Sogenannte Raubgrabungen werden in der
archäologischen und denkmalrechtlichen Fachliteratur (z.B. Kriesch et al. 1997;
Brunecker 2008a; Martin & Krautzberger 2010; Otten 2012; Schreg 2015; Schoellen 2015; etc.) und insbesondere in der
archäologisch-denkmalpflegerischen Außenkommunikation in populären Medien (z.B.
zuletzt ORF Vorarlberg 2018; MDR 2018) gerne als eines der großen Probleme der
archäologischen Denkmalpflege dargestellt. Internationale Rechtsquellen wie
insbesondere das Europäische Übereinkommen zum Schutz des archäologischen Erbes
(revidiert),
die sogenannte Valletta-Konvention
(Europarat 1992a), schätzen dies ebenfalls so ein; wenngleich der erläuternde
Bericht zu dieser Konvention (Europarat 1992b, 1) von der noch in den 1960ern
vorherrschenden fachlichen Einschätzung, Raubgrabungen seien die größte Gefahr
für den Erhalt des archäologischen Erbes, bereits deutlich zurückweicht und
Raubgrabungen nur mehr als eine insbesondere im Vergleich zum von großflächigen
Bauprojekten angerichteten archäologischen Sachschaden eher nachrangige
Bedrohung betrachtet.
Zwar sind behördlich dokumentierte Fälle von
Raubgrabungen einigermaßen selten: im bereits oben zitierten, jüngsten Bericht
des MDR nennt zum Beispiel der dahingehend befragte Sprecher des
Landeskriminalamtes von Sachsen die Zahl von gerade einmal 4 dokumentierten
Fällen aus den letzten zwei Jahren (MDR 2018). Das ist für ein Land mit 18,450 km2
Fläche und ca. 4,37 Millionen Einwohnern wahrlich nicht gerade viel. Dennoch
sorgen immer wieder einmal spektakuläre Fälle wie die bei Raubgrabungen
entdeckte Himmelsscheibe von Nebra
(siehe z.B. Otten 2012, 21-4) oder der auch schon hier diskutierte Fall des
sogenannten Barbarenschatzes von Rülzheim
(siehe ‚Das archäologische Debakel von
Rülzheim‘) für
mediales Interesse. Vor allem aber geht nicht nur ganz berechtigt das LKA
Sachsen von „einer gewissen Dunkelziffer“
(MDR 2018) an nicht beobachteten Fällen aus: ich selbst
habe z.B. auf Basis empirisch erhobener Daten geschätzt, dass in Österreich
derzeit pro Jahr durch MetallsucherInnen irgendwo zwischen ca. einer Dreiviertel-
und drei Millionen Miniaturgrabungen durchgeführt werden, die – entsprechend
der unten noch ausgeführten Definition des Begriffs – als Raubgrabungen zu
betrachten sind. Das ist nicht nur eine „gewisse“, sondern eine gewaltige
Dunkelziffer, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Anzahl der jährlich
behördlich dokumentierten Fälle auch in Österreich nicht maßgeblich höher sein
dürfte als die für Sachsen genannte: wir reden hier von einem Verhältnis von –
ungefähr – zwischen 150.000 und 600.000 undokumentierten pro dokumentiertem
Fall.
Ob derartiger Dunkelziffern umso erschreckender
ist es, dass wir über den tatsächlich durch Raubgrabungen angerichteten
archäologischen Sachschaden – von anekdotischen Berichten und sehr seltenen
Einzelfällen wie der Nachgrabung in Nebra (Otten 2012, 21-4) einmal abgesehen –
nur sehr wenig wissen. Die vier im Bericht des MDR (2018) erwähnten behördlich dokumentierten Fälle aus
Sachsen aus den vergangenen beiden Jahren sind ein ausgezeichnetes Beispiel
dafür: in keinem davon lässt sich auch nur grob abschätzen, wieviel
archäologischer Sachschaden dabei entstanden ist.
Es gibt daher Großteils (für eine Ausnahme
siehe z.B. Oxford Archaeology 2009) nur Schätzungen, von denen die
meisten – wie zum Beispiel eine weite Aufmerksamkeit gefunden habende, aber
dafür von ihrem Ansatz, methodisch und in der Durchführung (nicht zuletzt auch
arithmetisch) umso schlechtere, Studie von Samuel A. Hardy (2017; siehe dazu auch schon ‚'Estimating' numbers?‘; Deckers et al. 2018) – vollkommen willkürlich sind. So
beziffert Hardy (2017, 40) z.B. den in England und Wales jährlich
angerichteten archäologischen Sachschaden als ca. 2,5 Millionen[1]
extrahierte archäologische Funde, die von derart beschaffener Bedeutung waren,
dass sie gemeldet hätten werden sollen, von denen aber tatsächlich ‚nur‘ ca.
85.000 (ca. 3,5%) dem Portable Antiquities Scheme (PAS) gemeldet werden (Hardy 2017, 42). Für Österreich schätzt er
übrigens pro Jahr ca. 185.000 derart bedeutende Funde[2] (Hardy 2017, 40), lässt allerdings die Tatsache
unerwähnt, dass in Österreich jährlich nur durchschnittlich ca. 150
Fundmeldungen eingehen (das wären 0,08% der von Hardy geschätzten Anzahl
meldewürdiger Funde[3]).
Inwieweit aber die bloße Extrahierung eines Fundes ex situ aus dem Boden
bereits für sich alleine tatsächlich archäologischen Sachschaden verursacht,
ist diskutierbar; der Wert solcher Schätzungen daher auch gänzlich unabhängig
davon, wie der Schätzende auf sie gekommen ist, bereits höchst fragwürdig.
Nachdem das Ausmaß des durch Raubgrabungen
verursachten archäologischen Sachschadens daher bislang als weitestgehend
unbekannt zu betrachten ist, wird in diesem Beitrag versucht, diese
Forschungslücke im Wege einer empirischen archäologischen Untersuchung
österreichischer Daten zu schließen zu beginnen.
Definitionen
Dafür ist es zuerst notwendig, wesentliche
Annahmen für diese Untersuchung genauer zu besprechen; insbesondere was als
Raubgrabung und als relevanter archäologischer Sachschaden betrachtet wird.
Definition des Begriffs Raubgrabung
Ich habe mich bereits andernorts genauer mit dem
Begriff der Raubgrabung auseinandergesetzt (Karl 2017) und halte mich daher hier kurz:
auch in diesem Beitrag verstehe ich unter diesem Begriff eine vorsätzlich oder
fahrlässig wissenschaftlich unsachgemäß durchgeführte Ausgrabung bzw. sonstige
Veränderung des Erdbodens oder Grundes unter Wasser [in der Folge: Erdarbeit] zum Zwecke der Entdeckung von
Bodenfunden und/oder -befunden. Als vorsätzlich oder fahrlässig[4]
unsachgemäß verstehe ich dabei alle solchen derartigen Erdarbeiten, bei denen
(einer oder mehrere der folgenden Punkte zutreffen, nämlich) durch den (bzw.
die) sie Durchführenden
- bei den bodenveränderten Erdarbeiten selbst keine Rücksicht auf archäologisch aussagekräftige Bodenveränderungen [in der Folge: Stratifikation (des Bodens)] genommen wird,
- die allfällig getätigten, archäologisch (mutmaßlich) aussagekräftigen Beobachtungen nicht dokumentiert sowie
- den dafür zuständigen staatlichen Behörden keine Mitteilungen (z.B. in Form von Fundmeldungen bzw. Grabungsberichten) über die archäologisch relevanten Ergebnisse der durchgeführten Erdarbeiten übermittelt werden.
Dabei ist besonders zu beachten, dass hier innerhalb
jedes dieser Kriterien ganz bewusst keine relative oder absolute Qualitätsbewertung
vorgenommen wird. Es kann schließlich bei einer archäologischen Erdarbeit vom
sie Durchführenden zwar durchaus auf die Stratifikation des Bodens Rücksicht
genommen, Beobachtungen dokumentiert und ein Ergebnisbericht den zuständigen
Behörden übermittelt werden, aber jeweils aufgrund mangelnder Kompetenz derart
schlecht, dass die Erdarbeit erheblichen archäologischen Sachschaden anrichtet.
Eine derartig inkompetent durchgeführte archäologische Erdarbeit ist jedoch
dennoch keine Raubgrabung im Sinne der hier gewählten Definition, sondern bloß
eine schlecht gemachte Ausgrabung. Erst die vorsätzliche oder fahrlässige Missachtung
der Stratifikation, der Dokumentations- oder der Ergebnismeldenotwendigkeit,
macht aus einer inkompetent durchgeführten Grabung eine Raubgrabung.
Oder einfacher: eine Raubgrabung ist eine mit archäologischer Entdeckungsabsicht
durchgeführte Erdarbeit, bei der vorsätzlich oder fahrlässig unwissenschaftlich
vorgegangen wird.
Was ist relevanter archäologischer Sachschaden?
Als im Kontext dieses Beitrages relevanten
archäologischen Sachschaden betrachte ich jedwede durch Erdarbeiten
verursachte, nachweisliche Veränderung der – im Sinne der archäologischen
Fachsprache ‚unveränderten‘[5]
– archäologischen Stratifikation des Bodens; d.h. jeden durch stratigrafische archäologische
Beobachtungen feststellbaren Eingriff in die Substanz eines ‚ungestörten‘
archäologischen Befundes unterhalb der Humusunterkante.
Die bloße (mutmaßliche oder tatsächliche)
Extraktion archäologischer Funde ex situ betrachte ich hingegen – im Gegensatz
z.B. zu Hardy (2017) – im Kontext dieses Beitrages nicht als
relevanten archäologischen Sachschaden. Dies hat gleich mehrere Gründe, die in
der Folge zu Verständniszwecken etwas genauer erläutert werden müssen.
Der erste und gleichzeitig auch wichtigste
Grund dafür ist der, dass als hauptsächliche Begründung, weshalb Raubgrabungen
unbedingt verhindert werden müssen, von der Fachwelt regelhaft angeführt wird,
dass Raubgrabungen archäologische Funde aus ihrem ‚ursprünglichen‘
Deponierungskontext im Boden reißen und dadurch archäologisch aussagekräftige
Information vernichten (z.B. Kriesch et al. 1997, 25-6; Brunecker 2008b, 19; Leskovar
& Traxler 2010, 59-61; Otten 2012, 7-8). Es werde „…rücksichtlos in archäologische Schichten eingegriffen.“
(Brunecker 2008b, 19). „Die aufgefundenen
Gegenstände“ hingegen seien „dann
allenfalls noch Antiquitäten, für die Forschung kaum noch zu verwenden und nur
noch von geringer Bedeutung“ (Kriesch et al. 1997, 26).
Der zweite und nahezu ebenso wichtige Grund
dafür ist der, dass zwar auch Funde in maßgeblich rezent gestörten
Bodenschichten, wie insbesondere im durchpflügten bzw. auch z.B. im Wald durch
Bioturbation ständig umgewälzt werdenden Ober- bzw. Humusboden, immer noch
einen Lagekontext haben, dessen Verlust durch eine Raubgrabung den Verlust
archäologischer Information nach sich ziehen kann; genau dieser Oberboden – wenigstens
in Österreich – bei professionellen archäologischen Ausgrabungen – und zwar
sowohl bei Rettungs- als auch bei Forschungsgrabungen – immer noch in der Regel
ohne adäquate Durchsuchung (unter Zuhilfenahme eines Metallsuchgerätes) mit dem
Bagger abgeschoben wird (siehe dazu genauere Daten weiter unten in diesem
Beitrag). Allfällige fachliche Beteuerungen, auch Oberbodenkontexte könnten
archäologisch aussagekräftig sein (z.B. Brunecker 2008b, 19), sind also zwar in
der Theorie durchaus nicht von der Hand zu weisen; dennoch zeigt die
professionelle Praxis, für wie (un)bedeutend die archäologische Fachwelt diese
hypothetisch auch aussagekräftig seienden Oberbodenkontexte wirklich hält. Es
ist schwer, glaubwürdig zu argumentieren, dass die Extraktion von beweglichen
Kleinfunden aus diesen Kontexten relevanten archäologischen Sachschaden
anrichtet, wenn man diese bei professionellen archäologischen Erdarbeiten
unbeachtet systematisch mit dem Bagger zerstören lässt. Dieser Eindruck wird
noch dadurch deutlich verstärkt, dass wissenschaftliche Analysen von lokalen Oberbodenfundverbreitungen
(und das nicht nur in Österreich) bisher noch – um es sehr freundlich
auszudrücken – extrem selten sind; insbesondere solche, die irgendwelche auch
nur ansatzweise signifikanten Erkenntnisse erbracht haben.
Die Kombination dieser beiden Gründe für sich
genügt an sich schon völlig, um die stratigrafisch spurlos bleibende Extraktion
von beweglichen Kleinfunden ex situ nicht als relevanten archäologischen
Sachschaden zu betrachten. Es gibt aber noch weitere Gründe dafür:
Der dritte Grund ist der, dass die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Fundgegenstand, der bei einer Raubgrabung aus dem
Boden extrahiert wurde, jemals unter archäologisch besseren Bedingungen (d.h.
bei professionellen archäologischen Feldforschungen) entdeckt würde,
verschwindend gering ist. Das liegt nicht einmal so sehr daran, dass Funde (auch)
im Boden nicht ewig halten, sondern irgendwann zerstört werden oder soweit
verfallen, dass sie – und ihre allfälligen Kontexte – nicht mehr zu retten sind;
obwohl das natürlich auch der Fall ist. Vielmehr ist es eine Frage der reinen
Wahrscheinlichkeit: im heutigen Österreich wurden z.B. zwischen 1850 und 2015
vermutlich gerade einmal etwa 0,03%[6]
aller derzeit mutmaßlich vorhandenen archäologischen Überreste durch
professionelle archäologische Erdarbeiten untersucht und dokumentiert (und
dabei eine Menge beweglicher Kleinfunde übersehen), etwa die Hälfte davon in
den letzten 20 Jahren. Um also auch nur auf 1% Wahrscheinlichkeit zu kommen,
dass ein bestimmter beliebiger archäologischer Kleinfund in Österreich bei
professionellen Feldforschungen entdeckt wird, muss man ca. 1.300 Jahre[7]
veranschlagen. Wäre die archäologische Wissenschaft wirklich derart stark auf
die Erhaltung eines konkreten, beliebigen, beweglichen Kleinfundes im Boden
angewiesen, dass sein Verlust relevanten Schaden verursachen würde, wäre
Archäologie als Wissenschaft ein aussichtsloses Unterfangen. Das ist sie
glücklicherweise nicht, weshalb aber die Extraktion beliebiger, konkreter,
beweglicher Kleinfunde aus dem Boden für sich allein – d.h. ohne Schädigung der
‚ungestörten‘ Stratifikation des Bodens – hier nicht als relevanter
archäologischer Sachschaden betrachtet wird.
Der vierte und letzte Grund für die hier
gewählte Definition ist schließlich der, dass nicht durch dokumentierte
Beobachtungen belegter Schaden empirisch weder quantitativ gemessen noch
qualitativ beurteilt werden kann. Schaden, der keine messbaren Spuren
hinterlassen hat, entzieht sich notwendigerweise jeder empirischen
Untersuchung: es gibt schließlich keine empirische Evidenz dafür, dass er
überhaupt entstanden ist. Darüber zu spekulieren, ob und wieviel Schaden spurlos
vorübergegangene Raubgrabungen angerichtet haben könnten, ohne irgendwelche
belastbaren Beobachtungsdaten dafür zu haben, dass sie überhaupt irgendeinen
Schaden angerichtet haben, ist ungefähr so sinnvoll wie darüber zu spekulieren,
wieviel Körner aus einem umgefallenen Sack Reis in China herausgefallen sind,
ohne dass irgendjemand etwas davon bemerkt hat. Für jedwede empirische
Untersuchung ist es unumgänglich notwendig, dass ihre Untersuchungsgegenstände
auch sinnlich wahrnehmbar sind; und das ist nun einmal aus archäologischer
Sicht nur jener Schaden, der sich durch archäologische Beobachtungen
dokumentieren lässt. Das macht es für diese empirische Studie unumgänglich, nur
solchen archäologischen Sachschaden als relevant zu betrachten, der
archäologisch erkennbare Spuren hinterlassen hat.
Oder einfacher: Erdarbeiten verursachen relevanten archäologischen Sachschaden, wenn
sie die Stratifikation des Bodens nachweislich rezent stören.
Datengrundlage und Methodik der Untersuchung
Die grundlegendste Methode der Interpretation
archäologischer Grabungsergebnisse, die stratigrafische Methode, stellt die mit
Abstand beste Möglichkeit dar, auf archäologischem Weg die durch Raubgrabungen
angerichteten relevanten archäologischen Sachschäden zu erkennen,
dokumentieren, quantifizieren und qualitativ zu bewerten. Das Prinzip der
archäologischen Stratigrafie ist schließlich, dass sich Bodenschichten mit
unterschiedlichen optischen und haptischen Eigenschaften (Farbe,
Zusammensetzung, Dichte, etc.) voneinander unterscheiden und sich zeitlich
spätere Störungen durch bodenverändernde Erdarbeiten dadurch erkennen lassen,
dass bestimmte optische und haptische Eigenschaften aufweisende Bodenschichten
Teile der Substanz andere derartige Eigenschaften aufweisender, früher
abgelagerter Bodenschichten zerstört oder wenigstens wesentlich verändert
haben.
Nachdem die Aufzeichnung aller archäologisch
relevanten stratigrafischen Verhältnisse die wichtigste Methode ist, um die
wissenschaftliche Auswertbarkeit der Grabungsergebnisse zu gewährleisten,
werden auch bei jeder professionellen Grabung alle den Durchführenden
signifikant erscheinenden stratigrafischen Verhältnisse sachgerecht dokumentiert.
Die beste empirische Datengrundlage für die quantitative und qualitative
Bewertung des durch Raubgrabungen verursachten, relevanten archäologischen
Sachschadens wird also bei jeder professionell durchgeführten archäologischen
Erdarbeit systematisch erhoben und dokumentiert.
Quantitative und qualitative Schadensbewertung
Nachdem auch rezente Raubgrabungen nichts
anderes sind als derartige zeitlich spätere Veränderungen der Stratifikation
des Bodens, zeichnet sich der durch sie an der sonstigen archäologischen
Stratifikation des Bodens angerichtete Sachschaden im archäologischen Befund
durch ein anderen stratigrafischen Kontexten im Boden im wesentlichen identes
Verhältnis aus: durch das wiederverfüllte und daher aller Wahrscheinlichkeit nach
andere optische und haptische Eigenschaften aufweisende Raubloch werden zu
früherer Zeit abgelagerte Bodenschichten geschnitten und wurden dadurch
teilweise oder gar nahvollständig zerstört oder wenigstens wesentlich
verändert. Diese Veränderung bzw. Zerstörung der älteren Bodenschichten ist der
quantifizierbare, relevante archäologische Sachschaden, der durch die
Raubgrabung verursacht wurde. Ein gutes Beispiel dafür bietet z.B. die
Nachgrabung am Fundort der Himmelscheibe von Nebra, bei der sich das Raubloch
als dunklere Bodenverfärbung deutlich von der sonstigen archäologischen
Stratifikation des Bodens unterscheidet (Abbildung 1; Otten 2012, 22).
Dieser quantifizierbare Sachschaden kann in
weiterer Folge dann auch zumeist einigermaßen verlässlich qualitativ bewertet
werden.
Lässt sich die nach der Raubgrabung verbliebene
Bodenstratifikation weiterhin bis auf mutmaßlich marginale Detailaspekte (wie
z.B. genau welches Fundobjekt zuvor genau wie an der veränderten Stelle im
Boden lag) archäologisch aussagekräftig interpretieren, kann der durch die
Raubgrabung angerichtete archäologische Sachschaden als insignifikant oder von
nur relativ geringer Bedeutung bewertet werden. Auch hierfür ist der Fall von
Nebra (Otten 2012, 21-4) an sich ein gutes Beispiel: ja, es sind hier durch die
Raubgrabung gewisse Detailinformationen verloren gegangen und es ist daher nun
z.B. die ‚Geschlossenheit‘ des Kontextes unsicher, aus dem die Himmelsscheibe
und ihre Begleitfunde stammen. Dies macht die Datierung der Himmelsscheibe
selbst, die ja wenigstens bislang ein absolutes Unikat darstellt, etwas
unsicherer als dies der Fall wäre, wenn sie bei einer professionellen,
kompetent durchgeführten Ausgrabung entdeckt und ebenso kompetent dokumentiert
worden wäre. Dies ist zweifellos relevanter archäologischer Sachschaden,
besonders bedeutend ist er jedoch nicht, sondern höchstens von geringer
Signifikanz.
Lässt sich die nach der Raubgrabung verbliebene
Bodenstratifikation hingegen nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr
archäologisch aussagekräftig interpretieren, muss man den angerichteten
Sachschaden jedenfalls als signifikant, wenn nicht sogar sehr signifikant
betrachten. Fehlt z.B. infolge einer Raubgrabung der gesamte, archäologisch
aussagekräftige Inhalt einer mutmaßlichen Grabgrube, so lässt sich diese zwar
immer noch als mutmaßliche Grabgrube interpretieren, aber weder etwas zur
Zeitstellung noch zu den genaueren Eigenschaften der darin mutmaßlich
niedergelegten Bestattung sagen. Das ist zweifelsohne signifikanter
archäologischer Sachschaden, weil eigentlich kann man über dieses mutmaßliche
Grab archäologisch überhaupt nichts mehr aussagen.
Eine sowohl quantitative als auch qualitative
Beurteilung des durch Raubgrabungen angerichteten, relevanten archäologischen
Sachschadens ist also mit der ureigenen Feldforschungsmethode der archäologischen
Wissenschaft selbst, der sachgerecht dokumentierten, systematischen
archäologischen Ausgrabung, hervorragend möglich. Diese Methode wurde daher
auch in dieser Arbeit zur empirischen Untersuchung des von Raubgrabungen
angerichteten archäologischen Sachschadens verwendet.
Die untersuchte Stichprobe
Als Stichprobe für diese Untersuchung wurden
alle professionellen archäologischen Feldforschungsmaßnahmen in Österreich im
Zeitraum zwischen 1.1.2013 und 31.12.2015 herangezogen, zu denen
aussagekräftige Berichte in den Fundberichten
aus Österreich (FÖ; BDA 2013; 2014b; 2015) vorliegen.
Diese Stichprobe wurde gewählt, weil alle
professionellen archäologischen Feldforschungsarbeiten in diesem Zeitraum entsprechend
nahezu exakt gleicher und vom BDA auch überwachter Standards (BDA 2012; 2014a) durchgeführt
wurden; weil das BDA gesetzlich durch § 11 Abs. 7 Denkmalschutzgesetz (DMSG) dazu verpflichtet ist, die eingehenden
Grabungsberichte, soweit wissenschaftlich relevant, in einer alljährlichen
Gesamtpublikation zu veröffentlichen; und das BDA der zuletzt genannten
Verpflichtung seit mehreren Jahren erfreulicherweise auch in Form einer
elektronischen Publikation nachkommt, die für wissenschaftliche Analysen der
Grabungsergebnisse in Österreich, wie die hier vorliegende, besonders gut
geeignet ist. Denn das BDA publiziert in der zuletzt genannten elektronischen
Publikation nicht nur die eigentlichen, auch druckschriftlich veröffentlichten
Fundberichte im engeren Sinn, sondern auch einen rein elektronisch publizierten
‚Berichtsteil B‘, d.h. ausführlichere Ergebnisberichte über die durchgeführten
archäologischen Maßnahmen. Die gewählte Stichprobe gewährleistet daher
einerseits dadurch, dass die vorliegenden Ergebnisse durch strenge fachliche
behördliche Qualitätskontrollen gelaufen sind, die fachliche Qualität der
Datengrundlage und andererseits aufgrund der gesetzlichen
Veröffentlichungspflicht die Vollständigkeit der standardisiert erfassten, vorgelegten,
wissenschaftlich relevanten Erkenntnisse über die in situ untersuchten
Stratifikationen. Sie ist daher als verlässliche und auch belastbare
Datengrundlage zu betrachten.
Um eine unabhängige Kontrollgruppe zu belassen,
deren Untersuchung nicht in die Ergebnisse dieser Studie eingeflossen ist,
wurden nur drei Jahre – die letzten mir zu Beginn der Arbeit an dieser Studie
verfügbaren Bände der FÖ – analysiert. Die ebenfalls elektronisch vorliegenden
Bände der vorhergehenden Jahre und der zwischenzeitlich erschienene Band für
das Jahr 2016 wurden nicht untersucht und können daher dazu verwendet werden,
die Ergebnisse der hier vorgestellten Studie anhand einer unabhängigen
Stichprobe vergleichbarer Größe zu überprüfen.
Insgesamt wurden laut den in den FÖ
veröffentlichten Fallzahlen im untersuchten Zeitraum von 2013 bis 2015 insgesamt
1.923 (bzw. bei händischer Zählung der individuell aufgelisteten Maßnahmen
sogar 1.926) archäologische Feldforschungsmaßnahmen registriert; wovon 249 auf gem.
§ 11 Abs. 2 ‚amtswegige‘ Maßnahmen des BDA selbst und 1.674 auf gem. § 11 Abs.
1 DMSG durch das BDA genehmigte Maßnahmen Dritter entfielen. Von diesen wurden
96 letztendlich nicht durchgeführt, was die Anzahl der tatsächlich
durchgeführten derartigen Maßnahmen auf 1.827 reduziert, die in dieser Studie
betrachtet wurden. Diese Grundgesamtheit stellt etwa 25% aller von 1986 bis 2015
und etwa 10% aller seit 1850 in Österreich durchgeführten professionellen
archäologischen Feldforschungen dar, kann also auch in dieser Hinsicht als
verlässliche Datengrundlage betrachtet werden.
Bei 324 dieser Maßnahmen wurden keine
archäologisch relevanten Beobachtungen gemacht. Von insgesamt 89 Maßnahmen lag
bei Redaktionsschluss des jeweils relevanten Bandes der FÖ noch kein
Maßnahmenbericht[8]
und auch keine Mitteilung einer verspäteten Übermittlung dieses Berichts[9]
beim BDA vor. Insgesamt konnten somit Berichte
von 1.414[10] archäologischen Feldforschungsmaßnahmen
– die überwältigende Mehrheit davon Ausgrabungen – in dieser Studie ausgewertet
werden. Nachdem sich unter diesen Maßnahmen Grabungen in Fundstellen aller
archäologischen Perioden und auch dem Spektrum des bisher bekannten
archäologischen Erbes gut entsprechenden Fundstellen befanden, kann davon
ausgegangen werden, dass diese Stichprobe also auch für alle Arten
archäologischer Fundstellen aller Zeitperioden, d.h. für die österreichische
Archäologie in ihrer Gesamtheit, durchaus repräsentativ ist.
Methode der Untersuchung der Stichprobe
Nachdem die Grabungsberichte elektronisch
vorliegen, wurde die Stichprobe zuerst mit einer Reihe bestimmter Suchbegriffe
(Tabelle 1) mittels der Textsuchfunktion von
Adobe Acrobat Pro DC durchsucht, um Berichte zu identifizieren, die
möglicherweise über durch Raubgräber verursachte Schäden berichteten. Die
derart identifizierten Berichte wurden jeweils vollständig gelesen und Fälle
von durch Raubgrabungen, aber auch (nicht rezenten) Grabraub, Steinraub und
anderen Gefährdungsursachen erzeugten, dokumentierten Schäden an der ansonsten
rezent ungestörten Stratifikation des Bodens sowohl statistisch erfasst als
auch qualitativ beurteilt. Zusätzlich dazu wurden alle ca. 20.000 Seiten, über
die sich die archäologischen Maßnahmenberichte für den Untersuchungszeitraum
erstrecken, quergelesen, um zu überprüfen, ob relevante Berichte durch die
elektronische Suchfunktion des verwendeten Programms oder aufgrund schlecht
gewählter Suchbegriffe übersehen worden waren. Dies war jedoch nicht der Fall,
beim Querlesen wurden keine weiteren relevanten Berichte identifiziert.
Suchbegriff
|
Mittels des Suchbegriffs
identifizierte, raubgrabungsrelevante Schlagworte
|
Raub
|
Beraubung,
Grabraub, Raubgräber, Raubgrabung, Steinraub,
etc.; aber auch irrelevante Begriffe wie graubraun
etc.
|
Illegal
|
illegale
Grabung, illegale Aktivitäten, etc.
|
Sonden
|
Metallsonden,
Sondengänger,
etc.; aber auch Magnetsonden,
Bohrkernsonden, etc.
|
Sondl
|
Sondler, etc.
|
Metallsuch
|
Metallsuchgerät, Metallsucher, Metallsuche, etc.
|
Detect
|
Metalldetektor,
detektiert,
Detektion,
etc.
|
Tierbau
|
Tierbau,
Tierbauten;
als Kontrollbegriff verwendet
|
Tab. 1: Verwendete Suchbegriffe zur
Identifikation relevanter Schlagworte in den Fundberichten.
Zusätzlich wurde als Kontrollbegriff, um zu
überprüfen, ob auch andere relevante Störungen der archäologischen
Bodenstratifikation in den Grabungsberichten erfasst wurden, auch nach dem
Begriff ‚Tierbau‘ gesucht. Die Tatsache, dass auch Störungen durch Tierbauten
erwähnt werden, zeigt, dass tatsächlich in den untersuchten Berichten von deren
AutorInnen darauf Wert gelegt wurde, alle relevanten Störungen archäologischer
Stratifikationen zu dokumentieren, unabhängig davon, ob diese Störungen
humangeneriert oder natürlichen Ursachen geschuldet waren.
Resultate
Aufgrund der verwendeten Suchbegriffe und des
gewählten Vorgehens konnten Daten erhoben werden, die es ermöglichen, mehr
Fragen als rein nur die nach dem durch rezente Raubgrabungen verursachten
relevanten archäologischen Sachschaden zu beantworten. Im Folgenden werden
daher zuerst alle für diesen Beitrag relevanten Untersuchungsergebnisse
vorgestellt, ehe konkrete Beispiele für Schadensfälle vorgestellt und
abschließend Schlussfolgerungen gezogen werden.
Beraubung während der Grabung
Obgleich archäologische Ausgrabungen immer
wieder einmal Ziel von Raubgrabungsaktivitäten auf der offenen Grabungsfläche
werden (die erste Grabung, die ich 1992 selbst geleitet habe, wurde z.B. derart
beraubt), wurde in der untersuchten Stichprobe kein einziger derartiger Fall
erwähnt (Tabelle 2, Spalte Nr. 1). Inwieweit eine
solche Beraubung ‚bei offener Grabung‘ in Grabungsberichten als erwähnenswert
betrachtet wurde, ist hingegen weniger klar: zwar sollten solche Vorfälle im
Sinne einer professionellen Best Practice
durchaus dokumentiert werden, aber ob man sie wirklich in einen Grabungsbericht
an das BDA schreiben muss (oder auch nur soll), ist eine andere Frage. Dennoch:
von diesem Vorbehalt abgesehen scheint es so, als ob im Zeitraum 2013-2015 in
Österreich auf keiner Grabung Funde von Raubgräbern von der offenen
Grabungsfläche gestohlen wurden.
Sicherlich durch rezente Raubgrabungen verursachte Schadensfälle
In der für diese Frage relevanten
Grundgesamtheit von 1.414 archäologischen Feldforschungsmaßnahmen konnten 5
identifiziert werden, bei denen durch rezente Raubgrabungen verursachter,
relevanter archäologischer Sachschaden mit Sicherheit oder wenigstens an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identifiziert und dokumentiert werden
konnte. Das sind 0,35% aller im Untersuchungszeitraum durchgeführten,
professionellen archäologischen Maßnahmen (Tabelle 2, Spalte Nr. 2). Dabei ist
allerdings auch mit zu bedenken, dass 4 dieser 5 archäologischen Maßnahmen wenigstens
teilweise auch deshalb an der betreffenden Stelle durchgeführt wurden, weil
dort zuvor eine bereits bekannte Raubgrabung stattgefunden hatte. Es sind
aufgrund der ‚gezielten‘ Nachgrabung an Stellen, an denen bereits bekannte oder
offensichtliche Raubgrabungen stattgefunden hatten, die Fälle auch durch
stratigrafische Beobachtungen dokumentierter rezenter Raubgrabungen also
potentiell deutlich überrepräsentiert.
Zwei Beispiele werden weiter unten noch etwas
ausführlicher diskutiert (der signifikanteste und der am wenigsten signifikante
Schadensfall). Hier ist jedoch schon festzuhalten, dass in keinem einzigen Fall
mehr als 5% der mutmaßlich an Ort und Stelle vorhandenen archäologischen
Hinterlassenschaften, in einer Mehrheit der Fälle sogar weniger als 0,1% davon,
überhaupt durch die nachgewiesenen Raubgrabungen geschädigt worden war. Ebenso
war in der Mehrheit der vorliegenden Fälle der angerichtete Schaden
insignifikant oder von nur enorm geringer Signifikanz. Selbst in den
‚dramatischsten‘ Fällen – der Beraubung der Zentralbestattungen in zwei
hallstattzeitlichen Grabhügeln (zum schwerwiegenderen dieser Fälle siehe mehr
weiter unten) – ist der archäologische Sachschaden zwar durchaus von moderater
Signifikanz, aber dennoch keineswegs dramatisch.
Insbesondere im Vergleich zu den im
Untersuchungszeitraum 2013-2015 insgesamt professionell archäologisch
untersuchten, rezent ungestörten Befunden und den dabei entdeckten beweglichen
Fundgegenständen ist der sicherlich durch rezente Raubgrabungen angerichtete
Sachschaden minimal. Durch rezente Raubgrabungen war quantitativ weniger als
0,001% der insgesamt dokumentierten archäologischen Bodenstratifikation
betroffen. Im wesentlichen dasselbe gilt für den entstandenen qualitativen
Schaden am wissenschaftlichen Erkenntnispotential der untersuchten Quellen: 2
signifikant geschädigten Befunden stehen zehntausende gegenüber, an denen Raubgrabungen
bis zu ihrer professionellen Ausgrabung durch Fachleute keinen Schaden
angerichtet haben.
Möglicherweise durch rezente Raubgrabungen verursachte Schadensfälle
In sieben weiteren Fällen (bzw. 0,5% der
Stichprobe; Tabelle 2, Spalte Nr. 3) vermuteten die
VerfasserInnen der Fund- bzw. Grabungsberichte, dass manche Fälle des von ihnen
registrierten und dokumentierten Schadens an archäologischen
Bodenstratifikationen eventuell (auch) auf rezente Raubgrabungen zurückzuführen
sein könnten. In allen Fällen ist diese Wahrscheinlichkeit allerdings sehr
gering und andere Ursachen – wie Pflugschaden oder Schaden durch Tierbauten –
weit wahrscheinlicher als Schaden durch Raubgrabungen. In allen Fällen ist der
beobachtete Sachschaden sowohl quantitativ als auch qualitativ eher gering,
wenn nicht gänzlich irrelevant.
Selbst wenn man all diese Fälle als Fälle von
durch rezente Raubgrabungen verursachtem relevanten archäologischen Sachschaden
rechnen wollen würde (dann 12 von 1.414 Fällen, d.h. 0,85% [0,44-1,48%]), ändert auch das am Gesamtbild des dokumentierten Schadens
durch Raubgrabungen praktisch nichts. Es wären vielleicht 0,0015% statt weniger
als 0,001% der dokumentierten archäologischen Bodenstratifikation betroffen,
und der Verlust wären eventuell 5-6 statt nur 2 signifikant geschädigte Befunde,
denen aber immer noch zehntausende nicht durch Raubgrabungen geschädigte
Befunde gegenüberstehen. Die Einbußen an archäologischem Erkenntnispotential,
die dadurch verursacht worden sind, sind also bestenfalls marginal.
Durch nicht rezenten Grab- oder Steinraub verursachte Schadensfälle
In insgesamt 46 Fällen (bzw. 3,25% der
Stichprobe; Tabelle 2, Spalte Nr. 4) wurde archäologisch
relevanter Sachschaden durch Grab- oder Steinraub in der nicht rezenten Vergangenheit
stratigrafisch beobachtet und dokumentiert.
Die dabei erzeugten Schäden sind meist durchaus
signifikant, oft sogar sehr signifikant. So sprechen Berichte z.B. häufiger
davon, dass zahlreiche, wenn nicht sogar die Mehrheit aller Bestattungen in einem
ausgegrabenen Gräberfeld zeitnah beraubt worden war; und der Steinraub hat oft
selbst bedeutendere Bauwerke bis auf die (oder inklusive der) untersten
Fundamentsteine beraubt. Selbstverständlich wird der Steinraub dabei oft selbst
dann nicht in den Grabungsberichten erwähnt, wenn er offensichtlich
stattgefunden haben muss. Tatsächlich sind derartige Fälle in der Auswertung
der Stichprobe daher deutlich unterrepräsentiert, weil die AutorInnen der
Grabungsberichte es gar nicht wert befunden haben, die offensichtliche Tatsache
zu erwähnen, dass ein Großteil des Baumaterials der untersuchten baulichen
Strukturen offenkundig nicht mehr an Ort und Stelle vorhanden ist und daher
wohl geraubt worden sein dürfte.
Durch Ackerbau oder Bioturbation des Bodens verursachte Schäden
In insgesamt 62 Fällen (d.h. 4,38% der
Stichprobe; Tabelle 2, Spalte Nr. 5) konnte durch
ackerbauliche Tätigkeiten oder nennenswerte Bioturbation des Bodens
verursachter, relevanter archäologischer Sachschaden beobachtet und
dokumentiert werden. Quantitativ sind derartige Schäden sogar mit Abstand die
größten, insbesondere flächenmäßig; während sie qualitativ von völlig oder weitgehend
insignifikant bis hoch signifikant variieren.
Negativbefunde
In 11 von 15 Fällen, in denen eine angebliche
oder tatsächliche Gefährdung der untersuchten Fundstelle durch Raubgräber in
den Fund- bzw. Grabungsberichten erwähnt wurde, konnten bei den an Ort und
Stelle durchgeführten professionellen archäologischen Untersuchungen keine
rezenten Raubgrabungen zuzuweisenden Schäden stratigrafisch beobachtet und
dokumentiert werden (Tabelle 2, Spalte Nr. 6). Die 4 verbleibenden
Fälle sind die, bei denen aufgrund einer bereits bekannten Raubgrabung die
Grabungsstelle so gewählt worden war, dass die Spuren der Raubgrabung dann auch
stratigrafisch beobachtbar waren; die also in den Bereich der selection bias fallen. Besonders
beachtenswert ist, dass sich unter den 11 Fällen von Negativbefunden mehrere
Fundstellen befinden, die bekanntermaßen nachweislich seit langem intensiv von
Metallsuchern abgesucht werden und auf denen sich dennoch – bei teilweise
großflächigen Grabungen und relativ dünner Humusdecke – weder Hinweise auf
rezente Befundstörungen durch Raubgrabungen fanden noch Metallfunde selbst im
Oberboden völlig fehlten, sondern wo vielmehr ein beachtliches Spektrum an
Metallfunden beobachtet wurde.
Einsatz von Metallsuchgeräten bei professionellen archäologischen Feldforschungen
Nachdem mehrere der in dieser Untersuchung
verwendeten Begriffe gezielt auf Erwähnungen von Metallsuchgeräten abstellten,
war es auch möglich, statistisch die Benutzung von Metallsuchgeräten auf
archäologischen Ausgrabungen zu erfassen. Das BDA (2012; 2014b) verlangt
nämlich in seinen Richtlinien, dass eingesetzte technische Geräte im
Grabungsbericht zu spezifizieren sind. Darüber hinaus findet die Verwendung von
Metallsuchgeräten gewöhnlich auch in der Beschreibung der Vorgehensweise auf
der Grabung bzw. insbesondere beim dieser regelhaft vorangehenden Abschub des
Oberbodens mittels eines Baggers Erwähnung. Darüber hinaus kamen
Metallsuchgeräte auch in einer Reihe von Prospektionsprojekten zum Einsatz. Um
nicht zu feine Klassifikationen vorzunehmen, wurde zwischen den verschiedenen
Einsatzarten von Metallsuchgeräten bei Prospektionsprojekten und auf Grabungen
nicht weiter unterschieden.
Insgesamt konnten 86 Fälle (4,71% der hier
relevanten Grundgesamtheit von 1.827 tatsächlich durchgeführten Maßnahmen; Tabelle 2, Spalte Nr. 7) registriert werden,
in denen bei professionellen archäologischen Feldforschungsprojekten
Metallsuchgeräte eingesetzt wurden. Etwa ein Viertel davon entfällt dabei auf
‚Metallsuchgerätprospektionen‘, der Rest ist Einsatz bei Grabungen, der
allerdings auch bedeutend variieren kann. Beachtenswert ist dabei auch die
ungleiche räumliche Verteilung des Einsatzes von Metallsonden in Österreich:
stehen Metallsuchgeräte bei professionellen Feldforschungen in Westösterreich
deutlich über dem Bundesdurchschnitt im Einsatz, sinkt der Prozentsatz von
derartigen Maßnahmen umso weiter ab, desto weiter nach Südosten man blickt.
1)
|
2)
|
3)
|
4)
|
5)
|
6)
|
7)
|
|
FÖ 52/2013
|
0
|
1
|
4
|
17
|
10
|
4
|
17
|
FÖ 53/2014
|
0
|
3
|
0
|
13
|
26
|
1
|
34
|
FÖ 54/2015
|
0
|
1
|
3
|
16
|
26
|
6
|
35
|
Summe
|
0
|
5
|
7
|
46
|
62
|
11
|
86
|
Grundgesamtheit
(n=)
|
k.A.
|
1.414
|
1.414
|
1.414
|
1.414
|
15
|
1.827
|
% der Stichprobe
|
0
|
0,35
|
0,5
|
3,25
|
4,38
|
73,33
|
4,71
|
Konfidenzintervall (95%)
|
k.A.
|
0,11-0,82
|
0,20-1,02
|
2,39-4,32
|
3,38-5,59
|
56,56-96,10
|
3,78-5,78
|
Tab. 2: Überblickstabelle Fallzahlen.
Spalte 1) Beraubungen auf offener Grabung, 2) Schäden durch sicherlich rezente Raubgrabungen,
3) Schäden durch möglicherweise rezente Raubgrabungen, unsicher, 4) Schäden
durch nicht rezenten Grab- oder Steinraub, 5) Durch Ackerbau oder Bioturbation
verursachte Schäden, 6) Negativbefunde betreffend rezenter Raubgrabungen, 7)
Einsatz von Metallsuchgeräten bei professionellen archäologischen Feldforschungsmaßnahmen.
Beispiele für relevanten archäologischen Sachschaden
In der Folge werden drei Beispiele für
archäologischen Sachschaden kurz etwas genauer diskutiert. Die ersten beiden
sind der schlimmste und der harmloseste Fall von durch rezente Raubgrabungen
angerichteten Sachschaden in dieser Stichprobe. Das dritte dient zur
Kontrastierung der beiden ersten Beispiele mit einem Fall einer
‚professionellen‘ Raubgrabung aus länger vergangener Zeit, deren Besprechung
gleichzeitig eine wichtige Überleitung zum Schlussteil dieser Studie darstellt.
Hallstattzeitlicher Grabhügel ‚Bubenberg‘, KG Spielfeld, OG Spielfeld, Steiermark
Im Rahmen des ‚BorderArch-Steiermark‘-Projektes
wurden 2014 archäologische Ausgrabungen auf dem ‘Bubenberg’ an der
österreichisch-slowenischen Grenze durchgeführt, um einen mutmaßlich
hallstattzeitlichen Grabhügel genauer zu untersuchen, der bedeutende
Beraubungsspuren aufwies. Bereits oberflächlich eindeutig erkennbar waren ein
Raubtrichter im Zentrum und ein vom Rand her in den Körper des Grabhügels
eindringender Raubgraben. Nicht gänzlich vergangene Überreste von Zweigen und
Blättern im Verfüllmaterial dieser beiden Raublöcher weisen darauf hin, dass diese
wohl vor nicht allzu langer Zeit, wenn nicht sogar erst vor kurzem, in den
Hügel gegraben wurden (Mele et al. 2014a, 343; Abbildung 3). Die Raublöcher hatten anscheinend
alle Überreste der in diesem Hügel eingebrachten Bestattung oder Bestattungen
zerstört. Aufgrund von im Schüttmaterial des Hügelkörpers aufgefundenen
Keramikfragmenten und einem bronzenen Anhänger kann der Grabhügel wohl dennoch
einigermaßen verlässlich in die Hallstattzeit datiert werden (Mele et al.
2014b, D5478). Der Grabhügel wurde also durch die Raubgrabungen fraglos
signifikant archäologisch geschädigt: genauere Aussagen über die in ihm
vorgenommene Bestattung sind nicht mehr möglich.
Allerdings waren der Grabhügel selbst und die
darunterliegende Archäologie weitaus komplexer stratifiziert als die obige
Kurzbeschreibung des Schadens vermuten lassen würde: die Hügelschüttung bestand
nämlich aus 4 verschiedenen Ablagerungsschichten, von denen die oberste zwei
römische Münzen enthielt, was eine nachhallstattzeitliche Nachnutzung des
Hügels wenigstens vermuten lässt (Mele et al. 2014b, D5476). Die unmittelbar darunter
liegende Schüttschicht enthielt ebenfalls Funde, nämlich Abschläge und
Steinbeile aus Serpentin (Mele et al. 2014b, D5476), was darauf hindeutet, dass
bei der Gewinnung des Schüttmaterials für diese Schicht ältere archäologische
Ablagerungen gestört und auf den Hügel verlagert wurden. Tatsächlich wurden
weitere Befunde des Horizontes, aus dem dieses Schüttmaterial gewonnen worden
war, unter dem Grabhügel verborgen entdeckt. Die Pfostenlöcher, Gruben und
Gräbchen, die in den anstehenden natürlichen Untergrund eingetieft worden
waren, enthielten teilweise nicht diagnostische prähistorische Keramikfragmente,
die wohl mit der – wahrscheinlich wohl neolithischen – Besiedelung der
Fundstelle in Zusammenhang stehen (von welcher sich wenigstens zwei Bauphasen
identifizieren ließen), über deren Resten dann später der Grabhügel errichtet
worden war (Mele et al. 2014b, D5478-81). Die Überreste dieser Siedlung waren
durch die auf die Ausplünderung des Grabhügels gerichtete Raubgrabung scheinbar
nicht betroffen worden; wohl aber durch die Abtragung von Erdmaterial für die
Aufschüttung des Hügelkörpers in der Hallstattzeit, durch die zumindest Teile
der neolithischen Überreste zerstört bzw. maßgeblich verlagert wurden.
Während also die (mutmaßlich)
hallstattzeitliche Bestattung, die sich vermutlich einmal im Hügel befunden
hat, ebenso wie etwa 5% des Körpers des Hügels durch die Raubgrabungen zerstört
und damit fraglos signifikanter archäologischer Sachschaden angerichtet wurde,
ist der Schaden insgesamt im Vergleich mit den dennoch weiterhin gewinnbaren
und gewonnenen Informationen über die längerfristige Biografie der Fundstelle
sehr begrenzt. Ja, es lässt sich nun nicht mehr bestimmen, wann genau das
hallstattzeitliche Grab niedergelegt wurde, ob es ein Männer- oder ein
Frauengrab und wie reich der bzw. die Tote ausgestattet gewesen ist, und auch
nicht, ob das Grab nicht ohnehin schon bald nach seiner Errichtung antik
beraubt worden war. Das ist jedoch in der Geschichte der Archäologie dieser Fundstelle
nur ein relativ kleines Detail, dessen Verlust auch wohl kaum dazu führen wird,
dass wir irgendwelche wichtigen Forschungsfragen über die hallstattzeitliche
Geschichte der Steiermark oder gar des weiteren südösterreichisch-slowenischen
Großraums gar nicht mehr beantworten können, die wir sonst beantworten hätten
können. Die Signifikanz des angerichteten Schadens ist also auch nicht
besonders bedeutend.
Eisenzeitliche Eisenverhüttung, KG Waltersdorf, SG Judenburg, Steiermark
Bei Untersuchungen in einem mutmaßlich (auch)
der Eisenverhüttung gewidmeten Bereich der hallstatt- und latènezeitlichen
Siedlung auf dem Falkenberg in Waltersdorf in der Steiermark im Jahr 2014 wurde
ein Raubloch in der Stratifikation des Bodens beobachtet. Die Hinweise auf
Eisenverhüttung (Flußschlacke, Ofenwand- und Düsenfragmente), deren
Untersuchung das Ziel der Grabungen an Ort und Stelle war, waren 2011 im Aushub
des schon damals oberflächlich entdeckten Raublochs gefunden worden, die
Raubgrabung also mittelbarer Grund für die Wahl des Grabungsortes (Tiefengraber
& Tiefengraber 2014a, 348).
Das Raubloch, das etwa einen halben Meter
Durchmesser aufwies, scheint dabei allerdings nur durch den nur wenige cm
starken Humusboden in die unmittelbar darunter liegende, etwa 5-10 cm starke,
von den AusgräberInnen als „Erosionsschicht“
bezeichnete Schicht aus verlagertem Material eingedrungen zu sein, denn es
scheint auf keinem der dem Grabungsbericht angeschlossenen Befundpläne
verzeichnet zu sein. Unterhalb dieser Erosionsschicht, die hallstatt- und
latènezeitliche Keramikfunde erbrachte, wurde eine stärkere Planierungsschicht
angetroffen, die ihrerseits überwiegend frühlatènezeitliche Keramikfunde
erbrachte. Diese Schicht wiederum bedeckte die Überreste frühlatènezeitlicher
Bauten: die Steinunterfütterungen und Fundamentsteine für die Auflage von
Schwellbalken von zwei Gebäuden der jüngsten Bauphase und, unter einem davon,
ein Wandgräbchen und die Steinunterfütterung eines früheren (Hallstatt
D-zeitlichen?) Gebäudes (Tiefengraber & Tiefengraber 2014b, D5533-7).
Der durch die Raubgrabung verursachte Schaden
an der Stratifikation des Bodens der Fundstelle scheint sich also auf eine zwar
einigermaßen fundreiche, aber durch natürliche Prozesse seit ihrer
Entstehungszeit verlagerte Schicht des Bodens beschränkt zu haben. Obgleich
zweifellos irgendein Fund aus dem Raubloch extrahiert worden sein wird – der
Grabungsbericht spricht von einigen bemerkenswerten frühlatènezeitlichen
Metallfunden, darunter den Knauf eines Helms vom Typ Berrú, die von Metallsuchern auf dem Falkenberg entdeckt wurden
(Tiefengraber & Tiefengraber 2014b, D5536) – scheint der durch diese Raubgrabung
angerichtete Schaden sowohl quantitativ minimal als auch qualitativ
insignifikant zu sein.
Selbstverständlich wäre es interessant gewesen,
zu wissen, wo genau am Falkenberg diese von Metallsuchern extrahierten
Kleinfunde entdeckt worden sind; dass aber aus der Fundverteilung in einer
Erosionsschicht bedeutendere wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnbar gewesen
wären, ist doch eher unwahrscheinlich. Davon, dass durch diese Raubgrabung das
wissenschaftliche Erkenntnispotential der Fundstelle auch nur so geschmälert
worden wäre, dass sich irgendeine wissenschaftliche Frage (außer „Welche Funde
lagen an der Stelle des Raubloches in genau welcher Lage im Boden?“),
geschweige denn eine bedeutendere wissenschaftliche Forschungsfrage nicht mehr
beantworten lässt, kann also eigentlich nicht ausgegangen werden.
‘Strettweg Tumulus III’, KG Waltersdorf, SG Judenburg, Steiermark
Für das als Kontrast zu den beiden vorherigen
gewählte dritte Beispiel bleiben wir in derselben steirischen Gemeinde wie beim
zuletzt genannten Fall, auf einer mit der prähistorischen Besiedlung des
Falkenbergs zweifelsfrei in Zusammenhang stehenden, aber weit bekannteren
Fundstelle: dem hallstattzeitlichen Gräberfeld von Strettweg. 2013 wurde in
diesem – vor allem für den Fund des sogenannten ‘Kultwagens’ (Abbildung 4) während der Einebnung des Tumulus
I im Jahr 1851 – bekannten Gräberfeld das dritte sogenannte ‘Fürstengrab’
ausgegraben. Dem Grabungsbericht zufolge wurde diese Grabung durch die zunehmende
Schädigung von Tumulus III durch die landwirtschaftliche Nutzung des
Grundstückes, auf dem sich der Grabhügel befindet, und die steigende Bedrohung
durch Raubgräber veranlasst (Tiefengraber & Tiefengraber 2013a, 343).
Abb. 4: Der ‘Kultwagen‘ von Strettweg (Bild: Thilo Parg / Wikimedia Commons 2013, Lizenz: CC BY-SA 3.0). |
Obgleich Tumulus III, wie vermutlich die drei
benachbarten ‘Fürstengräber’ auch, ursprünglich wohl etwa 8-10 Meter hoch
gewesen sein dürfte, war er wie alle anderen (mehrheitlich bedeutend kleineren)
ca. 70 zu diesem Gräberfeld gehörenden Grabhügel durch die landwirtschaftliche
Bodennutzung bereits vollständig eingeebnet worden. Dennoch bestand infolge der
Entdeckung eines ‘ungestörten’ ‘Fürstengrabes’ in Tumulus II bei den Ausgrabungen
im vorhergehenden Jahr (Tiefengraber & Tiefengraber 2012) eine nicht
unbedeutende Hoffnung, ein weiteres ebensolches auch bei der Ausgrabung von
Tumulus III anzutreffen.
Trotz der praktisch vollständigen Einebnung des
Hügels konnte bei der Ausgrabung festgestellt werden, dass sich der Hügelkörper
doch noch bis zu einer Höhe von ca. 60 cm im Erdboden erhalten hatte, was auf
gute Erhaltungsbedingungen für die Zentralbestattung hoffen ließ. Diese war
jedoch, wie sich bald herausstellte, beraubt worden, wenn auch wohl weder antik
noch rezent. Vielmehr scheint sie – mehr oder minder ‘professionell’ –
irgendwann einmal nach der ursprünglichen ‘Ausgrabung’ der Grabkammer des
Tumulus I in Strettweg durch Ferdinand Pfeffer im Jahr 1851 bzw. der
‚wissenschaftlichen Nachgrabung‘ durch Prof. Matthias Robitsch im Jahr 1852,
beraubt worden zu sein.
Im Grabungsbericht wird die Beraubung des
Zentralgrabs in Tumulus III mit den ‘Grabungsmethoden’ von Pfeffer und Robitsch
in Tumulus I kontrastiert: während Pfeffer einfach ein Loch in die
Zentralkammer gegraben hatte, hatte Robitsch Fundkonzentrationen mit
unregelmäßig gegrabenen, abgewinkelten Suchschnitten verfolgt. Die bei den
Ausgrabungen von Tumulus III 2013 entdeckte ‘Raubgrabungsgrube’ hingegen hatte
Maße von etwa 5 mal 7 Meter und war beinahe rechtwinkelig bis leicht
trapenzförmig mit nahezu senkrechten Randprofilen gegraben worden. Der
Grabungsbericht merkt dazu an: „Insgesamt
erinnert die Beraubungsgrube der Grabkammer von Tumulus III weniger an eine
unsystematische Störung und Suche nach einzelnen Funden, sondern vielmehr an
einen gezielt angelegten und im Anschluss sorgfältig verfüllten
„Grabungsschnitt“, wobei offenkundig Wert darauf gelegt wurde, größere Steine
wieder möglichst tief einzufüllen, um die Qualität des Ackerbodens nicht zu
beeinträchtigen.“ (Tiefengraber
& Tiefengraber 2013b, D3968). Auch wurden im Verfüllmaterial des Raubloches – von einigen Fragmenten
von Keramik aus dem 19. Jh. einmal abgesehen – so gut wie keine Funde entdeckt,
was auf ein aufmerksames Durchsuchen, wenn nicht sogar Sieben, des Aushubs bei
der Plünderung des Zentralgrabes hindeutet. Auch das spricht deutlich gegen
eine hastig durchgeführte Raubgrabung. Tiefengraber und Tiefengraber (2013b,
D3968-9) schätzen daher, dass diese ‘Grabung’ wohl in der zweiten Hälfte des
19. oder der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben dürfte,
eventuell inspiriert durch die Entdeckung des ‘Kultwagens’. Bemerkenswerterweise
scheinen jedoch keinerlei Unterlagen über oder auch nur lokale Erinnerungen an
diese Grabung überlebt haben: einzig eine von mehreren lokalen Gewährsleuten dem
Grabungsteam kolportierte Geschichte über die angebliche Entdeckung eines
bronzenen Ochsen in Strettweg, wenngleich zu unbekannter Zeit und unter
ebensolchen Umständen, könnte mit dieser Raubgrabung in Zusammenhang stehen.
Um es noch etwas deutlicher auszudrücken als Tiefengraber
und Tiefengraber: aus der im Grabungsbericht präsentierten Evidenz kann man
eigentlich nur die Schlussfolgerung ziehen, dass die zentrale Grabkammer im
Strettweg Tumulus III nicht einer unprofessionellen, sondern vielmehr einer
‚professionellen‘ archäologischen Erdarbeit zum Opfer gefallen ist. Es dürfte
wohl ganz gezielt und strategisch geplant durch eine frühe ‘fachmännische’
Grabung ein Schnitt ins Zentrum des Hügels gesetzt wurden sein, um die
Zentralkammer wissenschaftlich zu untersuchen; am ehesten wohl noch in der 2.
Hälfte des 19., eventuell in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Es
scheint jedoch über diese Grabung niemals ein ordentlicher Grabungsbericht
verfasst worden zu sein; oder wenigstens, wenn er doch verfasst wurde, niemals
einer geeigneten fachlichen Institution[11]
zur Archivierung übermittelt worden und daher (oder gar dort) seitdem verloren
gegangen zu sein. Das hat de facto zur vollständigen Zerstörung der zentralen
Grabkammer und aller unmittelbar damit verbundenen Befunde und zum Verlust
aller archäologischen Informationen geführt, die diese enthalten haben mögen;
auch wenn die Ausgrabungen 2013 viele weitere maßgebliche Erkenntnisse über den
Grabhügel und seine Errichtung und Nachnutzung gewinnen konnten.
Wo also die – wenn auch ‘frühe’ –
professionelle archäologische Ausgrabung den Grabhügel erforscht hat, hat sie
tatsächlich Totalschaden angerichtet. Dazu werden wir gleich noch zurückkehren.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung der
Berichte von 1.414 professionellen archäologischen Feldforschungsmaßnahmen in
Österreich zeigen deutlich, dass der durch unprofessionell von fachlich nicht
ausreichend ausgebildeten BürgerInnen durchgeführte Extraktionen von
beweglichen Kleinfunden aus dem Boden verursachte archäologische Sachschaden
extrem gering ist. Nachdem es sich bei der untersuchten Stichprobe um alle in den
Jahren 2013 bis 2015 in Österreich durchgeführten, 1.827 professionellen
archäologischen Feldforschungsprojekte gehandelt hat – eine Stichprobe, die
wohl etwa 10% aller seit 1850 im heutigen Österreich durchgeführten
professionellen archäologischen Erdarbeiten ausmacht – kann das Ergebnis dieser
Studie auch als durchaus repräsentativ betrachtet werden.
Diese Ergebnisse sind zwar selbstverständlich
spezifisch für Österreich und daher nur bedingt auf andere Länder und die dort
bestehenden Verhältnisse übertragbar. Dennoch kann man vermutlich – wenigstens vorerst
einmal – davon ausgehen, dass in anderen Ländern, in denen aber ähnliche gesellschaftliche
Verhältnisse bestehen (wie z.B. in den meisten mittel- und westeuropäischen Ländern),
die Situation nicht wesentlich anders sein wird als in Österreich.
Kaum Schäden durch unprofessionelle Raubgrabungen
Zwar ist es zweifellos so, dass es auch immer
wieder einmal größere Raubgrabungen gibt; und wie das der Leiter der Abteilung
für Archäologie im Bundesdenkmalamt einmal so elegant ausgedrückt hat, “>Größer< meint so groß, dass man in
das akkurat gegrabene Raubgrabungsloch notfalls einen Kleinwagen versenken
könnte” (Hebert 2011, 140). Solche Raubgrabungen sind jedoch extrem selten.
Ebenfalls ist es zweifellos so, dass alljährlich in Österreich unzählige
kleinere Raubgrabungen stattfinden, und zwar wohl irgendwo zwischen einer
Dreiviertel und ein paar Millionen davon, die allerdings anscheinend in nahezu
allen Fällen keinen oder so gut wie keinen relevanten archäologischen
Sachschaden anrichten.
Dass derartige unprofessionelle Raubgrabungen
praktisch keinen relevanten archäologischen Sachschaden anrichten, zeigt sich
insbesondere daran, dass in Österreich von den in den drei untersuchten Jahren
ausgegrabenen, mehreren zehntausenden archäologischen Befunden nicht einmal 10
stratigrafisch dokumentierte, durch derartige Raubgrabungen verursachte Schäden
aufweisen. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass das Erkenntnispotential einer
Wissenschaft über ihren Untersuchungsgegenstand maßgeblich gemindert wird, weil
weniger als 0,1% ihrer Quellen teilweise verändert oder in außergewöhnlichen
Einzelfällen sogar gänzlich zerstört wurden und daher aus dem Erkenntnisprozess
ausscheiden oder aufgrund ihrer mutmaßlichen Unverlässlichkeit ausgeschieden werden
müssen.
Dies gilt insbesondere in einer Wissenschaft
wie der Archäologie, deren Quellen aufgrund unaufhaltsamer natürlicher
Verfalls- und Zerstörungsprozesse ohnehin stets notwendigerweise unvollständig
sind. Dass es in einer Wissenschaft, von deren eigentlichem
Forschungsgegenstand – der (mehr oder minder fernen) menschlichen Vergangenheit
– ohnehin nur noch weniger als 1% der Quellen erhalten sind, gerade die weniger
als 0.1% des verbleibenden Rests der Quellen einen maßgeblichen Unterschied für
die Möglichkeit des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns machen sollten, die
bei Raubgrabungen zerstört werden, ist ebenso unwahrscheinlich wie lächerlich:
entweder es reicht für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auch der
verbleibende Rest, oder die Wahrscheinlichkeit ist über 99,999%, dass man
überhaupt keine Erkenntnis mehr gewinnen kann. Ist aber letzteres der Fall,
können wir die Archäologie als Wissenschaft auch gleich ganz an den Nagel
hängen.
Nichts davon bedeutet natürlich, dass
professionelle ArchäologInnen, zu denen auch ich gehöre, nicht jeder noch so
geringe archäologische Sachschaden und jede möglicherweise verlorene
Information über die Vergangenheit schmerzt: natürlich tut es das; und
selbstverständlich sollte – in einer idealen Welt – jedweder Sachschaden an
archäologischen Funden und Befunden vermieden werden. Aber bei all diesem
verständlichen Schmerz über Verluste erscheint es in Anbetracht der hier
vorgelegten Untersuchungsergebnisse weit eher angebracht, realistisch zu bleiben
und den dadurch entstandenen Schaden so zu behandeln, wie es bei seiner vernünftigen
Betrachtung angebracht ist: als ein marginales Problem. Die fachliche Dramatisierung
von Raubgrabungen als furchtbares Problem und gewaltige Gefahr für die
Erhaltung des archäologischen Kulturerbes, die sowohl die fachinterne als auch die
fachexterne Kommunikation dominiert, scheint jedenfalls in Anbetracht des
tatsächlich mit archäologischer Methoden fassbaren Schadens – und das ist der
einzige Schaden, der wirklich einen relevanten Einfluss auf unsere Wissenschaft
haben kann – nahezu maßlos übertrieben. Jede andere bekannte, in ihren
Auswirkungen archäologisch beobachtbare Gefahrenquelle richtet unmaßgeblich
größeren Schaden an den archäologischen Hinterlassenschaften an als
unprofessionelle Raubgrabungen.
Möglicher Schaden durch Raubgrabungen durch 'professionelle' ArchäologInnen
Der archäologische Sachschaden hingegen, der
durch die scheinbar in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts oder dem frühen 20. Jahrhundert
‚professionell‘ durchgeführte Ausgrabung des Zentralgrabs von Tumulus III von
Strettweg angerichtet wurde, übersteigt für sich allein betrachtet den in Summe
von allen anderen in der untersuchten Stichprobe dokumentierten, ‚unprofessionellen‘
Raubgrabungen sowohl quantitativ als wohl auch qualitativ angerichteten
Schaden.
Das ist zwar insofern kein Problem, als im 19.
und frühen 20. Jahrhundert in der Archäologie noch vieles anders war als heute.
Dass auch viele damals von ‚professionellen‘ ArchäologInnen vorgenommene
Erdarbeiten heutzutage weit eher als Raubgrabungen denn als professionelle
Grabungen betrachtet würden, vermag daher kaum zu überraschen: unser
Berufsstand hat sich schließlich aus einem primär von Laien als
Freizeitvergnügen betriebenen, stark objektfokussierten, hauptsächlich am
Sammeln und Präsentieren von Preziosen interessierten Antiquarismus entwickelt,
der insbesondere anfänglich den Beobachtungen von Bodenverhältnissen bei der
Ausgrabung von archäologischen Schätzen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Und es lässt sich schließlich heute nichts mehr daran ändern, dass vor ungefähr
100 Jahren irgendwelche frühen, semi-professionellen ArchäologInnen Tumulus III
von Strettweg geöffnet und keinen Bericht über ihre Ausgrabungen verfasst haben.
Es ist allerdings insofern ein Problem, als die
Ausgrabung der Zentralkammer des Tumulus III von Strettweg deutlich zeigt, was
die Folge ist, wenn nicht nur ein unprofessioneller Raubgräber sein gewöhnlich
nicht über 50 cm Durchmesser aufweisendes und selten mehr als 25 cm tief in den
Boden eindringendes Raubloch gegraben hat, sondern eine professionell
durchgeführte archäologische Ausgrabung stattgefunden hat, deren Ergebnis nie
in entsprechender Form vorgelegt und einer für die langfristige Archivierung
archäologischer Informationen zuständigen öffentlichen Einrichtung nie übermittelt
wurde.[12]
Denn bereits eine einzige derartige, nicht sachgerecht dokumentierte und
archivierte, von ‚professionellen‘ ArchäologInnen durchgeführte Grabung richtet
immer bedeutenden archäologischen Sachschaden an.
Und das ist ein ernsthaftes Problem, denn in
der untersuchten Stichprobe fanden sich 89 Fälle, in denen von BDA gem. § 11
Abs. 1 bewilligte, ‚professionelle‘ archäologische Maßnahmen scheinbar
durchgeführt wurden, aber der verpflichtend gem. § 11 Abs. 6 DMSG spätestens
drei Monate nach Jahresende abzuliefernde Projektbericht stark verspätet oder
eventuell sogar gar nicht abgeliefert wurde. Das sind 5,92% aller 2013-2015
durchgeführten archäologischen Maßnahmen, bei denen sicher oder mutmaßlich archäologische
Befunde entdeckt und zerstört wurden, aber dennoch der Grabungsbericht nicht
gesetzeskonform erstattet wurde. Und viele, wenn nicht sogar die meisten, dieser
89 vom BDA bewilligten und überwachten Projekte waren sicherlich bedeutend
großflächiger als die etwa 5x7 Meter messende Grabung nach der Zentralkammer
des Tumulus III in Strettweg; und viele davon sind wohl als Rettungsmaßnahmen
vor Baumaßnahmen durchgeführt worden.
Zwar wurde eine diesbezügliche schriftliche
Anfrage an das BDA dahingehend beantwortet, dass zu Redaktionsschluss der jeweiligen
Berichtsjahrausgabe noch ausständige Berichte „in den allermeisten Fällen (nach entsprechender Einmahnung) noch im
auf das Berichtsjahr folgenden Jahr nachgereicht“ und „so die allgemeinen Aufnahmekriterien der „Fundberichte aus Österreich“
zutreffen – in den folgenden Bänden auch publiziert“ wurden und daher aus
den Berichtsjahren 2013 bis 2015 aktuell „keine
Berichte mehr ausständig“ (BDA vom 9.9.2018, GZ:
BDA-00841.sb/0067-ARCHÄO/2018; Hervorhebung wie im Original) seien. Allerdings
hat eine manuelle Überprüfung der Stichprobe der in den FÖ 52 2013 als zu
Redaktionsschluss noch ausständig ausgewiesenen Berichte ergeben, dass nur etwa
30% davon in den beiden Folgejahrgängen veröffentlicht wurden. Dies scheint im
Vergleich zu den sonst im Berichtsjahr 2013 durchgeführten Projekten, von denen
ca. 76% in den FÖ veröffentlichte Ergebnisberichte übermittelt haben, ein
erstaunlich hoher Anteil an Negativbefunden zu sein.
Dieser enorm hohe Anteil verspätet eingegangener
Berichte über Negativbefunde erscheint umso überraschender, wenn man bedenkt,
dass die Übermittlung eines Negativbefundberichtes dem Berichterstatter so gut
wie gar keinen Aufwand verursacht. Es ist daher kaum erklärbar, weshalb derartige
Berichte zu Negativbefunden nicht spätestens nach Eingang der (wohl hoffentlich
– nachdem die gesetzliche Frist für die Erstattung des Berichts ja bereits zwei
Monate davor endet – noch vor dem Redaktionsschluss der FÖ für den relevanten
Jahresband versandten) Einmahnung von den betroffenen Berichtspflichtigen dem
BDA übermittelt wurden.[13]
Außer vielleicht dadurch, dass das BDA darin die Sperre des Berichtspflichtigen
für weitere Grabungsgenehmigungen androht und daher vielleicht manche der Säumigen
(fälschlich?) Negativbefunde nachgemeldet haben, um der in Aussicht gestellten
Konsequenz der Nichtberichterstattung zu entgehen.
Es ist also gut vorstellbar, dass durch von ‚professionellen‘
ArchäologInnen in Österreich im Zeitraum 2013-2015 mit Bewilligung und
kontrolliert durch das BDA durchgeführte, größere Raubgrabungen weit mehr
relevanter und weitaus signifikanterer archäologischer Sachschaden erzeugt
wurde als durch alle unprofessionellen Raubgrabungen im gleichen Zeitraum gemeinsam.
Denn mit größer ist hier nicht etwa nur ein akkurat gegrabenes Raubgrabungsloch
gemeint, in das man „notfalls einen
Kleinwagen versenken könnte” (Hebert 2011, 140), sondern ausgebaggerte Baugruben,
in denen man vielleicht tatsächlich mittlerweile ganze Parkhäuser versenkt hat.
Steine, Glashäuser und andere Konsequenzen aus dieser Studie
Das alte Sprichwort dass, wer im Glashaus
sitzt, nicht mit Steinen werfen sollte, kann ArchäologInnen glücklicherweise
weitgehend egal sein: wir beschäftigen uns schließlich hauptsächlich mit
kaputten Dingen, es macht uns also eventuell auch wenig aus, wenn vom Glashaus,
in dem wir in diesem Fall seit langem sitzen, ob der Steine, die wir in dieser
Zeit auf andere geschmissen haben, nicht einmal mehr die Fundamentmauern
vorhanden, sondern schon längst dem neuzeitlichen Steinraub zum Opfer gefallen
sind.
Dennoch muss man sich schon etwas wundern,
warum die archäologische Fachwelt sich so über die unprofessionellen Raubgräber
beklagt, die durch die Landschaft spazieren und – ob mit oder ohne
Metallsuchgerät – kleine Löcher in sie graben, um irgendwelche beweglichen
Bodenfunde, die aller Wahrscheinlichkeit sonst niemals gefunden werden würden,
zu ihrem eigenen oder dem allgemeinen Wohl aus dem Boden zu holen, ohne dabei –
außer in extrem seltenen extremen Ausnahmefällen – viel, geschweige denn dramatischen
archäologischen Sachschaden anzurichten. Denn nicht nur baggern wir selbst in
über 95% aller von uns durchgeführten Grabungen genau diese angeblich so
wertvollen Funde weg, weil sie dann scheinbar wohl doch nicht so wichtig sind,
wenn sie uns im Weg zum Befund stehen. Sondern wir vergessen dann noch dazu in einer
erklecklichen Anzahl aller Fälle, in denen wir diese Befunde ausgraben, darauf
den gesetzlich verpflichtend abzuliefernden Projektbericht (rechtzeitig) den
zuständigen Stellen zu übermitteln. Weil die präzise Dokumentation von
Kontexten ist zwar das Um und Auf aller modernen Archäologie; aber nur solange
sie jemand anderer als wir nicht anfertigt oder jemand anderer als wir keine
sachgerechte Fundmeldung abgibt. In Anbetracht solcher fachlichen Missstände
muss man sich fragen, ob der stetige öffentliche Protest der archäologischen
Fachwelt über die Fehler der Raubgräber nicht in erster Linie dem Zweck dient,
davon abzulenken, dass die schlimmsten Raubgräber weit und breit jene ‚professionellen‘
ArchäologInnen sind, für die dieselben Regeln, auf deren Einhaltung durch alle
anderen wir stetig pochen, aus irgendwelchen obskuren Gründen nicht zu gelten
scheinen.
Vielleicht wäre es also für die Fachwelt
angebracht, endlich einmal etwas mehr gegen die ‚schwarzen Schafe‘ in unseren
eigenen Reihen vorzugehen als gegen andere Raubgräber; und endlich einmal jene
von angeblichen Fachleuten ganz und gar nicht professionell durchgeführten Raubgrabungen
in den Medien zum Thema machen. Wie wäre es mit der Schlagzeile: „Studierter Archäologe vernichtet auf 3,5 Hektar
Fläche archäologische Schätze durch denkmalbehördlich bewilligte und
kontrollierte Raubgrabung“? Wann haben wir die das letzte Mal gesehen?
Und wann werden wir den ersten Sprecher eines Landeskriminalamtes sich zu den
im Vergleich zu sonstigen Raubgrabungen horrend hohen Zahlen behördlich
erfasster derartiger Fälle äußern hören? Ich bin wirklich schon gespannt!
Aber die weit wichtigere Konsequenz aus dieser
Studie sollte sein, dass wir endlich im Bereich der archäologischen
Denkmalpflege damit anfangen, eine evidenzbasierte, rationale Politik zu
machen, statt archäologische Identitätspolitik mit dem durch und durch
emotionalen, aber nichtsdestotrotz faktisch falschen Argument zu machen, dass
es der Feind, die ‚bösen‘ Raubgräber sind, die der Allgemeinheit ihre
wertvollen Kulturschätze stehlen. Denn die bitteren, harten Fakten – nämlich
die in unseren eigenen professionellen Grabungsberichten enthaltenen, die im
Auftrag des Gesetzgebers vom BDA zwar alljährlich veröffentlicht, aber
scheinbar noch viel zu wenig zu Zwecken der Denkmalforschung ausgewertet worden
sind – sagen, dass es nicht irgendein ‚böser‘ äußerer Feind ist, der die
archäologischen Wissensschätze zerstört und raubt, deren Erhaltung und
Verteidigung wir uns auf die Fahnen geschrieben haben, sondern scheinbar in
allererster Linie wir selbst.
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[1] Die Gesamtzahl aller Funde –
d.h. inklusive nicht ausreichend bedeutender, dass diese gemeldet werden
sollten – schätzt er für England und Wales auf ca. 8,75 Millionen pro Jahr (Hardy 2017, 40). Welche Funde ausreichend
bedeutend sind, dass sie gemeldet werden sollten, spezifiziert er leider nicht
hinreichend genau. Insbesondere für England und Wales ist zu bedenken, dass
nach der dort bestehenden Gesetzeslage nur solche Bodenfunde einer gesetzlichen
Meldepflicht unterliegen, die der Legaldefinition für Schatzfunde des Treasure Act 1996 unterliegen; d.h. im wesentlichen Funde von mehr
als 300 Jahren alten Metallgegenständen mit mehr als 10% Edelmetallbestandteil
sowie alle prähistorischen Metallfunde, die mit wenigstens einem zweiten
ebensolchen vergesellschaftet aufgefunden wurden. Dass davon in England und
Wales jährlich etwa 2,5 Millionen gefunden werden, ist höchstgradig
unwahrscheinlich.
[2] Die Gesamtzahl aller
metallischen Bodenfunde pro Jahr in Österreich schätzt Hardy (2017, 40) auf ca. 650.000. Diese unterhalb der
Untergrenze meiner Schätzung für jährlich extrahierte Metallfunde liegende Zahl
erklärt sich dabei hauptsächlich dadurch, dass Hardy – um in seinem Artikel zu
dem Ergebnis kommen zu können, zu dem er gelangt – mit zur Zeit der Abfassung
seines Beitrags bereits deutlich veralteten österreichischen Zahlen zur Anzahl
der mutmaßlich mindestens aktiven Metallsucher gearbeitet hat. Die meiner
höheren Schätzung zugrundeliegende Mindestzahl aktiver Metallsucher in Österreich
von ca. 3,300 [Stichtag der Erhebung: 13.10.2017] liegt um fast 60% höher als
die von Hardy seinen Berechnungen zugrunde gelegte Zahl von c. 2,100 [Stichtag
der Erhebung: 2.3.2015]. Passt man diese Schätzungen aneinander an, indem man
Hardys Schätzwert von ca. 650.000 mit 1,57 multipliziert, käme man also auf ca.
1,025 Millionen Metallfunde im Jahr, also auf eine Schätzung, die auch im
Bereich des von mir angenommenen Schätzwertbereichs für die Zahl alljährlich
durch Metallsucher in Österreich extrahierter Bodenfunde liegt.
[3] Wobei hier zu bedenken ist,
dass ob der in Österreich bestehenden allgemeinen gesetzlichen Fundmeldepflicht
tatsächlich alle von Metallsuchern getätigten Bodenfunde an eine der zulässigen
gesetzlichen Fundmeldestellen gemeldet werden müssten, d.h. auf Basis des in FN
2 genannten, angepassten Schätzwerts
von ca. 1,025 Millionen Bodenfunden von Metallgegenständen pro Jahr in
Österreich tatsächlich gerade einmal nur 0.015% aller gesetzlich
meldepflichtigen Funde tatsächlich gemeldet würden.
[4] Fahrlässig ist in diesem
Zusammenhang jede archäologische Erdarbeit, bei der die sie durchführende
Person wusste oder bei Beachtung der gewöhnlichen Sorgfalt (d.h. indem sie sich,
bevor sie die Erdarbeit durchführt, entsprechend in einigermaßen leicht
öffentlich zugänglichen Quellen informiert) wissen hätte müssen, dass sie die
drei oben genannten Mindestkriterien für archäologische Sachgerechtigkeit
erfüllen hätte müssen. Ein Hobby-Schatzsucher z.B. weiß entweder oder müsste
sich vor Durchführung seiner Schatzsuche wenigstens soweit informieren, dass er
wissen müsste, dass er bei seinen geplanten Erdarbeiten die drei oben genannten
Kriterien erfüllen muss. Erfüllt er also auch nur eines davon bei den
Erdarbeiten im Rahmen seiner Schatzsuche nicht, führt er eine Raubgrabung
durch.
[5] ‚Unverändert‘ im Sinne der
archäologischen Fachsprache bedeutet dabei, dass die betreffende Stratifikation
des Bodens nicht durch rezente Bodenstörungen signifikant verändert wurde.
Rezente Bodenstörungen können dabei sowohl humangeneriert (z.B. eben durch
Raubgrabungen, aber auch durch Pflugtätigkeit etc.) als auch durch natürliche
Ereignisse (wie z.B. Bioturbation durch Pflanzenwurzeln oder bodenbewohnende
Wildtiere, Erosion, etc.) verursacht sein: ein Befund, durch den sich vor
kurzer Zeit ein Dachs gewühlt hat, ist aus fachlicher Sicht nicht mehr
‚unverändert‘, weil dadurch Funde im Boden maßgeblich verlagert und
Schichtgrenzen verändert worden sein könnten und wahrscheinlich auch sind. Ein
mit Graswurzeln durchsetzter Befund ist hingegen im archäologischen Sinn
ungestört, weil es durch die Grasdurchwurzelung weder zu maßgeblichen
Fundverlagerungen im Boden noch zu einer Veränderung der Schichtgrenzen kommt.
[6] Hochgerechnet auf Basis von
geschätzt ca. 12,5 archäologischen Fundstellen pro km2 (dies
entspricht dem jeweils auf Basis von Daten der örtlich zuständigen Denkmalbehörden
hochgerechneten Durchschnittswert in Wales, Niedersachsen und
Baden-Württemberg; bei 83.879 km2 Landesfläche ergibt das ca. 1,05
Millionen archäologische Fundstellen in Österreich); der aus den Daten der
letzten 30 Jahre hochgerechneten Anzahl von archäologischen Ausgrabungen im heutigen
Österreich zwischen 1850 und 2015 (ca. 18.000); und dem aus Fundberichten in
den FÖ ableitbaren durchschnittlichen Flächenanteilen von Fundstellen, die bei
diesen Grabungen erforscht wurden (durchschnittlich < 2%). Dies ergibt pro
Jahr durchschnittlich ca. 0,0002% des derzeitigen österreichischen
Gesamtbestandes archäologischer Hinterlassenschaften, der bei professionellen
Erdarbeiten entdeckt, untersucht und dokumentiert wurde.
[7] Gleichbleibende
durchschnittliche Entdeckungsgeschwindigkeit wie in den letzten ca. 20 Jahren
vorausgesetzt.
[8] Dieser Redaktionsschluss
liegt zwei Monate nach Auslaufen der gesetzlichen Frist gem. § 11 Abs. 6 DMSG
zur Übermittlung dieses Berichts an das BDA.
[9] Wenn ihm das mitgeteilt
wurde, weist das BDA die Tatsache, dass der Bericht verspätet übermittelt und
in den Band der FÖ für das Folgejahr aufgenommen werden wird, in den FÖ in den
Maßnahmenlisten aus.
[10] Tatsächlich liegt diese Zahl
sogar etwas höher, weil teilweise von den 89 im Berichtsjahresband der FÖ als
nicht vorliegend ausgewiesene Maßnahmenberichte in einem der Bände der
jeweiligen Folgejahre veröffentlicht und daher in dieser Analyse mit
berücksichtigt wurden.
[11] Wie in der 2. Hälfte des 19. und
den frühen Jahren des 20. Jh. die K.K.
Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen
Denkmale bzw. von 1918 an deren Nachfolger, das BDA; oder ein geeignetes
Museum wie das Joanneum in Graz.
[12] Oder, um diese Möglichkeit
auch nicht a priori auszuschließen, der potentiell doch eingesandte
Grabungsbericht von dem Archiv, an das er übermittelt wurde, verloren oder
verlegt wurde; weil auch das kann (und soll) ja schließlich gelegentlich
vorkommen.
[13] Dies sollte umso mehr der
Fall sein, als die Missachtung der Melde- und Berichtspflichten des § 11 DMSG
einen Verwaltungsstraftatbestand darstellt, der durch § 37 Abs. 3 Z 7 DMSG mit
einer Verwaltungsstrafe in Höhe von bis zu € 5.000 bedroht ist. Einen praktisch
keinen Aufwand verursachenden Negativbefundbericht nicht fristgerecht zu übermitteln
könnte also – wenigstens theoretisch – für den säumigen Berichterstatter teuer
werden. Zwar scheint das BDA bisher keinen säumigen Berichtserstattungspflichtigen
bei den für die Strafverfolgung zuständigen Verwaltungsstrafbehörden angezeigt
zu haben – was für sich betrachtet auch eine durchaus interessante Unterlassung
durch die für den Vollzug des DMSG zuständigen FachbeamtInnen ist (vergleiche zur
Anzeigepflicht für dienstlich wahrgenommene Verletzungen des DMSG durch ebendiese
Hebert 2011, 140) – aber es könnte (und müsste) das eigentlich tun. Gerade
einen Negativbefundbericht nicht abzuliefern stellt daher für die Säumigen ein
nicht unbedeutendes, aber extrem leicht vermeidbares, Risiko dar.
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