Grabungsbericht 2023
Raimund Karl[1][8], Klaus Löcker[2], Mario Wallner[2][8], Tanja Trausmuth[2][8], Helga Rösel-Mautendorfer[3], Georg Rösel[4], Robert Mann[5], Mario Ellmeier[6] und Günter Singer[7]
Abstract: Zur Verifizierung geophysikalischer
Messergebnisse haben die Autor*innen dieses Beitrags gemeinsam mit Julia
Wilding und Christoph Campregher[8] am 16. und 17. Dezember 2023 drei kleine
Testschnitte in Mitterdorf im Mürztal ausgegraben. Dabei konnten Siedlungsbefunde
der späten Hallstattzeit (HaD, ca. 620-450 v.Chr.) entdeckt und Großteils untersucht
werden. Schon die ersten Befunde sind vielversprechend und gestatten es, erste
Schlüsse über diese Siedlung und ihre Geschichte zu ziehen. Rekonstruiert
werden kann schon jetzt, dass hier ein Haus stand, in dem ein Wegstuhl
betrieben wurde, das in einem Schadfeuer untergegangen ist, dessen Brandschutt
danach aber direkt neben der Brandruine in einer Grube entsorgt, die Siedlung
danach also vermutlich weiter bewohnt wurde. Lokalisiert am Talboden des
Mürztals etwa 1 Kilometer entfernt von der Mündung des Veitschgrabens lag die späthallstattzeitliche
Siedlung von Mitterdorf auch in einer verkehrsgeografisch günstigen Lage an der
Trennung der Verbindungen vom Grazer Becken ins westliche niederösterreichische
Donautal und in das südliche Wiener Becken; was sich auch am Fund eines Reifennagels
eines späthallstattzeitlichen „Prunkwagens“ zeigt. Die Siedlung könnte
allerdings aufgrund und Altfunden zweier mittellatènezeitlicher Lanzenspitzen und
Alt- und Neufunden aus der römischen Kaiserzeit durch den Großteil der
Eisenzeit hinweg besiedelt gewesen sein oder wenigstens die Weggabelung in die
Veitsch während der ganzen Eisenzeit ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt
geblieben sein.
Veranlasst durch den
Fund zweier mittellatènezeitlicher Lanzenspitzen bei Bauarbeiten für die
Errichtung des Bauhofs der Gemeinde Mitterdorf im Mürztal (Modrijan 1970a; Pickl
1984, 8-9) wurden im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten für ein Spielfilm- und
Streaming-Serienprojekt von Ferrum Noricum Productions, Warner Bros. und
Netflix im Herbst 2023 von der GeoSphere Austria geomagnetische Messungen auf
einigen der noch unverbauten Grundstücken in der näheren Umgebung durchgeführt.
Dabei konnten auf den Grundstücken Nr. 509, 510, 511, 514 und 606/1 beiderseits
der Grazer Straße im teilweise als Fundzone ausgewiesenen Bereich zahlreiche
Anomalien festgestellt werden, die auf das Vorhandensein möglicher
archäologischer Befunde vorerst unbekannter Zuordnung auf den genannten
Grundstücken hinweisen.
Um zu überprüfen, ob
es sich bei den festgestellten Anomalien tatsächlich um archäologische Befunde
sowie gegebenenfalls welcher Art und Zeitstellung es sich handelt, wurde von
den Autor*innen unter tatkräftiger Mithilfe von Julia Wilding und Christoph
Campregher im Dezember 2023 eine kurze Feststellungsgrabung durchgeführt. Als
konkrete Untersuchungsgegenstände für diese Feststellungsgrabung wurden drei Anomalien
ausgewählt, die sich im Vergleich zu anderen besonders deutlich auf dem
geomagnetischen Messbild zeigten; wozu drei kleine Probeschnitte, zwei mit
Außenabmessungen von ca. 2,5 x 2,5 und einer mit Außenabmessungen von ca. 3 x 3
Metern, angelegt wurden. Aus Zeitgründen erfolgte der Abschub des Oberbodens
mit einem dankenswerterweise von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Löffelbagger
am 7.12.2023; während die eigentliche Grabung aus Termingründen am Wochenende
vor Weihnachten am 16. und 17.12.2023 durchgeführt wurde. Die Oberfläche von
Gst.Nr. 514 sowie der gesamte Aushub wurde sowohl während des Bodenabhubs als
auch während der Grabung von einem erfahrenen Mitarbeiter mittels eines
Metalldetektors auf bewegliche Kleinfunde durchsucht.
Aufgrund des späten
Termins waren die Wetterbedingungen bei der Grabung nicht ideal: beim
Bodenabhub lagen etwa 15 cm Schnee, bei der Grabung selbst war aufgrund der
niedrigen Temperaturen der Boden jeweils bis etwa zur Mittagszeit gefroren und
damit nur schwer zu bearbeiten. War dies am ersten Grabungstag, an dem im
Wesentlichen in allen drei Schnitten die nach dem Baggerabhub verbliebenen
Reste des Oberbodens manuell entfernt und die freigelegten Oberflächen geputzt
und erstdokumentiert wurden, ein noch relativ geringes Problem; reduzierte es
am zweiten Grabungstag, an dem die angetroffenen Befunde mit einer Ausnahme
vollständig ausgegraben wurden, die effektiv verfügbare Arbeitszeit auf ca. 4
Stunden. Folge davon war, dass der interessanteste angetroffene Befund, die
Schlitzgrube (4)[9],
die die Überreste eines in situ verbrannten Hängewebstuhls (insbesondere die in
Sturzlage aufgefundenen Webgewichte Δ23-24, Δ39-59
und Δ74-79, Abb. 1) enthielt,
nicht vollständig ausgegraben werden konnte.
Abb. 1: Der Webstuhlbefund in situ.
Aufgrund der in Folge genauer
dargestellten Ergebnisse der Grabung 2023 konnte festgestellt werden, dass es
sich bei den angetroffenen Objekten tatsächlich um archäologische Befunde
handelte, bei denen es sich zweifelsfrei um die Überreste einer (wenigstens)
späthallstattzeitlichen (ca. 620-450 v.Chr.) Talbodensiedlung handelt; wobei
allerdings Kleinfunde (sowohl die beiden mittellatènezeitlichen Lanzenspitzen; Modrijan 1970a; Pickl 1984, 8-9; der eines
mutmaßlich römischen Bronzehenkels; Modrijan 1970b; Pickl 1984, 10-11; sowie Streufunde
zweier römischer Münzen auf Gst.Nr. 514 während der Grabung) darauf Hinweisen,
dass die Siedlung länger bestanden haben könnte. Diese
Siedlung – deren Gesamtlaufzeit sich aufgrund der sehr geringen, bisher
untersuchten Flächen noch nicht exakt bestimmen lässt – dürfte aufgrund der
Ergebnisse der geomagnetischen und
einer Anfang 2024 nur auf GSt. Nr. 514 durchgeführten Bodenradarmessung eine Gesamtausdehnung von über 2 Hektar
aufgewiesen haben, von denen allerdings, soweit derzeit bekannt, nur ca. 1,5
Hektar auf modern noch unverbauten Flächen erhalten sind; während wenigstens
Teile der Siedlung bereits durch moderne Bautätigkeit stark ge- oder völlig
zerstört worden sein dürften.
Aufgrund der Tatsache,
dass hallstattzeitliche Funde bisher weitgehend und vor allem Siedlungsbefunde
aus dieser Zeit aus dem Mürztal noch vollkommen gefehlt haben, ist geplant, in
den nächsten Jahren über mehrere Grabungskampagnen hinweg etwa 2.250
Quadratmeter der durch die Feststellungsgrabung 2023 identifizierten Anlage
auszugraben. Ziel dieser geplanten Grabungen wird es sein, die – noch dazu an
der Abzweigung in die Veitsch aus dem Mürztal[10]
in verkehrsgeografisch interessanter Position gelegene – Siedlung und ihre
Beziehungen zu Nachbarräumen genauer zu charakterisieren.
Lage der Fundstelle, Geologie,
Erhaltungszustand
Abb. 2: Lage der Fundstelle (roter Kreis) am südwestlichen Ortsrand von Mitterdorf im Mürztal.
Die Fundstelle liegt
am südwestlichen Ortsrand von Mitterdorf (siehe Abb.
2) am alluvialen Talboden (vgl. Cornelius 1952,
8; Geologische Bundesanstalt 1984) des Mürztals; etwa 600 Meter vom heutigen Lauf
der Mürz entfernt. Ziemlich exakt nördlich der Siedlung liegt heute auch die
Einmündung des Veitschbaches in die Mürz, die Fundstelle ist somit etwa einen
Kilometer entfernt nahezu direkt gegenüber dem Ausgang des Veitschgrabens
gelegen. Zudem liegt etwa 2 Kilometer nordwestlich der Fundstelle und direkt
westlich über dem Ausgang des Veitschgrabens am Trollkogel eine, bislang
allerdings noch nicht verifizierte und undatierte, mögliche Wallanlage.
Der geologische Untergrund
der Fundstelle besteht aus einer Mischung aus Schottern und Sanden (Cornelius
1952, 8), wobei sich auf den Ergebnissen der Bodenradarmessung auch ein altes
Flussbett zeigt, wohl der Mürz, das aber zur Zeit der Anlage der Siedlung
bereits vollständig verlandet gewesen sein dürfte. Auf diesem Untergrund liegt
eine ca. 30-40 cm starke, durch die moderne landwirtschaftliche Bearbeitung
stark durchmischte, Humusschicht auf.
Wohl auch als Folge
der modernen landwirtschaftlichen Bearbeitung ist die Befunderhaltung auf der
Fundstelle generell als schlecht zu betrachten. Alle bisher identifizierten
Befunde sind nur noch seicht erhalten, wobei insbesondere die mit Brandschutt (SE
(6), (7)) verfüllte Grube (SE [11]) in Schnitt 3 und die Mehrheit der
Webgewichte in den Resten der Schlitzgrube (SE (4)) in Schnitt 2 teilweise
bereits stark in Mitleidenschaft gezogen waren. Selbst die in Schnitt 1
angetroffene, mutmaßliche große Pfostengrube (SE (4), [10]) war nur noch in
einer Tiefe von ca. 50 cm unter der Humusunterkante erhalten.
Stratigrafischer Bericht
Zur Überprüfung dreier
besonders aussichtsreicher Anomalien wurden insgesamt drei kleine Testschnitte
geöffnet (Abb. 3; Abb.
4), in denen jeweils eine sehr einfache
Stratifikation angetroffen wurde. Insgesamt wurden während der Grabung 11 SE
definiert. In der Folge wird die Stratifikation jeweils nach Schnitt besprochen;
die Grabung erfolgte jeweils streng in stratigrafischer Methode (Harris 1979,
1989).
Abb. 3: Positionierung der drei Probeschnitte auf deutlich erkenntlichen magnetischen Anomalien. |
Abb. 4: Übersichtsplan über die drei Testschnitte und die in ihnen nach Abtrag des Humus und Reinigung beobachteten SEs.
Schnitt 1
Abb. 5: Stratigrafische Sequenz in Schnitt 1. |
Schnitt 2
In Schnitt 2 kam schon
beim Abtrag der Humusschicht (1) an deren Unterkante unmittelbar über einer zu
dieser Zeit noch nicht gut als solche erkennbaren, mittelbraun-humosen, stark
mit verziegelten Lehmstückchen versetzten Verfüllung (4) ein
späthallstattzeitliches Griffdornmesser mit konkav geschwungener Klinge (Δ3; HaD, ca. 620-450
v.Chr.) zum Vorschein, das dank des Einsatzes eines Metallsuchgeräts schon vor
seiner Entfernung durch den Bagger lokalisiert und als Einzelfund in situ geodätisch
eingemessen werden konnte. Dies erwies sich als glückliche Fügung, denn nach
Freilegung und Reinigung der Oberfläche der Ablagerung unter dem Humusboden
erwies sich die genannte Verfüllung als ca. 1,5 Meter lange, ca. 0,50 Meter
breite, zu einem Hängewebstuhl gehörende Schlitzgrube (4), in der sich ca. 20 noch
ganz oder fragmentarisch erhaltene, wohl bei einem Hausbrand verziegelte Webgewichte (wohl in Bespannungslage, siehe dazu den Webstuhl
Abb. 6: Schlussdokumentation von Schnitt 1 mit der deutlich erkennbaren mutmaßlichen Pfostengrube [10] in der südwestlichen Ecke.
Abb. 7: Detailplan von Schnitt 2 mit eingetragenen Kleinfunden. |
Abb. 8: Stratigrafische Sequenz in Schnitt 2. |
Vor dem Zuschütten des Schnitts wurde die Schlitzgrube sicherheitshalber mit einer Plane abgedeckt, um in der geplanten nächsten Grabungssaison die Arbeit an ihr unmittelbar wieder aufnehmen zu können. Weil sie noch nicht vollständig ausgegraben wurde, wurde noch keine SE-Nummer für den Cut von Schlitzgrube (4) vergeben.
Schnitt 3
Abb. 9: Detailplan von Schnitt 3 mit eingetragenen Kleinfunden. Abb. 10: Stratigrafische Sequenz in Schnitt 3.
Probenentnahme
Aus allen bei der
Grabung identifizierten und als archäologische Befunde interpretierten
Ablagerungen (SE (4), (6), (7) und (9)) sowie aus SE (2) wurden jeweils kleine
Erdproben für eine Analyse der magnetischen Eigenschaften der jeweiligen
Ablagerungen entnommen. Zudem wurde aus der Schlitzgrube (4) eine
Holzkohleprobe entnommen, deren Untersuchung zum Zeitpunkt der Verfassung
dieses Berichts allerdings noch aussteht.
Fundmaterial
Stratifiziertes
Fundmaterial stammt in erster Linie aus der Schlitzgrube (4) des Hängewebstuhls
in Schnitt 2 und aus den Brandschuttverfüllungen (6) und (7) aus der
unregelmäßigen Grube [11] in Schnitt 3. Aus der mutmaßlichen Pfostengrube (9),
[10] in Schnitt 1 stammt keinerlei Fundmaterial. Zudem wurde die Grabung wie
bereits erwähnt von einem erfahrenen Metallsucher unterstützt, der sowohl im
Aushubmaterial aus Schnitten 2 und 3 und in diesen Schnitten teilweise
relevante Funde lokalisieren konnte, die dadurch in situ vor ihrer Verlagerung
eingemessen werden konnten. Zudem wurden auf Gst.Nr. 514 auch zahlreiche
Oberflächen-Streufunde aufgenommen (die, sofern sie schon an Ort und Stelle
signifikant erschienen, ebenfalls geodätisch eingemessen wurden).
Der Webstuhl von Mitterdorf (H.
Rösel-Mautendorfer)
In Schnitt 2 in
Schicht (4) befand sich ein Webstuhlbefund in situ. Es handelt sich um einen
großen Teil eines Senkrechtwebstuhl mit etwa 20 Webgewichten, der in einer
Grube stand, die seitlich und an einer Längskante mit Steinen begrenzt wurde.
Aufgrund der Menge und Lage der Webgewichte kann davon ausgegangen werden, dass
es sich um einen Webstuhl mit zwei Schaften/Fächern handelt, der in
Leinenbindung oder einer Leinenbindungsvariante, wie etwa Panamabindung,
Halbpanamabindung oder Rips aufgespannt war.
Die
pyramidenstumpfförmigen Webgewichte sind Großteils fragmentiert und weisen
sekundäre Brandspuren auf. Die Magerung der Gewichte besteht aus kleinen
Steinchen und organischem Material. Die Webgewichte haben unterschiedliche
Massen und weisen zum Teil auf der Kopffläche/Oberseite und auf den Seiten oder
der Grundfläche intentionale Verzierungen auf. Die unterschiedlichen
Verzierungen der Kopffläche/Oberseite der Webgewichte sind mittig liegende
leichte Dellen, die durch Fingereindruck gemacht wurden (Δ23, Abb.
12; 24 und 39, Abb.
13; 44, Abb.
17; 53, keine Abb.; 54, Abb.
19; 76, keine Abb.), eine mittig liegende tiefe
Delle (Δ48, Abb.
18), eine tiefe Delle mit einer kreuzförmigen
Einkerbung (Δ42, Abb.
16) und eine kreuzförmige Einkerbung ohne Delle (Δ 40, Abb.
14). Weiters kommt eine unverzierte glatte
Kopffläche/Oberseite (Δ55, Abb.
19) vor. Fund Δ42 weist zusätzlich zu der Verzierung der
Kopffläche eine 7x1 cm große Längsrille an einer Seitenfläche auf und Fund Δ39 hat eine seitliche
lineare Einkerbung zwischen zwei Seitenflächen an der Kante. Von besonderem
Interesse ist die wahrscheinlich intentionale Verzierung der Bodenfläche von
Fund Δ41 mit
mehreren parallelen und sich zum Teil überkreuzende Linien.
Bei den
Webgewichtsfragmenten sind insgesamt 15 waagrechte Lochungen erhalten (Δ23, 24, 39, 40, 41, 42,
44, 45, 48, 49, 50, 53, 54, 55, 56, 57, 74, 75). Außer bei dem Funden Δ74 und Δ75, die aus der Mitte
eines Webgewichts stammen, weisen alle anderen Webgewichtsteile mit Lochung
auch Oberflächen des Webgewichtes auf. Die Form der Lochung variiert zwischen
rund und oval und ist zwischen 0,8 und 1,4 cm groß. An manchen Stellen innerhalb
der Lochung sind leichte Abdrücke zu beobachten, die wahrscheinlich von dünnen
Fäden stammen, und liegen zum Teil auf der oberen Seite und zum Teil seitlich
im Loch.
Von den Webgewichten
ist eines komplett und drei fast komplett erhalten. Andere Fragmente sind
zumindest so weit erhalten, dass man eine ungefähre Größe rekonstruieren kann
und die Masse aufgrund der erhaltenen Stücke teilweise hochrechnen kann. Die
komplett und nahezu ganz erhaltenen Webgewichte (Δ24, 40, 42, 55) weisen unterschiedliche Größen
und Massen auf. Fund Δ 4 mit einer Höhe von 11cm, einer Grundfläche
von etwa 7x7 cm und einer Kopffläche von etwa 3x3 cm ist komplett erhalten und
hat eine Masse von 499 g. Fund Δ40 ist bis auf ein paar Absplitterungen nahezu
komplett erhalten mit einer Höhe von 14,5 cm, einer Grundfläche von etwa 8x8 cm
und einer Kopffläche von etwa 4x4 cm und wiegt 753 g. Berücksichtigt man die
fehlenden Teile kann von einer ursprünglichen Masse von etwa 800 g ausgegangen
werden. Bei Fund Δ42 fehlt ein abgeschlagener Teil im oberen Bereich des Gewichtes. Die
Höhe beträgt 15,5 cm bei einer Grundfläche von 10x10 cm und einer Kopffläche
von 4x4 cm. Die erhaltene Masse beträgt 1137 g und man kann von einer
ursprünglichen Masse von etwa 1200 g ausgehen. Der fast komplett erhaltene Fund
Δ55 mit
16 cm Höhe, einer Grundfläche von 7x7 cm und einer Kopffläche von 5x4 cm wiegt
572 g. Die ursprüngliche Masse kann mit etwa 600 g angenommen werden. Die
Webgewichte lagen anscheinend in verschiedenen Gewichtsklassen vor: leichtere
zwischen 400 g und 600 g, mittlere zwischen 700 g und 800 g und schwerere
zwischen 1000 g und 1200 g. Die Webgewichte dürften trotz der unterschiedlichen
Massen und Größen und daraus resultierenden unterschiedlichen Zugkraft alle im
Webstuhl verwendet worden sein. Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine
Gewichtsgruppe als Ersatzgewichte abseits gelagert worden ist. Möglicherweise
muss davon ausgegangen werden, dass die schwereren Gewichte mit Bodenkontakt an
die Fäden gehängt wurden und gekippt wurden, um die Zugkraft zu vermindern und
trotzdem ein gleichmäßiges Gewebe zu ermöglichen. Die unterschiedlichen
Verzierungen stimmen nicht mit den Gewichtsklassen überein und dürften daher
aus anderen Intentionen als die Markierung der unterschiedlichen Massen gewählt
worden sein.
Im Bereich des
Webstuhls wurden zudem zwei Spielsteine (Δ33, Abb.
20; 63), jeweils mit einem Durchmesser von 2 cm,
gefunden. Diese könnten wie auch das hallstattzeitliche Griffangelmesser mit
konkav geschwungener Klinge (Δ3; Abb.
11), das direkt oberhalb des Webstuhles gefunden
wurde, mit dem Arbeitsprozess des Webens in Verbindung gebracht werden.
Eisernes Griffdornmesser mit konkav
geschwungener Klinge
Abb. 11: Eisernes Griffdornmesser mit konkav geschwungener Klinge Δ3.
Die Webgewichte
Abb. 12: Webgewicht Δ23. Abb. 13: Webgewichte Δ24 und Δ39/Δ51. Abb. 14: Webgewicht Δ40. Abb. 15: Webgewicht Δ41. Abb. 16: Webgewicht Δ42. Abb. 17: Webgewicht Δ44. Abb. 18: Webgewicht Δ47 und Δ48. Abb. 19: Webgewicht Δ54 und Δ55. Abb. 20: Webgewicht Δ77 und Spielstein Δ33.
Gefäßkeramik
Abgesehen von einigen
wenigen Streufunden aller Zeitstellungen ab der Spätbronze-/Hallstattzeit stammen
alle bei der Grabung 2023 entdeckten, größeren Mengen von Scherben von
Gefäßkeramik aus den aus weggeräumten Brandschutt bestehenden Verfüllungen (6)
und (7) der unregelmäßigen Grube [11] in Schnitt 3. Während keines der stratifiziert
aufgefundenen Keramikfragmente für sich allein genauer datierbar ist,
entspricht die Machart und (soweit es erkennbar ist) das Formenspektrum dem von
spätbronze- bis späthallstattzeitlicher Keramik (vgl. z.B. Geigenberger 2008; Schneidhofer
2010; Heymans 2014) aus dem weiteren Umfeld. Lassen sich in Δ26 aus (6) Fragmente
von wenigstens 7 nur teilweise erhaltenen Gefäßen fassen (Abb. 22), sind es in Δ36 aus (7) wenigstens weitere 6 Gefäße (Abb. 23), also in Summe wenigstens 13, die in Grube
[11] mit stark verbrannten Resten von Hüttenlehm und Steinen aufgefunden
wurden. Dies deutet stark darauf hin, dass die Gefäße Bestandteil des Inventars
eines Gebäudes waren – eventuell dessen, in dem auch der im in unmittelbarer
Nähe gelegenen Schnitt 2 entdeckte, verbrannte Webstuhl stand – das einem
Schadfeuer zum Opfer fiel und dessen Brandschutt anschließend in eine daneben
gelegene Grube entsorgt wurde.
Zudem fanden sich ein
ebenfalls in dieses zeitliche Spektrum fallendes Randstück eines groben Topfes
mit einer ausgeprägten Fingertupfenleiste bzw. einem Grifflappen (Δ4) als Oberflächenfund
auf und zwei weitere Randstücke (Δ19) im Oberboden von Schnitt 2. Wohl etwas
jünger ist hingegen eine ebenfalls aus dem Oberboden von Schnitt 2 stammende
Scherbe mit Wellenbandverzierung (Δ61) (alle Abb.
21).
Schnitt 2
Abb. 21: Keramikfragmente Δ4, Δ19 und Δ61 aus dem Oberboden von Schnitt 2.
Schnitt 3, SE (6) in Grube [11]
Abb. 22: Keramik Δ26 aus SE (6) in Grube [11], Schnitt 3. |
Schnitt 3, SE (7) in Grube [11]
Abb. 23: Keramik Δ36 aus SE (7) in Grube [11], Schnitt 3.
Fragment eines Mondidols?
Ebenfalls aus dem
Oberboden von Schnitt 2 stammt ein kleines Stück gebrannter Keramik, bei dem es
sich um ein Fragment eines mit linear angebrachten Stäbchenabdrücken verzierten
Füßchens eines Mondidols (Δ62) handeln dürfte.
Abb. 24: Fragment eines Füßchens eines Mondidols (?) (Δ62).
Hüttenlehm und verzierte Plastik (?)
aus hüttenlehmartigem Material
Obwohl sich kleinere
Fragmente von Hüttenlehm (teilweise mit Stababdrücken) bzw. (von
Webgewichtsfragmenten kaum unterscheidbaren) hüttenlehmartigen Material auch im
Oberboden (1) von Schnitt 2 fanden (Δ20); stammt der Großteil des entdeckten
Hüttenlehms aus denselben Verfüllungen (6) und (7) von Grube [11] in Schnitt 3,
aus denen auch die Masse der entdeckten Gefäßkeramik stammt. Sowohl in (6), Δ31, als auch in (7), Δ34, fanden sich dabei
teilweise sehr hart gebrannte Stücke herkömmlichen Hüttenlehms, teilweise mit
Stab- bzw. Flechtwerkabdrücken, die daher wohl von lehmverschmierten Flechtwerkwandkonstruktionen
stammen.
Zusätzlich dazu fanden
sich aber in Verfüllung (6) auch zahlreiche, klein fragmentierte, stark
verbrannte Stücke aus etwas feinerem, hüttenlehmartigem Material, die
intentional – durchgehend durch feine Ritzungen bzw. Striche bzw. Kammstriche –
linear, mit Dreiecken bzw. V-Strichmustern und in einem Fall mit einem
rautenförmigen Viereck (Δ65- Δ73)
verziert waren und wohl von einem plastisch gestalteten Gegenstand gestammt
haben. Ob es sich dabei ursprünglich um eine vollplastische Figur oder ein
(z.B. an einer lehmverschmierten Flechtwerkwand appliziertes) Relief oder Halbrelief
gehandelt hat, ist aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes der Fragmente,
die sich beim besten Willen nicht wieder zusammensetzen ließen, leider nicht
mehr feststellbar. Plastisch verzierter Hüttenlehm ist aus hallstattzeitlichen
Kontexten (siehe z.B. Kmeťová et al. 2010) bekannt; dieser scheint allerdings
normalerweise keine feinen Verzierungen aufzuweisen (aber siehe die Beispiele
aus Bresto in Bulgarien; Athanassov et al. 2012, 132-134).
Abb. 25: Stücke von Hüttenlehm mit Stababrücken, Δ34. Abb. 26: Verzierter Hüttenlehm (Δ65-73).
Streufunde
Zusätzlich zu den bisher
gezeigten, Großteils stratifizierten Funden wurden auch noch eine Reihe von
Streufunden entdeckt, die dennoch an dieser Stelle kurz erwähnenswert
erscheinen.
Zuerst sind hier
mehrere Eisennägel zu erwähnen, die zwar nicht exakt datierbar sind, aber
möglicherweise auch schon aus der späten Hallstattzeit oder wenigstens – falls
die Siedlung, wie der Bronzehenkelfund von 1970 (Modrijan 1970b; Pichl 1984,
10-11) wenigstens zu vermuten zulässt, länger genutzt worden sein sollte – aus
der römischen Kaiserzeit stammen könnten. Das ist zum einen ein kurzer,
schmiedeeiserner Nagel mit großem, flachen, rechteckigen Kopf, der
möglicherweise ein Befestigungsnagel für einen eisernen Radreifen gewesen sein
könnte (Δ35, Abb.
27; Pare 1987, 196 Abb. 5, 202 Abb. 8, 202 Abb.
10; Egg & Lehnert 1999, 30, 43 Abb. 25). Zum anderen sind dies zwei ca. 3cm
lange Eisennägel mit bogenförmigem Kopf, bei denen es sich ebenfalls um Nägel
zur Befestigung von eisernen Radreifen oder aber um Beschlagsnägel von einem
Wagen handeln könnte, von denen einer als Streufund im Oberboden (1) in Schnitt
3 entdeckt wurde (Δ22), der andere hingegen sogar stratifiziert in der Verfüllung der
Schlitzgrube (4) (also im Webstuhlbefund) lag (Δ37), was eine späthallstattzeitliche Datierung
beider dieser Nägel wenigstens nahelegt. Sollten diese drei Nägel tatsächlich späthallstattzeitliche
Rad- bzw. Wagenbeschlagsnägel sein, würde das die Präsenz eines sogenannten
„Prunkwagens“ in der Siedlung oder erheblich höheres Verkehrsaufkommen an
diesem Ort als man ansonst anzunehmen geneigt wäre nahelegen.
Weiters sind mehrere
Münzfunde zu nennen; allen vorweg zwei römische Münzen, von denen insbesondere
ein zwar sehr schlecht erhaltenes, aber gerade noch als solches erkennbares, vermutlich
unter Caligula (Tiberius oder Claudius) geprägtes bronzenes As zu Ehren von
Marcus Vipsanius Agrippa (Δ28, Abb.
28; cf. https://smb.museum-digital.de/object/148600?navlang=de) erwähnenswert ist; bei der anderen handelte
es sich um ein Fragment eines Silberdenars (Δ29). Auch das legt nahe, dass entweder die
Siedlung an oder nahe dieser Stelle oder der wenigstens wohl in der
Späthallstattzeit an dieser Stelle bestehende Verkehrsweg bis wenigstens in die
römische Kaiserzeit weiter bestanden hat.
Deutlich später, aber dennoch ebenfalls der Vollständigkeit halber erwähnenswert, sind dann ein silberner Augsburger Kreuzer aus dem Jahr 1726 (Δ5, Abb. 29), jeweils eine 1 Kreuzer-Scheidemünze aus 1860 (Δ32, Abb. 30) und 1861 (Δ8) und eine 1 Kreuzer-Münze aus 1913 (Δ32, Abb. 30), ein napoleonischer Uniformknopf (Δ27), eine kleine Metalldose von ca. 3,5 cm Durchmesser und unter 1cm Stärke (Δ10) sowie eine Gürtel- bzw. Riemenzunge mit erhaltenem Textilrest mit eingewebten Goldfäden (Δ32, Abb. 30). Diese belegen, zusammen mit zahlreichem modernen Müll (Aludosenverschlüsse usw.), die wohl durchgehende Nutzung des Feldes seit wenigstens dem 18. Jahrhundert.
Abb. 27: Späthallstattzeitlicher (?) Radreifen-Befestigungsnagel (Δ35).
Abb. 28: Zu Ehren von Marcus Vipsanius Agrippe geprägtes As (Δ28). Links: Avers, Mitte: Revers, Rechts: besser erkenntliches Vergleichsstück. |
Abb. 29: Augsburger Kreuzer 1726 (Δ5). Links: Avers (vergrößert), Mitte: Revers (vergrößert), Rechts: Revers (mit Maßstab). |
Abb. 30: Riemenzunge, 1 Kreuzer Scheidemünze 1860, 1 Kreuzer 1913, Knopf (Δ32). Rechts: Stoffrest aus der Riemenzunge (leicht vergrößert). |
Vorläufige Schlussfolgerungen
Aus den bei der Anlage der drei Testschnitte
2023 getätigten Beobachtungen lassen sich – bei aller gebotenen Vorsicht – die
folgenden, vorläufigen Schlussfolgerungen ziehen:
Während des Hallstatt
D (ca. 620-450 v.Chr.) bestand im Bereich der heutigen Grundstücke Nr. 509,
510, 511, 514 und 606/1 beiderseits der Grazer Straße am südwestlichen Ortsrand
von Mitterdorf im Mürztal eine sich auch auf die benachbarten, allerdings
bereits modern überbauten Grundstücke erstreckende Siedlung. Während sich die
genaue Laufzeit dieser Siedlung aufgrund der bisherigen Grabungsergebnisse noch
nicht genauer bestimmen lässt, weisen die in oder kurz vor 1970 bei Bauarbeiten
entdeckten (vermutlich) mittellatènezeitlichen Lanzenspitzen (Modrijan 1970a;
Pickl 1984, 8-9) und der (wohl) römische Kannenhenkel (Modrijan 1970b; Pickl
1984, 10-11) gemeinsam mit dem während der Grabung auf Gst.Nr. 514 entdeckten
römischen As und Denar auf eine längere Besiedlungs- oder wenigstens
Nutzungszeit dieser Fundstelle hin.
Während der definitiv
durch die bei der Grabung entdeckten Befunde einer zu einem Hängewebstuhl
gehörenden Schlitzgrube (4) und Brandschuttgrube (6), (7), [11] bestätigten
Siedlungstätigkeit in der Späthallstattzeit stand an der untersuchten Stelle
wenigstens ein Haus, das in Holzkonstruktion mit lehmverschmierten
Flechtwerkwänden errichtet worden war und in dem wenigstens ein Hängewebstuhl
in Betrieb stand. Dieses Haus fiel noch während es benutzt wurde – am
Hängewebstuhl wurde zu dieser Zeit an einer etwa 1,5 Meter breiten Stoffbahn in
Leinenbindung oder einer Leinenbindungsvariante gearbeitet, wobei ein
Griffdornmesser mit konkav geschwungener Klinge (eventuell zum Abschneiden der
Fäden) benutzt wurde – wohl einem Schadfeuer zum Opfer. Das Haus scheint dabei samt
dem darin befindlichen Webstuhl und des Hausrats – darunter eventuell eine verzierte
Lehmplastik – niedergebrannt zu sein. Nach dem Brand scheint allerdings der
Brandschutt direkt neben der Brandruine in einer seichten Grube entsorgt worden
zu sein; was nahelegt, dass die Einwohner der Siedlung (wenigstens teilweise)
den Brand überlebt und wenigstens geplant hatten, den Ort weiter zu besiedeln
oder das auch tatsächlich getan haben. In der an einem Verkehrsknotenpunkt, an
dem sich die Wege ins obere niederösterreichische Donautal über die Veitsch und
Mariazell und über den Semmering ins südöstliche Niederösterreich und weiter
nach Ungarn trennen, gelegenen Siedlung könnte es zudem auch wenigstens einen
vierrädrigen Wagen gegeben haben oder in ihr immer wieder Wagenverkehr
durchgekommen sein, wie die möglichen Rad- bzw. Wagenbeschlagnägel zeigen.
Wann die antike
Benutzung der Fundstelle genau geendet hat, lässt sich derzeit zwar noch nicht
mit Bestimmtheit sagen; das entdeckte Fundmaterial legt aber nahe, dass wenigstens
die intensive Nutzung dieser Stelle in der Römerzeit zu einem Ende gekommen
sein dürfte. In jüngerer Zeit scheint dann die Nutzung des Grundstücks Nr. 514,
wohl als Ackerfläche, wieder spätestens im frühen 18. Jh. n.Chr. einzusetzen
und setzt sich bis heute fort. Letztere Tatsache ist allerdings auch schon aus
anderen Quellen als hinreichend bekannt vorauszusetzen, dem jüngeren
Fundmaterial kommt daher auch keine geschichtliche oder sonstige kulturelle
Bedeutung zu.
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[1] Universität Wien und Prifysgol Bangor University (UK).
[2] GeoSphere Austria.
[3] Freiberufliche Wissenschafterin.
[4] Verein für prähistorische Handwerks- und Kulturtechniken.
[5] Vienna Detectors.
[6] Gemeinde St. Barbara im Mürztal.
[7] Ferrum Noricum Productions (Portland/Oregon).
[8] ArchaeoPublica.
[9] Verwendete Zeichen entsprechend Standardkonvention nach Harris (1979;
1989); Northamptonshire Archaeology (2011, 28): Zahl in runden Klammern bzw.
Kreisen ( ) = Fill, Zahl in eckigen Klammern bzw. Rechtecken [ ] = Cut, Zahl nach Δ
= Kleinfund Nr.
[10] Der steirische Mariazellerweg geht über die Veitsch und den Pretalsattel
und bietet somit eine recht günstige Route aus dem Mürztal ins Donautal.
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