Einleitung
Abbildung
1: Der Marktplatz in Kiel mit einer Frontansicht
der sog. Persianischen Häuser und dem gotischen Rathaus am rechten Bildrand (Aufnahme um 1870). |
Der Alte Markt im neuen Gewand
Dieser Neugestaltung des Marktplatzes waren zwei
Wettbewerbe vorausgegangen. Diese hatten zwar aus verschiedenen Gründen zu
keinen umsetzbaren Ergebnissen geführt, jedoch konnten mit dem Abschluss des
letzten Wettbewerbsverfahren im Jahr 1964 feste Kriterien für eine zukünftige
Bebauung des Alten Marktes formuliert werden. Zu den wichtigsten Punkten
gehörten hierbei, dass eine neue Bebauung die historische Gliederung des
Platzes durch die Persianischen Häuser
und das gotische Rathaus aufnimmt,
wobei explizit auf die rechteckige Grundstruktur dieser Vorgängerbauten
verwiesen wurde. Zusätzlich sollte eine zukünftigen Überplanung auch die
gewachsene Parzellenstruktur sowie alten Gebäudehöhen zu berücksichtigen
(Hansen & Schulze 2008, 26).
Abbildung
2: Der Alte Markt in Kiel um 1900. Blick auf die Persianischen Häuser. Hier wurde bereits ein Durchbruch zur Nikolaikirche geschaffen. |
Die Grenze zwischen Befürwortern und Gegnern
des Vorhabens verliefen dabei recht unübersichtlich. Auf der Seite der
Befürworter standen neben der Stadt Kiel und dem Bauträger auch der Bund
Deutscher Architekten (BDA). Auf der Gegenseite formulierten vor allem die
Architekturkammer Schleswig-Holstein und das Landesamt für Denkmalpflege in
Person des Landeskonservators Hartmut Beseler schwerwiegende Bedenken gegen das
Vorhaben.
Die fachliche Kritik bezog sich dabei zum einen
auf die offensichtlichen Abweichung des Neveling´schen Entwurfes von den
Empfehlungen der Wettbewerbskommission des Jahre 1964. Darüber hinaus wurden
aber auch die fehlende Orientierung an der historischen Bebauung als auch
konkrete Aspekte, wie Absenkung des Platzes, die Form und Anordnung der
Sechseckbauten, die zu einer „nervösen Unruhe“ führten, kritisiert (Hansen
& Schulze 2008, 29-30).
Aber auch die Art und die Durchführung des
Verfahrens wurden gerügt. Das Fehlen einer öffentlichen Ausschreibung bewirke,
dass keinerlei Alternativen zum Vorschlag Nevelings zur Diskussion ständen.
Auch der private Charakter des Vorhabens, ohne Anteil einer öffentlichen
Nutzung, weckte den Widerspruch der Gegner, da dies insbesondere der
historischen Nutzung des Marktes als öffentlicher Platz entgegenstehe (Hansen &
Schulze 2008, 28).
Abbildung
3: Der Alte Markt in Kiel um 1969. Der ehemalige Markt wird als Parkplatz genutzt. |
Auf Seiten der Befürworter wurde insbesondere
die Modernität des Entwurfes gelobt. Hier werde der „Wille zur Neugestaltung
der Stadt“ (Hansen & Schulze 2008, 27) deutlich. Zudem würden mit diesem
Vorhaben bis auf wenige Abweichungen alle, 1964 formulierten, Punkte umgesetzt.
Das Vorhaben Nevelings nähme in dieser Form die alte Bebauung auf und orientiere
sich an den historischen Vorbildern. Der schon damals populären Forderung nach
einer Rekonstruktion der historischen Gebäude wurde mit dem Argument auf die Unglaubwürdigkeit
solcher Projekte, ein Absage erteilt (Hansen & Schulze 2008, 26-27). Zum
Argument der fehlenden Alternativen wurde von Seiten der Stadt verlautbart,
dass man auf eine Ausschreibung verzichtet hätte, weil man in die in der
Öffentlichkeit geführte Diskussion nicht eingreifen wolle (Hansen & Schulze
2008, 26-27).
Um es kurz zu fassen: Beide Seiten wurden sich,
trotz einer Angleichung des Originalentwurfes, nicht einig. Schlussendlich
verweigerte der Landkonservator 1970 die Bewilligung des Vorhabens. Seine
Entscheidung wurde jedoch durch einen Beschluss des Innenministeriums außer
Kraft gesetzt und die Neubebauung des Alten Marktes nach dem Entwurf Wilhelm
Nevelings 1972 umgesetzt.
Die Zeiten ändern sich
Auch mehr als vierzig Jahre später hat sich an
der Diskussion um den Alten Markt nur wenig geändert.
Abbildung 4: Alter Markt Kiel Blick auf die Holstenstraße. |
Der Verlauf der Fronten zwischen Befürwortern
und Gegnern allerdings schon. So wird spätestens seit 2008 im Landesamt für
Denkmalpflege über die Eintragung der Pavillons in die Denkmalliste
nachgedacht. Ein Umstand, der Angesicht der vehementen Gegnerschaft der Behörde
gegen das Projekt, aufhorchen lässt. So wurde in der Zeitschrift Denkmal! im Jahr 2008 ein Aufsatz
publiziert, in dem die Baugeschichte des Alten Marktes wort- und bildreich
dargestellt und der Entwurf Nevelings dem interessierten Leser erklärend
nahegebracht wurde.
Für den etwas tiefer blickenden Leser ist
jedoch interessant, mit welcher Polemik bereits zu diesem Zeitpunkt auf die
Kritiker der Pavillons zugegangen wird. Schon in den ersten Absätzen ist hier
von einer „reflexartigen“ Abwehrhaltung der Gegner moderner Architektur die
Rede (Hansen & Schulze 2008, 17). Diese wären emotional vorbelastet und
„nostalgischen“ Vorstellungen verhaftet, die jedoch nicht der historischen Realität
entsprächen (ibid. 18, 22). Insgesamt wären die Argumente der Gegner negativ
und falsch (ibid. 26). Insbesondere erstaune es, dass Beseler selbst seinen
Irrtum nicht erkannt hätte (ibid. 30).
Abbildung 5: Alter Markt Kiel Blick in die ehemalige Rosenstraße. |
Die aktuelle Aufnahme des Pavillonensembles in
die Denkmalschutzliste hat der Diskussion um das Erbe Nevelings noch einmal
neues Feuer verschafft. Wieder wird in der Öffentlichkeit vornehmlich über die
Kieler Nachrichten diskutiert und wieder verläuft der Riss durch alle Lager.
Selbst innerhalb der Stadtverwaltung herrscht über die Denkmalwürdigkeit der
Gebäude auf dem Alten Markt keine Einigkeit.
Wann ist ein Objekt Denkmalwürdig?
Im vorliegenden Fall ist auffällig, dass sowohl
die Kritiker und als auch die Befürworter fast die gleichen Argumente
verwenden, um ihre jeweilige Position zu untermauern.
Während die Gegner anführen, die Gebäude würden
sich nicht an historischen Vorbildern wie Rathaus und Persianische Häusern
orientieren, halten die Befürworter entgegen, dass der Entwurf eben genau diese
aufnimmt und die historische Stadtentwicklung bis um 1900 widerspiegelt.
Die Bebauung des alten Marktes in Kiel ist
dabei ein interessanter und spannender Fall, der vor allem eine Frage aufwirft:
Wenn sich gleichermaßen gute wie schlechte Gründe für die Schutzwürdigkeit
eines Denkmals finden, nach welchen Maßstäben werden diese Gebäude oder Objekte
unter Denkmalschutz gestellt? Welches sind die harten Auswahlkriterien, nach
denen Denkmalschutz erteilt wird oder sogar werden muss? Gibt es solche
Kriterien überhaupt? Oder erfolgt eine Unterschutzstellung mehr oder weniger
willkürlich, nach Ermessen der zuständigen Behörden?
Das Schleswig-holsteinische Denkmalschutzgesetz
nennt als Kriterien für die Denkmalwürdigkeit die besonderen geschichtlichen,
wissenschaftlichen, künstlerischen, technischen, städtebaulichen oder die
Kulturlandschaft prägenden Eigenschaften. Liegt eine dieser Eigenschaften vor,
so ist das Objekt als Denkmal einzustufen dessen Schutz dann im öffentlichen
Interesse liegt (DschG SH § 2.2).
Tiefer gehende Definitionen sieht der
Gesetzgeber an dieser Stelle nicht vor. Die Bestimmung dieser Eigenschaften
bleibt den Fachbehörden überlassen, die sich wiederum am wissenschaftlichen
Kenntnisstand orientieren bzw. diesen auch mitprägen. Reicht dieser nicht aus,
so sorgen im Streitfall Gerichtsurteile für eindeutige Orientierungsmarken.
Sehen wir uns also einige Urteile in Bezug auf
den vorliegenden Fall an. Die Kieler Pavillons sind unter der Objekt-Nr. 14753
in die Denkmalliste des Landes Schleswig-Holstein eingetragen. Unter dem Punkt
Begründung finden sich die Begriffe geschichtlich,
wissenschaftlich, künstlerisch und städtebaulich, die den Schutzstatus des Denkmals definieren. Zu
allen diesen Begriffen liegen aus den verschiedenen Bundesländern Gerichtsurteile vor, die geeignet sind diese Definition enger zu fassen.
Zuallererst ist es wichtig festzustellen, dass
als Grundbedingung für die Denkmalwürdigkeit eines Objektes ein öffentliches Interesse gegeben sein
muss. Dieses ist vorhanden, wenn die Kenntnis um die Denkmaleigenschaft eines
Objektes in das Bewusstsein der Bevölkerung oder eines breiten Kreises von
Sachverständigen eingegangen ist (OVG-SA 14.10.2004; VGH-BW 27.05.1993).
Insbesondere für letzteres sei entscheidend, so führt das VGH-Baden-Württemberg
aus, dass die Schutzwürdigkeit „uneingeschränkt“ von der „großen Mehrheit der
Sachverständigen“ anerkannt wird.
Wenden wir uns aber jetzt den einzelnen
Kriterien zu. Zum Themenfeld des historischen
Wertes eines Denkmals urteilte das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalts,
dass ein Objekt geschichtlich bedeutsam sein, wenn das Bauwerk „historische
Ereignisse oder Entwicklungen anschaulich macht“ (OVG-SA 14.10.2004). Das OVG
Schleswig-Holstein sieht den geschichtlichen Wert gegeben, wenn die Bauweise
frühere gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse dokumentiert oder
wenn sie einen Aussagewert für die politischen, kulturellen und sozialen
Verhältnisse repräsentiert (OVG-SH 10.03.2006).
Zusätzlich zum historischen Wert, hebt die
Denkmalbegründung auch die städtebauliche
Bedeutung der Objekte hervor. Eine städtebauliche Bedeutung kommt einem
Denkmal zu, wenn das Erscheinungsbild einer Stadt davon geprägt oder der
historische Entwicklungsprozess dokumentiert wird (OVG SH 10.03.2006). Diese
Prägung muss allerdings erheblich sein. Das OVG Sachsen-Anhalt hält es für
nicht ausreichend, wenn das Objekt das Erscheinungsbild der Stadt lediglich
mitprägt (OVG-SA 14.10.2004).
Für die Erfüllung des Kriteriums der künstlerischen Bedeutung muss ein hohes
Maß an Qualität vorliegen (OVG-SA 14.10.2004). Ist diese Bedingung jedoch
erfüllt, so genießen aufgrund von künstlerischen Aspekten geschützte Denkmale
einen gesteigerten Schutz, da der ungestörten Erhaltung des Erscheinungsbildes
eine überragende Bedeutung zukommt (z.B. VG-Berlin 04.03.2010).
Schlussendlich sind die Gebäude auf dem Alten
Markt auch aus wissenschaftlichen
Gründen geschützt. Diese sind anzunehmen, wenn das Objekt für eine
bestimmte Wissenschaft oder für einen Teilbereich von Bedeutung ist (VG
Sigmaringen 15.03.2005). Die Eigenschaften müssen allerdings am Gebäude selbst
ablesbar sein (VGH Baden-Württemberg 19.03.1998). Denkbar ist auch, dass das
Objekt als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung in Betracht kommt. Dabei
müsse aber ein konkretes Vorhaben erkennbar sein, dass das wissenschaftliche
Interesse begründet (VG Sigmaringen 15.03.2005).
In Bezug auf die die Kieler Pavillons sind nur
einige der Kriterien eindeutig zu beantworten. Wird der geschichtliche Bezug der Bauten betrachtet, so tritt die Frage auf,
ob hier die historischen Zusammenhänge die das Ensemble repräsentiert oder die
oft zitierten Olympischen Spiele 1972, die als Anlass für die Errichtung der
Bauten gelten, gemeint sind? Gibt die Bauweise Auskunft über die
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der 1970er Jahre?
Gerade die städtebauliche
Bedeutung der Bauten wird immer wieder hervorgehoben. Hier wird oft der
Abschluss der in der Nachkriegszeit begonnenen Umgestaltung Kiels gesehen.
Dieser Prozess ist jedoch generell umstritten wird von verschiedenen Autoren
mittlerweile kritisch betrachtet (Oddey & Riis 2000, 291; Grieser
1991,411-413).
Die Anerkennung der künstlerischen Gründe hat erhebliche Auswirkungen auf künftige
Planungen im Bereich des Alten Marktes, da auch nur kleine Veränderungen der
Zustimmung der Landesbehörde bedürfen. Der Hinweis der Autoren Hansen und
Schulze auf die „Vermüllung“ der Sichtachsen (2008, 36) geben einen Hinweis
darauf, welche Art von Auflagen Stadt und Eigentümer in Zukunft zu
berücksichtigen haben. Im Kern geht es dabei um die Frage, welche Bedeutung dem
Werk von Wilhelm Neveling zukommt und ob er aufgrund des Urteils einer großen
Mehrheit von Sachverständigen als herausragender Architekt angesehen werden
kann.
Über allen diesen Gründen steht jedoch das öffentliche Interesse an den Bauten.
Angesicht der sehr kontrovers geführten Diskussion um den Alten Markt, ist
fraglich, ob die Denkmaleigenschaft der Pavillons von einer Mehrheit der
Bevölkerung erkannt wird. In diesem Fall müsste eine Reihe von Sachverständigen
befragt werden, die sich dann in Einzeluntersuchungen zu den verschiedenen
Aspekten der Denkmalwürdigkeit äußern und schlussendlich überwiegend zum
Schluss kommen müssen, dass die Pavillons schutzwürdig wären.
Fazit und Ausblick
Wie oben geschildert, ist die Bestimmung des
Denkmalwertes und der Denkmalwürdigkeit keine einfache Aufgabe und kann von zahlreichen
Aspekten abhängen. Gerade bei Denkmalen der modernen Architektur, die als Teil
der Zeitgeschichte anzusehen sind, gehören emotionale und öffentliche
Diskussionen zum Prozess der Unterschutzstellung. Hier möchte ich die Frage
stellen, ob es nicht möglich wäre, das vorhandene öffentliche Interesse
aufzunehmen und in einen kreativen Prozess überzuleiten. Behörden,
Stadtverwaltung, Eigentümer und Bevölkerung treten hier in einen Dialog ein, um
Lösungsmöglichkeiten für den weiteren Umgang mit den Denkmalen zu finden.
Hierbei könnte sowohl die Forderungen nach der Betonung des Historischen als
auch die Würdigung der modernen Stadtgestaltung ihren Anteil finden. Ein
solches Verfahren würde auch einige der Kernforderung der Kritiker aus den
1960er Jahre nach öffentlicher Beteiligung wieder aufnehmen und diesen Kreis
schließen.
Es bietet sich also die Chance gerade bei
kritischen und ungeliebten Denkmalen die vorgezeichneten Wege zu verlassen und
zu einem Verfahren mit echter Bürgerbeteiligung zu kommen. So könnte der Alte
Markt zu einem authentischen und identitätsstiftenden Zentrum Kiels entwickelt
werden.
Literaturverweise
Grieser
1991. Wiederaufstieg aus Trümmern (1945 bis zur Gegenwart). In: J. Jensen, P. Wulf
(Hg.), Geschichte der Stadt Kiel, 401-413. Neumünster: Karl Wachholz Verlag.
Hansen, A.,
Schulz, H.K.L. 2008. "Zur
Segelolympiade der Welt zeigen, welcher Wille zur Neugestaltung die Stadt
belebt..." - Die Bebauung der Kieler Marktplatzes von 1972. Denkmal! 2008, 17-40.
Oddey, M., Riis,
T. 2000. Zukunft aus Trümmern.
Wiederaufbau und Städtebau in Schleswig-Holstein nach dem Zweiten Weltkrieg.
Kiel: Ludwig.
Zeitungsberichte
http://www.kn-online.de/Kiel/Alter-Markt-in-Kiel-Jetzt-spricht-ein-Mitinhaber-der-Pavillons
[02.03.2018].
http://www.kn-online.de/Kiel/Ulf-Kaempfer-und-Doris-Grondke-Der-Alte-Markt-funktioniert-nicht
[02.03.2018].
Gerichtsurteile
OVG
Schleswig-Holstein – Az. 1 LA 11/06, Beschluss vom 10.03.2006
VG-Berlin –
Az. 16 A 163.08, Urteil vom 04.03.2010
VG
Sigmaringen – Az. 5 K 166/04, Urteil vom 15.03.2005
VGH
Baden-Württemberg – Az. 1 S 2588/92, Urteil vom 27.05.1993
VGH
Baden-Württemberg – Az. 1 S 3307/96, Urteil vom 19.03.1998
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