Donnerstag, 8. März 2018

Denkmalschutz, Denkmalwürdigkeit und öffentliches Interesse

Der „Neue“ Alte Markt in Kiel


Einleitung

Abbildung 1: Der Marktplatz in Kiel mit einer Frontansicht
der sog. Persianischen Häuser und dem gotischen
Rathaus am rechten Bildrand (Aufnahme um 1870).
Am 13. Februar 2018 berichteten die Kieler Nachrichten über die Unterschutzstellung des Pavillonensembles auf dem sogenannten Alten Markt in Kiel, durch das Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein (02.03.2018). Diese Meldung war von besonderer Brisanz, da das Gebäudeensemble seit seiner Errichtung im Jahr 1972 immer wieder Ziel öffentlicher Kritik war. Im Zuge der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele war der historische Marktplatz der Kieler Altstadt durch einen modernen Entwurf des Architekten Wilhelm Neveling (1908 – 1978) tiefgreifend umgestaltet worden.

Der Alte Markt im neuen Gewand

Dieser Neugestaltung des Marktplatzes waren zwei Wettbewerbe vorausgegangen. Diese hatten zwar aus verschiedenen Gründen zu keinen umsetzbaren Ergebnissen geführt, jedoch konnten mit dem Abschluss des letzten Wettbewerbsverfahren im Jahr 1964 feste Kriterien für eine zukünftige Bebauung des Alten Marktes formuliert werden. Zu den wichtigsten Punkten gehörten hierbei, dass eine neue Bebauung die historische Gliederung des Platzes durch die Persianischen Häuser und das gotische Rathaus aufnimmt, wobei explizit auf die rechteckige Grundstruktur dieser Vorgängerbauten verwiesen wurde. Zusätzlich sollte eine zukünftigen Überplanung auch die gewachsene Parzellenstruktur sowie alten Gebäudehöhen zu berücksichtigen (Hansen & Schulze 2008, 26).

Abbildung 2: Der Alte Markt in Kiel um 1900.
Blick auf die Persianischen Häuser. Hier
wurde bereits ein Durchbruch
zur Nikolaikirche geschaffen.
Nach dem Scheitern der letzten Ausschreibung wurde die Gestaltung des Marktes von Seiten der Stadt in die Hände eines privaten Unternehmens, der Grundstücksgesellschaft Handelshof mbH & Co. Kommanditgesellschaft gelegt. Diese stellte 1969 den besagten Entwurf von Neveling vor und löste damit eine heftig geführte, öffentliche Debatte über die Neugestaltung des Alten Marktes aus.

Die Grenze zwischen Befürwortern und Gegnern des Vorhabens verliefen dabei recht unübersichtlich. Auf der Seite der Befürworter standen neben der Stadt Kiel und dem Bauträger auch der Bund Deutscher Architekten (BDA). Auf der Gegenseite formulierten vor allem die Architekturkammer Schleswig-Holstein und das Landesamt für Denkmalpflege in Person des Landeskonservators Hartmut Beseler schwerwiegende Bedenken gegen das Vorhaben.

Die fachliche Kritik bezog sich dabei zum einen auf die offensichtlichen Abweichung des Neveling´schen Entwurfes von den Empfehlungen der Wettbewerbskommission des Jahre 1964. Darüber hinaus wurden aber auch die fehlende Orientierung an der historischen Bebauung als auch konkrete Aspekte, wie Absenkung des Platzes, die Form und Anordnung der Sechseckbauten, die zu einer „nervösen Unruhe“ führten, kritisiert (Hansen & Schulze 2008, 29-30). 


Aber auch die Art und die Durchführung des Verfahrens wurden gerügt. Das Fehlen einer öffentlichen Ausschreibung bewirke, dass keinerlei Alternativen zum Vorschlag Nevelings zur Diskussion ständen. Auch der private Charakter des Vorhabens, ohne Anteil einer öffentlichen Nutzung, weckte den Widerspruch der Gegner, da dies insbesondere der historischen Nutzung des Marktes als öffentlicher Platz entgegenstehe (Hansen & Schulze 2008, 28).

Abbildung 3: Der Alte Markt in Kiel um 1969.
Der ehemalige Markt wird als Parkplatz genutzt.
Auf Seiten der Befürworter wurde insbesondere die Modernität des Entwurfes gelobt. Hier werde der „Wille zur Neugestaltung der Stadt“ (Hansen & Schulze 2008, 27) deutlich. Zudem würden mit diesem Vorhaben bis auf wenige Abweichungen alle, 1964 formulierten, Punkte umgesetzt. Das Vorhaben Nevelings nähme in dieser Form die alte Bebauung auf und orientiere sich an den historischen Vorbildern. Der schon damals populären Forderung nach einer Rekonstruktion der historischen Gebäude wurde mit dem Argument auf die Unglaubwürdigkeit solcher Projekte, ein Absage erteilt (Hansen & Schulze 2008, 26-27). Zum Argument der fehlenden Alternativen wurde von Seiten der Stadt verlautbart, dass man auf eine Ausschreibung verzichtet hätte, weil man in die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion nicht eingreifen wolle (Hansen & Schulze 2008, 26-27).

Um es kurz zu fassen: Beide Seiten wurden sich, trotz einer Angleichung des Originalentwurfes, nicht einig. Schlussendlich verweigerte der Landkonservator 1970 die Bewilligung des Vorhabens. Seine Entscheidung wurde jedoch durch einen Beschluss des Innenministeriums außer Kraft gesetzt und die Neubebauung des Alten Marktes nach dem Entwurf Wilhelm Nevelings 1972 umgesetzt.

Die Zeiten ändern sich

Auch mehr als vierzig Jahre später hat sich an der Diskussion um den Alten Markt nur wenig geändert.

Abbildung 4: Alter Markt Kiel Blick auf die Holstenstraße.
Der Verlauf der Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern allerdings schon. So wird spätestens seit 2008 im Landesamt für Denkmalpflege über die Eintragung der Pavillons in die Denkmalliste nachgedacht. Ein Umstand, der Angesicht der vehementen Gegnerschaft der Behörde gegen das Projekt, aufhorchen lässt. So wurde in der Zeitschrift Denkmal! im Jahr 2008 ein Aufsatz publiziert, in dem die Baugeschichte des Alten Marktes wort- und bildreich dargestellt und der Entwurf Nevelings dem interessierten Leser erklärend nahegebracht wurde.

Für den etwas tiefer blickenden Leser ist jedoch interessant, mit welcher Polemik bereits zu diesem Zeitpunkt auf die Kritiker der Pavillons zugegangen wird. Schon in den ersten Absätzen ist hier von einer „reflexartigen“ Abwehrhaltung der Gegner moderner Architektur die Rede (Hansen & Schulze 2008, 17). Diese wären emotional vorbelastet und „nostalgischen“ Vorstellungen verhaftet, die jedoch nicht der historischen Realität entsprächen (ibid. 18, 22). Insgesamt wären die Argumente der Gegner negativ und falsch (ibid. 26). Insbesondere erstaune es, dass Beseler selbst seinen Irrtum nicht erkannt hätte (ibid. 30).

Abbildung 5: Alter Markt Kiel Blick in die ehemalige Rosenstraße.
Die aktuelle Aufnahme des Pavillonensembles in die Denkmalschutzliste hat der Diskussion um das Erbe Nevelings noch einmal neues Feuer verschafft. Wieder wird in der Öffentlichkeit vornehmlich über die Kieler Nachrichten diskutiert und wieder verläuft der Riss durch alle Lager. Selbst innerhalb der Stadtverwaltung herrscht über die Denkmalwürdigkeit der Gebäude auf dem Alten Markt keine Einigkeit.

Wann ist ein Objekt Denkmalwürdig?

Im vorliegenden Fall ist auffällig, dass sowohl die Kritiker und als auch die Befürworter fast die gleichen Argumente verwenden, um ihre jeweilige Position zu untermauern.

Während die Gegner anführen, die Gebäude würden sich nicht an historischen Vorbildern wie Rathaus und Persianische Häusern orientieren, halten die Befürworter entgegen, dass der Entwurf eben genau diese aufnimmt und die historische Stadtentwicklung bis um 1900 widerspiegelt.

Die Bebauung des alten Marktes in Kiel ist dabei ein interessanter und spannender Fall, der vor allem eine Frage aufwirft: Wenn sich gleichermaßen gute wie schlechte Gründe für die Schutzwürdigkeit eines Denkmals finden, nach welchen Maßstäben werden diese Gebäude oder Objekte unter Denkmalschutz gestellt? Welches sind die harten Auswahlkriterien, nach denen Denkmalschutz erteilt wird oder sogar werden muss? Gibt es solche Kriterien überhaupt? Oder erfolgt eine Unterschutzstellung mehr oder weniger willkürlich, nach Ermessen der zuständigen Behörden?


Das Schleswig-holsteinische Denkmalschutzgesetz nennt als Kriterien für die Denkmalwürdigkeit die besonderen geschichtlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen, technischen, städtebaulichen oder die Kulturlandschaft prägenden Eigenschaften. Liegt eine dieser Eigenschaften vor, so ist das Objekt als Denkmal einzustufen dessen Schutz dann im öffentlichen Interesse liegt (DschG SH § 2.2).

Tiefer gehende Definitionen sieht der Gesetzgeber an dieser Stelle nicht vor. Die Bestimmung dieser Eigenschaften bleibt den Fachbehörden überlassen, die sich wiederum am wissenschaftlichen Kenntnisstand orientieren bzw. diesen auch mitprägen. Reicht dieser nicht aus, so sorgen im Streitfall Gerichtsurteile für eindeutige Orientierungsmarken.

Sehen wir uns also einige Urteile in Bezug auf den vorliegenden Fall an. Die Kieler Pavillons sind unter der Objekt-Nr. 14753 in die Denkmalliste des Landes Schleswig-Holstein eingetragen. Unter dem Punkt Begründung finden sich die Begriffe geschichtlich, wissenschaftlich, künstlerisch und städtebaulich, die den Schutzstatus des Denkmals definieren. Zu allen diesen Begriffen liegen aus den verschiedenen Bundesländern Gerichtsurteile vor, die geeignet sind diese Definition enger zu fassen.

Zuallererst ist es wichtig festzustellen, dass als Grundbedingung für die Denkmalwürdigkeit eines Objektes ein öffentliches Interesse gegeben sein muss. Dieses ist vorhanden, wenn die Kenntnis um die Denkmaleigenschaft eines Objektes in das Bewusstsein der Bevölkerung oder eines breiten Kreises von Sachverständigen eingegangen ist (OVG-SA 14.10.2004; VGH-BW 27.05.1993). Insbesondere für letzteres sei entscheidend, so führt das VGH-Baden-Württemberg aus, dass die Schutzwürdigkeit „uneingeschränkt“ von der „großen Mehrheit der Sachverständigen“ anerkannt wird.

Wenden wir uns aber jetzt den einzelnen Kriterien zu. Zum Themenfeld des historischen Wertes eines Denkmals urteilte das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalts, dass ein Objekt geschichtlich bedeutsam sein, wenn das Bauwerk „historische Ereignisse oder Entwicklungen anschaulich macht“ (OVG-SA 14.10.2004). Das OVG Schleswig-Holstein sieht den geschichtlichen Wert gegeben, wenn die Bauweise frühere gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse dokumentiert oder wenn sie einen Aussagewert für die politischen, kulturellen und sozialen Verhältnisse repräsentiert (OVG-SH 10.03.2006).

Zusätzlich zum historischen Wert, hebt die Denkmalbegründung auch die städtebauliche Bedeutung der Objekte hervor. Eine städtebauliche Bedeutung kommt einem Denkmal zu, wenn das Erscheinungsbild einer Stadt davon geprägt oder der historische Entwicklungsprozess dokumentiert wird (OVG SH 10.03.2006). Diese Prägung muss allerdings erheblich sein. Das OVG Sachsen-Anhalt hält es für nicht ausreichend, wenn das Objekt das Erscheinungsbild der Stadt lediglich mitprägt (OVG-SA 14.10.2004).

Für die Erfüllung des Kriteriums der künstlerischen Bedeutung muss ein hohes Maß an Qualität vorliegen (OVG-SA 14.10.2004). Ist diese Bedingung jedoch erfüllt, so genießen aufgrund von künstlerischen Aspekten geschützte Denkmale einen gesteigerten Schutz, da der ungestörten Erhaltung des Erscheinungsbildes eine überragende Bedeutung zukommt (z.B. VG-Berlin 04.03.2010).

Schlussendlich sind die Gebäude auf dem Alten Markt auch aus wissenschaftlichen Gründen geschützt. Diese sind anzunehmen, wenn das Objekt für eine bestimmte Wissenschaft oder für einen Teilbereich von Bedeutung ist (VG Sigmaringen 15.03.2005). Die Eigenschaften müssen allerdings am Gebäude selbst ablesbar sein (VGH Baden-Württemberg 19.03.1998). Denkbar ist auch, dass das Objekt als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung in Betracht kommt. Dabei müsse aber ein konkretes Vorhaben erkennbar sein, dass das wissenschaftliche Interesse begründet (VG Sigmaringen 15.03.2005).


In Bezug auf die die Kieler Pavillons sind nur einige der Kriterien eindeutig zu beantworten. Wird der geschichtliche Bezug der Bauten betrachtet, so tritt die Frage auf, ob hier die historischen Zusammenhänge die das Ensemble repräsentiert oder die oft zitierten Olympischen Spiele 1972, die als Anlass für die Errichtung der Bauten gelten, gemeint sind? Gibt die Bauweise Auskunft über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der 1970er Jahre?

Gerade die städtebauliche Bedeutung der Bauten wird immer wieder hervorgehoben. Hier wird oft der Abschluss der in der Nachkriegszeit begonnenen Umgestaltung Kiels gesehen. Dieser Prozess ist jedoch generell umstritten wird von verschiedenen Autoren mittlerweile kritisch betrachtet (Oddey & Riis 2000, 291; Grieser 1991,411-413).

Die Anerkennung der künstlerischen Gründe hat erhebliche Auswirkungen auf künftige Planungen im Bereich des Alten Marktes, da auch nur kleine Veränderungen der Zustimmung der Landesbehörde bedürfen. Der Hinweis der Autoren Hansen und Schulze auf die „Vermüllung“ der Sichtachsen (2008, 36) geben einen Hinweis darauf, welche Art von Auflagen Stadt und Eigentümer in Zukunft zu berücksichtigen haben. Im Kern geht es dabei um die Frage, welche Bedeutung dem Werk von Wilhelm Neveling zukommt und ob er aufgrund des Urteils einer großen Mehrheit von Sachverständigen als herausragender Architekt angesehen werden kann.

Über allen diesen Gründen steht jedoch das öffentliche Interesse an den Bauten. Angesicht der sehr kontrovers geführten Diskussion um den Alten Markt, ist fraglich, ob die Denkmaleigenschaft der Pavillons von einer Mehrheit der Bevölkerung erkannt wird. In diesem Fall müsste eine Reihe von Sachverständigen befragt werden, die sich dann in Einzeluntersuchungen zu den verschiedenen Aspekten der Denkmalwürdigkeit äußern und schlussendlich überwiegend zum Schluss kommen müssen, dass die Pavillons schutzwürdig wären.

Fazit und Ausblick

Wie oben geschildert, ist die Bestimmung des Denkmalwertes und der Denkmalwürdigkeit keine einfache Aufgabe und kann von zahlreichen Aspekten abhängen. Gerade bei Denkmalen der modernen Architektur, die als Teil der Zeitgeschichte anzusehen sind, gehören emotionale und öffentliche Diskussionen zum Prozess der Unterschutzstellung. Hier möchte ich die Frage stellen, ob es nicht möglich wäre, das vorhandene öffentliche Interesse aufzunehmen und in einen kreativen Prozess überzuleiten. Behörden, Stadtverwaltung, Eigentümer und Bevölkerung treten hier in einen Dialog ein, um Lösungsmöglichkeiten für den weiteren Umgang mit den Denkmalen zu finden. Hierbei könnte sowohl die Forderungen nach der Betonung des Historischen als auch die Würdigung der modernen Stadtgestaltung ihren Anteil finden. Ein solches Verfahren würde auch einige der Kernforderung der Kritiker aus den 1960er Jahre nach öffentlicher Beteiligung wieder aufnehmen und diesen Kreis schließen.

Es bietet sich also die Chance gerade bei kritischen und ungeliebten Denkmalen die vorgezeichneten Wege zu verlassen und zu einem Verfahren mit echter Bürgerbeteiligung zu kommen. So könnte der Alte Markt zu einem authentischen und identitätsstiftenden Zentrum Kiels entwickelt werden.

Literaturverweise

Grieser 1991. Wiederaufstieg aus Trümmern (1945 bis zur Gegenwart). In: J. Jensen, P. Wulf (Hg.), Geschichte der Stadt Kiel, 401-413. Neumünster: Karl Wachholz Verlag.


Oddey, M., Riis, T. 2000. Zukunft aus Trümmern. Wiederaufbau und Städtebau in Schleswig-Holstein nach dem Zweiten Weltkrieg. Kiel: Ludwig.

Zeitungsberichte





Gerichtsurteile

OVG Schleswig-Holstein – Az. 1 LA 11/06, Beschluss vom 10.03.2006

VG-Berlin – Az. 16 A 163.08, Urteil vom 04.03.2010

VG Sigmaringen – Az. 5 K 166/04, Urteil vom 15.03.2005

VGH Baden-Württemberg – Az. 1 S 2588/92, Urteil vom 27.05.1993

VGH Baden-Württemberg – Az. 1 S 3307/96, Urteil vom 19.03.1998 

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