Abstract: Viele ArchäologInnen und archäologieinteressierte
Dritte glauben – wenn auch nur fälschlicherweise – dass die Erhaltung sowie
(erforderlichenfalls) die Erforschung und (danach eventuell) die öffentliche
Zugänglichkeit bzw. Nutzung aller archäologischen Hinterlassenschaften – was
auch immer sie jeweils subjektiv unter diesem zuletzt genannten Begriff
verstehen – „das“ einzige, allgemeinverbindliche, unveränderliche und vor allem
alle anderen möglicherweise existierenden („minderen“ privaten und
öffentlichen) überwiegende „allerhöchste öffentliche Interesse“ an „der
Archäologie“ sei. In diesem Beitrag zeige ich, dass und warum diese Ansicht
falsch und letztendlich sogar gefährlich und daher dringend
abänderungsbedürftig ist. Vielmehr stellt das – tatsächlich bestehende –
Interesse an der Erhaltung, Erforschung und Nutzung archäologischer
Hinterlassenschaften – wenigstens vorerst – ein „rein“ privates Eigeninteresse
dar, primär das archäologischer WissenschafterInnen und DenkmalpflegerInnen und
sekundär der an der Erhaltung, wissenschaftlichen Erforschung und Nutzung von
Archäologie interessierten Dritten, das sich von beliebigen anderen
Eigeninteressen anderer Personen wenigstens a priori nicht unterscheidet.
Welches der vielen an Archäologie bestehen könnenden privaten und öffentlichen
Interessen tatsächlich „das“ öffentliche Interesse ist, steht nämlich
keineswegs a priori unveränderlich fest, sondern ist vielmehr in jedem
Einzelfall zu ermitteln und zu beurteilen; wobei dieser Abwägungsprozesses
keineswegs immer zugunsten der Eigeninteressen von ArchäologInnen und archäologieinteressierten
Dritten ausgehen muss, sondern (sogar oft) auch das Gegenteil davon als „das“
öffentliche Interesse an „der Archäologie“ festgestellt werden kann. Wenn wir
in einem demokratischen Verfassungsstaat leben wollen, werden wir uns mit dieser
Tatsache abfinden müssen.
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Unterschiedliche
Interessen verschiedener beteiligter, betroffener und an Archäologie teilhaben
wollender Akteure und Gruppen von Akteuren spielen eine sehr bedeutende Rolle
in der und im fachlichen und öffentlichen Diskurs über die Archäologie und
archäologische Denkmalpflege. Ganz besonders gerne werden dabei in diesem
Diskurs – insbesondere von professionellen ArchäologInnen und archäologischen
DenkmalpflegerInnen, aber auch von der professionellen Archäologie und archäologischen
Denkmalpflege nahestehenden BürgerInnen – diverse Interessen von Einzelnen oder
konkret bestimmbaren Personengruppen als negativ konnotierte, (rein) „private“
Interessen betrachtet und bezeichnet und mit einem diskursiv enorm positiv
konnotierten „öffentlichen“ Interesse an der Erhaltung (sowie potentiell als
Ersatzmaßnahme der Erforschung) archäologischer Hinterlassenschaften kontrastiert
(so explizit z.B. Strobl & Sieche 2010, 267; sinngemäß Hönes 1995, 271-3).
In der
fachlichen Darstellung in diesem Diskurs wird dieses zuletzt genannte
öffentliche Interesse dabei primär von der staatlichen Denkmalpflege gemeinsam
mit der archäologischen Fachwelt und durch deren Handeln vertreten und verwirklicht
und insbesondere gegen die Eigeninteressen von „Privatpersonen“ geschützt.
Manche Denkmalämter gehen dabei soweit, dass sie in amtlichen Informationen
trotz in jedem Einzelfall entgegenstehender gesetzlicher Verpflichtung zur
ermessensfehlerfreien Abwägung zwischen verschiedenen relevanten privaten und
öffentlichen Interessen (Strobl & Sieche 2010, 267) behaupten, dass z.B.
bestimmte denkmalrechtliche Genehmigungen „in
der Regel“ Privatpersonen nicht erteilt werden (z.B. LfD-BW 2019) würden
bzw. könnten.[1]
Allgemeinwohl versus Eigennutz?
Wenigstens
implizit wird dadurch diskursiv eine binäre Opposition zwischen einer das
öffentliche Interesse an der Archäologie schützenden und verwirklichenden und
daher „guten“ archäologischen Fachwelt und staatlichen archäologischen
Denkmalpflege einerseits und allen anderen, dieses öffentliche Interesse
eigennützig gefährdenden und daher „schlechten“, Menschen erzeugt. Das ist
schon per se problematisch, weil dieser binären Opposition eine moralische
Wertung („private vices, public virtues“;
Häberle 2006, 20) zugrunde liegt, die das durch die Verwirklichung des
öffentlichen Interesses erreichte (wenigstens vorerst einmal bloß angebliche)
Wohl einer konkret undefiniert und daher diffus bleibenden „Allgemeinheit“ als
absolut höheren und daher das (subjektive) Wohl konkret bestimmter bzw.
bestimmbarer Einzelpersonen oder Gruppen von Einzelpersonen (wenigstens
normalerweise) überwiegenden Wert definiert, der durch die Verfolgung jedes
(wiederum vorerst angeblich rein eigennützigen) „privaten“ Interesses Einzelner
jedenfalls wenigstens gefährdet, wenn nicht sogar verringert wird; was wiederum
impliziert, dass sich allgemeinwohlförderliches und eigennütziges Handeln
gegenseitig ausschließen. D.h. entsprechend dieser Betrachtungsweise kann man,
wenn man eine bestimmte Handlung setzt bzw. ein bestimmtes Interesse zu
verwirklichen versucht, nur entweder gemeinnützig oder eigennützig, nicht
hingegen mit der gleichen Handlung gleichzeitig gemein- und eigennützig
handeln; und damit auch nur entweder das öffentliche oder ein privates
Interesse verwirklichen, nicht gleichzeitig beide.
Noch
problematischer ist jedoch die (diskursiv als inhärent und unabdingbar gegeben
dargestellte) Gleichsetzung des Handelns von archäologischer Fachwelt[2]
und staatlicher archäologischer Denkmalpflege mit der Förderung bzw.
Verwirklichung des öffentlichen Interesses und damit des Allgemeinwohles und
des Handelns beliebiger Dritter mit deren (rein) privatem Eigennutzen. Denn das
impliziert, dass das Handeln der Fachwelt und staatlichen Denkmalpflege
jedenfalls immer und automatisch das Allgemeinwohl fördert, während das Handeln
von „Privatpersonen“ diesem jedenfalls immer und automatisch schadet; und zwar
jeweils völlig unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls. Oder
anders gesagt: jede (archäologiebezogene) Handlung, die ein Archäologe bzw.
archäologischer Denkmalpfleger setzt, wäre allgemeinwohlförderlich und daher
gut, was auch immer für eine (archäologiebezogene) Handlung jeder beliebige
Dritte setzt, hingegen allgemeinwohlschädlich und daher schlecht. Wäre diese
Sichtweise korrekt, wäre logisch zwingend jede Entscheidung einer Fachkraft
bzw. staatlicher DenkmalpflegerInnen jeder Kritik durch beliebige Dritte
entzogen und könnte höchstens noch innerfachlich kritisiert werden, weil solche
Kritik ja ihrerseits eine archäologiebezogene Handlung darstellen würde und
daher, wenn sie von Dritten geäußert wird, notwendigerweise
allgemeinwohlschädlich wäre.
Tatsächlich
ist diese Sichtweise aber natürlich nicht korrekt, sondern beruht auf einem
fundamentalen Missverständnis über private und öffentliche Interessen und ihr
Verhältnis zueinander und zur Archäologie. Dieses Missverständnis zu beheben
ist essentiell; denn sein Bestehen hat in der Praxis oft die perfide Folge,
dass der angeblich erforderliche Schutz der angeblich bestehenden Interessen
einer diffusen „Allgemeinheit“ zur Be- bzw. Verhinderung der Verwirklichung
tatsächlich bestehender Interessen konkreter Einzelner und der Allgemeinheit
missbraucht wird.[3] In
der Folge werde ich versuchen, zur Aufklärung dieses Missverständnisses
beizutragen.
Das von hinten aufgezäumte Pferd des öffentlichen Interesses
Kern des
hier diskutierten Problems ist, dass wir ArchäologInnen (inklusive der archäologischen
DenkmalpflegerInnen) gerne hätten, dass es ein ganz bestimmtes, allgemein
akzeptiertes und vor allem allgemeingültiges, stets exakt gleiches, in allen
möglichen konkreten Einzelfällen alle anderen möglichen privaten und
öffentlichen Interessen überwiegendes, allerhöchstes
öffentliches Interesse[4]
an allen archäologischen Hinterlassenschaften (Funden, Befunden, Kontexten,
Fundstellen, Landschaften, etc.) gäbe und daher glauben bzw. uns selbst
erfolgreich eingeredet haben, dass es ebendieses auch wirklich gibt. Dieses
universell allerhöchste (= „das“) öffentliche Interesse ist, so hätten wir
gerne bzw. glauben wir, die möglichst unveränderte Erhaltung bzw. – wo diese
nicht möglich ist – sachgerechte wissenschaftliche Erforschung „der
Archäologie“[5].
Tatsächlich
gibt es dieses Interesse zwar; es handelt sich dabei allerdings gerade nicht um
„das“, geschweige denn um das allerhöchste, öffentliche Interesse; sondern
vielmehr um das Interesse „der archäologischen Wissenschaft“[6].
Als solches ist es, wenigstens vorerst einmal, nur ein partikulares Interesse –
sowohl eines konkret bestimmten Kollektivs von; als auch, jeweils individuell
betrachtet, einer in ihrer Zusammensetzung konkret bestimmten bzw. wenigstens
bestimmbaren Menge an Privatpersonen, eben den; archäologischen
WissenschafterInnen – und somit ein privates
Interesse eines bestimmten (und im Vergleich zu dieser sehr kleinen) Teils „der
Allgemeinheit“[7].
Daran, dass
dieses Interesse – wenigstens vorerst einmal – nur ein privates und nicht „das“
öffentliche Interesse an „der Archäologie“ ist, ändert auch die Tatsache nicht
das geringste, dass es das selbsterklärte Ziel „der archäologischen
Wissenschaft“ ist, die durch ihre Forschungen gewonnenen Erkenntnisse über „die
Vergangenheit“ letztendlich zu deren Nutzen (und damit deren Wohl) „der
Allgemeinheit“ im Wege der Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen. Dass das
Ziel der Wissenschaft, ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen, in diesem
Zusammenhang belanglos ist, liegt keineswegs (nur) daran, dass es, wie wir alle
wissen, WissenschafterInnen gibt, die ihr Leben lang die von ihnen gewonnenen
wissenschaftlichen Erkenntnisse hüten wie der sprichwörtliche Drache seinen
Schatz und sie tatsächlich nie veröffentlichen, sondern mit ins Grab nehmen. Es
liegt vielmehr (hauptsächlich) daran, dass nicht die Intentionen von
WissenschafterInnen (bzw. das Ziel „der archäologischen Wissenschaft“) dafür
ausschlaggebend sind, ob die Verwirklichung ihrer wissenschaftlichen
Eigeninteressen im öffentlichen Interesse gelegen ist, sondern vielmehr
ausschlaggebend ist, ob ihre Gewinnung und Veröffentlichung tatsächlich „der
Allgemeinheit“ aus deren subjektiver Sicht mehr Vorteile als Nachteile bringt[8]
und/oder ob sie (daher) von ihr gewollt wird oder nicht. Gewinnt „die Allgemeinheit“
nämlich nicht mehr Vor- als Nachteile aus der Gewinnung und Veröffentlichung
(ob nun konkreter oder ganz allgemein aller archäologischen) wissenschaftlichen
Erkenntnisse, interessiert sich einfach nicht für sie oder will sie sogar
überhaupt nicht erfahren, dann ist ihre Gewinnung und Veröffentlichung nicht
allgemeinwohlförderlich und daher auch überhaupt nicht im öffentlichen
Interesse gelegen; sondern es besteht eventuell sogar ein öffentliches
Interesse daran, dass diese Erkenntnisse nicht gewonnen und schon gar nicht
veröffentlicht werden.[9]
Als gegeben
vorauszusetzen, dass an der Erhaltung (und gegebenenfalls der
wissenschaftlichen Erforschung) der (und ebenfalls gegebenenfalls der
Veröffentlichung dabei gewonnener Erkenntnisse über die) Archäologie ein
öffentliches Interesse besteht, bedeutet also, das Pferd des öffentlichen
Interesses von hinten aufzuzäumen. Denn was „das“ öffentliche Interesse an „der
Archäologie“ ist kann nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern muss erst (und
zwar in jedem konkreten Einzelfall) ermittelt werden. Nur wenn sich bei dieser
Ermittlung herausstellt, dass die Erhaltung und Erforschung bestimmter
archäologischer Quellen tatsächlich allgemeinwohlnützlich ist bzw.
voraussichtlich sein wird und/oder von „der Allgemeinheit“ auch tatsächlich
gewollt wird und daher im öffentlichen Interesse gelegen ist, deckt sich das
Eigeninteresse des Wissenschafters mit dem öffentlichen Interesse und kann
daher auch mit ihm gleichgesetzt werden. Setzt man a priori das Eigeninteresse
„der archäologischen Wissenschaft“ an der Erhaltung und Erforschung „der
Archäologie“ mit dem öffentlichen Interesse gleich, beginnt man am Ende des eigentlich
durchzuführenden Ermittlungsprozesses und nimmt sein Ergebnis in unzulässiger
Weise vorweg.
Was ist „das“ öffentliche Interesse und wie ermittelt man es?
Streng
genommen gibt es „das“ öffentliche Interesse im modernen, demokratischen
Verfassungsstaat überhaupt nicht, schon gar nicht bei der Betrachtung auf
allgemeiner Ebene; sondern man kann „es“ – wenn überhaupt – nur jeweils im
konkreten Einzelfall bestimmen (Häberle 2006, 17). Vielmehr gibt es zahllose
verschiedene, einander teilweise gegenseitig stützende und teilweise
widersprechende (private) Partikular- und öffentliche Interessen, die erforderlichenfalls
– d.h. wenn sie miteinander in Konflikt geraten – gegeneinander abzuwägen bzw.
relativ zueinander zu bewerten sind.
Der Begriff
des öffentlichen Interesses ist ein unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. dazu schon
Karl 2018, 98), der vom Gesetzgeber generell
nicht konkretisiert wurde und an vielen Stellen im Recht verwendet wird. Im
Verwaltungsrecht dient er hauptsächlich dazu, die Rechtsgüter eines unbestimmten Kollektivs von Personen zu
schützen (Schenke & Schenke 2006, 193), insbesondere vor Gefahren, die
diesen Rechtsgütern durch die Verwirklichung partikularer, berechtigter
(„privater“) Interessen konkret bestimmter Anderer („Einzelner“) drohen.
Das liegt
daran, dass in modernen demokratischen Verfassungsstaaten „der Staat und seine Ziele […] keinen
Eigenwert“ haben, sondern „ihre
Berechtigung allein daraus“ ziehen, „dass
sie den Menschen konkret dienen“ (Jarass & Pieroth 2016, 41), und der
Staat aber gleichzeitig durch den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG; Art. 7 B-VG und Art. 2 StGG) verpflichtet ist, alle seine Staatsbürger
gleich zu behandeln. Damit muss er grundsätzlich alle eventuell betroffenen (berechtigten)
Partikularinteressen seiner StaatsbürgerInnen – die allgemein gesprochen in
Summe „das“ öffentliche Interesse ausmachen – in Verwaltungsverfahren
berücksichtigen bzw. seinen BürgerInnen ermöglichen, ihren jeweiligen
Partikularinteressen in derartigen Verfahren Gehör zu verschaffen. Das kann und
tut er dadurch, dass er konkreten Personen, deren Partikularinteressen betroffen
sind oder wenigstens sein könnten, in deren Interessen betreffenden
Verwaltungsverfahren Parteienstellung einräumt, damit diese ihre konkreten
Partikularinteressen in diesem selbst vertreten können.
Eine solche
Parteienstellung kann er jedoch nicht einem unbestimmten Kollektiv von
Individuen (einer „Allgemeinheit“) einräumen, deren Partikularinteressen
ebenfalls betroffen sind bzw. sein könnten, die diese Individuen aber – nachdem
sie ja einem unbestimmten (und in der Regel auch konkret unbestimmbaren oder
für eine individuelle Berücksichtigung viel zu großen) Kollektiv angehören –
nicht selbst vertreten können. Diese Interessen muss daher der Staat selbst von
sich aus im konkreten Verfahren berücksichtigen, damit nicht die Rechtsgüter
des betroffenen unbestimmten Kollektivs unverhältnismäßig durch die
Verwirklichung der berechtigten Interessen konkreter Einzelner (oder bestimmter
Gruppen von Individuen) geschädigt werden können. Jedes potentiell betroffene
Partikularinteresse eines jeden derartigen unbestimmten Kollektivs fasst er
daher als ein öffentliches Interesse
zusammen, das er dann im Verfahren auch – als Vertreter jedes beliebigen
unbestimmten Kollektivs seiner StaatsbürgerInnen – vertritt.
Im
konkreten Verfahren hat dann die es durchführende Verwaltungsbehörde alle
verfahrensrelevanten[10]
Interessen gegeneinander abzuwägen und auf Basis dieser Abwägung zu
entscheiden, was für alle gemeinsam am besten ist, also was das Allgemeinwohl
am meisten fördert. Das kann, wenn die öffentlichen Interessen die berechtigten
privaten Interessen des Einzelnen überwiegen, zum Ergebnis führen, dass dem
Einzelnen die Verwirklichung seiner berechtigten privaten Interessen gänzlich
verboten wird. Oder es kann, wenn die privaten Interessen des Einzelnen die
öffentlichen Interessen überwiegen, zum Ergebnis führen, dass dem Einzelnen die
Verwirklichung seiner Interessen uneingeschränkt gestattet wird. Oder es kann
zum Ergebnis führen, dass dem Einzelnen die Verwirklichung seiner Interessen
zwar prinzipiell gestattet wird, er dabei aber bestimmte Auflagen einzuhalten
hat, die zur Abwendung von durch sein Handeln ansonsten entstehender bzw.
entstehen könnender übermäßiger Schäden an den Rechtsgütern Anderer und/oder
den öffentlichen Interessen geeignet sind und/oder der Einzelne diese Anderen
und/oder „die Allgemeinheit“ für den an ihren jeweiligen Rechtsgütern
entstehenden Schaden angemessen kompensieren muss. Was auch immer –
fehlerfreies Ermessen vorausgesetzt – das konkrete Ergebnis dieses Abwägungs-
bzw. Bewertungsprozesses ist, ist dann „das“ im betreffenden Einzelfall
bestehende öffentliche Interesse; eben das, was tatsächlich für „die
Allgemeinheit“ (d.h. in diesem Fall das unbestimmte Kollektiv aller potentiell
Betroffenen) insgesamt „das Beste“ ist.
Öffentliche
Interessen (man beachte den Plural) stehen also oft den privaten Interessen
konkreter Einzelpersonen oder Personengruppen (wenigstens bis zu einem gewissen
Grad) entgegen. „Das“ öffentliche Interesse in einem konkreten Einzelfall kann
hingegen entweder das Gegenteil oder das Gleiche wie ein bestimmtes privates
Interesse einer konkreten Einzelperson oder Personengruppe sein oder auch es
teilweise zulassen, aber gleichzeitig in bestimmter Weise beschränken. Bestimmt
(und damit den bestimmten Artikel in Verbindung mit ihm gestattend) wird „das“
öffentliche Interesse eben erst durch seine Ermittlung und steht, wenigstens
normalerweise,[11]
nicht von Anfang an a priori fest.
Aber die Erhaltung von Archäologie ist doch im öffentlichen Interesse!?!
Viele ArchäologInnen
und Archäologieinteressierte werden nun vielleicht einwerfen wollen, dass doch
die Denkmalschutzgesetze bestimmen, dass die Erhaltung von Archäologie im
öffentlichen Interesse gelegen sei.[12] Das stimmt allerdings bestenfalls
teilweise, denn obwohl dem Sinn aller deutschsprachigen Denkmalschutzgesetze
nach ein öffentliches Interesse an
der Erhaltung (und je nach Gesetz auch an der Erforschung und öffentlichen
Zugänglichkeit bzw. Nutzung) archäologischer
Denkmale (ob diese nun so, als Boden-, allgemeiner als Kultur- oder
generell als Denkmale bezeichnet werden) bestehen kann, bedeutet das weder, dass ein solches Interesse immer besteht
bzw. bestehen muss, noch dass ein öffentliches Interesse an der Erhaltung aller
archäologischen Überreste besteht,
noch dass dieses öffentliche alle anderen möglichen privaten und öffentlichen
Interessen automatisch überwiegt. Das zeigt sich in aller Deutlichkeit, wenn
man Denkmalschutzgesetze nicht nur oberflächlich liest und sich die Passagen
daraus herauspickt, die das zu sagen scheinen, was man selbst gerne hätte,
sondern sie tatsächlich ordentlich interpretiert bzw. auslegt.
Tatsächlich
hat der Gesetzgeber das Recht und die Möglichkeit gesetzlich festzusetzen, dass
in bestimmten Kontexten jedenfalls bestimmte öffentliche Interessen bestehen
und daher bei der Beurteilung, was in einer bestimmten Angelegenheit „das“
öffentliche Interesse ist, jedenfalls ausreichend zu berücksichtigen sind. Dies
tut er z.B. in Denkmalschutzgesetzen, wenn er sagt, unter welchen Voraussetzungen
ein öffentliches Interesse an der
Erhaltung bestimmter – z.B. archäologischer – Sachen besteht. So wie generell
in Gesetzen verwendet der Gesetzgeber dafür gerne „wenn x, dann y“-Bestimmungen, d.h. stellt eine Kausalbeziehung
zwischen dem Bestehen eines bestimmten Sachverhalts A – manchmal
Anknüpfungstatbestand genannt – und bestimmten daraus resultierenden Folgen R –
normalerweise als Rechtsfolgen bezeichnet – her, sagt also im Prinzip: wenn x =
A ist, dann folgt daraus y = R. Damit gilt selbstverständlich dann auch im
Umkehrschluss, dass wenn x ≠ A ist, daraus dann auch y ≠ R folgt.
Ein gutes
Beispiel für die Verwendung einer derartigen denkmalrechtlichen „wenn x, dann
y“-Bestimmung ist der erste Satz der Begriffs- und Geltungsbereichsbestimmungen
des österreichischen Denkmalschutzgesetzes in dessen § 1 Abs. 1, der sowohl den
gesetzlichen Denkmalbegriff definiert als auch den Anwendungsbereich des DMSG bestimmt. Dieser Satz lautet:
„Die in
diesem Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen finden [dann] auf von Menschen geschaffene unbewegliche und
bewegliche Gegenstände (einschließlich Überresten und Spuren gestalteter
menschlicher Bearbeitung sowie künstlich errichteter oder gestalteter
Bodenformationen) von geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger
kultureller Bedeutung („Denkmale“) Anwendung, wenn ihre Erhaltung dieser Bedeutung wegen im öffentlichen
Interesse gelegen ist.“ (§ 1 Abs. 1 1. Satz DMSG, Einschub in eckiger Klammer und
Hervorhebung in Fettdruck: RK)
Dieser Satz
stellt eben gerade nicht, wie es oft missverständlich von ArchäologInnen und
Archäologieinteressierten angenommen wird, die Kausalbeziehung her, dass,
(immer) wenn eine bestimmte Sache
ein Denkmal ist, daraus folgt, dass dann
ihre Erhaltung im öffentlichen Interesse gelegen ist und daher die Bestimmungen
des DMSG auf sie anzuwenden sind; sondern die exakt
umgekehrte Kausalbeziehung: (nur) wenn
die Erhaltung einer bestimmten Sache im öffentlichen Interesse gelegen ist, dann folgt daraus, dass die
Bestimmungen des DMSG auf sie anzuwenden sind.
Tatsächlich
ist in dieser grundlegenden Bestimmung sogar die Verwendung des Begriffs „Denkmale“ völlig redundant und der Satz
wäre ohne sie für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des DMSG völlig ausreichend. Das zeigt sich deutlich,
wenn man ihn vereinfacht und etwas umstellt: „Dieses Bundesgesetz ist dann auf
von Menschen geschaffene Gegenstände anzuwenden, wenn deren Erhaltung ihrer
geschichtlichen (etc.) Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist“.
Es bedingt also das tatsächliche Bestehen des Anknüpfungstatbestandes, dass an
der Erhaltung der bestimmten Sache aus bestimmten Gründen ein öffentliches
Interesse besteht, dass die Bestimmungen des DMSG auf sie anzuwenden sind; nicht das
tatsächliche Bestehen des Anknüpfungstatbestandes, dass die Sache ein „Denkmal“
ist (bzw. genannt wird), dass an ihrer Erhaltung ein öffentliches Interesse
besteht.
Die in den
ersten Satz des DMSG ebenfalls eingefügte, nominalistische
Denkmalbegriffsdefinition[13]
ist allerdings etwas verwirrend, denn der Begriff „Denkmal“ impliziert (inzwischen)
in seiner umgangssprachlichen Verwendung, dass der betreffenden, „Denkmal“
genannten Sache besondere Bedeutung zukommt und sie daher erhaltenswert ist.[14]
Viele der erst deutlich später als das österreichische DMSG verabschiedeten deutschen Denkmalschutzgesetze
haben daher, der umgangssprachlichen Verwendung des Denkmalbegriffs in ihrer
jeweiligen Entstehungszeit entsprechend, einen etwas anderen Zugang gewählt als
ihr älteres österreichisches Äquivalent. Sie definieren daher den
Denkmalbegriff anders als Riegl (1903), wie sich z.B. an der Kulturdenkmalbegriffsdefinition
des § 2 Abs. 1 DSchG-BW zeigen lässt. Diese lautet nämlich wie folgt:
„Kulturdenkmale
im Sinne dieses Gesetzes sind Sachen, Sachgesamtheiten und Teile von Sachen, an
deren Erhaltung aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder
heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht.“ (§ 2 Abs. 1 DSchG-BW).
Auch das
ist allerdings, nicht anders als die soeben diskutierte österreichische
Denkmalbegriffsdefinition, ebenfalls eine nominalistische Definition. Diese
besagt, neuerlich als „wenn x, dann y“-Kausalbeziehung ausgedrückt: (nur) wenn an der Erhaltung einer Sache aus
den genannten Gründen ein öffentliches Interesse besteht, dann wird diese Sache „Kulturdenkmal“ genannt. Auch in diesem Fall
ist das Kausalitätsverhältnis zwischen Anknüpfungstatbestand und Rechtsfolge
nicht umkehrbar: es folgt eben nicht aus der Tatsache, dass irgendwer eine
Sache (etc.) als „Kulturdenkmal“ bezeichnet, dass an der Erhaltung dieser Sache
ein öffentliches Interesse besteht; sondern nur aus der Tatsache, dass an der
Erhaltung einer Sache (etc.) ein öffentliches Interesse besteht, dass sie im
rechtlichen Sinne dieses Begriffes als „Kulturdenkmal“ bezeichnet werden kann.
Man muss
daher, will man den Anwendungsbereich des DSchG-BW
bestimmen, im Gegensatz zum österreichischen DMSG, von dem man zu ebendiesem Zweck nur dessen
ersten Satz lesen muss, den ersten Satz des § 1 Abs. 1 DSchG-BW
in Verbindung mit der Kulturdenkmalbegriffsbestimmung in seinem § 2 Abs. 1
lesen. In seinem § 1 Abs. 1 bestimmt das DSchG-BW
nämlich die Aufgaben von Denkmalschutz und Denkmalpflege wie folgt:
„Es ist
Aufgabe von Denkmalschutz und Denkmalpflege, die Kulturdenkmale zu schützen und
zu pflegen, insbesondere den Zustand der Kulturdenkmale zu überwachen sowie auf
die Abwendung von Gefährdungen und die Bergung von Kulturdenkmalen hinzuwirken.“
(§ 1 Abs. 1 DSchG-BW).
Durch die
Verbindung dieser Aufgabenfestsetzung und der Denkmalbegriffsdefinition in
seinem § 2 Abs. 1 bestimmt daher das DSchG-BW
im Prinzip genau dasselbe wie das österreichische DMSG im ersten Satz seines § 1 Abs. 1: (nur) wenn an der Erhaltung einer Sache
(etc.) aus den genannten Gründen ein öffentliches Interesse besteht (und diese
Sache daher als „Kulturdenkmal“ bezeichnet und betrachtet werden kann bzw.
muss), dann ist es die Aufgabe von
Denkmalschutz und Denkmalpflege, sie (durch Anwendung der Bestimmungen des DSchG-BW)
zu schützen (und zu pflegen etc.). Es bedingt also auch in Baden-Württemberg
das tatsächliche Bestehen des Anknüpfungstatbestandes, dass an der Erhaltung
der bestimmten Sache (etc.) aus bestimmten Gründen ein öffentliches Interesse
besteht, dass die Bestimmungen des DSchG-BW
auf sie anzuwenden sind.
Genau
dasselbe gilt, unabhängig von der jeweils gewählten genauen Herangehensweise an
die und Formulierung der Anwendungsbereichs- und relevanten
Denkmalbegriffsbestimmung, auch für alle anderen 15 deutschen Denkmalschutzgesetze.
Die ausschlaggebende Kausalbeziehung ist immer die zwischen dem
Anknüpfungstatbestand des tatsächlichen Bestehens eines öffentlichen Interesses
an der Erhaltung (Erforschung, Nutzung, etc.) der konkret betroffenen Sache und
der nur daraus resultierenden Rechtsfolge der Anwendbarkeit der Bestimmungen
des jeweiligen Denkmalschutzgesetzes auf ebendiese konkrete Sache; niemals
umgekehrt.
Nachdem nun
aber kein einziges Denkmalschutzgesetz alle Sachen, die irgendjemand aus
irgendeinem Grund als „archäologisches Denkmal“ (bzw. Boden- oder
Kulturdenkmal), geschweige denn als „archäologische Hinterlassenschaft“ (oder
mit einem beliebigen anderen sinngemäß gleichen Begriff), bezeichnen könnte
oder bezeichnet, den Bestimmungen des jeweiligen Gesetzes unterwirft, sondern
alle als relevanten, die Anwendbarkeit des jeweiligen Gesetzes auslösenden,
Anknüpfungstatbestand das tatsächliche Bestehen eines öffentlichen
Erhaltungsinteresses (im Wesentlichen) aufgrund des tatsächlichen Bestehens
einer besonderen geschichtlichen (etc.) Bedeutung der betreffenden Sache
vorsehen, folgt zwingend, dass eben nicht an der Erhaltung einer jeden
beliebigen „archäologischen“ Sache ein öffentliches Interesse besteht. Es ist
daher auch nicht die Erhaltung von Archäologie im öffentlichen Interesse
gelegen, sondern nur die Erhaltung jener archäologischen Hinterlassenschaften,
welche die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen für das Bestehen eines
öffentlichen Interesses an ihrer Erhaltung als Denkmale tatsächlich erfüllen.
Man kann
also auch nicht deshalb, weil die Denkmalschutzgesetze tatsächlich bestimmt
haben, dass ein öffentliches Interesse an der Erhaltung (mancher)
archäologischer Denkmale (Boden-, Kulturdenkmale, etc.) tatsächlich besteht, a
priori als gegeben voraussetzen, dass „das“ öffentliche Interesse an „der
Archäologie“ ihre Erhaltung (und gegebenenfalls ihre wissenschaftliche
Erforschung und öffentliche Zugänglich- bzw. Nutzbarmachung) ist. Vielmehr
bleibt das im vorhergehenden Unterkapitel Festgestellte unverändert bestehen:
was „das“ öffentliche Interesse an einer von uns ArchäologInnen und/oder
sonstigen Archäologieinteressierten als „archäologisch“ betrachteten und
bezeichneten Sache ist, steht nicht a priori fest, sondern ist – falls das
überhaupt erforderlich ist, weil ein begründeter Verdacht besteht, dass es sich
bei dieser Sache um ein schützenswertes Denkmal handeln könnte – in jedem
konkreten Einzelfall erst einmal gesondert zu ermitteln bzw. zu bestimmen. Erst
wenn diese Ermittlung abgeschlossen bzw. Bestimmung vorgenommen wurde, steht
fest, ob „das“ öffentliche Interesse an dieser Sache ihre unveränderte
Erhaltung (bzw. Erforschung und/oder öffentliche Nutzbarmachung) ist, oder
nicht vielmehr etwas ganz Anderes.
Private und öffentliche Interessen (an der Archäologie) und ihr Verhältnis zueinander
Das für uns
ArchäologInnen und sonstige Archäologieinteressierte Erfreuliche am soeben Erläuterten
ist, dass ein öffentliches Interesse
an der Erhaltung (etc.) von konkret bestimmten archäologischen
Hinterlassenschaften tatsächlich bestehen kann und auch – wenn auch nur
bezüglich mancher davon – tatsächlich besteht. Daraus folgt nämlich einerseits,
dass – wenigstens unter gewissen Umständen – dieses öffentliche Interesse an
der Erhaltung (etc.) mancher archäologischen Sachen bei der Bestimmung des
Schicksals jener davon, die von ausreichend besonderer Bedeutung sind oder
eventuell auch nur sein könnten, ausreichend berücksichtigt (bzw. mitbedacht)
werden muss.
Andererseits
folgt daraus aber auch, dass unser – vorerst einmal nur partikular und daher
privat gewesenes – Interesse an der Erhaltung, Erforschung von und
Veröffentlichung unserer Erkenntnisse aus und über alle archäologischen
Hinterlassenschaften – wenngleich auch nur in manchen Fällen – mit einem tatsächlich bestehenden
öffentlichen Interesse ebendaran identisch ist; d.h. sich unser an sich
privates und ein öffentliches
Interesse am Schicksal der konkret betroffenen Sache exakt decken. Das ist aus
zweierlei Gründen günstig; denn erstens erhebt sich daher unser vorerst rein
privat gewesenes Interesse daran über ein bloßes Eigeninteresse der
archäologischen Wissenschaft auf das Niveau der Allgemeinwohlnützlichkeit, und
zweitens und noch wichtiger stützen und stärken sich unser privates und dieses
öffentliche Interesse an der Erhaltung (etc.) der betreffenden Sache
gegenseitig. Gerade diese gegenseitige Unterstützungs- und Verstärkungswirkung
des privaten und dieses öffentlichen Interesses kann daher in weiterer Folge
sehr leicht dazu führen, dass sich auch „das“ letztendlich bestimmte
öffentliche Interesse (d.h. das, was am besten für „die Allgemeinheit“ ist) als
alle anderen möglicherweise ebenfalls bestehenden berechtigten Interessen
überwiegendes Interesse an der Erhaltung (etc.) der betreffenden Sache erweist,
d.h. sich unser privates und „das“ öffentliche Interesse daran auch tatsächlich
decken.
Dass sich
ein bestimmtes privates Interesse – obwohl normalerweise dem privaten Interesse
des Einzelnen ein oder mehrere bestimmte öffentliche Interessen entgegenstehen
– mit einem (oder sogar mehreren) bestimmten öffentlichen Interesse(n) decken
kann, liegt nicht zuletzt auch daran, dass in jedem beliebigen konkreten
Einzelfall mehrere private und diesen jeweils entgegengesetzte öffentliche
Interessen miteinander in Konflikt stehen können. Daraus können komplexe
Beziehungen zwischen unterschiedlichen privaten und den diesen jeweils
entgegenstehenden öffentlichen Interessen resultieren, die dazu führen, dass
sich ein privates Interesse, dem zwar diverse bestimmte öffentliche Interessen
entgegenstehen, dennoch mit einem oder sogar mehreren bestimmten öffentlichen
Interessen deckt, die nicht diesem, sondern anderen, ebenfalls zu
berücksichtigenden privaten Interessen entgegenstehen; und sich somit dieses
bestimmte private und ein oder mehrere öffentliche Interessen gegenseitig
stützen und verstärken.
Zum
Beispiel: der Eigentümer eines Grundstückes, auf dem sich ein archäologisches
Denkmal befindet, dessen Erhaltung, Erforschung und öffentliche Zugänglichkeit
im öffentlichen Interesse gelegen ist, möchte auf diesem ein Gebäude errichten,
was zur Zerstörung des betroffenen Denkmals führen würde. Für dieses Beispiel
wird angenommen, dass dieses archäologische Denkmal zwar bekanntermaßen
außergewöhnlich bedeutend, aber bisher weder ausreichend erforscht noch öffentlich
zugänglich ist; und es nicht einmal an der Erdoberfläche durch irgendwelche
Hinweise auf seine Existenz wahrnehmbar ist. Dem durch die Eigentumsgarantie
der Verfassung (Art. 14 GG; Art. 5 StGG) berechtigten privaten Interesse des
Grundeigentümers zur für ihn vorteilhaften Nutzung seines Grund und Bodens stehen
daher in diesem Fall tatsächlich bestehende öffentliche Interessen an der
Erhaltung, Erforschung und öffentlichen Zugänglichkeit des darauf befindlichen
Denkmals entgegen. Dem privaten Interesse des Grundeigentümer steht aber auch
ein öffentliches Interesse zur Seite, nämlich das öffentliche Interesse am
Schutz und an der tatsächlichen Verwirklichung der Grund- und
Menschenrechtsgarantien. Die entscheidende Behörde hat also bei der Beurteilung
dieses Falls ein privates und ein dieses stützendes öffentliches gegen ein
anderes öffentliches Interesse abzuwägen.
Aufgrund
der für dieses Beispiel angenommenen bekannt außergewöhnlichen Bedeutung des
betroffenen Denkmals wird in diesem Fall bei dieser Abwägung wohl das
öffentliche Interesse an seiner Erhaltung das private Interesse des
Grundeigentümers an seiner Zerstörung samt des es stützenden öffentlichen
Interesses an der Verwirklichung der Grundrechtsgarantien überwiegen. Denn es
gilt bei dieser Abwägung natürlich nicht nur, die Anzahl der einander
entgegenstehenden Interessen zu addieren und dann für die Seite zu entscheiden,
auf der sich mehr solche Interessen befinden, sondern auch das relative Gewicht
der verschiedenen in Konflikt mit einander stehenden Interessen gegeneinander
abzuwägen. Ist also die Bedeutung des betroffenen Denkmals – wie für diesen
Fall angenommen – besonders hoch, überwiegt sie wenigstens so lange die
entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen, als diesen letzteren
Interessen nicht auch ihrerseits besonders hohes Gewicht zukommt.
Ein solches,
besonders hohes Gewicht kann aber dem privaten Interesse des Grundeigentümers
und dem es stützenden allgemeinen öffentlichen Interesse an der Verwirklichung
der Grundrechtsgarantien unter den Umständen des konkreten Einzelfalls durchaus
zukommen, z.B. wenn das betreffende Grundstück, auf dem sich das Denkmal
befindet, das einzige seinem Eigentümer zur Errichtung des geplanten Gebäudes
weit und breit verfügbare Stück Land ist. Denn gibt es für den Eigentümer keine
andere verfügbare Möglichkeit, sein Grundstück in für ihn vorteilhafter Weise
zu nutzen, käme es seiner Enteignung gleich, wenn man ihm diese
Nutzungsmöglichkeit seines Grundstückes untersagt. Fehlt also eine andere
Nutzungsmöglichkeit und kann der Grundeigentümer sein Gebäude aufgrund des
Fehlens anderen für dessen Errichtung verfügbaren Grundes auch nicht woanders
als gerade auf dem außergewöhnlich bedeutenden archäologischen Denkmal
errichten, dann kommt seinem privaten und dem es stützenden öffentlichen
Interesse an der Verwirklichung der Grundrechtsgarantien ebenfalls
außergewöhnlich hohes Gewicht zu. Überwiegt dennoch immer noch das öffentliche
Interesse an der Erhaltung des betreffenden Denkmals das außergewöhnlich
schwerwiegende private Interesse des Grundeigentümers, dann muss dieser auch
wirklich vom Staat (gegen die dafür erforderliche wirtschaftliche
Entschädigung) enteignet werden; überwiegt hingegen das private Interesse das
öffentliche Erhaltungsinteresse, dann ist die Zerstörung des Denkmals durch den
Grundeigentümer trotz seiner außergewöhnlichen Bedeutung zu bewilligen.
Erweitern
wir das Beispiel noch ein wenig: zufällig möchte zur gleichen Zeit ein
archäologischer Wissenschafter genau dieses außergewöhnlich bedeutende Denkmal
durch archäologische Ausgrabungen wissenschaftlich erforschen, was zwar zur
Zerstörung der Substanz des Denkmals, aber zur ausreichenden Erforschung und
zur öffentlichen Zugänglichkeit der dabei gewonnenen Forschungsergebnisse
führen würde. Dem durch die verfassungsgesetzlich gewährleistete
Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG; Art. 17 StGG) berechtigten privaten Interesse dieses
Wissenschafters an der Erforschung des und öffentlichen Zugänglichmachung
seiner Forschungsergebnisse über das Denkmal würde daher einerseits das private
Interesse des Grundeigentümers an der für ihn vorteilhaften Nutzung seines
Grundstückes – die für die Dauer der vom Wissenschafter geplanten Grabungen
nicht möglich wäre – und andererseits ein öffentliches Interesse an der
unveränderten Erhaltung der Substanz dieses Denkmals entgegenstehen.
Unterstützend zur Seite stehen würden hingegen dem privaten Interesse des
Wissenschafters in diesem Fall die öffentlichen Interessen an der Erforschung
und öffentlichen Zugänglichmachung der Bedeutung des Denkmals durch die
Veröffentlichung der Forschungsergebnisse: diese decken sich schließlich mit
seinem privaten Interesse an der Erforschung des und öffentlichen
Zugänglichmachung seiner Erkenntnisse über das Denkmal.
Einigen
sich in diesem Fall der Grundeigentümer und der Wissenschafter darauf, dass der
Grundeigentümer dem Wissenschafter seinen Grund und Boden für den Zweck der
Erforschung und öffentlichen Zugänglichmachung der dabei gewonnenen
Forschungsergebnisse über das sich darauf befindliche archäologische Denkmals
zeitweilig überlässt, stehen somit das private Interesse des Grundeigentümers
an der für ihn vorteilhaften Nutzung seines Grundes, das private Interesse des
Wissenschafters an der Erforschung und öffentlichen Zugänglichmachung der über
das Denkmal gewonnenen Forschungsergebnisse und die sich mit den beiden zuletzt
genannten privaten Interessen des Wissenschafters deckenden öffentlichen
Interessen an der Erforschung und öffentlichen Zugänglichkeit der gewonnenen
Erkenntnisse über das Denkmal dem öffentlichen Interesse an der in seiner
Substanz unveränderten Erhaltung dieses Denkmals gegenüber. Zusätzlich finden
die beiden betroffenen privaten Interessen natürlich auch noch Unterstützung
durch das öffentliche Interesse an der Verwirklichung der Grundrechtsgarantien.
Daher
werden in diesem Fall die zwei einander gegenseitig stützenden privaten und die
das zweite davon stützenden öffentlichen Interessen an der Erforschung und
öffentlichen Zugänglichkeit des betroffenen Denkmals sowie das allgemeine
öffentliche Interesse an der Verwirklichung von Grundrechtsgarantien das
öffentliche Interesse an seiner Erhaltung wohl praktisch immer überwiegen. Es
bedürfte für ein gegenteiliges Ergebnis der Abwägung einer wahrlich enormen
Bedeutung, die gerade wenn – wie für dieses Beispiel angenommen – das Denkmal
weder sinnlich wahrnehmbar noch ausreichend erforscht ist, nur schwer
vorstellbar und noch schwerer argumentativ nachweisbar erscheint.
Wie dieses
Beispiel zeigt, kann – je nach Umständen des konkreten Einzelfalls – also ein
einigermaßen komplexes Geflecht aus verschiedenen, einander teilweise
gegenseitig stützenden, teilweise einander entgegenstehenden privaten und
öffentlichen Interessen bestehen. Dabei können sowohl private anderen privaten
als auch öffentliche anderen öffentlichen Interessen entgegenstehen, nicht nur
ein ganz bestimmtes öffentliches Interesse allen möglichen privaten Interessen.
Ebenso können sich manche privaten und manche öffentlichen Interessen
gegenseitig stützen, und zwar keineswegs nur zugunsten, sondern sogar weit eher
zulasten eines eventuell bestehenden öffentlichen Interesses an der Erhaltung
eines bestimmten Denkmals.
Öffentliche Interessen in Denkmalschutzgesetzen
Wie das
zweite Beispiel auch zeigt, stehen sich sogar gar nicht selten auch mehrere
unterschiedliche, in Denkmalschutzgesetzen explizit festgesetzte, öffentliche
Interessen an archäologischen Denkmalen entgegen; wenigstens, wenn diese Gesetze
mehrere öffentliche Interessen an Denkmalen definieren.
So bestimmt
z.B. das DSchG-NRW in seinem § 1 Abs. 1 als Aufgaben
von Denkmalschutz und Denkmalpflege, dass Denkmäler „zu schützen, zu pflegen, sinnvoll zu nutzen und wissenschaftlich zu
erforschen“ sowie „der Öffentlichkeit
im Rahmen des Zumutbaren zugänglich“ zu machen sind, und setzt damit nicht
nur die oben genannten drei sondern gleich fünf unterschiedliche öffentliche
Interessen an archäologischen Denkmalen fest, die – wenigstens unter bestimmten
Umständen wie nicht zuletzt auch in der zweiten Variante des oben dargestellten
Beispiels – einander gegenseitig entgegenstehen können. Kommen zwei oder
mehrere dieser Interessen miteinander in Konflikt, muss gegebenenfalls
beurteilt werden, ob die unveränderte Erhaltung der Substanz des betroffenen
Denkmals, seine sinnvolle Nutzung durch wissenschaftliche Erforschung mittels
einer seine körperliche Substanz zerstörenden Ausgrabung, oder die mit der substanzzerstörenden
Nutzung durch Bergung in ihm enthaltener, öffentlichkeitswirksamer
„Schatzfunde“ dem Allgemeinwohl am meisten dient.
Dabei ist
gerade bei sinnlich überhaupt nicht wahrnehmbaren und öffentlich völlig
unzugänglichen (möglichen) Denkmalen wie noch in situ im Boden liegenden
archäologischen Bodenfunden und -befunden sehr schwer zu argumentieren, dass das öffentliche Interesse an ihrer
körperlich unveränderten Erhaltung im Boden das an der möglichst raschen und
kostensparenden Bergung der im betreffenden Denkmal vergrabenen Schatzfunde zu
deren touristischen, wirtschaftlichen und identitätsstiftenden und somit
sinnvollen Nutzung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen überwiegt. Und es
ist auch wenigstens nicht leicht zu argumentieren, dass das öffentliche Interesse
an der möglichst kostensparenden Bergung der Schatzfunde nicht das öffentliche
Interesse an der teuren wissenschaftlichen Erforschung irgendwelcher eventuell
vorhandenen, diese Schatzfunde enthaltenden Bodenbefunde überwiegt, die aller
Voraussicht nach den Nutzwert der Schatzfunde nur unmaßgeblich erhöhen wird und
selbst vermutlich nur sehr wenig zusätzlichen Nutzwert generiert.
Schließlich
ist der Denkmalschutz kein Selbstzweck, sondern Denkmale müssen ebenso wie
Denkmalschutzgesetze und der Staat letztendlich – wie alle Sachen, Gesetze und
der Staat – den Menschen dienen, nicht die Menschen irgendwelchen Sachen,
Gesetzen oder dem Staat (Jarass & Pieroth 2016, 41). Es ist daher in der
Regel eben jenes von miteinander in Widerstreit stehenden Interessen das
schwerwiegendste, dessen Verwirklichung den Menschen tatsächlich am meisten
nutzt, weil das das Allgemeinwohl am stärksten fördert. Dass irgendwo unter
einer grünen Wiese irgendwelche archäologischen Funde und Befunde verborgen
sind, von denen man nichts Genaues weiß und die auch niemand wahrnehmen kann,
nutzt der Allgemeinheit nämlich so gut wie überhaupt nicht;[15]
um teures Geld gewonnene Forschungsergebnisse, die nur eine sehr kleine Gruppe
von WissenschafterInnen überhaupt versteht, nur wenig; die billig aus dem Boden
geborgenen und öffentlichkeitswirksam vermarkteten und genutzten Klunker, die
viele Leute gegen Eintrittsgeld bestaunen wollen, hingegen recht viel. Damit
arbeiten die in einem solchen Denkmalschutzgesetz festgesetzten, multiplen
öffentlichen Interessen also eventuell vorwiegend gegen das, was wir
ArchäologInnen für „das“ öffentliche Interesse an Archäologie (oder wenigstens
den archäologischen Denkmalen) halten, nämlich diese möglichst unverändert in
situ zu erhalten.
Umgekehrt
kann es aber auch alles andere als vorteilhaft sein, wenn ein
Denkmalschutzgesetz wie z.B. das österreichische DMSG in seinem § 1 Abs. 1 DMSG letzter Satz, als
einzig spezifiziertes, relevantes öffentliches Interesse an den (archäologischen)
Denkmalen deren unveränderte Erhaltung in Erscheinung und Substanz definiert.
Das bedingt nämlich, dass sich ein öffentliches Interesse an dem, was in der
archäologischen Fachterminologie gewöhnlich als „Erhaltung durch Dokumentation“
bezeichnet wird, d.h. an der Dokumentation der in einem archäologischen Denkmal
gespeicherten Informationen bei seiner Erforschung durch systematische
archäologische Ausgrabung, nicht aus dem Denkmalschutzgesetz ableiten lässt.
Das hat die
ganz bedeutende Folge, dass die Ausgrabung immer als Zerstörung (oder
wenigstens maßgebliche Veränderung) des betroffenen archäologischen Denkmals zu
betrachten ist (siehe explizit so dargestellt in § 11 Abs. 5 letzter Satz DMSG) und daher zwangsweise keine denkmalpflegerische
Maßnahme sein kann, die das öffentliche Interesse an der Erhaltung des
betroffenen Denkmals zu verwirklichen oder auch nur zu fördern gestattet. Es
kann daher streng genommen die Ausgrabung eines archäologischen Denkmals vor
seiner allfälligen Zerstörung durch menschliches Handeln (z.B. Baumaßnahmen)
auch nicht als denkmalpflegerisch sachdienliche Auflage mit Veränderungs- bzw.
Zerstörungsgenehmigungen verbunden werden: eine derartige Auflage ist
schließlich nicht dazu geeignet, den vom Gesetzgeber mit dem DMSG ganz allgemein und dessen spezifischen
Schutzbestimmungen konkret verfolgten Zweck – die in Erscheinung und Substanz
unveränderte Erhaltung des Denkmals – zu verwirklichen oder wenigstens zu
fördern, sondern ist bloß eine (spezielle) von vielen möglichen Arten, wie man
das betroffene Denkmal zerstören bzw. verändern kann.
Damit
verstößt die Erteilung einer derartigen Auflage in Verbindung mit
Denkmalveränderungs- bzw. -zerstörungsbewilligungen (gem. § 5 Abs. 1 DMSG) gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit staatlicher Reaktion (Berka 1999, 156-60) und ist somit
verfassungswidrig: wie der Bürger das betroffene Denkmal verändert bzw.
zerstört bleibt ihm, wenn ihm die Genehmigung dazu erteilt wurde,
notwendigerweise selbst überlassen, denn ein öffentliches Interesse an der
wissenschaftlichen Dokumentation und Erforschung des Denkmals lässt sich aus
den Bestimmungen des DMSG nicht ableiten. „Dem Staat ist es“ jedoch „grundsätzlich
verwehrt die Freiheit seiner Bürger zu beschränken, wenn dadurch öffentliche
Interessen gar nicht gefördert würden“ (Berka 1999, 159). Überwiegt also
das private Interesse des Denkmaleigentümers, sein Denkmal zu verändern bzw.
zerstören zu dürfen, das öffentliche Interesse an der in Erscheinung und
Substanz unveränderten Erhaltung des Denkmals, darf der Staat ihn nicht weiter
bei der Zerstörung des Denkmals behindern oder ihm Vorschriften machen, wie er
bei der Zerstörung des Denkmals vorzugehen und was er dabei zu beachten hat:
daran, wie er das Denkmal zerstört oder verändert, besteht schließlich kein
öffentliches Interesse (wenigstens nicht aufgrund der Bestimmungen des
Denkmalschutzgesetzes). Sachdienlich sind in diesem Fall daher nur solche
denkmalpflegerischen Auflagen, die sicherstellen, dass jene (für sich allein
auch nach der Zerstörung aller anderen denkmalschutzwürdigen) Teile des
betroffenen Denkmals, die nicht durch die genehmigten, von seinem Eigentümer
geplanten, Zerstörungen bzw. Veränderungen des Denkmals betroffen sind, auch
tatsächlich weiterhin in Erscheinung und Substanz unverändert erhalten bleiben.
Nur ein
öffentliches Erhaltungsinteresse in Denkmalschutzgesetze zu schreiben, und
nicht auch ein öffentliches Interesse an ihrer Erforschung und öffentlichen
Zugänglichkeit, kann also ebenso problematisch sein, wie diese multiplen
öffentlichen Interessen in einem Denkmalschutzgesetz festzusetzen. So einfach
wie viele ArchäologInnen und Archäologieinteressierte es glauben, ist die
Bestimmung öffentlicher Interessen an archäologischen Denkmalen, geschweige
denn an „der Archäologie“ schlechthin, eben (leider oder zum Glück?) nicht;
wenigstens nicht, solange man nicht (in demokratischen Verfassungsstaaten in fälschlich
und rechtlich unzulässiger Weise) „das“ öffentliche Interesse an „der
Archäologie“ mit einem autokratischen Willkürentscheidungsrecht (z.B. der
staatlichen Denkmalpflege) über ihr Schicksal gleichsetzt.
Berechtigte Interessen an Archäologie außerhalb der Denkmalschutzgesetze
Sieht wie
im zuletzt geschilderten Fall des österreichischen DMSG ein Denkmalschutzgesetz kein öffentliches
Interesse an der Erhaltung von archäologischen Denkmalen durch
wissenschaftliche Dokumentation ihrer systematischen Ausgrabung vor, muss man,
wenn man diese doch irgendwie erreichen will, zwingend auf andere – ob nun
private oder öffentliche – Interessen ausweichen, die ganz allgemein an
Archäologie bzw. an der im konkreten Einzelfall betroffenen Archäologie
bestehen, gänzlich unabhängig davon, ob diese Archäologie nun als Denkmal im
Sinne der jeweils örtlich relevanten Legaldefinition dieses Begriffs zu
betrachten oder ausgewiesen ist. Dafür ist es enorm vorteilhaft, dass private
Interessen eben gerade nicht notwendigerweise das Gegenteil des öffentlichen
Interesses sind; und es auch nicht nur genau ein, nämlich „das“, öffentliche
Interesse an der Archäologie – nämlich das an der unveränderten Erhaltung ihrer
Substanz – gibt, sondern vielmehr öffentliche Interessen an der Archäologie die
mannigfaltigen Partikularinteressen diverser, jeweils konkret unbestimmter,
Kollektive von Menschen repräsentieren. Denn es geht eben beim Schutz
öffentlicher Interessen in modernen, demokratischen Verfassungsstaaten nicht um
den Schutz eines ganz bestimmten Eigeninteresses des Staates vor den
mannigfaltigen privaten, partikularen Eigeninteressen Einzelner, sondern primär
um den Schutz der mannigfaltigen privaten, partikularen Einzelinteressen aller
seiner Staatsbürger voreinander; ganz im Sinne des (z.B. in Art. 29 Abs. 2 AEMR auch explizit ausgeführten) Gedankens, dass die
dem Einen gewährleisteten Rechte spätestens dort enden, wo ihre
uneingeschränkte Verwirklichung die ebenso gewährleisteten Rechte des Anderen
schädigen würden.
Im zuletzt
diskutierten Fall des im österreichischen DMSG fehlenden öffentlichen Interesses an der
Erhaltung der in Denkmalen gespeicherten historischen Information durch
sachgerechte Dokumentation ihrer wissenschaftlichen Erforschung (z.B.) durch
archäologische Ausgrabungen kann daher auf das bekanntermaßen tatsächlich
bestehende – wie oben schon dargestellt wenigstens vorerst einmal rein private
– Partikularinteresse des unbestimmten Kollektivs der an der Erforschung der
Archäologie mit wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden interessierten
Menschen (darunter insbesondere der archäologischen WissenschafterInnen)
zurückgegriffen werden. Dieses Eigeninteresse ist berechtigt, weil es sich auf
die in Österreich durch Art. 17 StGG, in Deutschland durch Art. 5 Abs. 3 GG, in der Europäischen Union durch Art. 13 Charta der Grundrechte der EU und weltweit in Art. 27 Abs. 1 AEMR bzw. Art. 15 Abs. 1 und 3 ICESCR jeweils vorbehaltlos gewährleistete
Wissenschaftsfreiheit stützen kann. Es erstreckt sich letztendlich auf alle archäologischen
Hinterlassenschaften als Quelle archäologischer wissenschaftlicher Erkenntnis,
nicht nur auf jene davon, die als Denkmale im Sinne der einschlägigen
Legaldefinition einzustufen oder ausgewiesen sind, ist also tatsächlich ein
Interesse an „der Archäologie“ ganz allgemein, ist aber als Partikularinteresse
eines unbestimmten Kollektivs ebenfalls schutzfähig.
Es ist
daher die wissenschaftliche Erforschung archäologischer Hinterlassenschaften
tatsächlich auch ein öffentliches Interesse an der Archäologie, das bei
behördlichen Entscheidungen über sie betreffende, genehmigungspflichte
Verwirklichungen berechtigter Einzelinteressen berücksichtigt werden kann. Die
wesentlichen Unterschiede zur Festsetzung eines öffentlichen Interesses an der
Erforschung archäologischer Denkmale in Denkmalschutzgesetzen sind hier nur,
dass – nachdem es nicht gesetzlich explizit als jedenfalls zu berücksichtigendes
genannt ist – dieses öffentliche Interesse sich nur mittelbar ableiten lässt
und daher nicht unbedingt berücksichtigt werden muss, sondern nur
berücksichtigt werden kann; und dass es – weil es eben nicht ein öffentliches
Denkmalschutzinteresse ist sondern dem Schutz eines Grund- und Menschenrechtes
dient – dem denkmalschützerischen Erhaltungsinteresse eher entgegensteht als
dieses zu stärken. Denn die wissenschaftliche Forschung ist unter dieser
Voraussetzung nicht (wenigstens auch) ein Mittel zur Erhaltung archäologischer
Denkmale bzw. der mit ihnen verbundenen Denkmalwerte (Riegl 1903, 22-65), sondern primär ein Mittel zur
Gewinnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, was eine deutlich andere
Gewichtung bedingt: es geht nicht unbedingt darum, die Denkmalwerte eines
betroffenen Denkmals möglichst in einer Weise zu dokumentieren, dass das
Denkmal dadurch, wenngleich in anderer Form, auch nach der Zerstörung seiner
Erscheinung und Substanz weiterbesteht,[16]
sondern eigentlich nur darum, die wissenschaftlich relevanten Informationen aus
ihm zu extrahieren und zu dokumentieren, auch wenn dadurch (eventuell) viele
seiner Denkmalwerte (außer seinem historischen Erkenntniswert) zerstört werden.
Klarerweise
folgt aus dem bisher Gesagten, dass es nicht nur zahlreiche berechtigte private
und öffentliche Interessen an der Archäologie geben kann, sondern auch
tatsächlich gibt, die in Denkmalschutzgesetzen überhaupt keine Erwähnung
finden. Diese sonstigen, d.h. nicht denkmalschützerischen Interessen umfassen
alle Interessen, die irgendjemand an Sachen haben kann, die wir ArchäologInnen
(oder auch andere Personen) als aus irgendwelchen Gründen „archäologische“
Sachen betrachten. Nicht anders als das soeben erläuterte private und
öffentliche Interesse an der Erforschung der Archäologie müssen diese zwar nicht
unbedingt in allen (wenigstens auch als) archäologische Sachen (betrachtbaren)
betreffenden Fällen berücksichtigt werden, können es jedoch, insbesondere wenn
die konkret anzuwendende Schutzbestimmung den Charakter einer drittschützenden
Norm aufweist, was insbesondere in den archäologisch relevanten
Schutzbestimmungen des österreichischen und aller deutschen
Denkmalschutzgesetze tatsächlich der Fall ist (siehe schon für ein Beispiel
dafür FN 12).
Klarerweise
ist hier insbesondere das Eigentumsrecht zu nennen: der rechtmäßige Eigentümer
an einer „archäologischen“ Sache hat notwendigerweise ein berechtigtes
Interesse an (wenigstens) einem bestimmten Teil „der Archäologie“, nämlich dem
Teil davon, der sein Eigentum ist. Dieses Eigentumsrecht ist zwar in Bezug auf
alle denkmalrechtlich geschützten archäologischen Denkmale eingeschränkt – weil
an diesen ein gesetzlich festgesetztes öffentliches Erhaltungsinteresse
besteht, das daher jedenfalls auch vom Eigentümer einer bestimmten Sache zu
berücksichtigen ist –, aber eben auch nur in Bezug auf diese, nicht in Bezug
auf alle Archäologie.
Nachdem das
Eigentumsrecht unter anderem auch das Recht beinhaltet, sein Eigentum zu
zerstören, bedeutet das, dass es letztendlich auch ein öffentliches Interesse
an der Zerstörung von Archäologie durch jene ihrer Eigentümer gibt, die sie
zerstören wollen. Das mag uns als ArchäologInnen zwar nicht gefallen, weil wir
ein Eigeninteresse daran haben, dass keine Archäologie vor ihrer sachgerechten
wissenschaftlichen Untersuchung durch uns von jemand anderem zerstört wird,
aber das ist in diesem Fall ein privates Interesse von uns, dem ein
öffentliches Interesse am Schutz des Rechts von Eigentümern, ihr Eigentum auch
willkürlich zerstören zu dürfen, entgegensteht.
Gleichermaßen
bedingt das Eigentumsrecht auch, dass der Eigentümer willkürlich jeden
beliebigen Dritten von der Nutzung seines Eigentums ausschließen kann. Deswegen
bedürfen wir auch der Genehmigung des Eigentümers eines archäologischen Objekts
zu dessen wissenschaftlicher Erforschung, ob uns das nun gefällt oder nicht:
das öffentliche Interesse am Schutz des Eigentumsrechts an Archäologie (wie an
jedem anderen Eigentum) überwiegt in der Regel das öffentliche Interesse an
ihrer wissenschaftlichen Erforschung; wenigstens solange nicht der begründete
Verdacht besteht, dass es sich bei einem konkreten archäologischen Objekt um
ein Denkmal handelt und somit ein öffentliches Erhaltungsinteresse dem
wissenschaftlichen Erforschungsinteresse unterstützend zur Seite tritt.
Umgekehrt
kann sich das aus dem privaten Interesse des Eigentümers an der Erhaltung auf
seinem Grundstück vorhandener archäologischer Überreste, das selbstverständlich
im Rahmen seiner Eigentümerwillkür ebenfalls ein berechtigtes Interesse ist,
ableitbare öffentliche Interesse an deren Erhaltung (schließlich kann dieses
Interesse des Grundeigentümers auch ein gleichartiges Interesse einer nicht
konkret bestimmten Allgemeinheit repräsentieren) unterstützend gegen ein
womöglich bestehendes öffentliches Interesse an ihrer Zerstörung (z.B. um einer
geplanten öffentlichen Verkehrsverbindung zu weichen) stellen. Das private
Interesse eines Grundeigentümers an seinem Grundstück und damit mittelbar auch
(wenigstens potentiell) der sich auf diesem befindlichen Archäologie ist also
keineswegs notwendigerweise immer im Konflikt mit dem Interesse der
archäologischen Fachwelt und Denkmalpflege an der unveränderten Belassung (oder
gar Erhaltung) archäologischer Hinterlassenschaften in situ, sondern kann
diesem auch unterstützend zur Seite treten.
Aber es
gibt auch noch zahlreiche weitere derartige Interessen, wie z.B. die Erwerbs-
bzw. Berufsfreiheit (z.B. Art. 6 StGG; Art. 12 Abs. 1 GG), die Religionsfreiheit (Art. 14-16 StGG; Art. 4 Abs. 1-2 GG), das Menschenrecht auf Teilhabe am
kulturellen Leben der Gemeinschaft (Art. 15 Abs. 1 lit. a ICESCR), etc., die ebenfalls jeweils auch öffentliche
Interessen an Archäologie begründen können. Aus der Erwerbsfreiheit lässt sich
z.B. ein öffentliches Interesse an der Freiheit zur erwerbsmäßigen Suche nach
wirtschaftlich wertvollen (nicht denkmalgeschützten) archäologischen
Bodenfunden (vulgo: „Schatzsuche“) ableiten: nachdem Finder wenigstens ein
Hälfteeigentum an allen legal aufgesuchten, nicht der einschlägigen
denkmalrechtlichen Legaldefinition für unter ein allfällig bestehendes,
staatliches „Schatzregal“ fallenden archäologischen Bodenfunde erwerben und
diesen ein (wie auch immer geringer) wirtschaftlicher Wert zukommt, handelt es
sich bei der „Schatzsuche“ um eine Tätigkeit, „die in ideeller wie materieller Hinsicht die Schaffung und Erhaltung
einer Lebensgrundlage“ (Jarass & Pieroth 2016, 346) ermöglicht und
daher in den Schutzbereich der Erwerbs- (Berka 1999, 419) bzw. Berufsfreiheit
(Jarass & Pieroth 2016, 346) fällt. Daher ist in Österreich ja auch
tatsächlich die auf wirtschaftlichen Erwerb ausgerichtete Schatzsuche als
freies Gewerbe explizit zugelassen (BMWFW 2015, 19). Neuerlich gilt auch hier:
dass uns ArchäologInnen das nicht gefällt, tut dabei nichts zur Sache, denn
unsere Interessen an Archäologie sind eben nicht das gleiche wie „das“
öffentliche Interesse an der Archäologie und auch nicht die einzigen
öffentlichen Interessen an Archäologie.
Die
Religionsfreiheit wiederum kann ein öffentliches Interesse an der für die
Religionsausübung erforderlichen Nutzung von Archäologie begründen: ist z.B.
die Deponierung von Opfergaben durch ihr Vergraben auf Kultplätzen Teil des
religiösen Ritus einer neuheidnischen Gruppe, die bestimmte Arten
archäologischer Fundstellen als Kultplätze nutzt, dann besteht ein öffentliches
Interesse daran, dass Angehörige dieser Gruppe auch tatsächlich an ihren
Kultorten als Teil ihrer dort abgehaltenen religiösen Riten Löcher in die dort
vorhandenen archäologischen Befunde graben können, um in diesen Opfergaben zu
deponieren – auch wenn das die dort vorhandenen Befunde kaputt macht und uns
nicht gefällt. Denn auch wenn uns auch das nicht gefällt: der Schutz unserer
Wissenschaftsfreiheit und unserer damit verbundenen Eigeninteressen endet eben
auch am Schutz der Religionsfreiheit anderer, selbst wenn wir vielleicht als
Wissenschafter generell religiösem Denken und noch viel mehr religiös
begründeten (Vor-)Rechten ablehnend gegenüberstehen.
Schließlich
gibt es neben diesen letztendlich aus Individualgrundrechten begründeten
Interessen auch noch zahlreiche originär öffentliche Interessen an Archäologie,
wie z.B. ein öffentliches Interesse an der Zerstörung von Archäologie, deren in
ihrer Substanz und Erscheinung unveränderte Erhaltung z.B. der schon genannten
Entwicklung öffentlicher Verkehrsverbindungen entgegensteht. Denn zur Förderung
des Allgemeinwohls, nicht zuletzt der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes
(ob diese nun im Sinne von Brundtland et al. 1987 nachhaltig oder im Sinne einer
neoliberalen Politik auf uneingeschränktes und daher nicht nachhaltiges
Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist), und der Erfüllung seiner Verpflichtungen
gegenüber allen seinen StaatsbürgerInnen muss der Staat wenigstens ein
Mindestmaß an öffentlichen Verkehrsverbindungen schaffen, und zwar im Sinne der
größtmöglichen Effizienz staatlichen Handelns auch möglichst kostengünstig. Der
Staat könnte daher zwar rein hypothetisch alle seine öffentlichen
Verkehrsverbindungen so planen und bauen, dass sie ohne Ausnahme alle archäologischen
Fundstellen unverändert belassen und sich stattdessen zwischen diesen hindurch
oder um diese herumschlängeln, wenn dies jedoch weder wirtschaftlich
verhältnismäßig ist, weil das die Planungs- und Baukosten signifikant erhöhen
würde, noch zweckdienlich ist, weil durch die dafür eingebaut werdenden Kurven
und Schikanen der Verkehr so verlangsamt würde, dass Fahrzeiten und Staugefahr
signifikant steigen würden, überwiegt eben das öffentliche Interesse an der
Entfernung der Archäologie zur Vermeidung dieser Zusatzbelastungen das an ihrer
unveränderten Erhaltung in situ jedenfalls.
Gleichermaßen
mag es zur Sicherstellung einer effizienten militärischen Landesverteidigung
erforderlich sein, (angehende) SoldatInnen im Einsatz schwerer Waffen zu
trainieren und diese daher auch zu Übungszwecken mit scharfer Munition
abzufeuern, auch wenn das potentiell zur Zerstörung oder wenigstens
maßgeblichen Veränderung archäologischer Hinterlassenschaften – und sei es nur
den materiellen Spuren der vorherigen Schießübung, die ebenfalls als
archäologische Hinterlassenschaften betrachtet werden können, wenn man das will
– führen würde. Ein öffentliches Interesse an der Archäologie ist also auch,
ihre (mögliche) Existenz an einem bestimmten Ort einfach missachten bzw. ignorieren
zu können und ihre mögliche Zerstörung billigend in Kauf zu nehmen, wenn das
der Förderung eines anderen, im konkreten Einzelfall für wichtiger erachtetem
öffentlichen Interesse wie dem an der Vorbereitung zu einer kompetenten
militärischen Landesverteidigung oder auch z.B. dem (vorbeugenden oder
reaktiven) Katastrophenschutz dient.
Schlussfolgerungen
Alle diese
privaten und öffentlichen Interessen an Archäologie – und es gibt natürlich
noch viele mehr, die ich hier gar nicht genannt habe – stehen letztendlich in
komplexen Beziehungen miteinander. In welcher konkreten Beziehung sie
zueinander stehen, hängt dabei jeweils von den konkreten Umständen des
jeweiligen Einzelfalls ab und ist nicht vorab generell bestimmt, sondern
vielmehr in jedem konkreten Einzelfall erst einmal zu ermitteln bzw. bestimmen.
Ebenfalls in jedem konkreten Einzelfall ist jedes einzelne der miteinander in
Beziehung stehenden, relevanten Interessen jeweils für sich und in seinem
Zusammenspiel mit allen anderen zu bewerten bzw. zu gewichten. Erst aus dieser
Bewertung bzw. Gewichtung ergibt sich dann, was in dem betreffenden, konkreten
Einzelfall „das Beste“ für „die Allgemeinheit“, d.h. in diesem konkreten
Einzelfall dann „das“ – nun tatsächlich bestimmte – öffentliche Interesse an der
(betroffenen) Archäologie ist.
Ein a
priori bestimmtes, feststehendes und stets alle anderen eventuell relevant sein
könnenden überwiegendes „allerhöchstes“ öffentliches Interesse an der Erhaltung
(und erforderlichenfalls auch der Erforschung und gegebenenfalls
wünschenswerten öffentlichen Zugänglichkeit und Nutzung) „der Archäologie“ –
wie es viele ArchäologInnen und archäologieinteressierte Dritte gerne hätten –
gibt es hingegen nicht; nicht einmal bezüglich solcher archäologischer
Hinterlassenschaften, die tatsächlich – sei es weil sie der örtlich relevanten
Legaldefinition des Denkmalbegriffs entsprechen oder in einem dafür
vorgesehenen Verwaltungsverfahren als solche designiert wurden – im rechtlichen
Sinn als (geschützte) archäologische Denkmale zu betrachten und behandeln sind;
und schon gar nicht bezüglich solcher, die – weil sie eben die gesetzlichen
Voraussetzungen für den gesetzlichen Schutz als Denkmale nicht erfüllen – das
nicht sind. Vielmehr ist das Interesse
an der Erhaltung, Erforschung und (eventuell auch) öffentlichen Zugänglichkeit
und Nutzung „der Archäologie“ ein – wenigstens vorerst – „rein“ privates
Eigeninteresse von ArchäologInnen und archäologieinteressierten Dritten.
Nur wenn
dieses an sich vorerst einmal private Eigeninteresse – in diesem Fall aber
nicht anders als jedes andere private Interesse auch – mittelbar über den Umweg
als Kollektivinteresse eines konkret unbestimmten Personenkreises – im unserem
Fall das des Kollektivs der archäologischen WissenschafterInnen und an der
wissenschaftlichen Erforschung archäologischer Hinterlassenschaften und
Veröffentlichung der daraus gewonnenen Erkenntnisse interessierten Dritten –
oder durch gesetzliche Festsetzung in Denkmalschutzgesetzen für ein
unbestimmtes Kollektiv (eine „Allgemeinheit“) bedeutend wird, dann erhebt es
sich über das Niveau des rein privaten Interesses und wird (auch in diesem Fall
aber nur) ein öffentliches Interesse.
Auch als solches erhebt es sich aber nicht automatisch über alle anderen
möglicherweise oder tatsächlich an Archäologie oder auch nur archäologischen
Denkmalen bestehenden privaten und öffentlichen Interessen, sondern gewinnt
bloß in der eventuell, aber keinesfalls immer unbedingt notwendigen Abwägung
dieser verschiedenen, an sich a priori jeweils gleichberechtigt
nebeneinanderstehenden, Interessen höheres Gewicht: es repräsentiert dann
schließlich nicht nur mehr das Interesse des Einzelnen, sei es die konkrete
WissenschafterIn oder der konkrete archäologieinteressierte Dritte, sondern die
Summe der (wenigstens ungefähr gleichartigen) Interessen einer unbestimmten
(und daher auch zahlenmäßig nicht darstellbaren, aber jedenfalls mehr als ein
Individuum und zumeist auch mehr als eine konkret bestimmte Gruppe von
Individuen repräsentierenden) „Allgemeinheit“; und das Wohl der Vielen wiegt
nun einmal oft, wenn auch keineswegs immer, schwerer als das Wohl der Wenigen
oder des Einzelnen.[17]
Dass viele
ArchäologInnen, archäologische DenkmalpflegerInnen und archäologieinteressierte
Dritte gerne hätten und vielleicht auch ehrlich glauben, dass das anders ist,
tut dabei letztendlich nichts zur Sache; bzw. nur insofern etwas zur Sache,
wenn sie entgegen der tatsächlich bestehenden Verpflichtung zur gerecht
wertenden Abwägung zwischen diesen verschiedenen Interessen zum Wohle „aller“
in ihren öffentlichen Äußerungen fälschlich ihre privaten Eigeninteressen mit
„dem“ (in demokratischen Verfassungsstaaten gar nicht existierenden)
„allerhöchsten“ öffentlichen Interesse gleichsetzen oder sogar durch ihr
Handeln ebenso fälschlich in den Rang „des“ „allerhöchsten“ öffentlichen
Interesses zu erheben versuchen. Denn erheben sie ihr Eigeninteresse – ob nun
bloß diskursiv oder, noch schlimmer, durch ihr Handeln oder gar ihren Gebrauch
der ihnen vom Staat verliehenen Gewaltbefugnis – in den Rang „des“ angeblich
allgemeinverbindlich „allerhöchsten“ öffentlichen Interesses, bringen sie nicht
nur ein vordemokratisches Rechts- und Gesellschaftsverständnis (sinngemäß z.B.
Häberle 2006, 17) zum Ausdruck, sondern handeln allgemeinwohl-, demokratie- und
menschenrechtsschädlich (siehe dazu die Stoßrichtung der jüngst von der European Association of Archaeologists
verabschiedeten Berner Erklärung, EAA 2019); ja missbrauchen in Extremfällen sogar die
ihnen von Staat übertragene Gewaltbefugnis zu ihrem eigenen Vorteil (direkt
entgegen Art. 12 der Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen de 1789, die letztendlich die Grundlage des
demokratischen Verfassungsstaatsgedankens ist).
Und auch
wenn die Ursachen dafür – auf die ich in einem folgenden Beitrag einzugehen
beabsichtige – gerade für Menschen, die sich genauer mit den Funktionen von
kulturellem Erbe in unserer Gesellschaft beschäftigt haben, durchaus
verständlich sein mögen: sowohl ein solches vordemokratisches Rechts- und
Gesellschaftsverständnis als auch allgemeinwohl-, demokratie- und
menschenrechtsschädigendes Verhalten ist radikal abzulehnen; um vom Missbrauch
der Staatsgewalt erst gar nicht zu reden. So schmerzhaft das sein mag: wir
müssen als ArchäologInnen und/oder Archäologieinteressierte akzeptieren, dass
unsere Eigeninteressen nicht das gleiche wie „das“ öffentliche Interesse an
„der Archäologie“ und wir nicht der zur willkürlichen Festsetzung des
„Allgemeinwohls“ berechtigte Kaiser (oder auch nur der zur Willkürherrschaft
über seine Sachen berechtigte Eigentümer „der Archäologie“) sind; sondern nicht
mehr, aber natürlich auch nicht weniger, als jeder andere gleichberechtigte
Bürger in einem demokratischen Verfassungsstaat.
Bibliografie
Bazil, C.,
Binder-Krieglstein, R., Kraft, N. 2015. Das österreichische
Denkmalschutzrecht. Denkmalschutzgesetz & Kulturgüterschutzrecht,
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[1] Dabei bleibt oft unklar, ob
mit dem Begriff „Privatperson“ nur natürliche Personen oder auch juristische
Personen privaten Rechts (Unternehmen, Vereine, etc.) gemeint sind und, falls
nur natürliche Personen mit diesem Begriff gemeint sind, warum im Kontext des
Schutzes von Archäologie vor „privaten“ Interessen eine Unterscheidung zwischen
den Eigeninteressen natürlicher und juristischer Personen privaten Rechts
vorgenommen wird. Ebenfalls unklar bleibt in diesen Fällen die Abgrenzung
zwischen deren Interessen und denen solcher juristischer Personen öffentlichen
Rechts, denen andere als archäologische bzw. denkmalpflegerische Aufgaben
zukommen.
[2] Die sich insbesondere in
diesem Kontext oft als „verlängerter Arm“ der staatlichen Denkmalpflege
versteht (und von letzterer auch als solcher behandelt wird) und sich damit als
quasi-staatliche Einrichtung bzw. als Vertreterin des staatlichen Interesses
(das diskursiv implizit oder explizit im Sinne eines vordemokratischen bzw.
monarchischen Staatsverständnisses mit „dem öffentlichen Interesse“ als
Emanation einer höchsten staatlichen Gewalt gleichgesetzt wird; Häberle 2006,
17; cf. Karl 2016) geriert, obwohl sie das überhaupt
nicht ist. Gerade in dieser Selbstsicht und -darstellung der archäologischen
Fachwelt als (selbsternannter) Vertreter „des“ öffentlichen Interesses an der
Archäologie drückt sich das fundamentale Versagen der archäologischen Fachwelt,
korrekt zwischen ihren „privaten“ Eigeninteressen und tatsächlichen „öffentlichen“
Interessen zu unterscheiden, aus. Die archäologische Fachwelt (miss)versteht
sich selbst in diesem Zusammenhang als absolut höchste Instanz innerhalb der
Gesellschaft, eben als vordemokratische „Obrigkeit“ (Karl 2016).
[3] In der Benutzung solcher –
tatsächlich inhaltlich vollkommen diffus bleibender – Begriffe, die mittels des
rhetorischen Tricks der Voranstellung eines bestimmten Artikels wie etwas
Konkretes und klar Definiertes erscheinen gelassen werden, hat die
Denkmalpflege ja Form. Wie schon Laurajane Smith (2006, 29) gezeigt hat,
benutzen wir die ebenso diffusen Begriffe „die Vergangenheit“ und „die Zukunft“
(bzw. „zukünftige Generationen“) im autorisierten Denkmalpflegediskurs zu genau
demselben Zweck: um uns selbst im Kontext archäologischer Diskurse und
Entscheidungen zu den einzig legitimen Vertretern „der Vergangenheit“, „der
Zukunft“ und – im hier besprochenen Fall – „der Allgemeinheit“ zu machen und
somit alle beliebigen Dritten mundtot machen und vom Diskurs ausschließen zu
können.
[4] Dies entspricht genau der
Konzeption des vordemokratischen, obrigkeitsstaatlichen öffentlichen
Interesses, das eine „von oben“ herab festgesetzte Emanation des Willens des
Monarchen bzw. sonstigen autokratischen Herrschers war. Diese „allerhöchste“
Willensäußerung fehlt jedoch gerade im modernen demokratischen
Verfassungsstaat, in dem sich der „Staatswille“ „von unten“ aus dem
demokratischen Prozess ergibt (Karl 2016, 2; cf. Häberle 2006, 17), d.h.
letztendlich aus dem gegebenenfalls zum Schutz der Freiheit des Einzelnen (und
eventuell auch zum Minderheitenschutz) verfassungsgesetzlich bis zu einem
gewinnen Grad eingeschränkten Mehrheitswillen der Wahlberechtigten. Das bedingt
einen ganz essentiellen Unterschied: ist die „allerhöchste“ Willensäußerung des
Monarchen bzw. Autokraten jederzeit und vor allem vollkommen willkürlich
veränderlich, kann also in jedem konkreten Einzelfall grundlos vollkommen
anders ausfallen als in jedem (auch völlig gleichartigen) anderen, ist im
demokratischen Verfassungsstaat due
process zu beachten (Häberle 2006, 17) und dürfen Einzelfälle daher nur
dann unterschiedlich entschieden werden, wenn das (ausreichend sachlich) durch
(entscheidungswesentliche) Unterschiede in den Umständen der verschiedenen
Einzelfälle begründet werden kann (z.B. Berka 1999, 503-5).
[5] Der Begriff „die Archäologie“
meint hier alle Sachteile, Sachen oder Sachgesamtheiten sowie alle zwischen
diesen bestehenden Zusammenhänge (ihre „Kontexte“) und sonstigen Spuren oder
Hinweise, aus denen „man“ (= irgendeine unbestimmte Person oder Personengruppe)
jetzt oder in „der Zukunft“ (= alles, was nach dem gegenwärtigen Zeitpunkt
geschehen könnte) mit archäologischen Forschungsmethoden wissenschaftliche
Erkenntnisse über „die Vergangenheit“ (= alles, was vor dem gegenwärtigen
Zeitpunkt geschehen ist) gewinnen kann oder auch nur rein hypothetisch gesprochen
gewinnen könnte.
[6] Der Begriff „die
archäologische Wissenschaft“ meint dabei die konkret bestimmbare und auch
tatsächlich einigermaßen scharf abgegrenzte (d.h. einigermaßen eindeutig
konkret bestimmte) Gruppe von Personen, die mit (intersubjektiv als ebensolche
anerkannten) archäologischen Forschungsmethoden wissenschaftliche Erkenntnisse
über „die Vergangenheit“ (im in FN 3 definierten Sinn) gewinnen
(wollen); d.h. heutzutage in erster Linie auch tatsächlich aktiv archäologisch
tätig seiende, hinreichend fachlich kompetente AbsolventInnen einschlägiger
archäologischer Universitätsstudien sowie sekundär ebenfalls aktiv
archäologisch tätig seiende, ebenfalls hinreichend fachlich kompetente (und
daher wenigstens zumeist auch von graduierten ArchäologInnen als archäologische
WissenschafterInnen anerkannte) AutodidaktInnen (z.B. manche
HeimatforscherInnen und PrivatsammlerInnen) bzw. „Privatgelehrte“ (im Sinne von Davydov in Viebrock 2018, 286; cf.
VG Wiesbaden 3.5.2000, 7E/818/00(V), 9).
[7] Und zwar unabhängig davon, ob
man unter „der“ in diesem Kontext relevanten „Allgemeinheit“ nun alle Einwohner
einer bestimmten Region (wie z.B. die Einwohner eines bestimmten Bundeslandes,
Staates, der Europäischen Union, Europas, etc.), einer bestimmten ethnischen
bzw. nationalen Zugehörigkeit (z.B. alle „Deutschen“ bzw. „ÖsterreicherInnen“,
deutschen bzw. österreichischen StaatsbürgerInnen, BürgerInnen der Europäischen
Union etc.) oder „alle Menschen“ verstehen will.
[8] Dass hier einzig die
subjektive Sicht „der Allgemeinheit“ ausschlaggebend ist, liegt daran, dass
sich, nicht nur aber auch gerade im Bereich der Archäologie, nicht objektiv
beurteilen lässt, was für „die Allgemeinheit“ mehr Vor- als Nachteile hat. Das
liegt daran, dass, was objektiv mehr Vor- als Nachteile hat, überhaupt nur dann
bestimmbar wäre, wenn es einen absoluten und jedenfalls gänzlich
unveränderlichen Wertemaßstab gäbe, den man zur objektiven Messung der
Auswirkungen bestimmter Handlungen auf „das Allgemeinwohl“ verwenden kann. Gäbe
es einen solchen Maßstab, ließe sich (eventuell) feststellen, ob z.B. eine
Vergrößerung des öffentlich verfügbaren „wahren“ (bzw. wenigstens argumentativ
begründeten und daher verlässlicheren) Wissens über Archäologie (bzw. die
Vergangenheit), wie sie (wenigstens in einer Idealvorstellung der Funktion von
Wissenschaft) aus der Gewinnung und Veröffentlichung archäologischer
Forschungsergebnisse resultiert, die messbare Größe des „Allgemeinwohls“
jedenfalls immer erhöht; d.h. aus der archäologischen Forschung generell
objektiv mehr Vor- als Nachteile entstehen. Ein absoluter Wertemaßstab fehlt
jedoch ebenso wie die Möglichkeit, die absolute Größe der Menge des
„Allgemeinwohls“ überhaupt zu bestimmen. Was ein beliebiger Einzelner bzw. ein
beliebiges Kollektiv von Individuen als vorteilhaft für sich betrachtet, und
was es als Nachteil erachtet, und wie es die verschiedenen Vor- und Nachteile
gewichtet, ist generell von den subjektiven Vorlieben des Einzelnen bzw. von
den zwischen den ein beliebiges Kollektiv ausmachenden Individuen sozial
ausgehandelten kollektiven Wertzuweisungen abhängig und somit notwendigerweise
subjektiv.
[9] Ein solches öffentliches
Interesse an der Verhinderung der Erforschung und Veröffentlichung
archäologischer Erkenntnisse kann z.B. gerade dann bestehen, wenn die zu
erwartenden bzw. bei der Erforschung bestimmter Archäologie sicher gewonnen
werdenden Erkenntnisse mit einer die Gesellschaft generell prägenden Ideologie
in Konflikt stehen würden bzw. diese „widerlegen“ könnten bzw. würden. Ein
solcher Konflikt zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und einer dieser
entgegenstehenden gesellschaftsprägenden Ideologie zeigt sich – wenn auch nicht
unbedingt direkt in einem archäologischen Forschungskontext – z.B. sehr
deutlich im amerikanischen Bible Belt
und dem (nicht nur dort) schwelenden Streit um die Evolutionslehre und der
dieser – vor allem im öffentlichen Schulunterricht – im Vergleich zum
letztendlich auf religiösen ideologischen Vorstellungen beruhenden
Schöpfungsmythen (klassischer Kreationismus, aber auch Intelligent
Design-„Theorien“) eingeräumten Stellung. Es lässt sich hier sogar
argumentieren, dass nicht nur ein öffentliches Interesse an der Verhinderung
der Gewinnung und Veröffentlichung die biblische Schöpfungsgeschichte
widerlegender archäologischer und paläontologischer Erkenntnisse zum Schutz der
religiösen Gefühle von Kreationisten besteht, sondern das sogar im Interesse
der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist, weil schon die Veröffentlichung
der Forschungsergebnisse zu gewaltsamen Konflikten zwischen AnhängerInnen der
unterschiedlichen ideologischen Positionen führen könnte.
[10] Wobei gesetzlich festgesetzt
sein kann, welche berechtigten partikularen und kollektiven Interessen in einem
bestimmten Verwaltungsverfahren als
ausschließlich verfahrensrelevant zu betrachten und daher auch
ausschließlich zu berücksichtigen sind, oder aber der Gesetzgeber nur
bestimmte, im anzuwendenden Gesetz ausdrücklich genannte Interessen als
jedenfalls zu berücksichtigende Interessen festsetzen und der
verfahrensführenden Behörde selbst überlassen kann zu beurteilen, ob und
gegebenenfalls welche sonstigen berechtigten Interessen in jedem konkreten
Einzelfall betroffen sind oder wenigstens sein könnten und daher berücksichtigt
werden müssen. Im zuletzt genannten Fall obliegt es dann gegebenenfalls dem
Einzelnen, der glaubt, dass seine subjektiven, berechtigten Interessen infolge
ihrer ermessensfehlerbehafteten Nichtberücksichtigung durch die Behörde
verletzt wurden, diesen selbst im Wege der gerichtlichen Nachkontrolle Gehör zu
verschaffen zu versuchen und sie gegebenenfalls auch durchzusetzen.
[11] Wenigstens solange es sich
bei der konkreten Rechtsnorm, die anzuwenden ist, nicht um eine (ausschließlich) objektiv-rechtliche
(d.h. ausschließlich dem Schutz eines gesetzlich festgelegten öffentlichen
Interesses dienende), sondern eine (auch) drittschützende
Norm handelt.
[12] D.h. einwenden, dass ein ganz
bestimmtes öffentliches Interesse, eben das an der unveränderten Erhaltung von
Archäologie, in Denkmalschutzgesetzen festgesetzt ist und Denkmalschutzgesetze
in ihrer Gesamtheit eine objektiv-rechtliche Norm darstellen, d.h.
ausschließlich dem Schutz des (dieses) öffentlichen Interesses dienen (z.B. BVerfG
17.12.1969, 2 BvR 23/65). Dass das so nicht der Fall sein kann, zeigt sich aber
schon allein daran, dass bezüglich relevanter Handlungen wie der geplanten
Veränderung oder Zerstörung eines Denkmals in den einschlägigen
denkmalschutzgesetzlichen Genehmigungsbestimmungen explizit eine behördliche
Abwägung zwischen dem jedenfalls zu berücksichtigenden öffentlichen Interesse
an der Erhaltung von (archäologischen) Denkmalen und allenfalls bestehenden
privaten und anderen öffentlichen Interessen verlangt wird (so z.B. in § 5 Abs.
1 DMSG; cf. Bazil et al. 2015, 47-9 insb. RN 8), d.h.
die betreffenden Rechtsnormen offensichtlich drittschützenden Charakter haben.
[13] Eine nominalistische
Begriffsdefinition ist ebenfalls eine „wenn x, dann y“-Kausalbeziehung, die dem
Zweck dient, einen längeren Definitionssatz auf einen kurzen Begriff zu
reduzieren, damit man in weiterer Folge nicht jedes Mal, wenn man über die
nominalistisch definierte Sache sprechen will, den langen Satz sondern
stattdessen den kürzeren Begriff schreiben kann. Eine nominalistische
Begriffsdefinition sagt im Prinzip: „Wenn
eine Sache die Eigenschaften x, y, z aufweist, dann nenne ich sie X“. Im konkreten Fall des ersten Satzes des DMSG ist die dort verwendete nominalistische
Definition die folgende: Wenn ein
Gegenstand die Eigenschaften x = beweglich oder unbeweglich, y = von Menschen
(gestaltend) geschaffen und z = von geschichtlicher (etc.) Bedeutung aufweist, dann nennt ihn dieses Gesetz „Denkmal“.
[14] Diese für die heutige
umgangssprachliche Verwendung des Denkmalbegriffs gewohnte Menschen verwirrende
Begriffsdefinition im DMSG ist darauf zurückzuführen, dass dieses Gesetz
in seinem Kern auf einen in seiner Zeit als Generalkonservator der kk Central-Commission für die Erhaltung und
Erforschung der Kunst- und historischen Denkmale verfassten Entwurf von
Alois Riegl zurückgeht, der etwa zur gleichen Zeit seine Denkmalwerttheorie (Riegl 1903) entwickelt und veröffentlicht und daher den
Denkmalbegriff in dem in dieser grundlegenden theoretischen Arbeit dargelegten
Sinn auch in seinem nahezu gleichzeitig verfassten Gesetzesentwurf verwendet
hat. Riegl unterscheidet in seinem wegweisenden theoretischen Werk „Der moderne Denkmalkultus“ grundlegend
zwischen dem, was er „gewollte“ (Riegl 1903, 1) und dem, was er „ungewollte“ (Riegl 1903, 6-7) Denkmale nennt, um dem
umgangssprachlichen Gebrauch des Denkmalbegriffs zu seiner Zeit zu genügen.
„Gewollte“ Denkmale sind im Sinne Riegls und des um 1900 bestehenden
umgangssprachlichen Gebrauchs des Denkmalbegriffs „ein Werk von Menschenhand, errichtet zu dem bestimmten Zwecke, um
einzelne menschliche Taten oder Geschicke (oder Komplexe mehrerer solcher) im
Bewusstsein nachlebender Generationen stets gegenwärtig und lebendig zu
erhalten“ (Riegl 1903, 1), d.h. ein intentionell zum Wachhalten des
Gedenkens an eine Person oder ein Ereignis geschaffenes Erinnerungsmal. Auch
wenn Riegl dabei unzweifelhaft vorwiegend an Grabsteine, Statuen, Büsten,
Gemälde, oder auch Bauwerke wie römische Triumphbögen, die bestimmte
Einzelpersonen oder Ereignisse verewigen sollen gedacht haben wird, sind heute
die von Vielen auf deren jeweiligen Facebook-, Twitter- oder sonstigen Sozialen
Medien-Seiten geteilten Selfies „gewollte“ Denkmale in Riegls Sinn, und war
auch schon zu Zeiten Riegls das von einem beliebigen Individuum oder dessen
Verwandten, Freunden oder Bewunderern in Auftrag gegebene Portrait, die
ebensolche Büste, oder auch der Grabstein eines beliebigen Verstorbenen, ein
„gewolltes“ Denkmal. Selbstverständlich hat schon Riegl bei der Verfassung
seines Textes selbst vollkommen korrekt erkannt gehabt, dass nicht jedem
solchen „gewollten“ Denkmal unbedingt eine (und schon gar nicht eine besondere)
geschichtliche oder künstlerische Bedeutung zukommt; d.h. keineswegs jedes
„gewollte“ Denkmal auch tatsächlich im Bewusstsein nachlebender Generationen
ein derart bedeutendes „historisches“ oder „Kunstdenkmal“ ist, dass es im
Interesse der Allgemeinheit erhalten werden sollte. Vielmehr erscheinen
wenigstens manche, wenn nicht sogar sehr viele, „gewollte“ Denkmale der
Nachwelt vollkommen belanglos und unbedeutend und brauchen daher auch nicht im
Interesse der Allgemeinheit erhalten werden. Übersetzt in die Terminologie des DMSG bedeutet das, dass derartige „alltägliche“
Erinnerungsmale zwar, weil als solche gewollt, durchaus (Ge-)„Denkmale“, aber
eben derart minderbedeutende sind, dass an ihrer Erhaltung kein öffentliches,
sondern bestenfalls privates Interesse (wie z.B. das von Nachfahren zum
Andenken an einen verstorbenen Vorfahren) besteht. Daher hat Riegl im
Gesetztestext die Kausalbeziehung „(nur) wenn
an der Erhaltung eines (gewollten oder ungewollten) Denkmals ein öffentliches
Interesse besteht, dann sind auf es
die Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes anwendbar“ eingebaut; und nicht die
Kausalbeziehung „(immer) wenn etwas
ein Denkmal ist, dann ist seine
Erhaltung im öffentlichen Interesse“.
[15] Bzw. bestenfalls etwas unter
der hypothetischen Voraussetzung, dass diese in situ solange (weitgehend
unverändert) erhalten bleiben, bis sie irgendwann einmal in der Zukunft bei
sachgemäß durchgeführten wissenschaftlichen Ausgrabungen entdeckt, dokumentiert
und geborgen und in weiterer Folge tatsächlich der Öffentlichkeit im Wege der
Publikation der Forschungsergebnisse und/oder Ausstellung der geborgenen
beweglichen Kleinfunde zur Verfügung gestellt und damit für eine zukünftige
Öffentlichkeit nützlich werden. Daraus folgt jedoch notwendigerweise, dass die
gegenwärtige Öffentlichkeit – deren Rechte an der für sie vorteilhaften Nutzung
der konkret betroffenen archäologischen Hinterlassenschaften wenigstens ebenso
groß sind wie die jeder beliebigen zukünftigen Öffentlichkeit – aus der
unveränderten Belassung bzw. Erhaltung der betroffenen Hinterlassenschaften im
Boden gerade keinen Nutzen aus ihnen ziehen kann, d.h. dass ihre gegenwärtig
tatsächlich bestehenden, berechtigten Interessen zugunsten hypothetisch
potentiell zukünftig entstehender berechtigter Interessen zukünftiger Menschen
hintangestellt werden, was den gegenwärtig berechtigten Menschen klar zum
Nachteil gereicht. Eine solche Begünstigung zukünftiger zulasten gegenwärtiger
Menschen ist zwar im Sinne einer Generationengerechtigkeit bzw. nachhaltiger
Entwicklung (UN 2019) bis zu einem gewissen Grad rechtfertigbar,
aber (im Sinne von Brundtland et al. 1987) nur insoweit, als dies zum Schutz
(grundlegender) Bedürfnisse zukünftiger Generationen tatsächlich erforderlich
ist und dadurch nicht die Befriedigung der Bedürfnisse gegenwärtig lebender
Menschen (unverhältnismäßig) negiert wird.
[16] Wie das z.B. das österreichische
Bundesdenkmalamt in den beiden einleitenden Absätzen der 5. Fassung seiner Richtlinien für archäologische Maßnahmen
postuliert (BDA 2018, 2).
[17] Und zwar nicht nur auf dem
Planeten Vulkan.
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