und Fertigkeiten
sowie die damit verbundenen Werkzeuge, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume
der archäologischen Fachwelt als Instrument zur Konstruktion ihres Identitäts-
und Kontinuitätsgefühls und macht somit aus „den ArchäologInnen“ eine
Kulturerbegemeinschaft im Sinne internationaler kulturschützender
Rechtsinstrumente wie der Faro-Konvention und der UNESCO-Übereinkommen zum
Schutz und der Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und zur
Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Das hat signifikante Konsequenzen,
nicht nur dafür, wie wir uns selbst und unser archäologisches und
denkmalpflegerisches Handeln betrachten und beurteilen sollten, sondern vor
allem auch für die Organisation der staatlichen Denkmalpflege, die in
Anbetracht dieser Tatsache grundlegend überdacht werden muss und stark
reformbedürftig erscheint.
---
Archäologie wird
weithin als ein archetypisches Beispiel für materielles Kulturerbe betrachtet:
Archäologie, das sind Funde, Befunde und vielleicht noch deren Beziehungen
zueinander, die sogenannten archäologischen Kontexte, sind Fundstellen und
vielleicht ganze (historisch gewachsene) Kulturlandschaften, d.h. allesamt
materielle Sachen oder (wenigstens überwiegend räumliche) Beziehungen zwischen
materiellen Sachen. Die Idee, dass man Archäologie als immaterielles Kulturerbe
betrachten könnte und – wie ich in der Folge ausführen werde – meiner Meinung
nach sogar betrachten muss, klingt daher zuerst einmal nachgerade absurd.
Vielleicht sogar noch
absurder erscheint die Vorstellung, dass die Archäologie, ob nun als
materielles oder immaterielles Kulturerbe betrachtet, auch nur im entferntesten
irgendetwas mit einer archäologischen „Standesidentität“ zu tun haben könnte;
wenigstens auf den ersten Blick und solange man die Archäologie aus der
traditionellen innerfachlichen Perspektive betrachtet. Schließlich sind wir
ArchäologInnen WissenschafterInnen, die aus der sachgerechten Untersuchung
(primär) materieller Hinterlassenschaften möglichst objektive (oder wenigstens
intersubjektiv nachvollziehbare und in diesem Sinn objektivierte) Erkenntnisse
über die Vergangenheit zu gewinnen und sowohl diese als auch die materiellen
Hinterlassenschaften selbst dafür als Kuratoren im Interesse und zum Wohle „der
Allgemeinheit“ natürlich auch möglichst unverändert zu erhalten und in weiterer
Folge öffentlich zugänglich zu machen versuchen. Das hat, so unsere
Selbstsicht, alles mit anderen Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft zu tun, hingegen nur sehr wenig mit uns selbst, und schon gar nichts
mit unserer Identität, außer vielleicht, dass wir uns als jene ExpertInnen
fühlen, die im Dienste „der Allgemeinheit“ diese bedeutenden Aufgaben im
Bereich der Archäologie erledigen und uns daher berechtigt nicht gänzlich ohne
einen gewissen Stolz als professionelle
ArchäologInnen fühlen und bezeichnen. Wir sind schließlich, ganz objektiv
betrachtet, die Hüter der verlorenen Schätze der Menschheit, deren Dienst wir
uns vollständig verschrieben haben; oder etwa nicht?
In der Folge gedenke
ich zu zeigen, dass es zwar durchaus so sein mag, dass die Mehrheit aller
ArchäologInnen ehrlich und ernsthaft glaubt, dass Archäologie tatsächlich
materielles Kulturerbe ist und die Archäologie auch praktisch nichts (außer
dass sie uns unseren Namen gibt) mit unserer eigenen Identitätskonstruktion als
ArchäologInnen zu tun hat und wir – ganz objektiv betrachtet – nur völlig
selbstlose Diener des Interesses der Menschheit an den archäologischen
Hinterlassenschaften (und) der Vergangenheit sind, die Situation jedoch
tatsächlich viel komplizierter (und keineswegs so schön) ist, wie wir es gerne
glauben und behaupten. Ich werde also argumentieren, dass es tatsächlich nicht
so ist, sondern eigentlich ganz anders.
Archäologie: Dinge oder Aktivität?
Bekanntermaßen leitet
sich der Name der archäologischen Wissenschaft vom bereits antik belegten altgriechischen
Kompositum άρχαιολογία ab (Sinn 2000, 11), der sich aus den Elementen ἀρχαῖος, „die Anfänge betreffend,
(sehr) alt, urzeitlich“ und λόγος,
„Sprache, Rede; Wort; Gespräch,
Unterhaltung, Unterredung; Erörterung, Argumentation; Spruch, Ausspruch;
Geschichtserzählung, Geschichtswerk; Satz, Annahme, Behauptung; vernünftige
Überlegung, Nachdenken; etc.“ zusammensetzt. In der ältesten Verwendung
wird der Begriff für (öffentliche) Vorträge bzw. Reden über „Heroen der Vorzeit“ und die „alten Menschengeschlechter“ sowie
darüber „wie sie wohnten, wie sie ihre
Städte anlegten, wie es überhaupt früher zuging“ (Eggert 2006, 4) benutzt.
Wurde der Begriff in der Antike selbst
noch allgemein als „Kunde von den Anfängen“ bzw. „den alten Dingen“ verwendet,
wurde er in der Entwicklung der historischen Spezialwissenschaften im Verlauf
des späten 18. und 19. Jahrhunderts auf die wissenschaftliche Erforschung der „materiellen Hinterlassenschaften
vergangener Kulturen eingeschänkt“ (Eggert 2006, 4). Davon wiederum haben
sich die zwei hauptsächlichen Bedeutungen des Begriffs Archäologie in der
Gegenwart entwickelt, nämlich:
- die (wissenschaftliche) Erforschung der Vergangenheit, primär anhand der materiellen Hinterlassenschaften, die aus dieser Vergangenheit bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind (im Sinne von: „die Archäologie ist eine Spatenwissenschaft“); und
- die materiellen Hinterlassenschaften der Vergangenheit selbst, die bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind und daher Quellen für die wissenschaftliche Erforschung der Vergangenheit sind (im Sinne von: „die Archäologie der X-Zeit kennzeichnet sich durch bewegliche Fundgegenstände der Typen a, b, c, etc. und unbewegliche Befunde der Typen g, h, i, etc.“).
Es ist dabei insbesondere die Verwendung
des Archäologiebegriffs im zweitgenannten Sinn, die dazu geführt hat, dass
(auch) archäologische Hinterlassenschaften als Denkmale bzw. in jüngerer Zeit
als ein archetypisches Element des materiellen Kulturerbes betrachtet werden:
schließlich scheint der Begriff Archäologie in dieser Verwendung ausschließlich
„alte Dinge“ zu bezeichnen; ob diese nun als Sachen, Teile von Sachen oder als
(in einem Sinnzusammenhang miteinander stehende) Sachgesamtheiten sind. Dass
diese „alten Dinge“ allerdings nur Mittel zum Zweck, d.h. für sich betrachtet eigentlich
(eher) unwesentlich sind, wird dabei oft vergessen; auch wenn die
archäologische Fachwelt gelegentlich mehr oder minder deutlich darauf hinweist,
dass ihr „die Funde selbst“ weitgehend egal sind (siehe dazu z.B. Leskovar
& Traxler 2010, 59).
Als Folge davon wird auch gerne vergessen,
dass Archäologie eigentlich nicht die „alten Dinge“ sind, die nur die Quellen
„der Archäologie“ sind, sondern im Sinne der zuerst genannten Wortbedeutung des
Begriffs „die Archäologie“ eine aktive Tätigkeit ist, der bestimmte Leute nachgehen.
Archäologie „ist“ also nicht (irgendeine Sache), sondern Archäologie „macht
man“, wenn man mittels „alter Dinge“ Erkenntnisse über die Vergangenheit zu
gewinnen versucht.
Noch viel öfter wird daher dann auch
vergessen, dass auch dieses „Tun“ im Sinne der erstgenannten Wortbedeutung,
also die wissenschaftliche Erforschung der Vergangenheit mittels der „alten
Dinge“, auch ihrerseits nicht Selbstzweck, sondern erst recht nur Mittel zum
Zweck ist. Dieser Zweck des „Archäologie Machens“ ist es, das zu tun, was die
ursprüngliche, schon in der Antike belegte, Bedeutung des Begriffs άρχαιολογία ist, nämlich: Geschichte(n
über die Vergangenheit) erzählen (EAA 2019, 1). Wie
andere Erzählformen auch gelten für die Archäologie als bestimmte Art des
(wissenschaftlichen) Geschichte(n)erzählens natürlich gewisse Regeln, wie eben,
dass archäologische Geschichte(n) unter Bezugnahme auf deren materiellen
Hinterlassenschaften etwas über die Vergangenheit erzählen und ihr Inhalt einem
bestimmten (wissenschaftlichen, d.h. durch explizierte Quellenverweise mit
Evidenz und vernünftige Überlegungen begründeten) Erzählmuster folgt; sie also
nicht (reine) Fiktionen oder (bloße, gänzlich unbegründete) Spekulationen sind,
sondern (soweit das möglich ist) einigermaßen nachvollziehbar und verlässlich.
Trotzdem, letztendlich geht es, wissenschaftliche Erzählregeln hin oder her,
darum Geschichte(n) zu erzählen, und zwar nicht nur irgendwelche Geschichten,
sondern insbesondere Geschichten, die in der Gegenwart Wirkung entfalten. Die
mindeste Wirkung, die diese Geschichte(n) in der Gegenwart entfalten sollte(n)
ist, dass sie das Publikum interessiert (bzw. interessieren), dem sie erzählt
werden soll(en). Noch besser ist es jedoch und, nachdem sich die Archäologie
als Wissenschaft versteht, auch durchaus erwünscht, dass diese Geschichte(n)
durch ihre Wirkung in der Gegenwart die Zukunft zu gestalten hilft (bzw.
helfen), in der vom Erzähler gewünschten Richtung (siehe in diesem Sinne
zuletzt EAA 2019).
Archäologie ist also eigentlich nicht eine
(oder viele) „alte“ Sache(n), sondern eine gesellschaftliche Praxis der
Gegenwart mit Gegenwarts- und idealer- bzw. erwünschterweise auch mit
zukunftsgestaltender Wirkung. Als solche ist sie in ihrer modernen
(wissenschaftlichen) Form im Europa und dessen kolonialen Umfeld des späten 18.
und 19. Jahrhunderts entstanden (und hat sich von dort seither im Wege der
Globalisierung insbesondere europäischer bzw. „westlicher“ kultureller
Praktiken über die ganze Welt verbreitet) und ist als solche auch in einen
bestimmten kulturellen Kontext eingebettet, ist also eine kulturelle Praxis.
Auf diesen Punkt werde ich später nochmals zurückkommen.
Denkmale oder kulturelles Erbe?
Im deutschsprachigen
Denkmalpflegediskurs wird gerne der relativ junge Begriff des kulturellen Erbes
als Synonym für den seit langen gebräuchlichen, traditionellen Denkmalbegriff
angesehen und verwendet und die signifikanten Unterschiede, die zwischen ihnen
bestehen, nicht oder bestenfalls unzureichend verstanden und reflektiert. Dabei
steht der Begriff des kulturellen Erbes eigentlich in einem engen Zusammenhang
mit und ergibt streng genommen überhaupt nur Sinn im Kontext einer
revolutionären Änderung des Verständnisses, was und warum etwas – und zwar
keineswegs nur Sachen, sondern auch kulturelle Praktiken – gegenwärtigen
Menschen „für zukünftige Generationen“ schützens- bzw. erhaltenswert erscheint.
Dabei zeigt schon der
Begriff des „immateriellen Kulturerbes“ eigentlich in aller wünschenswerten
Deutlichkeit, dass es einen radikalen Bedeutungsunterschied zwischen dem
Denkmal- und dem Kulturerbebegriff geben muss: ein immaterielles Denkmal ist,
wenigstens unter einem traditionellen Denkmalbegriffsverständnis, schließlich
gänzlich unvorstellbar; ist etwas, was es überhaupt nicht geben kann. Ein
ausgezeichnetes Beispiel dafür ist z.B. § 1 Abs. 10 des österreichischen
Denkmalschutzgesetzes (DMSG). Dieser stellt nämlich unmissverständlich
fest:
„Die Erhaltung kann
nicht im öffentlichen Interesse gelegen sein, wenn sich das Denkmal im
Zeitpunkt der Unterschutzstellung in einem derartigen statischen oder sonstigen
substanziellen (physischen) Zustand befindet, dass eine Instandsetzung entweder
überhaupt nicht mehr möglich ist oder mit so großen Veränderungen in der
Substanz verbunden wäre, dass dem Denkmal nach seiner Instandsetzung
Dokumentationswert und damit Bedeutung als Denkmal nicht mehr in ausreichendem
Maße zugesprochen werden könnte. Ausgenommen sind Denkmale, denen auch als
Ruinen Bedeutung im obigen Sinn zukommt.“ (§ 1 Abs. 10 DMSG).
Etwas, was also
keinerlei körperliche Substanz (mehr) hat (oder von Anfang an niemals
körperliche Substanz hatte) kann also im Sinne des österreichischen DMSG kein Denkmal sein, sondern ein Denkmal muss
ein physischer, d.h. materieller Gegenstand sein. Das entbehrt auch keineswegs
einer gewissen Logik: etwas, was (wenigstens in einer materialistischen
Sichtweise der Welt) nicht „ist“, was (bzw. weil es) keine körperliche Substanz
hat, sondern das man „tut“, kann man auch nicht – und schon gar nicht
„unverändert“ – erhalten, denn „tun“ setzt schließlich aktives Handeln voraus;
und aktives Handeln bewirkt immer und wird (wie Zeit generell) überhaupt erst
dadurch erkennbar, dass sich (dadurch) etwas verändert. Eine essentiell
immaterielle kulturelle Praxis, eben etwas, was Menschen „nur“ tun, kann man im
Gegensatz zu den durch menschliches Handeln, durch die Anwendung kultureller
Praktiken, geschaffenen materiellen Objekten maximal wiederholen bzw.
re-kreieren; nicht die „authentische“, die „originale“ Handlung auf irgendeine
Weise „für die Zukunft“ bewahren; und sie noch viel weniger vor Veränderung (ob
nun rechtlich oder praktisch) schützen.
Der traditionelle Denkmalgedanke und seine Herkunft
Damit entzieht sich
jedoch alles immaterielle notwendigerweise dem traditionellen Denkmalschutzgedanken,
der letztendlich auf die Herstellung einer essentiell „unveränderten“
Kontinuität zwischen der Vergangenheit und der Zukunft abzielt, und zwar im
Prinzip entsprechend der Vorstellung, dass aus der Vergangenheit eine
„Zeitkapsel“ in die Zukunft geschickt wird, die dann die zukünftigen Menschen,
als Empfänger der Botschaft aus der Vergangenheit, zum Zwecke der Erinnerung an
diese Vergangenheit benutzen können. Oder in anderen Worten gesagt: dem
traditionellen Denkmalschutzgedanken liegt eine ganz bestimmte Sichtweise von
kultureller Informationsübermittlung und Erinnerung zugrunde, die die (Menschen
der) Vergangenheit als aktiven („sendenden“) und die (Menschen der) Zukunft als
passiven („empfangenden“) Kommunikationsteilnehmer sieht. Der Blickwinkel der
traditionellen Denkmalpflege ist daher auch einer aus der Vergangenheit entlang
des positiven Zeitpfeils hin auf eine unbestimmte (vergangene, gegenwärtige
oder auch vom Blickpunkt der Gegenwart aus noch zukünftige) Zukunft (Abb. 1).
Dass die traditionelle
Denkmalpflege diesen Blickwinkel einnimmt, ist der historischen Entwicklung des
Denkmalgedankens, hauptsächlich im 18. und 19. Jahrhundert geschuldet: ein
Denkmal war ja, wenigstens anfänglich, eigentlich nur ein absichtlich
errichtetes „Erinnerungsmal“; z.B. eine Statue, Bauwerk[1]
oder dergleichen, das von seinem Schöpfer (bzw. Auftraggeber) mit dem Zweck
errichtet wurde, damit sich „zukünftige Generationen von Menschen“ an bestimmte
„bedeutende“ Personen (wie z.B., wenigstens in seiner Eigensicht, den
Auftraggeber des Denkmals) oder Ereignisse erinnern würden bzw. ihrer gedenken
könnten. Ein solches – im Sinne Riegls (1903, 1) „gewolltes“ – Denkmal
stellt also einen vorsätzlichen Versuch dar, wenn schon nicht physisch, so doch
in der Erinnerung der nachfolgenden Generationen, „Unsterblichkeit“ zu
erlangen; und nimmt daher notwendigerweise den Blickwinkel von einem bestimmten
(vergangenen) Zeitpunkt – nämlich dem der Schöpfung des Denkmals – entlang des
positiven Zeitpfeils in Richtung einer konkret unbestimmten Zukunft ein.
Der Schöpfer (bzw.
Auftraggeber) des gewollten Denkmals will mit seiner Errichtung, ganz wie oben
beschrieben, eine Zeitkapsel mit einer ganz bestimmten Botschaft in die Zukunft
schicken und erwartet natürlich (bzw. hofft wenigstens darauf), dass diese auch
wie von ihm intendiert in jeder beliebigen Zukunft ankommt. Das macht es essentiell,
dass das Denkmal selbst in Erscheinung und Substanz unverändert bleibt, weil
ändert man etwas an ihm, dann verändert man, wenigstens möglicherweise, auch
die gesendete Botschaft. Damit ginge aber potentiell ihr „authentischer“ (d.h.
der von ihrem Autor gewollte) Inhalt verloren und nachfolgende Generationen
könnten sich nicht mehr an das erinnern, woran sie der Schöpfer erinnern
wollte, sondern würden sich eventuell an etwas ganz Anderes und somit im Sinne
des Senders der Botschaft „Falsches“ erinnern. Damit wäre die angestrebte
Unsterblichkeit im Gedenken verloren, das Denkmal würde seinen intendierten
Zweck nicht mehr erfüllen (können) und wäre damit – aus Sicht seines Schöpfers
– „wertlos“ geworden.
Im Verlauf des späten
18. und 19. Jahrhunderts wurde diese Vorstellung dann zunehmend von „gewollten“ auch auf das übertragen, was
Riegl (1903, 6) als „ungewollte“ Denkmale
bezeichnet. „Ungewollt“ bedeutet
dabei im Sinne Riegls natürlich nicht, dass niemand will, dass die betreffende
Sache ein Denkmal ist, sondern dass – eben gemäß dem Blickwinkel aus der
Vergangenheit auf eine unbestimmte Zukunft – der Schöpfer der Sache, um die es
geht, diese bei deren Schöpfung nicht mit der Intention geschaffen hat, damit
eine bestimmte Botschaft an zukünftige Generationen zu schicken, sondern mit
irgendeiner anderen Absicht. Die Sache ist vielmehr erst durch „nachfolgende
Generationen“ als Denkmal erkannt oder zu einem solchen erklärt bzw. erhoben
worden; ganz ohne dass ihr Schöpfer das gewollt hätte, weswegen es im Sinne
Riegls ein „ungewolltes“ Denkmal ist.
Dass ein solches, von
Riegl (1903, 6) auch „historisches“
genanntes, „ungewolltes“ Denkmal erst
nachträglich von „nachfolgenden Generationen“ als Denkmal erkannt bzw. zu einem
solchen erklärt bzw. erhoben wurde, bedingt logisch zwingend auch, dass
derartige ungewollte Denkmale aus der – wenigstens einigermaßen fern,
mindestens eine „Generation“ zurückliegenden – Vergangenheit stammen müssen. Es
wird nämlich – aufgrund der Übertragung des Denkmalgedankens vom gewollten auf
das ungewollte Denkmal – weiterhin davon ausgegangen, dass das Denkmal als
Zeitkapsel fungiert und damit eine authentische (eben von seinem Schöpfer
verfasste) Botschaft enthält, die unverändert in die Zukunft gelangen muss,
damit sie von den nachfolgenden Generationen auch „richtig“ verstanden werden
kann.
Der einzige echte
Unterschied zwischen dem gewollten und dem ungewollten Denkmal ist daher der,
dass beim ungewollten Denkmal dessen Schöpfer nicht der Zukunft die ganz
bestimmte Nachricht „erinnert Euch an X“ schicken wollte, sondern (zumeist)
nicht einmal irgendeine Botschaft; und erst nachfolgende Generationen
beschlossen haben, dass die unbeabsichtigt von seinem Schöpfer dem historischen
Denkmal mitgegebene Botschaft (und sei es nur darüber, welche Sache er hatte
und welche Handlung er damit zuletzt gesetzt hat) eine ist, die sie unverändert
bewahren wollen. Zentral ist und bleibt aber, dass es um die Botschaft geht,
die aus der Vergangenheit stammt, während Gegenwart und Zukunft weitestgehend
passiv bleiben: den „nachfolgenden“ Generationen kommt maximal die Entscheidung
darüber zu, ob sie die materielle Botschaft aus der Vergangenheit, die sie
empfangen haben, für ihnen nachfolgende Generationen weiter – dann
selbstverständlich essentiell unverändert – erhalten wollen, oder ob sie sie
nicht unverändert erhalten wollen und sie daher der Zerstörung anheimfallen
lassen.
Der Wert des Denkmals
besteht in diesem Sinne objektiv und ist ihm inhärent, ist eben der Wert der
Botschaft, die die Vergangenheit an die Zukunft gesandt hat. Und dieser Wert
ist auch im Wesentlichen statisch, er muss nur – z.B. durch einen Experten, der
ihn taxieren kann – erkannt und damit gleichzeitig quantifiziert werden. Daher
dürfen gegenwärtige (und zukünftige) Generationen unter dem traditionellen
Denkmalgedanken auch nicht aktiv von sich aus die mittels der – ob nun
gewollten oder ungewollten – Denkmale durch die Zeit gesandte „authentische“
Botschaft der Vergangenheit in ihrem Sinne verändern, umschreiben etc., weil
das den Wert der „originalen“ Botschaft des Denkmals verfälschen oder gar
auslöschen würde. Sie dürfen deshalb auch maximal nur etwas zu ihr (und damit
gegebenenfalls auch dem Denkmal) derart hinzufügen, dass die Hinzufügung klar
unterscheidbar bleibt und idealerweise auch reversibel ist, falls die
Hinzufügung die „ursprüngliche“ Botschaft zu überstrahlen oder auszulöschen
beginnt.
Ein Denkmal lässt sich
also unter dieser Sichtweise entweder gar nicht oder nur sehr schwer kreativ
weiterentwickeln, sondern bleibt optimalerweise genauso, wie es ursprünglich
war. Auch das schließt die Möglichkeit, dass es in einem traditionellen
Denkmalverständnis so etwas wie immaterielle Denkmale geben könnte, völlig aus,
denn selbst die Wiederholung einer bestimmten, zur betreffenden kulturellen
Praxis gehörenden Handlung ist nicht mehr als eine Kopie dieser Handlung; und
das noch dazu praktisch immer eine aus der lebenden Erinnerung der handelnden
Individuen und daher anfällig für Kopierfehler und für Dritte nicht oder
wenigstens nur sehr schwer erkennbare, kreative Änderungen durch den Handelnden
selbst. Die wiederholte Handlung enthält eben gerade nicht die „unverfälschte“
Botschaft aus der Vergangenheit, sondern ist ihrerseits eine „authentische“
Handlung der Gegenwart; die vielleicht durch vergangene vergleichbare
Handlungen inspiriert, aber nicht dasselbe ist wie diese.
Das Konzept des kulturellen Erbes
Das Kulturerbekonzept
beruht hingegen auf einer ganz anderen zugrundeliegenden Vorstellung und geht
von den nahezu diametral entgegengesetzten Voraussetzungen aus als der
traditionelle Denkmalgedanke. Liegt letzterem die Idee der Unsterblichmachung
des Schöpfers des Denkmals und dessen unverändert durch die Zeiten gesandten
Botschaft an „die Zukunft“ zugrunde, unterliegt dem Kulturerbekonzept, wie
schon sein Name deutlich macht, die Vorstellung der Erbschaft.
Die Erbschaft stellt
natürlich ebenfalls eine Beziehung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft her und erzeugt damit Kontinuität, erzeugt diese aber nicht durch
Unsterblichmachung der Botschaften des Erbschöpfers, sondern dadurch, dass
Wertvolles nach dem Tod der vorherigen auf die nächste Generation übertragen
und dabei von jeder Generation genutzt und idealerweise vermehrt oder
verbessert und schließlich weitergegeben wird. Betrachtet wird die Erbschaft
gewöhnlich jeweils von einem konkret unbestimmten, aber relativ zeitnah zur
Gegenwart imaginierten, Blickwinkel aus der Zukunft entgegen dem positiven
Zeitpfeil zurück in Richtung einer vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen
Vergangenheit (Abb. 2):
die Erbschaft ist das, was der Erblasser voraussichtlich nach seinem
vorhersehbaren, zukünftigen Ableben seinen Erben hinterlassen wird; und das,
was der Erbe voraussichtlich nach dem vorhersehbaren zukünftigen Ableben des
Erblassers erben wird.
Der aktive Part im
generationenübergreifenden Erbschaftsprozess kommt dabei stets nicht der
vergangenen, sondern der zukünftigen Generation zu: damit der Erblasser seinen
Erben Sachen vererbt, muss er sterben und kann daher nicht mehr aktiv sein. Bis
er stirbt, ist er nämlich nicht Erblasser, sondern ganz normal Eigentümer
seiner Sachen, mit denen er machen kann, was er will. Sein Erbe ist auch nicht
Empfänger einer Botschaft des Erblassers (wenn man einmal von möglichen
testamentarischen Verfügungen absieht), die er unverändert seinen eigenen Erben
weiterleiten soll. Wie er mit seinem Erbe verfährt, d.h. ob er es hegt und
pflegt und der nächsten Generation weitervererbt, kreativ in es investiert, um
es zu vermehren, oder es einfach verschwendet oder verkommen lässt, ist Sache
des Erben, nicht des Erblassers. Und die Erbschaft hat auch nicht den Zweck,
dass man sich anhand ihrer des Erblassers erinnern und diese Erinnerung
unverändert an die nachfolgenden Generationen weiterreichen kann; sondern ist
einfach, was nach dem Ableben des Erblassers von dessen Sachen noch da ist, das
„von ihm“, das ihn selbst überlebt.
Was der
„ursprüngliche“ Schöpfer eines Erbstückes eventuell mit ihm wollte und ob darin
eine Botschaft an die Zukunft steckt, ist unter dem Kulturerbegedanken ebenso
weitgehend gleichgültig wie ob irgendeine möglicherweise im Erbstück enthaltene
Botschaft unverändert bleibt, verändert wird, oder verloren geht. Nachdem der
aktive Part jedenfalls immer der jetzt oder zukünftig Lebende und niemals der
schon längst Verstorbene ist, ist nur das (am) Erbstück relevant, was dem lebenden
Erben etwas bringt. Das kann natürlich auch sein, die „authentische“ Botschaft
des Schöpfers eines bestimmten Erbstückes zu empfangen, wenn das den Erben
interessiert, aber es muss nicht das sein.
Nachdem es beim
Kulturerbekonzept also nicht (unbedingt) darum geht, die „authentischen“
Botschaften der Vergangenheit unverändert der Zukunft weiterzugeben, sondern
darum, dass man mit dem, was man aus der Vergangenheit ererbt hat, etwas macht,
was einem nutzt, und damit womöglich das, was man dereinst der Zukunft vererben
kann, vermehrt und verbessert, nimmt die Bedeutung der unveränderten Erhaltung
von ererbten Sachen ab und es weitet sich deutlich aus, was alles Gegenstand
des Interesses sein kann. Denn die Zerstörung oder Aufgabe von Erbteilen, die
er nicht mag, für schädlich hält, oder die er einfach vergessen möchte, ist
nicht mehr (unbedingt) ein pietätloser Umgang mit den „authentischen“
Botschaften irgendwelcher Ahnen an irgendeine unbestimmte Zukunft, sondern das
gute Recht des Erben; ebenso wie es sein gutes Recht und eventuell sogar seine
Pflicht ist, das ererbte Gut nicht ungenutzt brachliegen zu lassen, sondern für
seine eigene kreative Arbeit zu nutzen, um es zu verbessern und zu vergrößern.
Die bloße Bewahrung des auf den Erben Gekommenen genügt nicht, sondern jede
neue Generation muss ihren Beitrag leisten, dem Ererbten eben ihren Stempel
aufdrücken, womit die Nutzung des Ererbten in den Vordergrund rückt.
„Erben“ kann man
natürlich, wenigstens im übertragenen Sinn, nicht nur materielle Sachen,
sondern auch alle möglichen, rein ideellen „Sachen“, wie bestimmte individuell
und/oder kulturell spezifische Verhaltensweisen und kulturelle Praktiken,
ideologische Vorstellungen, politische Ansichten, soziale Werte, etc.. Diese
kann man unverändert an seine eigenen Nacherben weitervererben wollen; oder
radikal reformieren, weil man glaubt, sie dadurch zeitgemäßer machen und für
alle verbessern zu können; oder gar als vollkommen obsolet abschaffen wollen.
Das öffnet nicht nur Tür und Tor für die Vorstellung, dass es auch
immaterielles Kulturerbe geben kann – eben solche kulturellen Praktiken etc.,
die man von früheren Generationen ererbt hat und nachfolgenden weitervererben
will – sondern auch dafür, dass man diese nicht statisch und über Jahrhunderte
oder Jahrtausende hinweg unverändert erhalten muss, sondern dass das Überleben
der Praxis nur durch ihre Ausübung samt der damit unweigerlich bis zu einem
gewissen Grad einhergehenden Veränderung in Form und Bedeutung gesichert und
gewährleistet werden kann.
Erhaltung bedeutet daher
im Gegensatz zum Denkmalgedanken hier nicht unbedingt, Veränderung zu
verhindern; sondern hauptsächlich zu verhindern, dass das Ererbte – ob nun
materielle Sache oder immaterielle Praxis – irrelevant wird; zu verhindern,
dass es seinen „Wert“ verliert und daher letztendlich, und sei es nur durch
Abnutzung oder natürlichen Verfall, gänzlich verloren geht. Erhaltung im Sinn des
Kulturerbegedankens bedeutet es, die Athener Lösung für das Theseus-Paradoxon
zu wählen:[2]
statt wie der traditionelle Denkmalgedanke den letztendlich unabwendbaren
Verfall der Denkmalsubstanz zu beklagen, aber hinzunehmen, vererbt der
Kulturerbegedanke einfach die kulturelle Bedeutung und ersetzt erforderlichenfalls
die Substanz der Erbschaft durch ein jeweils gegenwärtig brauchbar
erscheinendes Substitut.
Ist der traditionelle
Denkmalgedanke also ein statisches Konzept, bei dem „die Vergangenheit“ als
aktiver Part des Verhältnisses „die Zukunft“ daran erinnert, dass sie auf den
Schultern von Giganten steht; ist der Kulturerbegedanke ein fluides Konzept,
bei dem „die Zukunft“ als aktiver Part die aus „der Vergangenheit“ ererbten
Kulturgüter zum eigenen Vorteil der zukünftigen Menschen nutzt. Die beiden
Denkweisen sind einander also radikal und diametral entgegengesetzt: der
traditionelle Denkmalgedanke will bewahren, was war, der Kulturerbegedanke
hingegen schaffen, was sein wird.
„Archäologie tun“ als immaterielles Kulturerbe
Nachdem es beim Kulturerbegedanken
nicht um die unveränderte Erhaltung der „alten Dinge“ in ihrer körperlichen
Erscheinung und Substanz geht, sondern um die kreative Nutzung „ererbter“ Dinge
und kultureller Praktiken zur Erhaltung (ihres) kulturellen Wertes, ist in der modernen
Kulturerbewissenschaft die Erforschung der gesellschaftlichen Nutzung und
Funktion von kulturellem Erbe klarerweise ein besonders bedeutendes Thema. Die
zentralen Erkenntnisse dieser Forschung haben ihren Niederschlag dann auch in
der Begriffsdefinition der UNESCO-Konvention zur Bewahrung des immateriellen
kulturellen Erbes (UNESCO 2003)
gefunden: nämlich dass sein Wert dem kulturelle Erbe subjektiv von derzeit
lebenden Menschen zugeschrieben wird und nicht Dingen selbst innewohnt; dass der
Kulturerbebewertungsprozess ein relationaler, emotionaler Prozess, also stets
eine (gefühlsmäßige) Reaktion auf etwas Reales, wie eine Sache, aber auch ein
Ereignis, eine Handlung, eine kulturelle Praxis etc. ist; und dass kulturelles
Erbe primär der Verortung von Personen, Personengruppen oder Gemeinschaften im
sozialen Gefüge der Welt dient, d.h. der Erzeugung von (räumlichen, zeitlichen
und kulturell gruppenspezifischen, aber vor allem) zwischenmenschlichen Zugehörigkeitsgefühlen,
also Identitäten.
Die UNESCO-Konvention
von 2003 drückt das wie folgt aus:
„“Immaterielles
Kulturerbe” bedeutet die Praktiken, Ausdrucksformen,
Darstellungsweisen, das Wissen
und die Fertigkeiten – als auch die damit verbundenen Werkzeuge,
Objekte, Artefakte und kulturellen Räume – die Gemeinschaften,
Gruppen und, in manchen Fällen, auch Einzelpersonen als Teil
ihres kulturellen Erbes betrachten. Dieses von Generation zu Generation weitergegebene,
immaterielle kulturelle Erbe wird von Gemeinschaften und Gruppen in Reaktion
auf ihre Umwelt, in Interaktion mit der Natur und mit ihrer Geschichte,
ununterbrochen neu geschaffen und gibt ihnen ihr Identitäts- und Kontinuitätsempfinden,
wodurch der Respekt für kulturelle Vielfalt und menschliche
Kreativität gefördert wird. …“[3] (Art. 2 Abs. 1 UNESCO 2003; Übersetzung und
Hervorhebungen in Fettdruck: RK).
Diese Begriffsdefinition
macht auch unmittelbar deutlich, dass Archäologie, wenigstens sowohl im
ursprünglichen als auch im oben als derzeitige primäre Wortbedeutung
ausgewiesenen Sinn des Begriffs als etwas, was man tut, als eine auch
öffentlich performative kulturelle Praxis des Geschichte(n)erforschens und
Geschichte(n)erzählens, ganz eindeutig immaterielles Kulturerbe und nicht etwa
materielles Kulturerbe ist. Dass der Begriff Archäologie heutzutage als
sekundäre Bedeutung auch für die körperlichen Sachen steht, die man als
Werkzeuge, Objekte, Artefakte und kulturelle Räume für die Schöpfung dieser
Geschichte(n) benutzt, ändert daran nicht das geringste, sondern gestattet es
bloß, die (bzw. wenigstens manche) archäologischen Hinterlassenschaften, wenn
man das will, in ihrer Materialität im Sinne des traditionellen Denkmalgedankens
auch als Denkmale zu betrachten und zu behandeln.
Als kulturelle Praxis
der Gegenwart ist Archäologie im Grunde genommen eine besondere Form des
Umgangs mit altem Müll (Rathje & Murphy 2001; Robinson & Aston 2003),
die verlorene, vergessene, verlassene und verborgene aber nahezu regelhaft
stark bis nahvollständig verfallene Gegenstände bzw. die von solchen
hinterlassenen Spuren mit historischer Bedeutung und somit mit kulturellem Wert
auflädt. Diese verfallenen Gegenstände sind – und bleiben – gegenwärtig und
zukünftig so lange vollkommen bedeutungs- und wertlos, bis sie unter gewissen
Umständen entdeckt und als „archäologische“ Gegenstände erkannt bzw.
angesprochen werden. Erst die öffentliche Ansprache und darauffolgende
Behandlung einer Sache als „archäologisches“ Objekt erschafft es also als
Objekt von kulturellem Wert. Dieser Wert wird dabei z.B. dadurch nicht nur
geschaffen, sondern signifikant erhöht, dass die betreffende Sache durch einen
professionellen Archäologen bei einer systematischen archäologischen Ausgrabung
entdeckt und entsprechend bestimmter Verhaltensregeln dokumentiert, geborgen
und schließlich idealerweise auch archiviert wurde; und zwar völlig unabhängig
davon, ob mittels dieses Gegenstandes letztendlich tatsächlich irgendwann
einmal irgendeiner Öffentlichkeit (bzw. einem Publikum) eine Geschichte über
die Vergangenheit erzählt wird oder nicht.
Abb. 3: Archäologie "tun" und Archäologe "sein". Popkulturreferenz und ArchäologInnen bei einer absolut charakteristischen Tätigkeit: dem Putzen einer steinigen Oberfläche. |
Der spezielle Umgang
mit den Verfallsprodukten ist dabei so eindeutig kreativ, dass er sogar
rechtlich als kreativer Akt anerkannt ist, der originäres geistiges Eigentum
schafft (siehe z.B. § 2 UrhG [DE]; §§ 2-3 UrhG [AT]), und hat eindeutig eigene Ausdrucksformen
und Darstellungs-weisen und sogar ein starkes künstlerisches Element, sowohl
eines der bildenden als auch eines der darstellenden Künste. Grabungsphotos und
-pläne z.B. werden nicht rein nach wissenschaftlichen Gesichts-punkten erzeugt,
sondern sollen auch gewissen ästhetischen Ansprüchen genügen: man will sie
schließlich potentiell auch irgendwann einmal publizieren. Und dass auch die
Ausstellung, wenn es ein Fund, Plan oder Foto in eine schafft, eigene
Darstellungsformen – wie z.B. die typologisch geordnete Vitrine – kennt und
selbstverständlich auch so gestaltet werden muss, damit sie Besuchern auch
gefällt und diese nicht nur die Objekte darin so gut als möglich sehen können,
versteht sich von selbst. Tatsächlich ist selbst die Form der Ausstellung in einer
Vitrine eine bestimmte Ausdrucksform und Darstellungsweise, die vielleicht
besonders anschaulich sein mag, aber primär eine kulturelle Konvention, keine
tatsächliche sachliche Notwendigkeit ist. Aber auch unsere öffentliche
Selbstdarstellung, z.B. regelhaft als „Hüter der verlorenen Schätze“, oft sogar
verbunden mit Anspielungen auf archäologische Popkultur (Holtorf 2007; Abb. 3)
ist eine spezielle kulturelle Ausdrucksform von „Archäologe sein“ bzw.
„Archäologie tun“.
Abb.
4:
WHS Tyzack Spear & Jackson 11104ARCH-08 archaeologists‘ trowel 4 inch, das bekannteste Modell der "englischen" ArchäologInnenkelle. |
Dass Archäologie als
Wissenschaft ihr eigenes – kulturell spezifisches – Wissen geschaffen hat,
bedarf keiner weiteren Erwähnung; und dass Archäologie bestimmte,
kulturspezifische Fertigkeiten verlangt (wie z.B. das auf Abb.
3 in Szene gesetzte Putzen von
Bodenschichtoberflächen), kann auch als bekannt vorausgesetzt werden. Die
Archäologie hat, einmal völlig abgesehen von den archäologischen Artefakten und
Fundstellen selbst, auch ihre eigenen Werkzeuge, Objekte und kulturellen Räume.
Ein nachgerade klassisches Werkzeug der und Symbol für die Archäologie ist die
– eigentlich ursprünglich für das Fliesenverlegen erzeugte –
ArchäologInnenkelle, insbesondere das als archetypische „englische Kelle“
bekannte und auch unter der Bezeichnung „archaeologist‘s trowel“
verkaufte Modell „Spear & Jackson 11104ARCH-08“ (Abb. 4). Der kulturelle Raum der Archäologie ist
natürlich die geöffnete Grabungsfläche selbst, diese kann aber auch kreativ um
selbstgeschaffene Feld-Pausenräume ergänzt und erweitert werden (Abb. 5).
Abb.
5:
Archologischer Feld-Pausenraum, errichtet aus den Rasenziegeln, die auf der Grabungsfläche abgestochen und separat gelagert wurden, um sie nach Grabungsende wieder zuoberst auf den verfüllten Schnitt aufbringen zu können. |
Dass die kulturelle
Praxis und Kulturproduktproduktionstechnik des „Archäologie Tuns“ von
Generation zu Generation weitergegeben wird und wir ArchäologInnen unsere
Identität nicht zuletzt daraus schöpfen, dass wir – z.B. graduierte,
professionelle, oder wenigstens beruflich – ArchäologInnen sind, bedarf
ebenfalls keiner besonderen Erklärung oder eines detaillierter geführten
Beweises. Schließlich gibt es eigene Archäologie-Universitäts-studiengänge
dafür, und wir grenzen uns als Identitätsgruppe mehr als deutlich von anderen
wie „HobbyarchäologInnen“ oder „MetallsucherInnen“ ebenso wie gegenüber
„PrivatsammlerInnen“ und „Antikenhänd-lerInnen“ extrem deutlich ab. Dazu gibt
es ganze Bücher, in denen wir diese Abgrenzung genauer besprechen, meist in
Begrifflichkeiten, die implizieren oder sagen, dass alle diese anderen Gruppen
illegal oder wenigstens illegitim im Bereich unseres immateriellen Kulturerbes
und der ihm zugehörigen Objekte, kulturellen Räume herumfuhrwerken bzw. wildern
(z.B. Heilmeyer & Eule 2004; Brunecker 2008).
ArchäologInnen als Kulturerb(e)gemeinschaft?
Als Personengruppe,
die gemeinsam an einem bestimmten immateriellen kulturellen Erbe teilhat und
dieses auch ganz maßgeblich zu schaffen hilft, wenn nicht sogar ausschließlich
alleine schafft, sind wir natürlich auch das, was in einer weiteren,
einschlägigen Kulturerbekonvention, der Rahmenkonvention des Europarates
über den Wert des kulturellen Erbes für die Gesellschaft, der sogenannten Faro-Konvention
(Europarat 2005), in ihrem Art. 2 b als „Kulturerbegemeinschaft“[4]
bezeichnet wird. Der Europarat definiert in dieser Konvention die Begriffe „Kulturerbe“
und „Kulturerbegemeinschaft“ wie folgt:
„Für die Zwecke dieser Konvention,
a.
ist Kulturerbe
eine Gruppe von aus der Vergangenheit ererbten Ressourcen, die Menschen unbeachtlich
der Eigentumsverhältnisse als Widerspiegelung und Ausdruck ihrer sich beständig
entwickelnden Werte, Überzeugungen, ihres Wissens und ihrer Traditionen identifizieren.
Es umfasst alle Aspekte der Umwelt, die aus den Wechselwirkungen zwischen
Menschen und Orten im Laufe der Zeit hervorgehen;
b.
besteht
eine Kulturerbegemeinschaft aus Personen, die bestimmte Aspekte des Kulturerbes
wertschätzen, die sie im Rahmen öffentlicher Maßnahmen zu wahren und an
nachfolgende Generationen zu übertragen wünschen.“ (Art. 2 Europarat 2005).[5]
Als
Kulturerbegemeinschaft haben wir mit den Aspekten des kulturellen Erbes, die
wir wertschätzen, ganz bestimmte Werte verbunden, haben wir ganz bestimmte
Überzeugungen, gruppenspezifisches Wissen und vor allem auch gruppenspezifische
Traditionen damit verknüpft. Dabei ist ein für uns speziell bedeutender Teil
der unbeachtlich der Eigentumsverhältnisse aus der Vergangenheit ererbten
Ressourcen, den wir ganz besonders als Widerspiegelung und Ausdruck unserer
Werte sehen, die materiellen Hinterlassenschaften der Vergangenheit, die unser
Studien- ebenso wie unser Identifikationsobjekt sind, also „die Archäologie“ im
Sinne der oben definierten sekundären Bedeutung des Begriffs. Die „materielle Archäologie“
ist die mit dem immateriellen Kulturerbe Archäologie verbundene physische
Komponente, die von der Kulturerbegemeinschaft der ArchäologInnen als ihr
gruppenspezifisches, materielles Kulturerbe identifiziert wird. Dieses
will sie daher, ebenso wie ihre damit verbundenen Werte, Überzeugungen, Wissen
und Traditionen, an zukünftige Generationen von ArchäologInnen
weitergeben (explizit so dargestellt in Art. 2 ii iVm 3 ii der Valletta-Konvention,
Europarat 1992; sinngemäß auch 2. Absatz der Einleitung zur Lausanne-Charter,
ICOMOS 1990).
Das Problem damit ist
allerdings, dass man zwar, ein Minimum an gesellschaftlicher Toleranz für diese
vorausgesetzt, bestimmte kulturelle
Werte, Überzeugungen, gruppenspezifisches Wissen und auch Traditionen – also
immaterielles Kulturerbe – ohne größere Probleme gänzlich unbeachtlich der
konkreten Eigentumsverhältnisse an nachfolgende Generationen übertragen kann;
die materiellen Objekte, die mit den immateriellen Praktiken verbundenen
Werkzeuge, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume hingegen nicht so leicht.
Denn das immaterielle Kulturerbe hat gewöhnlich keinen bestimmten Eigentümer,
wenn es sich nicht sogar der eigentumsmäßigen Kontrolle gänzlich entzieht, wie
z.B. die Tätigkeit mit einer Kelle in der Erde herum zu kratzen und zu
versuchen, dabei erfolgreich zwischen in Farbe oder Konsistenz
unterschiedlichen Bodenschichten zu unterscheiden, deren Oberflächen
freizulegen und diese zu dokumentieren.
Die materiellen
Objekte, die man dabei eventuell findet bzw. durch die Anfertigung einer wissenschaftlichen
Dokumentation schafft, haben hingegen sehr wohl einen Eigentümer, spätestens ab
dem Zeitpunkt ihrer Entdeckung bzw. Schaffung (Karl 2018a, 361-74). Das führt zum Problem, dass sich
bezüglich bestimmter materieller Objekte zwar eventuell alle Angehörigen einer
bestimmten Kulturerbegemeinschaft völlig einig sind, dass sie
diese nachfolgenden Generationen übertragen wollen; aber sie keine Kulturerbgemeinschaft
sind, d.h. weder individuell noch kollektiv die betreffenden Objekte ererbt
haben und daher nicht die für deren Übertragung an irgendwen erforderliche
eigentumsrechtliche Verfügungsgewalt haben. Vielmehr steht diese
Verfügungsgewalt über das gegenwärtige und zukünftige Schicksal der materiellen
Objekte nur den Personen zu, die –eben abhängig von den diesbezüglichen
Verhältnissen – ihre rechtmäßigen Eigentümer sind; egal ob sie die betreffenden
Objekte nun ererbt oder anderswie das Eigentum an ihnen erworben haben.
Abb.
6:
Typische performative Selbstdarstellung eines Metallsuchers mit für diese kulturelle Praxis ikonischen Werkzeugen (Bild: Hobby Help[23/12/2019]). |
Dieses Problem wird
noch zusätzlich dadurch verschärft, dass es auch andere
Kulturerbegemeinschaften gibt, die – wenigstens teilweise – die gleichen
materiellen Sachen, die ArchäologInnen als ihr materielles Kulturerbe erachten,
ihrerseits als materielles Kulturerbe erachten, diesem aber andere Werte
zuweisen und es mit anderen Überzeugungen, gruppenspezifischem Wissen und
Traditionen verbinden als ArchäologInnen. Besonders zu nennen sind hier
natürlich die Kulturerbegemeinschaften der MetallsucherInnen und
PrivatsammlerInnen (Karl 2018b), die ihre Wurzeln teilweise ebenso wie die
der ArchäologInnen im traditionellen Antiquarismus der frühen Neuzeit,
teilweise in der seit Menschengedenken praktizierten Schatzsuche und dem Handel
mit Kuriositäten und Kunst als Wertsachen zu wirtschaftlichen Erwerbszwecken haben
und daran interessiert sind, ihr immaterielles ebenso wie das damit verbundene
materielle Kulturerbe der such-, sammel-, handel- und somit nutzbaren
Antiquitäten an nach-folgende Generationen zu über-tragen. Dass diese Kulturerbe-gemeinschaften
ebenso sowohl Praktiken, Ausdrucksformen, Darstellungsweisen, Wissen und
Fertigkeiten als auch damit verbundene Werkzeuge, Objekte, Artefakte und
kulturellen Räume haben (Abb. 6), die sie als Teil ihres kulturellen Erbes
betrachten, ist dabei ebenso unbestreitbar wie dasselbe für die
Kulturerbegemeinschaft der ArchäologInnen unbestreitbar ist.
Kulturerbegemeinschaften, kulturelle Identität und kulturelle Eigentumsansprüche
Nun ist es
bekanntermaßen (wie auch aus Art. 2 Abs. 1 der UNESCO-Konvention von 2003
unschwer zu entnehmen ist; UNESCO 2003)
aber so, dass Gemeinschaften (iSd Art. 2 Abs. 1 UNESCO 2003)
bzw. Kulturerbegemeinschaften (im Sinne von Art. 2 b der Faro Konvention; Europarat 2005) nicht nur (ob nun materielles oder
immaterielles) Kulturerbe identifizieren, sondern vielmehr sich mit dem ihnen
wertvoll seienden Kulturerbe identifizieren, das sie eben „als
Widerspiegelung und Ausdruck ihrer sich beständig entwickelnden Werte,
Überzeugungen, ihres Wissens und ihrer Traditionen“ (Art. 2 a Europarat 2005) betrachten. Kulturerbegemeinschaften,
insbesondere solche, die ihre eigene Existenz und den Fortbestand „ihres“
Kulturerbes gefährdet erachten oder wenigstens sich selbst und „ihr“ Kulturerbe
vom Rest der Gesellschaft, in der sie leben, als nicht ausreichend wertgeschätzt
fühlen, versuchen daher oft auf politischem Weg exklusive Kontrolle über das –
und insbesondere das materielle – Kulturerbe zu erlangen, das sie als „ihres“
betrachten, d.h. stellen (kollektive oder, wenn auch seltener, sogar
individuelle) kulturelle Eigentumsansprüche an „ihren“ Kulturgütern.
Besonders deutlichen,
prominenten und inzwischen auch weithin anerkannten Ausdruck finden derartige
„Kulturerbansprüche“ natürlich in postkolonialen Kontexten: internationale,
aber auch nationale (nicht zuletzt rechtliche) Anerkennung haben insbesondere
derartige kulturelle Eigentumsansprüche von vormals oder (noch häufiger) auch
noch gegenwärtig durch koloniale Einwandererpopulationen bzw. deren Nachkommen ausgebeuteten,
unterdrückten und benachteiligten, sogenannten „indigenen“ Gemeinschaften
gefunden (so z.B. explizit im spezifischen Kontext des archäologischen Kulturgütermanagements
in Art. 2 4. Absatz ICOMOS 1990; genereller siehe auch Art. 4 UNESCO
Universal Declaration on Cultural Diversity; UNESCO 2001; Präambel zu UNESCO 2003; für
eine Darstellung des Hintergrundes dazu siehe z.B. Blake 2015, 150-8). Soweit
indigene Gemeinschaften und „deren“ (materielles) kulturelles Erbe betroffen
sind, hat dieses Konzept auch in international bekannten, nationalen
Rechtsinstrumenten wie z.B. dem Native American Graves Protection and
Repatriation Act (NAGPRA) in den Vereinigten Staaten von Amerika oder
dem Aboriginal Heritage Act der australischen Provinz Victoria (aktuell
gültige Fassung AHA 2006; siehe insbesondere dessen Part 2 –
Ownership and Custody of Aboriginal Cultural Heritage) Niederschlag
gefunden. Diese haben auch zu tatsächlichen Rücküberführungen archäologischer
und paläoanthropologischer „Denkmale“ und deren Zerstörung bzw.
„Entöffentlichung“ und „Entstaatlichung“ durch kulturelle Eigentümerkollektive
geführt, wie z.B. im weithin bekannten Fall der australischen Kow Swamp
burials; wobei insbesondere frühe „Repatriationen“ wie im soeben genannten
Fall zu intensiven Diskussionen zwischen VertreterInnen des traditionellen
Denkmal- und des Kulturerbegedankens geführt haben (siehe z.B. Bowdler 1992 contra Mulvaney 1991).
Im Kontext der
australischen Debatte über die kulturellen Rechte der Aboriginees hat Rosalind
F. Langford – selbst eine Aboriginee – in einem kurzen aber gleichzeitig
wortgewaltigen und enorm einflussreichen Beitrag die Sache auf den Punkt
gebracht: „… wenn wir Aboriginees unser eigenes Kulturerbe
nicht kontrollieren können, was zur Hölle können wir kontrollieren?“[6] (Langford 1983, 4; Übersetzung: RK, Hervorhebung
wie im Original). Dabei ist es im Konflikt zwischen „indigenen“, oft
tatsächlich von den Einrichtungen der „westlichen Wissenschaft“ (noch
weitgehend) ausgeschlossenen, systematisch diskriminierten, Gemeinschaften und
Vertretern „der westlichen Wissenschaft“ oft ganz besonders deutlich, dass es
tatsächlich im engeren rechtlichen Sinn um Fragen des Eigentumsrechts an
materiellen Sachen geht, nicht unbedingt nur von kulturellem Erbe, sondern z.B.
auch Grund und Boden; ein Punkt auf den Langford (1983, 2) mit aller
Deutlichkeit hinweist; im Extremfall aber sogar um die Frage der gesellschaftlichen
Akzeptanz der bloßen Existenz(berechtigung) einer Bevölkerungsgruppe (Langford
1983, 1). Langford macht dabei sehr deutlich, dass der – gewöhnlich von
professionellen ArchäologInnen als angeblich zu Schutz von kollektiven
Ansprüchen und Interessen „der Menschheit“ an der Erhaltung und Erforschung der
Vergangenheit (Langford 1983, 2-4; cf. Karl 2019) erforderlich dargestellte – Anspruch, den die
„westliche Wissenschaft“ auf die Kontrolle über das Schicksal des Kulturerbes
der Aboriginees erhoben hat, wenigstens von ihrer Wirkung her einer Aneignung
eines ausschließlichen Eigentumsrechts an den betroffenen Sachen durch das
Kollektiv der WissenschafterInnen gleichkommt; und sich zum Zweck der Bewahrung
ihres Eigentums an diesen Sachen notfalls „[d]ie ArchäologInnen und ihre
Institutionen als gottgleiche Gruppe über das Parlament und die Öffentlichkeit
stellen“[7]
(Langford 1983, 3).
Ist im Konflikt
zwischen der „weißen westlichen Wissenschaft“ und den Aboriginees vollkommen
offensichtlich, dass es sich dabei um einem Konflikt zwischen einer
gesellschaftlich mächtigen Gruppe und einer unterdrückten Minderheit handelt,
bei der die erstere die ihr vom Staat im Rahmen des Denkmalgedankens übertragene
Gewaltbefugnis – wenigstens lange Zeit – tatsächlich dazu genutzt hat, sich ein
alle anderen – und insbesondere die Minderheit selbst, die tatsächlich
offensichtlich den engsten kulturellen Bezug zum umstrittenen Kulturerbe hat –
ausschließendes Kontrollrecht und damit wenigstens de facto ein kollektives
Gruppeneigentumsrecht am „archäologischen Erbe“ anzueignen; ist in „weißen
westlichen“ Kontexten bislang weitgehend unbemerkt geblieben, dass „die
ArchäologInnen“ sich selbst und „ihr“ (materielles) Kulturerbe im Bezugsrahmen
der weiteren (globalen, nationalen oder sogar regionalen) Gesellschaft, in der
sie leben und arbeiten, in genau derselben essentiell gefährdeten
Minderheitenrolle sehen (und wenigstens argumentierbarerweise auch sind), in
der sich die Aboriginees im Konflikt mit der „weißen westlichen“ australischen
„archäologischen Wissenschaft“ tatsächlich befunden haben. Dass wir
ArchäologInnen sowohl unsere Identitätsgruppe als auch unser materielles (und
gelegentlich auch unser immaterielles) Kulturerbe als akut und drastisch
gefährdet ansehen, ist offensichtlich aus internationalen archäologischen
Kulturgüterschutzkonventionen und nationalen Gesetzen zum Schutz des
archäologischen Erbes bzw. den dazu in großer Menge vorliegenden fachlichen und
juristischen Kommentaren erkenntlich.
Die archäologischen
Kulturgüter werden regelhaft als „fragile und nicht erneuerbare kulturelle
Ressource“ (Art. 2 1. Satz ICOMOS 1990) dargestellt, die „durch die wachsende Zahl
großangelegter Planungsvorhaben, natürliche Gefahren, heimliche oder
unwissenschaftliche Ausgrabungen und unzulängliches öffentliches Bewußtsein
ernsthaft von Zerstörung bedroht ist“ (Präambel, Europarat 1992); zumeist sogar als eine extrem seltene
kulturelle Ressource, die bald gänzlich verschwunden sein könnte (siehe
sinngemäß die Verlustangst-Hypothese in Holtorf 2015, 406-8).[8]
Ebenso wird die archäologische Wissenschaft sowie der archäologische
Berufsstand als zunehmend bedroht dargestellt, z.B. durch zurückgegangene oder
stärkeren Kontrollen unterworfene Finanzierungen aus Steuermitteln und „Stellenkürzungspläne,
Schließungen einschlägiger Universitätseinrichtungen und in einigen
Bundesländern Umstrukturierungen in der Organisation der Bodendenkmalpflege bis
zur Auflösung des gesamten Amtes“ (WSVA 2010, 1).[9]
Wir ArchäologInnen und „unser“ archäologisches kulturelles Erbe stehen dabei
einem eigentlich übermächtigem Feld von unser Kulturerbe zu ausschließlich
eigennützigen, insbesondere niedrigen wirtschaftlichen Profitzwecken oder zur
bloßen Lustbefriedigung zerstören wollenden, extrem starken Gegnern wie der
Bauwirtschaft, der Land- und Forstwirtschaft, und natürlich auch den
selbstsüchtigen RaubgräberInnen und deren AbnehmerInnen, den mit „Blutantiken“
handelnden bzw. diese sammelnden und damit Terror finanzierenden
AntikenhändlerInnen und PrivatsammlerInnen entgegen, die schon immer das
Allgemeinwohlinteresse an der Erhaltung und Erforschung der Archäologie nicht
ausreichend schätzen und würdigen und uns teilweise sogar die
Existenzberechtigung absprechen.
Dass als Folge dieser
Selbstsicht der Archäologie auch wir glauben, dass „wenn wir ArchäologInnen
unser eigenes Kulturerbe nicht kontrollieren können, was zur Hölle können
wir kontrollieren?“ (frei nach Langford
1983, 4); und nicht anders als die Aboriginees versuchen, unsere kulturellen
Eigentumsansprüche an den archäologischen Kulturgütern durchzusetzen, sollte
niemanden auch nur im mindesten verwundern. Wir sind aber, im Gegensatz zu den
Aboriginees in Australien eine gesellschaftliche Minderheit, der der Staat dank
des Denkmalgedankens und seiner Umsetzung im Sinne des autorisierten
Denkmaldiskurses (Smith 2006, 29-34) schon lange genau das kollektive
kulturelle Eigentumsrecht, das wir wollen (wenigstens teilweise) gegeben hat.
Tatsächlich ist der Konflikt in Australien zwischen den Aboriginees und der
archäologischen Fachwelt wohl nicht so sehr ein Konflikt zwischen den „weißen“
Kolonialherrn (repräsentiert durch die „westlichen WissenschafterInnen“) und
den „schwarzen“ Aboriginees; sondern vielmehr ein Konflikt zwischen der ihren
exklusiven kulturellen Eigentumsanspruch auf alle archäologischen Kulturgüter
mit Zähnen und Klauen (inklusive des Verheimlichens von Tatsachen und Täuschens
der tasmanischen Regierung; Langford 1983, 3) verteidigenden
ArchäologInnen-Kulturerbegemeinschaft und einer anderen Kulturerbegemeinschaft,
den ebenfalls einen kulturellen Eigentumsanspruch auf „ihr“ Kulturerbe
erhebenden Aboriginees.
Tatsächlich ist die
Verwirklichung eines kollektiven kulturellen Eigentumsanspruchs der
ArchäologInnen auf alle Sachen, die sie – unbeachtlich tatsächlich bestehender
Eigentumsverhältnisse – als ihr kulturelles Erbe betrachten, der Organisation
der staatlichen Denkmalpflege unter dem autorisierten Denkmalpflegediskurs
inhärent (Smith 2006, 29-30); in einem Ausmaß, dass man sich keiner Illusion
darüber hingeben sollte, dass nicht genau das der intendierte Zweck der
konkreten Gestaltung der zugehörigen Verwaltungsstrukturen ist. Nachdem den
FachexpertInnen, und unter diesen wiederum vorzugsweise den zuständigen
archäologischen Verwaltungsbeamten, jede auch nur hypothetisch ein
archäologisches Kulturgut sein könnende Sache vorzulegen ist und diese sie –
überwiegend auf Basis für den nicht sachverständigen Durchschnittsbürger
überhaupt nicht nachvollziehbaren Kriterien (falls es überhaupt Kriterien gibt
und nicht Entscheidungen gänzlich ohne Bezug auf irgendwelche allgemein
nachvollziehbaren Kriterien gefällt werden, siehe dazu kritisch Rechnungshof 2017, 41-7) – dann entscheiden, ob dem Eigentümer
die Verfügungsgewalt über diese Sache weitestgehend entzogen und auf die
archäologischen VerwaltungsbeamtInnen übertragen wird, wird de facto den
ArchäologInnen als Kulturerbegemeinschaft die Möglichkeit eingeräumt, sich
selbst alle jene Kulturgüter anzueignen, die sie als „ihr“ Kulturerbe
wertschätzen. Alle anderen StaatsbürgerInnen werden hingegen dadurch von
jedwedem Zugriff und jedweder signifikanten Kontrolle über ebendiese
Kulturgüter ausgeschlossen (Abb. 7) und haben bestenfalls noch ein – und das nur
sehr schwaches – Recht, die von ArchäologInnen über und mittels dieser
Kulturgüter erzählte(n) Geschichte(n) zu konsumieren. Denn, so erklären das
dann staatliche archäologische DenkmalpflegerInnen, es ist schließlich unsere
Aufgabe als ArchäologInnen die Archäologie „… qua Gesetz im Interesse aller
… vor den Zugriffen aller …“ zu schützen (Lüth 2006, 102).
Abb. 7: Schematische Darstellung der Funktionsweise der staatlichen Denkmalpflege gemäß den Voraussetzungen des autorisierten Denkmaldiskurses (Smith 2006, 29-34). Bei optimalem Funktionieren dieses Prozesses gelangen DurchschnittsbürgerInnen mit archäologischem Kulturerbe überhaupt nur dann in direkten (nicht durch ExpertInnen kontrollierten) Kontakt, wenn sie zufällig z.B. beim Spazierengehen oder bei nicht auf die Entdeckung archäologischer Kulturgüter ausgerichteten Erdarbeiten einen materiellen Überrest der Vergangenheit entdecken, den sie dann unmittelbar zur Beurteilung der archäologischen Fachwelt zu überlassen haben. Beurteilt die Fachwelt einen materiellen Überrest der Vergangenheit als Sache mit archäologischem Denkmalwert (ob nun im Sinne von Riegl 1903, auf Basis irgendeiner anderen Denkmalwerttheorie, Denkmalkriterien oder einfach völlig willkürlich), untersteht er von da an der rechtlichen Kontrolle der Fachwelt und ist somit de facto zu fachlichem Kollektiveigentum geworden; während einem allfälligen Dritten (einem Mitglied der Öffentlichkeit) bestenfalls noch beschränkte Besitzrechte und eventuell die tatsächliche Handhabe bleiben. |
Der Wunsch nach und
die – so weit als möglich vollständige – Durchsetzung ausschließlicher
fachlich-kulturerbegemeinschaftlicher Kontrolle über archäologische Kulturgüter
zeigt sich dabei nicht zuletzt an staatlichen archäologischen Schatzregalen und
der immer wiederkehrenden fachlichen Forderung nach ihrer Einführung, wo es sie
noch nicht gibt, und ihrer Ausweitung, wo es sie schon gibt. Dies zeigt sich
auch an den Grabungs- bzw. Nachforschungsgenehmigungspflichten, die das Fach
immer mehr auszuweiten und zu verschärfen versucht; und bei denen insbesondere
auffällig ist, dass zumeist eben nicht einmal Grabungen und sonstige Handlungen
der gesetzlichen Genehmigungspflicht unterworfen werden, bei denen aufgrund der
am Ort ihrer Durchführung bestehenden Umstände – wenigstens wahrscheinlich –
mit der Entdeckung von tatsächlich denkmalschutzwürdigen archäologischen
Gegenständen zu rechnen ist, sondern vielmehr zumeist auf die Intention des
Suchenden, (archäologische) „Denkmale finden“ (also „Archäologie tun“) zu
wollen, abgestellt wird. Es geht also bei der Mehrheit der gesetzlichen
NFG-Pflichten nicht um den Schutz noch in situ im Boden liegender
archäologischer Kulturgüter vor vorhersehbarer Zerstörung, sondern – wie bei
einem exklusiven Klub – um die Autorisierung durch einen Vertreter der
archäologischen Kulturerbegemeinschaft, an der immateriellen kulturellen Praxis
„Archäologie“ – den Mitgliedern vorbehaltenen Klubeinrichtungen – teilhaben zu
dürfen.[10]
In die gleiche
Kategorie fallen archäologische Kulturerberepatriationsforderungen, und damit
meine ich hier nicht etwa die Rückgabe an fremde Länder von während
Kolonialzeiten oder seither legal, semi- oder illegal ausgeführter Kulturgüter,
sondern die Unterwerfung von bei unautorisierten „Raubgrabungen“ entdeckten
Fundgegenständen unter staatliche archäologische Schatzregale bzw. deren
Übergang ins Staatsvermögen entgegen einer sonst bestehenden hadrianischen
Fundteilungsregel (wie z.B. in Österreich durch die Verbindung der Bestimmungen
der §§ 10 Abs. 1 DMSG und 400 ABGB). Denn diese Funde sind in der Regel aus
fachlich-wissenschaftlicher Sicht wertlos: die gegenstimmenlos vorherrschende
Fachmeinung ist, dass der wissenschaftliche Aussagewert von Bodenfunden „nur
bei ungestörtem Befund“ (Kriesch et al. 1997, 25) signifikant ist und daher
unsachgemäß aus dem Boden extrahierte bewegliche Kleinfunde „allenfalls noch
Antiquitäten“, die „für die Forschung kaum noch zu verwenden und nur
noch von geringer Bedeutung“ (ibid., 26) sind. Dennoch, trotzdem unsere
staatlichen archäologischen Archive inzwischen fast durchgehend übervoll sind (Karl 2016), werden diese generell fachlich als
wissenschaftlich wertlos beurteilten Funde in die staatlichen Archive
aufgenommen; allerdings in der Regel ohne dass danach noch etwas mit ihnen
geschieht, es sei denn, es handelt sich um einen tollen Edelmetall- oder
Münzschatzfund, den man – dann allerdings wenigstens auch als Trophäe eines
„Sieges“ über die „Raubgräber“ – öffentlichkeitswirksam ausstellen kann.
Die meisten der so
wiedergewonnenen Funde verschwinden hingegen, so wie die überwältigende Mehrheit
aller bei genehmigten professionellen archäologischen Ausgrabungen entdeckten
beweglichen Kleinfunde, in für praktisch niemand außer streng ausgewählten
WissenschafterInnen zugänglichen Depots, wo sie oftmals dann nicht einmal
ordentlich archiviert, konserviert und wissenschaftlich ausgewertet, sondern
weitgehend auf Halde gelegt werden (Karl 2016). Manchmal verrotten sachgerecht geborgene
Funde auch in den Händen staatlicher Denkmalbehörden, etwas, wofür eventuell
Behördenleiter verantwortlich sind (BM 2009), die – während in ihrer Obhut bedeutende
Kulturgüter verrotteten – die Pflicht aller Archäologen die Archäologie „vor
den Zugriffen aller“ BürgerInnen zu schützen besonders betont haben (Lüth
2006, 102).
Der fachliche Umgang
mit den angeblich so wertvollen Kulturgütern, den selbst der Leiter der
Abteilung Archäologie des österreichischen Bundesdenkmalamtes mit den Worten „irgendwie
unter dem Motto „besser ein paar Kisten mit ungewaschenen Scherben ins Depot
gestellt als gar nichts getan“. Und dort im Depot stehen sie nach wie vor,
ungewaschen und unerforscht, als letzte Fetzchen einer von der Moderne
zerrissenen ungelesenen Urkunde“ (Hebert 2018, 81) beschrieben hat,
erinnert teilweise frappant an politisch motivierte Repatriationsforderungen:
ihren Wert gewinnen in solchen Fällen die zu repatriierenden Funde in erster
Linie daraus, dass sie zurückgefordert und damit, egal ob die Rückführung tatsächlich
erreicht wird oder nicht, als das Gemeinwohl fördernde Handlung („wir kämpfen
für unsere Kultur“) politisch ausgeschlachtet werden können. Das kann gleichzeitig
weitaus kostengünstiger und kulturgüterschützerisch weit weniger sinnvoll sein als
stattdessen bestehende Museen des die Repatriationforderung stellenden
Kollektivs besser zu finanzieren (siehe sinngemäß z.B. Cuno 2008, 121-38, insb.
127-8; Appiah 2009, 76-8); aber ist dennoch identitätspolitisch viel wirksamer.
Tatsächlich muss man
sich ein wenig wundern, warum nicht gerade illegal geborgene und daher
wissenschaftlich wertlose Funde nach ihrer Beschlagnahmung am internationalen
Kunstmarkt mit der Provenienz „in XY behördlich beschlagnahmt“ verkauft werden,
um die wissenschaftliche Untersuchung, museale Aufbereitung und
öffentlichkeitswirksame Publikation sachgemäß ausgegrabener archäologischer
Fundstellen besser finanzieren zu können. Wenn es wirklich darum ginge, dass
das für Wissenschaft und Öffentlichkeit beste Ergebnis erreicht wird, würden
Reparationszahlungen weit sinnvoller erscheinen als die Einverleibung des
dekontextualisierten Raubgrabungsfundes in ein übervolles und unzureichende
Mittel für die Fundkonservierung habendes staatliches Archiv (für ähnliche
Gedanken im Kontext der Repatriationsdebatte siehe z.B. auch Matthes 2017).
Schließlich zeigt
sich, dass es bei all dem nicht um Wissenschaft oder auch nur einen wirklich
effektiven Denkmalschutz, sondern um die Standesidentität der ArchäologInnen
und deren Ausdruck durch kulturelle Eigentumsansprüche sowohl an den
materiellen als auch den immateriellen Kulturgütern der Fachgemeinschaft geht,
auch noch ganz besonders deutlich an der radikalen Selbstabgrenzung der
ArchäologInnen hin zu den MetallsucherInnen. Nicht nur, dass diese oft und
gerne als Raubgräber tituliert (z.B. Kriesch et al. 1997) oder einfach deshalb,
weil sie sich als Metallsucher zu erkennen geben, der Raubgräberei verdächtigt
(z.B. LfD-BW 2019) oder gar beschuldigt werden, selbst wenn sie vollkommen
legal ihrem Hobby nachgehen. Wir haben auch etwas dagegen, dass sich
irgendjemand und insbesondere MetallsucherInnen als „HobbyarchäologInnen“
bezeichnen und quittieren das mit dem keineswegs nur in Deutschland, sondern
auch international populären Bonmot, dass es schließlich auch keine
Hobbychirurgen oder Hobbypolizisten geben würde, was nicht nur objektiv falsch
ist sondern, wie ich schon anderswo besprochen habe, auch sehr viel mehr über
uns als Gemeinschaft sagt als darüber, ob es keine HobbyarchäologInnen geben
sollte (Karl 2017).
Am allerdeutlichsten
zeigt aber die Tatsache, dass wir auf den meisten unserer Grabungen den
Oberboden undurchsucht mit dem Bagger abschieben lassen (Karl 2018c, 396-7), uns aber gleichzeitig standhaft
weigern, ebendiesen modern gestörten und daher für uns in den allermeisten
Fällen völlig uninteressanten Oberboden zur freien Suche nach und Bergung von
in ihm enthaltenen Kleinfunden durch die MetallsucherInnen freizugeben, woher
der Wind wirklich weht: es geht nicht darum, bedeutende bewegliche
Bodendenkmale im Oberboden oder die Fundverteilungskontexte im Oberboden zu
schützen, denn wenn wir selbst auf dieselbe Bodenfläche losgelassen werden,
kümmern wir uns um genau diese Dinge so gut wie überhaupt nicht. Worum es geht
ist, dass unserer Ansicht nach alle (archäologischen) Bodenfunde „unser“
Kulturerbe sind, mit dem nur wir etwas machen dürfen; und das wir nicht einmal
dann jemand anderem zu überlassen bereit sind, wenn wir es eigentlich selbst
weder brauchen noch wollen, sondern es meistens vorsätzlich und wissentlich
zerstören, wenn wir professionell „Archäologie“ machen. Auch wenn wir es gar
nicht wollen, es darf trotzdem niemand außer uns haben.
Würden wir eine
beliebige andere Kulturerbegemeinschaft betrachten als die der ArchäologInnen,
dann würden wir alle diese Verhaltensweisen unmittelbar als
identitätspolitische Handlungen dieser Kulturerbegemeinschaft erkennen und
bezeichnen. Die Erhebung exklusiver Eigentumsansprüche auf das Kulturerbe, mit
dem wir uns identifizieren und das uns als soziale Gruppe in unseren eigenen
und den Augen Dritter besonders macht, bis hin dazu, dass wir die vorsätzliche
Zerstörung „unseres“ Kulturerbes seiner Überlassung an nicht zu unserer Gruppe
gehörenden Dritten bevorzugen, die strenge Kontrolle, wer sich durch sein durch
die Gruppe autorisiertes Verhalten im öffentlichen Raum als zu unserer
Identitätsgruppe zugehörig zeigen und sich mit unserem emischen Ethnonym bezeichnen
darf, und die Kultivierung von Feindbildern, insbesondere in der Abgrenzung zu
uns eng verwandten Nachbargruppen, mit denen uns Dritte irrtümlich verwechseln
könnten: all das sind klassische Elemente zu Erzeugung, Tradierung und
Aufrechterhaltung einer sozialen Gruppenidentität und von
Identitätsgruppengrenzen. Nur bei uns selbst haben wir das bisher nicht gesehen
bzw. nicht erkennen wollen, weil die Geschichte, die man darüber erzählen
müsste, eine für uns eher unschöne Geschichte wäre, die so ganz und gar nicht
zu unserem Selbstbild als selbstlose Hüter der Kulturschätze aller passen will;
und die noch dazu für uns sehr unangenehme Konsequenzen hätte.
Teilhabe am Kulturerbe und Achtung der kulturellen Vielfalt
Solange man davon
ausgeht, dass Kulturgütern objektiv ein bestimmter universeller kultureller Wert
innewohnt, der von ExpertInnen sowohl definiert als auch identifiziert werden
kann, ist es kein (besonderes) Problem, wenn diese ExpertInnen gleichzeitig eine
Kulturerbegemeinschaft ausmachen, die bestimmte gruppenspezifische Werte, Überzeugungen,
Wissen und Traditionen hat und ihre Gruppenidentität primär über ihre
rechtliche Kontrolle über „die“ (ethnisch, regional, national oder sogar
international) „bedeutenden“ Kulturgüter konstruiert: diese
Kulturerbegemeinschaft gibt dann schließlich, weil sie eben den universellen
Wert von Kulturgütern objektiv bestimmen kann, im Sinne eines normativen
Kulturverständnisses vor, was „bedeutende“ Kultur ist und was weniger oder gar
gänzlich unbedeutende, ja potentiell sogar was Unkultur ist. Solange die
kulturelle Deutungshoheit in den Händen dieser einen Gruppe von BürgerInnen
liegt, ob diesen nun gesamtgesellschaftlich ein Beurteilungsprivileg in
kulturellen Fragen eingeräumt wird oder sie sich dieses Privileg nur einfach
angemaßt hat, und keine andere gesellschaftliche Gruppe, und sei es nur
betreffend ihrer eigenen Kultur und der damit verbundenen Kulturgüter, für sich
selbst dasselbe Beurteilungsprivileg oder auch nur Mitspracherechte einfordert,
gibt es schließlich keinen innergesellschaftlichen Konflikt darüber, was wessen
Kulturgüter sind und wer teilweise oder ausschließliche rechtliche Kontrolle
über sie haben soll. Erst wenn, wie zuerst im Fall indigener Bevölkerungen, unterschiedliche
Bevölkerungsgruppen einen Anspruch auf Kontrollrechte über kulturelle Praktiken
und Kulturgüter einzufordern beginnen, wird klar erkenntlich, dass es
kulturelle Vielfalt nicht nur in Form unterschiedlicher Staatskulturen, sondern
auch innerhalb einzelner Gesellschaften geben kann und gibt; wird erkennbar,
dass es unterschiedliche Kulturerbegemeinschaften geben kann und auch
tatsächlich gibt.
Dass es nicht nur in
kolonialen Kontexten solche unterschiedlichen Kulturerbegemeinschaften gibt,
sondern auch in „westlichen“, dem Schutz der Gleichheit aller BürgerInnen und
der individuellen Freiheit des Einzelnen zur selbstbestimmten Gestaltung seines
Lebens verpflichteten und daher notwendigerweise „multikulturellen“
Gesellschaften, versteht sich eigentlich von selbst. Einzig aufgrund der
historischen Entwicklung moderner, dem Menschenrechtsgedanken verpflichteter,
demokratischer Rechtsstaaten aus vormodernen, autokratischen imperialistischen
Staaten, die nicht nur in kolonialen Kontexten „ihr“ Gesellschaftsmodell und
insbesondere die dominante Rolle ihrer jeweils staatsführenden Eliten
schwächeren indigenen Gemeinschaften aufgezwungen haben, sondern auch zur
Unterdrückung interner ethnischer Separationsbewegungen insbesondere im
Zeitalter des Nationalismus, hauptsächlich im 19. und frühen 20. Jahrhundert,
eine „einheitliche Nationalkultur“ durchzusetzen versucht haben (wozu sie sich
nicht zuletzt auch stark des Denkmalgedankens bedient haben) hat es über ein
halbes Jahrhundert gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass
auch europäische Gesellschaften keineswegs intern kulturell einheitlich sind.
Auch in europäischen Gesellschaften waren es zuerst kulturelle
Minderheitenrechte, die größere Aufmerksamkeit bekamen. Aber letztendlich muss
man, ganz im Sinne des Gedankens der Menschenrechte als individuelle Rechte von
Einzelnen, zur Kenntnis nehmen, dass jede beliebige gesellschaftliche
Untergruppe ihre eigene Kultur und ihr eigenes Kulturerbe haben darf und daher
auch unterschiedliche Kulturerbegemeinschaften in europäischen Gesellschaften
existieren; was zu Kulturerbekonflikten führen kann.
Die Faro-Konvention
sieht daher für solche Fälle, in denen unterschiedliche
Kulturerbegemeinschaften demselben Kulturerbe unterschiedliche Werte zuweisen,
einen geordneten, gegebenenfalls durch staatliche Behörden im Sinne eines
unparteiischen Interessenausgleichs schlichtend verwalteten, durch
gegenseitigen Respekt zwischen allen betroffenen Kulturerbegemeinschaften
gekennzeichneten Dialog vor:
„Die Vertragsparteien verpflichten sich über
deren Behörden und sonstige zuständige Stellen zur:
a.
Ermutigung
zum Nachdenken über Ethik und Methoden der Darstellung des Kulturerbes sowie
der Achtung der Vielfalt an Deutungen;
b.
Einführung
von Schlichtungsverfahren zum ausgewogenen Umgang mit Situationen, in denen
unterschiedliche Kulturerbegemeinschaften demselben Kulturerbe gegensätzliche
Werte zuschreiben;
c.
Entwicklung
von Wissen über das Kulturerbe als Mittel zur Begünstigung des friedlichen
Miteinander durch die Förderung von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis im
Hinblick auf die Beilegung und Vermeidung von Konflikten;
d.
Integration
dieser Ansätze in alle Aspekte der lebenslangen Bildung und Weiterbildung.“ (Art. 7 Europarat 2005).[11]
Diese
Kulturerbekonfliktschlichtung ist dabei ganz im Sinne der – der Faro-Konvention
grundsätzlich zugrunde liegenden (Art. 1 Europarat 2005) – Anerkennung des Rechts auf Teilhabe am
kulturellen Erbe als Teil des in Art. 27 Abs. 1 AEMR empfohlenen und in Art. 15 Abs. 1 ICESCR völkerrechtlich festgeschriebenen universellen
Menschenrechts auf Teilhabe am kulturellen Leben der Gemeinschaft und der aus
Art. 29 AEMR und dem verfassungsgesetzlichen
Gleichheitsprinzip (Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 7 Abs. 1 B-VG und Art. 2 StGG) folgenden gegenseitigen Ausübungsschranke zum
Schutz gleichwertiger Rechte der jeweils Anderen. Die Notwendigkeit genau dafür
folgt sogar zwingend aus der Voraussetzung, dass die kulturelle Vielfalt und
die Deutungsvielfalt aufgrund des Menschenrechts auf Teilhabe am kulturellen
Leben der Gemeinschaft geachtet werden müssen und daher, wenn der Staat nicht
willkürlich die kulturellen Traditionen mancher seiner BürgerInnen zugunsten
der anderer seiner BürgerInnen unterdrücken und somit zwischen diesen
unsachlich und ungerechtfertigt diskriminieren will, jeweils als berechtigt
anerkannt und daher fair und unparteiisch gegeneinander abgewogen werden
müssen, wenn sie miteinander in Konflikt geraten.
Daher legt die
Faro-Konvention auch besonderen Wert auf Zugang zum und demokratische Teilhabe
am kulturellen Erbe, indem sie festsetzt:
„Die Vertragsparteien verpflichten sich zur:
a.
Ermutigung
eines jeden Menschen zur Teilnahme an dem:
-
Prozess
der Bestimmung, Erforschung, Deutung, des Schutzes, Bewahrung und Darstellung
des Kulturerbes;
-
öffentlichen
Nachdenken und der Debatte über die Möglichkeiten und Herausforderungen, die
das Kulturerbe bietet;
b.
Berücksichtigung
des Wertes, den jede Kulturerbegemeinschaft jenem Kulturerbe zuschreibt, mit
dem sie sich identifiziert;
c.
Anerkennung
der Rolle von freiwilligen Organisationen sowohl als Partner bei Aktivitäten
als auch als konstruktive Kritiker der Politik des Kulturerbes;
d.
Ergreifung
von Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zum Kulturerbe, insbesondere für
junge Menschen und benachteiligte Gruppen, zum Zwecke der Sensibilisierung für
dessen Wert, die Notwendigkeit seiner Erhaltung und Bewahrung sowie für den
daraus erwachsenden Nutzen.“ (Art. 12 Europarat 2005).[12]
Nur der
Vollständigkeit halber: in Österreich ist all das seit der Ratifikation der
Faro-Konvention durch die Republik im Jahr 2015 (BGBl. III Nr. 23/2015) unmittelbar geltendes Bundesrecht; aber auch
in Deutschland aufgrund des grundgesetzlichen Bekenntnisses der Bundesrepublik „zu
unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder
menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“
(Art. 1 Abs. 2 GG) unbeachtlich der bisher fehlenden
Ratifikation der Faro-Konvention wenigstens sinngemäß geltende Verpflichtung
des deutschen Staates zur Achtung des sich aus dem Menschenrecht auf Teilhabe
am kulturellen Leben der Gemeinschaft ergebenden Teilhaberechtes am kulturellen
Erbe und damit, im Prinzip, genau derselben Verpflichtungen gegenüber seinen
unterschiedlichen Kulturerbegemeinschaften angehörenden und dasselbe Kulturerbe
unterschiedlich bewertenden BürgerInnen.
Teilhabe, und
insbesondere demokratische Teilhabe, kann dabei nicht – wie das manchmal von
Vertretern spezieller Interessensgruppen versucht wird – als bloßes Recht
darauf beschränkt werden, gewisse von Spezialisten erzeugte kulturelle Produkte
konsumieren oder bei gewissen kulturellen Praktiken beobachtend oder unter
Kontrolle von und Anleitung durch Spezialisten für diese Praktiken mitmachen zu
dürfen. Vielmehr ist unter Teilhabe im Sinne internationaler
Menschenrechtsinstrumente stets das unabhängige, selbstbestimmte und
eigenverantwortliche Handeln des einzelnen mündigen Bürgers gemeint, ganz im
Sinne der dem Menschenrechtsgedanken zugrundeliegenden Philosophie der
Aufklärung. Dieser Sinn ist, wie es Immanuel Kant (1784) in den einleitenden Worten seines
einschlägigen Aufsatzes zur Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? erläutert
hat:
„Aufklärung ist der
Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit
ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu
bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben
nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt,
sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. …“ (Kant 1784, 481),
und später weiter:
„Zu dieser Aufklärung
aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem,
was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stükken
öffentlichen Gebrauch zu machen.“ (Kant 1784, 484).
Betrachtet man, wie
man es im Sinne des Menschenrechtsgedanken muss, Kultur als Ausdruck des
selbstbestimmten (gestaltenden) Verhaltens einzelner Menschen, die sich, je
nachdem woher sie die Inspiration für ihr Handeln beziehen und mit welchen
Kulturgütern und Menschen sie sich identifizieren, zu verschiedenen kulturellen
Gemeinschaften bzw. Gruppen (mit bestimmten, mehr oder minder
charakteristischen Handlungspraktiken und -regeln) zusammenfassen lassen, ist
logisch notwendigerweise die kulturelle Vielfalt, die es im Sinne der
UNESCO-Konvention von 2003 zu respektieren und die menschliche Kreativität, die
es zu fördern gilt (UNESCO 2003),
das was diese unterschiedlichen einzelnen Menschen, Gruppen und Gemeinschaften
tatsächlich tun (wollen); nicht eine von KulturgutexpertInnen allen anderen
vorgeschriebene Umgangsform mit jenen Sachen, die diese ExpertInnen als
kulturell ausreichend wertvoll erachten. Teilhabe ist daher in diesem
Zusammenhang also als – wenigstens teilweise – Delegation von Entscheidungsgewalt,
von Kontrollrechten, an BürgerInnen bzw. Kulturerbegemeinschaften entsprechend
den drei obersten Stufen auf Sherry R. Arnsteins (1969) Leiter der
Bürgerbeteiligung zu verstehen (Abb. 8). Genau dieser Gedanke schlägt sich auch
tatsächlich in der Faro-Konvention nieder, wenn sie in ihrem Art. 12a fordert,
dass jeder Mensch nicht nur zum Denkmalschutz, sondern zur Teilnahme am Prozess
der Bestimmung, Erforschung, Deutung, Bewahrung und Darstellung des Kulturerbes
ermutigt werden soll und in ihrem Art. 12b bestimmt, dass bei der staatlichen
Verwaltung des Kulturerbes die Werte jeder Kulturerbegemeinschaft zu
berücksichtigen sind (Europarat 2005).
Abb.
8:
Leiter der Bürgerbeteiligung (Arnstein 1969, 217). |
Genau das ist nun aber
mit jener exklusiven Kontrolle über die Auswahl, Erforschung, Deutung, den
Schutz, die Bewahrung und die Darstellung von Kulturgütern durch ausschließlich
ExpertInnen, die noch dazu ihrerseits eine Kulturerbegemeinschaft mit ihren eigenen,
gruppenspezifischen Werten, Überzeugungen, Wissen und Traditionen sind und die
ihre Gruppenidentität vorwiegend mittels der Kontrolle über alle von ihnen
selbst als solche definierten Kulturgüter konstruieren, den der traditionelle
Denkmalgedanke verbunden mit dem autorisierten Denkmaldiskurs uns
ArchäologInnen (bisher) zugewiesen hat (Abb. 7), vollkommen unvereinbar. Das ist schon allein
deshalb der Fall, weil die exklusive rechtliche Kontrolle durch ExpertInnen
nicht mit demokratischer Teilhabe an Entscheidungsprozessen – wie z.B. dem der
Bestimmung, was überhaupt Kulturerbe oder auch nur ein Kulturgut ist –
vereinbar ist, weil dafür wenigstens das Kontrollrecht im Sinne einer
partnerschaftlichen Entscheidung (Abb. 8) mit anderen Kulturerbegemeinschaf-ten bzw.
deren VertreterInnen geteilt werden muss, also gerade nicht exklusiv durch
ExpertInnen ausgeübt werden kann. Es genügt für demokratische Teilhabe an Bestimmungsprozessen
nicht, dass man die anderen Kulturerbe-gemeinschaften darüber informiert, dass
die ExpertInnen etwas als Kulturgut betrachten, oder sie konsultiert, ob sie
damit, dass und wie die ExpertInnen entschieden haben einverstanden sind, ohne
verpflichtet zu sein die Entscheid-ung entsprechend den Wünschen der
Konsultierten zu revidieren, wenn diese mit ihr nicht einverstanden sind. Und
es genügt auch nicht, zur Beschwichtigung anderer Kulturerbegemeinschaften auch
ein paar der von diesen wertgeschätzten Kulturgüter als Denkmale der
rechtlichen Kontrolle der ExpertInnen zu unterwerfen, denn das gibt diesen
anderen Kulturerbegemeinschaften immer noch nicht einmal einen Ansatz von
Kontrolle über das, was sie als „ihr“ Kulturerbe betrachten.
Welche und wessen Kultur will (soll) der Staat und wollen (sollen) wir schützen?
Anerkennt man, dass
wir ArchäologInnen nicht unbefangene, rein objektiv wissenschaftlich urteilende
ExpertInnen sind, die völlig unbeeinflusst von ihren eigenen Vorliegen auf
Basis allgemeingültiger Maßstäbe den wahren kulturellen Wert von Kulturgütern
sowohl absolut als auch relativ zu dem anderer messen, sondern tatsächlich eine
Kulturerbegemeinschaft, die ihre eigenen gruppenspezifischen Werte,
Überzeugungen und Traditionen hat und sich mit bestimmten Kulturgütern ganz
besonders stark identifiziert, stellt das insbesondere die staatliche
Kulturgüterverwaltung und den staatlichen Kulturerbeschutz vor ein gewaltiges
Problem. Denn dadurch, dass er VertreterInnen einer ganz bestimmten Kulturerbegemeinschaft
im Wege der entsprechend den Vorstellungen des autorisierten
Denkmalpflegediskurses (Smith 2006, 29-34) organisierten staatlichen
Denkmalverwaltung nahezu unbeschränkte, nahezu völlig exklusive Kontrolle über
den gesamten Kulturerbschaftsprozess gegeben hat – von der Bestimmung, was
überhaupt Kulturerbe ist bis hin dazu, was das Schicksal dieses Kulturerbes
sein soll und wie es gesellschaftlich zu deuten und zu benutzen ist (Abb. 9) – hat er de facto den Bock zum Gärtner
gemacht.
Abb. 9: Schematische Darstellung der Funktionsweise der staatlichen Denkmalpflege gemäß den Voraussetzungen des autorisierten Denkmaldiskurses (Smith 2006, 29-34) als Mittel zur Bestimmung, Abgrenzung und Verteidigung des Herrschaftsgebietes der Kulturerbegemeinschaft der "ExpertInnen". |
Und das ist ein gravierendes
Problem, weil wohl niemand ernsthaft glaubt, dass ArchäologInnen z.B. gerecht
und unbefangen in ihren Entscheidungen im Sinne des Art. 12b der
Faro-Konvention (Europarat 2005) den Wert als privates und potentiell wirtschaftlich
profitabel verhandelbares Sammelobjekt berücksichtigen können, den die
Kulturerbegemeinschaft der MetallsucherInnen beweglichen Bodenfunden zuweist,
die ArchäologInnen hingegen als wissenschaftlich bedeutende archäologische
Funde bewerten. Tatsächlich verbieten fachliche Ethikkodizes ArchäologInnen
sogar explizit, diese Bewertung als wirtschaftlich wertvolles, privates
Sammelobjekt anzuerkennen und durch ihre eigenen Handlungen auch nur mittelbar
zu fördern bzw. unterstützen (z.B. WSVA 2010, 4; Regel 1.7 CIfA 2014, 4), teilweise sogar explizit unter Verweis
darauf, dass dieses fachethische Verbot auch entgegen gegenteiliger örtlich
geltender Rechtslage zu beachten ist (siehe z.B. WSVA 2010, 1-2). ArchäologInnen müssten sich also in
allen derartigen Fällen und natürlich auch in Fällen, in denen z.B.
MetallsucherInnen ganz im Sinne Kants (1784, 481) ihren Verstand zur Bestimmung,
Erforschung und Deutung von Bodenfunden als Kulturerbe ohne Anleitung durch
ArchäologInnen gebrauchen wollen und daher selbstbestimmt ihre eigenen
Grabungen nicht entsprechend archäologisch-fachlicher ethischer Standards
(siehe z.B. WSVA 2010, 2-3) durchführen wollen, dazwischen
entscheiden, ob sie die Werte der MetallsucherInnen ausreichend berücksichtigen
und damit drastisch gegen ihre eigenen fachethischen Werte verstoßen, oder sie
ihre Werte über die der MetallsucherInnen erheben und damit gegen die sich aus
der Faro-Konvention (Europarat 2005) ergebenden Verpflichtungen verstoßen.
Dass wir
ArchäologInnen aus demselben Grund daher auch vollkommen ungeeignet dafür sind,
in den von der Faro-Konvention in ihrem Art. 7b (Europarat 2005) verpflichtend vorgesehenen behördlichen
Schlichtungsverfahren für den ausgewogenen Umgang mit Situationen, in denen
unterschiedliche Kulturerbegemeinschaften demselben Kulturerbe gegensätzliche
Werte zuschreiben, in irgendeiner anderen Weise denn als eine der
Streitparteien beteiligt zu sein, zwischen denen die Behörde zu schlichten hat,
versteht sich von selbst. Damit scheidet aber auch die Möglichkeit aus, uns als
„ExpertInnen“ die Beurteilung der „Bedeutung“ des potentiell umstrittenen
Kulturgutes zu überlassen bzw. die Bedeutungsbeurteilung von der „in der
Fachwelt vorherrschenden Meinung“ bzw. dem „Wissens- und Erkenntnisstand
sachverständiger Kreise“ (Bazil et al. 2015, 22-3) oder dem „Urteil
sachverständiger Betrachter“ (Davydov 2015) abhängig zu machen: wir ArchäologInnen sind
zweifellos ExpertInnen dafür, welche Bedeutung bestimmten Sachen von unserer
Kulturerbegemeinschaft zugewiesen und welche daher von dieser als
schützenswerte Kulturgüter betrachtet werden; aber davon, welchen Wert z.B.
MetallsucherInnen welchen derselben Sachen zuweisen und wie wichtig das für
deren Identitäts- und Kontinuitätsverständnis ist, davon haben wir
ArchäologInnen nicht nur in der Regel nicht den geringsten Schimmer, sondern
halten diese Werte – was auch immer und wie bedeutend sie für MetallsucherInnen
auch immer sein mögen – weil unseren Werten entgegengesetzt für positiv
verdammenswert. Man kann unser Urteil über diese Werte daher auch nicht zur
Basis einer Schlichtung zwischen der Kultur der Gemeinschaft der ArchäologInnen
und der der Gemeinschaft der MetallsucherInnen machen, weil man die kulturellen
Vorstellungen der ArchäologInnen zum Maßstab für die Beurteilung der
kulturellen Vorstellungen der MetallsucherInnen erhebt, d.h. die ArchäologInnen
privilegiert und die MetallsucherInnen und ihre Kultur als minderwertig
vorverurteilt. Das Ergebnis wäre alles andere als ein gerechtes
Schlichtungsverfahren mit rechtlich gleicher Berücksichtigung aller Werte, die jede
Kulturerbegemeinschaft jenem Kulturerbe zuschreibt, mit dem sie sich
identifiziert.
Will man also die
kulturelle Vielfalt und die von verschiedenen Kulturerbegemeinschaften dem
gleichen kulturellen Erbe zugewiesenen unterschiedlichen Werte wirklich
gleichermaßen achten – und sowohl Österreich als auch Deutschland haben das
UNESCO (2005) Übereinkommen zum Schutz und der Förderung
der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (BGBl.
III Nr. 34/2007 [AT]; BGBl.
II Nr. 6/2007 [DE]) als auch das Übereinkommen zur
Erhaltung des immateriellen Kulturerbes (UNESCO 2003)
ratifiziert (BGBl. III Nr. 76/2009 [AT]) bzw. sind diesem beigetreten (DUK 2013,
5-7), man muss also annehmen, dass beide Staaten das wollen – dann stellen
sowohl der traditionelle Denkmalgedanke als auch die traditionelle Organisation
der Denkmalverwaltung ein Problem dar, das dringend einer Lösung bedarf. Denn
diese dienen derzeit weder dazu, in einschlägigen Verwaltungsentscheidungen die
unterschiedlichen Werte fair und ausgewogen zu berücksichtigen, die
verschiedene Kulturerbegemeinschaften dem jeweiligen Kulturerbe zuweisen, mit
dem sie sich identifizieren, noch dazu, den Menschen unbeachtlich der
Eigentumsverhältnisse die Identifikation mit Kulturerbe zu ermöglichen, das sie
als Widerspiegelung und Ausdruck ihrer sich beständig entwickelnden Werte,
Überzeugungen, ihres Wissens und ihrer Traditionen betrachten. Vielmehr dienen
sowohl der traditionelle Denkmalgedanke als auch die darauf aufbauende
Organisation der staatlichen Denkmalverwaltung der Privilegierung ganz
bestimmter Kulturerbegemeinschaften, jenen der wissenschaftlichen
FachexpertInnen, um diesen de facto die nahezu uneingeschränkte rechtliche
Kontrolle über die von ihnen selbst ausgewählten Kulturgüter und deren
Schicksal zu überantworten, mit denen sie sich kollektiv identifizieren und die
sie wertschätzen. Das schützt weder die kulturelle Vielfalt noch fördert es die
menschliche Kreativität, sondern dient der kulturellen Vereinheitlichung und
behindert die kreative Selbstentfaltung der Menschen.
Nimmt man die
internationalen Verpflichtungen ernst, die Deutschland und Österreich durch den
Beitritt zu diesen internationalen Übereinkommen eingegangen sind – und
wenigstens die staatliche Denkmalpflege müsste das eigentlich tun – dann folgt
daraus, dass wir ArchäologInnen uns warm anziehen werden müssen, denn die
Zeiten, in denen wir die exklusive rechtliche Kontrolle über alle von uns als
archäologisch betrachteten Sachen an uns reißen konnten und alle anderen Werte,
die andere gesellschaftliche Untergruppen denselben Sachen zuweisen, einfach
als irrelevant abtun konnten und dafür vom Staat auch noch mit öffentlichen
Gewaltbefugnissen ausgestattet wurden, diese Zeiten könnten bald vorbei sein.
Und wir sollten uns glücklich schätzen, dass sie noch nicht ganz vorbei sind,
weil die, die ihre Ansprüche unter diesen Kultur(gut)schutzübereinkommen
anmelden könnten, das noch gar nicht bemerkt haben und wir daher noch etwas
Zeit haben, uns auf eine möglicherweise bevorstehende neue Welt der staatlichen
Kultur(erbe)verwaltung einzustellen und diese vielleicht wenigstens teilweise
auch in unserem Sinne mitzugestalten.
Und natürlich müssen
wir uns auch ganz dringend selbst überlegen, was wir als archäologische
Fachgemeinschaft eigentlich wollen, wenn wir behaupten, für den Schutz des
archäologischen Kulturerbes (ICOMOS 1990; Europarat 1992) einzutreten. Wessen Kultur und wessen
kulturelles Erbe wollen wir eigentlich schützen, wenn wir das tun, und für wen
schützen wir diese Kultur und dieses kulturelle Erbe eigentlich? Wollen wir nur
das schützen, mit dem wir uns selbst identifizieren, das uns
wertvoll erscheint, weil es unsere Werte, Überzeugungen, unser
Wissen und unsere Traditionen widerspiegelt und ausdrückt? Wollen wir
eine normativ vorgegebene Hoch- oder Nationalkultur schützen, die bequemerweise
wir selbst normieren und daher unsere eigenen Werte, Überzeugungen und
Traditionen, was kulturell wertvolles und was kulturschädigendes Verhalten ist,
allen anderen aufoktroyieren können und dürfen? Oder wollen wir, auch ganz im
Sinne einer Verpflichtung zur Förderung und Stärkung der Demokratie (EAA 2019), des
Menschenrechtsgedankens und der völkerrechtlichen Verpflichtung zum Schutz der
kulturellen Vielfalt und der Förderung der menschlichen (kulturellen)
Kreativität, insbesondere auch der von gegenwärtig und zukünftig lebenden
Menschen, die vielen unterschiedlichen kulturellen Werte, Überzeugungen,
Traditionen und natürlich auch kulturellen Praktiken schützen, um damit
tatsächlich dem Allgemeinwohl zu dienen?
“…archaeology is a science that must be lived, must be ‘seasoned
with humanity’.
Dead archaeology is the driest dust that blows.” (Wheeler 1954, v)
Archäologe sein, Archäologie machen, Kulturerbe teilen
Wie in diesem Beitrag
gezeigt wurde, ist Archäologie nicht (so sehr) die toten Dinge, die im Boden
liegen und dort langsam oder schneller vor sich hin verfallen, sondern ist eine
kulturelle Praxis. Archäologie muss, ganz im Sinne Wheelers (1954, v), gelebt
werden: Archäologie ist, was ArchäologInnen machen; und Archäologe bzw.
Archäologin ist, wer Archäologie macht, auch wenn das vielleicht jenen davon,
die sich als professionelle ArchäologInnen fühlen (wollen) und/oder sich allen
anderen in Bezug auf archäologiebezogenes Wissen und Handeln überlegen fühlen
(z.B. weil sie ein einschlägiges Universitätsstudium absolviert haben und/oder
von irgendeiner „Fach“-Organisation bezahlt dafür beschäftigt werden, etwas Archäologiebezogenes
zu tun) nicht gefallen mag.
Archäologie ist eine
spezielle kulturelle Praxis des Erzählens, nicht nur, aber auch, von
Geschichte(n) über so lange vergangene Zeiten, dass aus diesen Zeiten keine
historischen Nachrichten, sondern nur noch materielle Überreste auf uns
gekommen sind. Diesen materiellen Hinterlassenschaften der Vergangenheit kommt
daher in der Archäologie eine besondere Rolle als Mittel zum Zweck zu, die
erzählte(n) archäologische(n) Geschichte(n) sowohl für das Publikum, dem sie
erzählt werden anschaulicher als auch – als wissenschaftliche Geschichte(n) –
mit empirischer Evidenz zu belegen und damit nachvollziehbarer und glaubhafter
zu machen.
Dennoch ist
Archäologie, eben weil sie primär eine kulturelle Praxis ist, ein immaterielles
Kulturerbe der Menschheit, und die materiellen Hinterlassenschaften der
Vergangenheit, die „archäologischen Kulturgüter“, sind „nur“ die mit dieser
Praxis verbundenen bzw. für die Ausübung dieser Praxis erforderlichen
Werkzeuge, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume, denen für sich alleine kein
archäologischer Wert zukommt. Kann man keine archäologische(n) Geschichte(n)
mit einem Fund, Befund, Kontext, einer Fundstelle oder Landschaft erzählen,
dann ist die betreffende Sache nicht ein archäologisches Kulturgut, sondern
bloß alter Mist in der Landschaft, der die wenigsten Menschen, und natürlich
auch keine ArchäologInnen, interessiert: die toten Dinge selbst sind eben nur
Wheelers (1954, v) „driest dust that blows“, nicht etwas, was kulturell
wertvoll ist.
Als immaterielles
Kulturerbe stiftet Archäologie für jene Gemeinschaften und Gruppen von, und
auch für einzelne, Menschen, die sich mit bestimmter Archäologie
identifizieren, Identität und ein Gefühl von Kontinuität. Dabei ist allerdings
– vollkommen selbstverständlicherweise – die Kulturerbegemeinschaft, die sich
am meisten mit Archäologie und den sie ausmachenden Praktiken, Ausdrucksformen,
Darstellungsweisen, Wissen und Fertigkeiten sowie den ihre Werkzeuge und
kulturellen Erzeugnisse darstellenden materiellen Kulturgütern identifiziert,
die Gemeinschaft der Archäologie zu ihrem Beruf gemacht habenden Personen
selbst, eben die der „professionellen“ ArchäologInnen. Diese betrachtet nicht
nur die materiellen archäologischen Kulturgüter als ihr eigenes kulturelles
Erbe, sondern gibt es auch von Generation zu Generation weiter und schafft
dadurch in der überwiegenden Mehrheit aller Fälle sowohl das materielle als
auch das immaterielle archäologische kulturelle Erbe in Reaktion auf ihre
Umwelt und in Interaktion mit der Natur und den menschengeschaffenen
Hinterlassenschaften ununterbrochen neu.
Archäologie ist daher
auch keine beschränkte, nicht erneuerbare Ressource, sondern wird ständig neu
geschaffen und vermehrt sich tagtäglich, sowohl was die materiellen
Hinterlassenschaften, als auch was das immaterielle Kulturerbe, das die
Archäologie eigentlich ist, betrifft. Was begrenzt ist und gänzlich zerstört
werden kann, sind nur die materiellen Hinterlassenschaften, die (eine) ganz
bestimmte Geschichte(n) über (eine) ganz bestimmte Vergangenheit(en) zu
erzählen und mit materieller Evidenz zu illustrieren erlauben; und inwieweit
das tatsächlich wichtig ist, darüber lässt sich ausgiebig streiten. Um es so zu
sagen: dass das Publikum, dem archäologische Geschichten erzählt werden sollen,
tatsächlich irgendeinen signifikanten Schaden dadurch erleidet oder einen
bedeutenden Nutzen nicht verwirklichen kann, weil man ihm (eine) ganz bestimmte
Geschichte(n) über die (eine) Vergangenheit nicht (mehr) erzählen kann, ist
enorm unwahrscheinlich. Es ist etwa so wahrscheinlich wie dass, weil ein Nagel
verloren geht, ein Hufeisen, weil ein Hufeisen ein Pferd, weil ein Pferd ein
Reiter, weil ein Reiter eine Schlacht und weil die eine Schlacht, schließlich
das ganze Königreich verloren geht (frei nach Freidank 79, 19-26; Bezzenberger 1872, 139): hypothetisch kann der Verlust des
Hufnagels wichtig sein, in der Praxis ist der Hufnagel und sein Verlust aber
eigentlich nur für den Geschichtenerzähler wichtig, der genau diese Geschichte
anhand genau des einen Hufnagels, den er gefunden hat, erzählen und damit
seinen Lebensunterhalt verdienen will.
Trotzdem oder auch
gerade weil die Archäologie eine kulturelle Praxis und daher eine unbegrenzte
Ressource ist, mit der sich die Kulturerbegemeinschaft der BerufsarchäologInnen
ihren Lebensunterhalt verdient, haben wir ArchäologInnen seit langem versucht „unser“
kulturelles Erbe – sowohl das materielle, mittels dessen wir die Geschichte(n)
schaffen, als auch das immaterielle, also das Geschichte(n)schaffen selbst –
unserer ausschließlichen, wenn auch nur kollektiven, rechtlichen Kontrolle zu
unterwerfen. Wir erheben damit kollektiv den Anspruch, nicht nur eine
Kulturerbegemeinschaft, sondern eine Kulturerbgemeinschaft zu sein, d.h. einen
Anspruch auf exklusives kulturelles Eigentum und exklusive kulturelle Hoheit
über das, was wir als Archäologie und somit als unser kulturelles Erbe
betrachten und beanspruchen. Wir haben es nur im Gegensatz zu nahezu allen
anderen Kulturerbegemeinschaften[13]
(wie z.B. ethnische Minderheiten, indigene Gemeinschaften, etc.) geschafft,
diesen kulturellen Eigentumsanspruch in der Praxis dadurch tatsächlich
bestätigt zu bekommen, dass wir uns mittels des autorisierten Denkmaldiskurses
(Smith 2006, 29-34) in den Dienst des staatlichen kulturellen Nationalismus stellen
haben lassen und damit die kulturelle Denkmaldeutungshoheit an uns gerissen
haben. Dafür hat uns der Staat im Rahmen der staatlichen
Denkmalverwaltungsorganisation mit öffentlicher Gewaltbefugnis ausgestattet,
die wir seitdem dazu benutzen, unser exklusives kulturelles Eigentumsrecht zu
unserem eigenen Vorteil auszuüben und genau das durch Berufung auf die
angebliche Uneigennützigkeit und Allgemeinwohlförderlichkeit unserer Tätigkeit
zu verschleiern.
Wirklich auffällig
geworden ist genau dieses Verhalten erst und bisher auch überwiegend nur in
postkolonialen Kontexten, in denen (ehemals oder immer noch) kolonial
ausgebeutete, unterdrückte, oder sogar beinahe ausgerottete „indigene“
ethnische Minderheiten ihrerseits kulturelle Eigentumsansprüche auf „ihr“
kulturelles Erbe zu stellen begonnen und diese auch zunehmend erfolgreich
durchgesetzt haben. Wo dieser Konflikt aufgeflammt ist, war er dann auch –
überhaupt nicht überraschend – keineswegs einer zwischen der jeweils örtlich
dominanten Mehrheitsbevölkerung und der kulturelle Eigentumsansprüche
stellenden Minderheit, sondern jeweils ein Konflikt zwischen der
Eigentumsansprüche stellenden Minderheit und den ihre hoheitliche Kontrolle und
Eigentumsrechte an den umstrittenen Kulturgütern bedroht sehenden Fachgemeinschaften,
die diese nicht aufgeben wollten und zum Zweck das nicht tun zu müssen notfalls
auch Politik und Öffentlichkeit absolut ungeniert belogen haben (Langford 1983,
3).
Durch den zunehmenden
Schutz kultureller Selbstbestimmungsrechte, wie sie sich letztendlich aus Art.
27 Abs. 1 AEMR zwingend ergeben, und deren rechtliche Verankerung durch
internationale Rechtsinstrumente wie das Übereinkommen zum Schutz und der Förderung
der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (UNESCO 2005), das Übereinkommen zur Erhaltung des
immateriellen Kulturerbes (UNESCO 2003) und das Rahmenübereinkommen des
Europarates über den Wert des kulturellen Erbes für die Gesellschaft (Europarat 2005) wird die Position, die wir uns selbst
angeeignet und vom Staat eingeräumt bekommen haben, in demokratischen,
pluralistischen, zur Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte
selbstverpflichteten Rechtsstaaten zunehmend unhaltbar. Es wird zunehmend
schwerer, ein Denkmalbestimmungsprärogativ der Fachwelt, ihre kulturell
normative Deutungshoheit und damit verbunden auch ihr Kontrollrecht darüber,
was das Schicksal „besonders bedeutender Kulturgüter“ sein soll,
aufrechtzuerhalten, wenn der demokratisch legitimierte Gesetzgeber den Schutz
der kulturellen Vielfalt und die Förderung der menschlichen Kreativität durch
Ratifikation entsprechender völkerrechtlicher Übereinkommen zu einem seiner
Ziele gemacht hat und nicht mehr eine normativ vorgeschriebene kulturelle
Einheitlichkeit erzwingen will und darf.
Tatsächlich macht der
international immer dominanter werdende Kulturerbegedanke den traditionellen
Denkmalgedanken, der sich so günstig für uns und die Durchsetzung unserer
partikularen Interessen erwiesen hat und von uns auch massiv zur Förderung
unserer Eigeninteressen missbraucht wurde, zunehmend obsolet; und wir müssen
sehr stark darauf aufpassen, dass wir nicht gemeinsam mit ihm im Mülleimer der
Geschichte obsolet gewordener kultureller Praktiken verschwinden. Denn der
Kulturerbegedanke stellt eine revolutionäre Abwendung von der und Umkehrung der
Betrachtungsweise des Kulturgüterschutzes dar: wichtig ist nicht mehr, was die
Menschen der Vergangenheit dereinst wollten und, ob nun beabsichtigt oder
unbeabsichtigt, als „Botschaft“ in eine unbestimmte Zukunft gesandt haben, in
der wir uns nun ihrer Bedeutung und ihrer besonderen (oder auch nicht so
besonderen) Taten erinnern und sie somit wenigstens im Gedenken unsterblich
machen können; sondern wichtig ist, was die gegenwärtigen und zukünftigen Erben
der kulturellen Leistungen der Vergangenheit ihrerseits mit den ererbten
Traditionen, Praktiken und Werken machen wollen, um sie am Leben zu erhalten
und damit der jeweils nächsten Generation übertragen und überantworten können.
Letztendlich folgt
daraus, dass man Kulturerbe teilen muss, sowohl jetzt mit anderen
Kulturerbegemeinschaften mit eventuell anderen Werten, Überzeugungen, Wissen
und Traditionen, die daher eventuell mit demselben Kulturerbe und auch
denselben Kulturgütern ganz anders, ja eventuell sogar diametral
entgegengesetzt verfahren wollen als man selbst und die eigene
Kulturerbegemeinschaft; als auch den Menschen der nächsten Generationen, die
irgendwann einmal jene kulturellen Praktiken und Traditionen und jene
materiellen Kulturgüter, die wir nicht absichtlich oder unabsichtlich in Vergessenheit
geraten lassen, von uns erben werden. Nur dieses Teilen von Kulturerbe ist
letztendlich tatsächlich allgemeinwohlförderlich, und es erfordert nicht nur
das Teilen der Dinge und Praktiken selbst, sondern auch das Teilen der
Kontrolle und Definitionshoheit darüber, was überhaupt Kulturerbe ist und was
wer damit machen kann, darf, oder soll. Als die Kulturerbegemeinschaft, die
sich selbst mittels der kulturellen Praxis der Archäologie und den materiellen
archäologischen Kulturgütern definiert und sich damit selbst identifiziert,
müssen wir das akzeptieren und uns entsprechend verhalten, wenn wir tatsächlich
Archäologie nicht nur für uns selbst und zu unserem eigenen Nutzen und Vorteil,
sondern hauptsächlich zum Wohle der Allgemeinheit betreiben wollen, wie wir das
stets behaupten.
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[1] Oftmals ein großes bzw. besonders großartig (z.B. aufwändig und
kunstvoll) ausgestaltetes und daher „monumentales“ Bauwerk wie z.B. die
Trajanssäule in Rom oder römische Triumphbögen.
[2] Das bei Plutarch (Theseus 23.1) geschilderte Theseus-Paradoxon dreht sich um
die Frage, ob das von den Athenern angeblich für beinahe ein Jahrtausend
bewahrte Schiff, mit dem Theseus nach Kreta zu seinem Kampf mit dem Minotaurus
gesegelt sein soll, das aufgrund der Holzverwesung langsam Planke für Planke
und Balken für Balken ersetzt worden war, immer noch das ursprüngliche Schiff
des Theseus sei. Ist die Antwort des klassischen Denkmalgedankens auf diese Frage
ein ganz bestimmtes Nein, weil die originale Denkmalsubstanz verloren gegangen
ist und daher das Denkmal auch nicht mehr existiert; ist die Antwort des
Kulturerbegedankens auf diese Frage ein ebenso bestimmtes Ja, weil die
kulturelle Bedeutung des Schiffs von Generation zu Generation vererbt wurde,
auch wenn seine Substanz völlig ersetzt wurde.
[3] “The “intangible cultural heritage” means the practices,
representations, expressions, knowledge, skills – as well as the instruments,
objects, artefacts and cultural spaces associated therewith – that communities,
groups and, in some cases, individuals recognize as part of their cultural
heritage. This intangible cultural heritage, transmitted from generation to
generation, is constantly recreated by communities and groups in response to
their environment, their interaction with nature and their history, and
provides them with a sense of identity and continuity, thus promoting respect
for cultural diversity and human creativity. …” (Art. 2 (1) UNESCO 2003).
[4] „heritage community“
(Art. 2 b Europarat 2005). Die in der amtlichen österreichischen
Übersetzung diese Konvention gewählte Übersetzung dieses Begriffs als „Gemeinschaft
für das Kulturerbe“ (BGBl. III Nr. 23/2015) ist insofern missverständlich, als sie
impliziert, dass damit eine Gemeinschaft von Personen gemeint sei, die sich
„für“ irgendein Kulturerbe interessiert, sich dafür einsetzt, etc.; nicht eine
Gemeinschaft von Personen, die sozusagen als „Kulturererben“ ein kollektives
und teilweise auch jeweils individuelles Teilhaberecht an einem bestimmten
Kulturerbe für sich beansprucht; wobei das Letztere das ist, was die
Faro-Konvention mit dem Begriff „heritage community“ eigentlich meint.
[5] „For the purposes of this Convention,
a.
cultural heritage is a
group of resources inherited from the past which people identify, independently
of ownership, as a reflection and expression of their constantly evolving
values, beliefs, knowledge and traditions. It includes all aspects of the
environment resulting from the interaction between people and places through
time;
b.
a heritage community
consists of people who value specific aspects of cultural heritage which they
wish, within the framework of public action, to sustain and transmit to future
generations.” (Art. 2 Europarat 2005).
[6] „… if we Aboriginees cannot control our own heritage, what
the hell can we control?“ (Langford 1983, 4; Hervorhebung wie im
Original).
[7] „The archaeologists and their institutions placed themselves
above Parliament and the Public as some divine group.” (Langford 1983, 3).
[8] Dass das höchstens von einem ganz besonderen
Blickwinkel aus mit disziplinären Scheuklappen betrachtet stimmt, während bei
anderer Betrachtung ständig mehr neues archäologisches Kulturerbe entsteht, als
zerstört wird (Holtorf 2015, 410-2), und wir auch schon seit langem nicht
mehr an einem archäologischen Quellenmangel, sondern weit eher an einem
unbewältigbaren Quellenüberschuss leiden (z.B. Karl 2016), spielt dabei überhaupt keine Rolle: es ist
schließlich fachliche Erzähltradition und eine für unsere kulturelle Praxis und
unser Selbstverständnis als Hüter der verlorenen Schätze eine weit bessere
Geschichte, dass unser kulturelles Erbe höchst bedroht ist und daher von uns
heldenhaft zum Wohle der Allgemeinheit gegen gemeine Diebe, Plünderer und
Vandalen verteidigt werden muss. Dass wir uns mit Mist spielen und inzwischen
zu zwanghaften Misthortern geworden sind (Karl 2016), ist keine Geschichte, auf die wir stolz sein
können und mit der wir uns brüsten können, daher blenden wir lieber die
Realität im Wege kognitiver Dissonanz aus.
[9] Dass auch das nicht den Tatsachen entspricht,
sondern die Anzahl der sich in Europa mit archäologischer Berufstätigkeit den
Lebensunterhalt verdienenden Menschen seit den 1970er-Jahren sprunghaft
angestiegen ist und heute wenigstens 10 Mal so viele „professionelle“
ArchäologInnen von archäologischer Arbeit leben als noch vor etwa 30 Jahren
(siehe z.B. für Großbritannien Aitchison & Rocks-Macqueen 2014, 21 fig. 1), spielt dabei auch keine Rolle.
Nicht nur ist die Existenzangst wesentlicher Teil des fachlichen Geschichtsnarrativs,
sondern auch, dass privatwirtschaftliche Archäologie geringgeschätzt wird (Siegmund & Scherzler 2019, 10-1).
[10] Mit dieser Beschränkung des Rechts, eine
bestimmte kulturelle Praxis ausüben zu dürfen, die eine bestimmte
Kulturerbegemeinschaft als ihr immaterielles Kulturerbe betrachtet, war die
archäologisch-denkmalpflegerische Fachwelt also dem kulturellen
Minderheitenschutz um etwa ein Jahrhundert voraus.
[11] „The Parties undertake, through the public authorities and other
competent bodies, to:
a.
encourage reflection on
the ethics and methods of presentation of the cultural heritage, as well as
respect for diversity of interpretations;
b.
establish processes for
conciliation to deal equitably with situations where contradictory values are
placed on the same cultural heritage by different communities;
c.
develop knowledge of
cultural heritage as a resource to facilitate peaceful co-existence by
promoting trust and mutual understanding with a view to resolution and
prevention of conflicts;
d.
integrate these approaches
into all aspects of lifelong education and training.” (Art.7 Europarat 2005).
[12] „The Parties undertake to:
a.
encourage everyone to
participate in:
–
the process of
identification, study, interpretation, protection, conservation and
presentation of the cultural heritage;
–
public reflection and debate
on the opportunities and challenges which the cultural heritage represents;
b.
take into consideration
the value attached by each heritage community to the cultural heritage with
which it identifies;
c.
recognise the role of
voluntary organisations both as partners in activities and as constructive
critics of cultural heritage policies;
d.
take steps to improve access
to the heritage, especially among young people and the disadvantaged, in order to
raise awareness about its value, the need to maintain and preserve it, and the
benefits which may be derived from it.” (Art. 12 Europarat 2005).
[13] Mit Ausnahme aller solchen anderen „Kulturerbeexpertengemeinschaften“
wie z.B. ArchitektInnen und BauhistorikerInnen, KunsthistorikerInnen und
teilweise auch HistorikerInnen, VolkskundlerInnen und PaläontologInnen, die
ebenso wie wir ArchäologInnen rechtzeitig im 19. Jahrhundert auf den
Denkmalschutzzug entsprechend den Vorgaben des autorisierten Denkmaldiskurses
(Smith 2006, 29-34) aufgesprungen sind.
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