An verschiedenen Orten ist letzthin zur Sprache gekommen, ob eine
vollständig privatisierte archäologische Denkmalpflege möglich, sinnvoll und /
oder wünschenswert ist; teilweise, aber nicht nur, weil infolge des
devastierenden Rechnungshofberichtes (RH 2017) über das österreichische
Bundesdenkmalamt (BDA) von Seiten der österreichischen Politik als eine
Möglichkeit der Reaktion auf die Kritik an dieser Behörde auch deren
Privatisierung angedacht wurde (siehe z.B. Wiener Zeitung 2017). Eine fachliche
Debatte über die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer sogenannten „Entstaatlichung“ (Donath 2000) der
Denkmalpflege gibt es vor allem in der Baudenkmalpflege, aber auch der
archäologischen Denkmalpflege bereits seit längerem (für eine
Kurzzusammenfassung mit weiterführenden Literaturverweisen siehe Hofmann 2017,
11-2); wobei die Stimmen, die sich gegen eine Privatisierung aussprechen einigermaßen deutlich zu überwiegen
scheinen.[1]
Die Privatisierung der Archäologie
Gleichzeitig scheint in vielen Bereichen der archäologischen
Denkmalpflege dieser fachliche, wenngleich auch kaum (allgemein)öffentlich
geführte, Meinungsstreit von der gelebten Praxis längst überholt worden zu
sein: nahezu überall in Europa ist inzwischen die praktische archäologische (Feld-) Arbeit bei denkmalpflegerisch indizierten archäologischen
Prospektions-, Präventions- und Rettungsmaßnahmen (lies für die beiden
letzteren nur geringfügig vereinfacht: Ausgrabungen), ja oft sogar bei
Erhaltungsmaßnahmen großteils, wenn nicht sogar vollständig, an
Privatunternehmen ausgelagert worden. Der Grund dafür ist normalerweise, dass
die für die praktische archäologische Denkmalpflege zuständigen (oder sich
wenigstens in ihrem eigenen, althergebrachten Selbstverständnis dafür zuständig
gefühlt habenden) staatlichen Denkmalpflegebehörden einfach nicht mehr die
erforderlichen Personalkapazitäten und wirtschaftlichen Ressourcen hatten, um
mit dem Arbeitsanfall in diesem Bereich mithalten zu können.[2]
Nachdem – trotz der inzwischen praktisch flächendeckenden Einführung des
aus dem Umweltschutz abgeschauten Verursacherprinzips auch in der
archäologischen Denkmalpflege – die politischen Entscheidungsträger der
öffentlichen Hand auch nicht das Risiko aufbürden wollen, das zusätzliche
Personal im öffentlichen Dienst anzustellen, das zur Befriedigung des (stets stark
schwankenden) Bedarfs an archäologischer Arbeitskraft im Bereich der
bauplanungs- bzw. baubegleitenden Denkmalpflege erforderlich wäre, war die
Privatisierung, wenigstens der archäologischen Feldarbeit, daher (beinahe) die
einzige mögliche (und vor allem die am besten zur derzeit vorherrschenden
Privatisierungsideologie passende) Alternative. Es lagerte diese Privatisierung
schließlich das Personalkostenrisiko, das die politischen Entscheidungsträger
nicht der öffentlichen Hand aufbürden wollten, als „Unternehmerrisiko“ (Piffko 2018, 3) an jene Privatpersonen aus,
die willens waren, archäologische Dienstleistungsunternehmen zu gründen.[3]
Obgleich es schon einigermaßen lange klar war, dass diese Privatisierung
unvermeidlich war bzw. ist,[4]
haben sich dennoch viele staatliche Denkmalbehörden mehr oder minder intensiv
dagegen gewehrt; manche wehren sich sogar noch bis heute dagegen (vgl. dazu
auch Lüth 2017a; b; Piffko 2018, 5). Diachron betrachtet gingen bzw. gehen
daher dieser Privatisierung oft verschiedene Versuche von Umgehungslösungen[5]
oder akute Krisen voraus, während sich die sich zuständige staatliche
Denkmalbehörde, so lange es irgendwie geht, gegen die drohende Privatisierung
sperrt (z.B. Schorradt 2016; Faltin 2016). Die Gründe, die dabei von den sich
gegen diese Art der Entstaatlichung wehrenden oder sie zu vermeiden
versuchenden staatlichen Denkmalbehörden (zumeist nur mündlich) für ihren
Widerstand genannt werden, sind neben dem (seinerseits wohl wenigstens teilweise
ideologischen) Widerstand gegen die „Unterwerfung
unter ein »Diktat der Privatisierung und Ökonomisierung«“ (Hofmann 2017, 12; vgl. dazu die
Verbreitungskarten der deutschen Firmenarchäologie in Lüth 2017a; b) vor allem
Qualitätssicherungsgründe, primär zumeist die fachliche Qualität der
archäologischen Arbeit, aber manchmal auch die – oft mangelhaften und manchmal
geradezu problematischen – Arbeitsbedingungen betreffend (Piffko 2018, 2-4).
Es ist an dieser Stelle wichtig, festzuhalten, dass die diesbezüglichen
Befürchtungen, wenigstens soweit ich das aus persönlichen Gesprächen beurteilen
kann, in den allermeisten Fällen tatsächlich ernste und nicht nur vorgeschobene
sind; auch wenn manchmal die Furcht vor dem Unbekannten (oder wenigstens dem noch
nicht Gewohnten), vor Verlust von Kontrolle über, Einfluss auf und Zugang zu
den Ergebnissen der archäologischen Feldforschung ebenso wie um die Sicherheit
des eigenen Arbeitsplatzes auch mit eine Rolle dabei spielen, warum dieser
Widerstand besteht. Ebenso wichtig ist festzuhalten, dass sie auch – wenigstens
teilweise – berechtigt sind, vor allem in den ersten Jahren nach der
Systemumstellung von einer nahezu vollständig (von vergleichsweise wenigen
universitären und musealen Feldforschungsmaßnahmen einmal abgesehen) amtlichen
auf eine überwiegend privatwirtschaftlich operierende denkmalpflegerische
Feldarchäologie. Denn nicht nur sind die dadurch neu entstehenden Märkte
anfänglich meist weitgehend unreguliert, sondern es gibt in ihnen gewöhnlich
auch einen beinharten Verdrängungswettbewerb, weil sie noch jung und daher
nicht gut entwickelt sind und viel zu viele junge ArchäologInnen, die nach
Abschluss ihres Studiums keinen der begehrten und vergleichsweise sicheren
Stellen in Denkmalämtern, Museen oder Universitäten ergattern konnten ihr Glück
in der Gründung einer eigenen Archäologiefirma suchen (siehe sinngemäß auch
Piffko 2018). Dass diese Befürchtungen in den sich wehrenden Denkmalämtern allerdings
oft auch stark übertrieben sind, vor allem wenn sich der Markt, z.B. durch
Entstehung von qualitätssichernden Berufsverbänden wie CIfA, Arbeitgeber- und
Arbeitnehmervertretungen usw. und auch stabileren Firmenstrukturen (d.h. jenen,
die aus dem frühen Verdrängungswettbewerb als Sieger hervorgegangen sind)
selbst zu regulieren beginnt und sich damit von einem entstehenden in einen
reifen Markt verwandelt, muss ebenso an dieser Stelle festgehalten werden.
Privatisierung und die Selbstsicht der Archäologie
Einen wesentlichen Einfluss auf die Einstellung der Fachwelt zur Frage
der Privatisierung hat aber auch die historisch gewachsene Selbstsicht bzw. ‚fachliche
Weltanschauung‘ der Archäologie. In diesem Zusammenhang sind einige Aspekte
besonders relevant, auf die ich daher auch kurz eingehen möchte.
Wichtig ist hier insbesondere, dass die Archäologie, einen nicht
unwesentlichen Teil ihres fachlichen Habitus ihrer Entstehungsgeschichte
verdankt. Entstanden ist sie bekanntermaßen in erster Linie aus dem
antiquarischen Dilettantismus[6]
des Adels und Großbürgertums des (späten) 18. und vor allem 19. Jahrhunderts,
d.h. aus einer ‚Freizeitbeschäftigung‘ Angehöriger jener gesellschaftlichen
Kreise, die so wohlhabend waren, dass sie einen bedeutenden Anteil ihrer Zeit
in ihre Liebhabereien – ihre Hobbys – investieren konnten. Archäologie
betrieben diese Dilettanten nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern
investierten vielmehr (manchmal nicht unbedeutende) Teile ihres aus anderen
Quellen stammenden Vermögens in die Archäologie.
Nicht zuletzt deshalb lebt bis heute in der Archäologie die Vorstellung
nach, dass Archäologie letztendlich ja doch (heute: ‚nur‘) ein schönes Hobby
sei (heute: „das man glücklicherweise zum
Beruf habe machen können“; Siegmund & Scherzler 2014, 175); ein Luxus,
den man eigentlich für gar nichts braucht; eine Beschäftigung (wie es noch
einer meiner Universitätslehrer absolut ernst gemeint ausgedrückt hat) für „Söhne reicher Eltern“. Mit dieser
Vorstellung wurde aber – wenigstens teilweise, vielleicht sogar großteils
unterbewusst – gleichzeitig auch der Teil des aristokratischen und
großbürgerlichen Habitus des 19. Jahrhunderts übernommen, dass man über Geld
nicht spricht, sondern es hat; und dass die Entlohnung einer Tätigkeit aus
dieser keine standesgemäße Liebhaberei, sondern schändliche Erwerbsarbeit
macht.
Deshalb schwingt auch im fachlichen Selbstverständnis seit ihren
Anfängen die Vorstellung mit, dass Archäologie eine art pour l’art sei; daher auch nur von den entsprechend kunstsinnigen
Mitgliedern des eigenen Standes wirklich geschätzt und verstanden würde (siehe
in etwa diesem Sinn auch Bourdieu & Darbel 2006) und auch vor allen anderen
– letztendlich unverständigen Banausen, ja nachgerade barbarischen Rüpeln, die
nur am schnöden Mammon interessiert sind – geschützt und bewahrt werden müsse.
Daraus leiten sich letztendlich auch die hauptsächlichen Feindbilder der
(modernen) Archäologie ab: die Raubgräber, die ‚unsere‘ archäologischen ‚Wissensschätze‘
ungeniert zerstören, weil sie in erster Linie oder gar ausschließlich an deren
finanziellem und kaum oder gar nicht an deren kulturellem Wert interessiert
sind; der Antiken- und Kunsthandel, der aus wirtschaftlicher Profitgier die
Raubgräberei finanziert, indem er mit den raubgegrabenen archäologischen
Gegenständen handelt, die wir erstens für uns reserviert haben und zweitens als
res extra commercium (Weidner 2001) sehen
wollen; und schließlich die Bauwirtschaft, die sich für die Archäologie
überhaupt nicht interessiert und sie aus wirtschaftlichen Profitmotiven am
liebsten einfach wegbaggern dürfen will.
Diese fachliche Selbstsicht und Einschätzung auf wirtschaftlichen Profit
orientierter, archäologische Objekte betreffender, wirtschaftlicher Tätigkeiten
hat auch inzwischen in fachlichen und professionellen Ethikkodizes einen
deutlichen Niederschlag gefunden, die alle das wirtschaftliche Profitieren aus
der Zerstörung und dem Handel mit archäologischen Objekten verbieten. So z.B. hält der Code of
Practice der European Association of
Archaeologists fest: „Archaeologists will not engage in, or allow
their names to be associated with, any activity that impacts the archaeological
heritage which is carried out for commercial profit which derives directly from
or exploits the archaeological heritage itself“ (EAA 2009). Ähnliches liest
man im Code of Conduct des Chartered Institute for Archaeologists: „A member shall not knowingly be employed
by, or otherwise contract with, an individual or entity where the purpose of
the contract is directly to facilitate the excavation and/or recovery of items
from archaeological contexts for sale, and where such sale may lead to the
irretrievable dispersal of the physical and/or intellectual archive, or where
such sale may result in an undispersed archive to which public access is
routinely denied” (CIfA 2014, 4). Und auch der Ehrenkodex des West-
und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung und der Deutschen Gesellschaft für Ur- und
Frühgeschichte besteht im Prinzip auf demselben, wenn er in bestimmten
Worten festhält, dass „… die Ziele der
Grabung nicht durch die Wünsche etwaiger Sponsoren/innen beeinflusst werden“ (DGUF
2011, 2) dürfen und vor allem „… keine
Archäologen/innen in irgendeiner Form für den Kunsthandel tätig werden“
(DGUF 2011, 4) sollen.
Überhaupt betrachtet die archäologische Fachwelt die Archäologie ganz
generell als Allgemeingut, d.h. als eine Sache, die stets allen Menschen
gemeinsam gehört und daher generell niemals von irgendjemandem für sich allein
vereinnahmt – d.h. in anderen Worten niemals privatisiert – werden soll oder
gar darf (siehe z.B. Art. 3 der Lausanne-Charter, ICOMOS 1990, 2). Es ist daher
also stets jede Form der Privatisierung von Archäologie, insbesondere die zu
privaten wirtschaftlichen Profitzwecken, fachideologisch verpönt.
Nun sind aber Privatunternehmen letztendlich auf die Generierung
wirtschaftlichen Profits ausgerichtet: der Firmeninhaber, der noch dazu das „Unternehmerrisiko“ (Piffko 2018, 4)
trägt und regelhaft auch bedeutende Investitionskosten hatte und hat, will und
muss ja auch selbst von irgendetwas leben; und nachdem sein ‚Gehalt‘
letztendlich aus dem Profit kommt, den sein Unternehmen erwirtschaftet, muss
sein Unternehmen profitorientiert arbeiten. Daher ist schon selbst die, wie
schon oben erwähnt aus gesellschaftspolitischen Gründen unvermeidliche,
Durchführung praktischer archäologischer Denkmalpflegemaßnahmen durch private
archäologische Dienstleistungsunternehmen, aus fachlicher Sicht inhärent
suspekt. Selbst diese Form der Privatisierung von Archäologie reibt sich daher
mit der fachlichen Selbstsicht und dem Habitus des Faches, insbesondere im
Beamtentum, das seinerseits traditionell eine Domäne des Adels und des
Großbürgertums ist.
Denkmalpflege als hoheitliche Tätigkeit und Privatisierung: Theorie
Ist schon die Privatisierung der praktischen
archäologisch-denkmalpflegerischen Feldarbeit fachideologisch wenigstens
suspekt, ist eine Privatisierung der „öffentliche
Belange“ betreffenden „hoheitlichen
Aufgaben“ (z.B. Ickerodt 2011, 278-9), die die staatlichen Denkmalbehörden
erfüllen, bisher im deutschen Sprachraum noch viel unvorstellbarer. Das ist
nicht nur aus fachlicher und denkmalbehördlicher Sicht so, sondern selbst
zivilgesellschaftlichen Denkmalpflegeorganisationen wie der österreichischen Initiative
Denkmalschutz sind Vorschläge wie die im eingangs genannten
Zusammenhang angedachte Ausgliederung des BDA und seine Umwandlung in eine
GesmbH (d.h. die Privatisierung der Denkmalbehörde) höchstgradig suspekt: „Wie soll eine GesmbH unbeeinflusste
Fachentscheidungen treffen können, wenn diese sich gleichzeitig um externe
Aufträge und Geldgeber bemühen muss? Der Anschein einer möglichen Käuflichkeit
drängt sich unweigerlich auf.“ (Wiener Zeitung 2017).
Tatsächlich wird derzeit nicht nur in vielen deutschsprachigen
Denkmalschutzgesetzen, sondern sogar in (Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG)
der österreichischen Bundes- und den meisten deutschen Landesverfassungen
(siehe für eine Übersicht Krischok 2016, 181-4) der Denkmalschutz und / oder
die Denkmalpflege als Aufgabe des Staates definiert. Das liegt nicht zuletzt
daran, dass das historisch gewachsene Verständnis des Denkmalbegriffs unter
diesem solche Sachen versteht, an deren Erhaltung ein öffentliches Interesse
besteht; wobei dieses öffentliche gegenüber privaten Interessen vom Staat bzw.
dessen Behörden vertreten wird. Weil dieses öffentliche Interesse an der
Erhaltung der Denkmale besteht, darf der Denkmalschutz, egal ob dieser nun nach
dem konstitutiven oder dem deklaratorischen Prinzip (DGUF 2013, 1-2)
funktioniert, teilweise massiv (insbesondere, wenn das Gesetz generell nach dem
konstitutiven Prinzip funktioniert oder wenigstens Regularien für konstitutiv
geschützte Grabungsschutzgebiete im Sinne des Art. 2 (ii) der
Valletta-Konvention enthält; Europarat 1992) in private Eigentumsrechte (und
teilweise auch andere Grund- und Menschenrechte) eingreifen.
Das scheint eine gänzliche Privatisierung der Denkmalpflege vollständig
auszuschließen, weil man kann einen privaten Akteur nicht das öffentliche
Interesse vertreten und auf dieser Basis die Rechte anderer beschränken lassen:
man kann schließlich nicht davon ausgehen, dass dieser das öffentliche vor
seine eigenen privaten oder im Sinne der oben zitierten Befürchtung der
Initiative Denkmalschutz vor die Interessen Dritter stellt, die ihn für seine
Arbeit bezahlen. Nur der Staat und dessen Behörden scheinen dafür verlässlich
genug zu sein, dass man ihnen vertrauen kann, dass sie auch tatsächlich das
öffentliche über private Interessen stellen; nicht zuletzt, weil sie ja gerade
nicht von Einzelnen, sondern von allen über deren Steuerleistungen bezahlt
werden, d.h. in jedem Einzelfall vom konkrete, private Interessen verfolgenden
Antragsteller unabhängig sind.
Denkmale als Allgemeingüter
Auch diese Sichtweise beruht aber, wie schon gesagt, auf einem
historisch gewachsenen Verständnis, eben dem des Denkmalbegriffes. Dieses sieht
– ganz im Sinne des schon in den vorherigen Kapiteln Gesagten – im Denkmal ein
Allgemeingut, eben etwas, was allen gleichermaßen ‚gehört‘ und daher im
Interesse aller – eben im ‚öffentlichen Interesse‘ – als kollektive Ressource vor
partikulären – eben ‚privaten‘ – Einzelinteressen, die zu seiner Zerstörung
oder Veränderung führen könnten oder sogar werden, zu schützen und unverändert
zu erhalten ist.
Dabei ist allerdings das ‚öffentliche Interesse‘ zumeist nicht mehr als
eine gesellschaftspolitische Fiktion: nur in den seltensten Fällen ist es
tatsächlich so, dass alle (außer dem einen, der ein anderes, nämlich sein
privates, Interesse verfolgen möchte) oder auch nur tatsächlich eine Mehrheit
aller, geschweige denn der ganzen ‚Menschheit‘, gleichgerichtete Interessen
hat. Interessen sind bekanntlich in (praktisch allen, wenn nicht sogar allen)
Bereichen des menschlichen Handelns vielfältig gestreut. Gerade in der
(archäologischen) Denkmalpflege ist es so, dass der wertvolle ‚Wissensschatz‘
des einen (oder auch einer mehr oder minder großen Gruppe der Bevölkerung) der
alte, unnötige und bloß störende ‚Mist‘ des anderen (oder einer anderen,
ebenfalls mehr oder minder großen Gruppe von Menschen) ist; während er für
wieder andere (einzelne oder Gruppen von Menschen) ein wirtschaftlich
wertvoller ‚Schatz‘ ist, den sie ökonomisch gewinnbringend ausschlachten
wollen.
Das eine, allgemeingültige, ‚öffentliche Interesse‘ gibt es also
eigentlich nicht; und bislang ist es – gerade in der (archäologischen)
Denkmalpflege – auch so, dass sich der Staat und insbesondere seine
Denkmalbehörden bestenfalls sehr bedingt, wenn nicht sogar überhaupt nicht,
darum kümmern, was ‚die Allgemeinheit‘, oder auch nur eine Mehrheit davon,
eigentlich will; d.h. also wenigstens das ‚mehrheitliche öffentliche Interesse‘
ist. Vielmehr verlässt sich der Staat hier ebenfalls auf eine sehr bequeme
Fiktion, oder wenigstens eine sehr grobe Vereinfachung der Realität: dass, weil
man durch die Erforschung der Denkmale Wissen über die Vergangenheit gewinnen
kann, welches man sonst nicht gewinnen könnte, das bekanntermaßen wenigstens
einen bedeutenden Teil der Gesellschaft[7]
auch tatsächlich interessiert, durch die Erhaltung der Denkmale – letztendlich
zum Zwecke ihrer wissenschaftlichen Erforschung (siehe dazu explizit die
Einleitung zu und Art. 1 der Lausanne-Charter; ICOMOS 1990, 1-2; sowie die
Präambel und Art. 1 (i) der Valletta-Konvention; Europarat 1992) – die
Allgemeinheit wenigstens mittelbar durch dessen seiner Gewinnung folgenden
Veröffentlichung einen bedeutenden Nutzen haben könnte, der verlustig gehen
würde, wenn man die Denkmale nicht schützt.
Daraus folgt dann natürlich auch, dass der Staat – weil er schließlich
nicht einfach alle Sachen als Denkmale erhalten kann, weil das das moderne
Leben zum Stillstand bringen würde – auf irgendeiner Basis entscheiden muss, ob
die Erhaltung einer ganz konkret bestimmten Sache im derart zu verstehenden
‚öffentlichen Interesse‘ gelegen ist oder nicht. Nachdem sich aber dieses
‚öffentliche Interesse‘ in dieser Fiktion aus dem mittelbaren
Allgemeinwohlnutzen der wissenschaftlichen Erforschung der Denkmale als
historische Quellen ergibt, ist es nicht nur naheliegend, sondern erforderlich,
diese Entscheidung auf Basis der wissenschaftlichen Beurteilung des wissenschaftlichen
Werts einer Sache als ‚Geschichtsquelle‘ (bzw. Quelle der archäologischen,
kunstgeschichtlichen, technikgeschichtlichen, architekturgeschichtlichen, etc.
Forschung) zu treffen. Wäre dem nämlich nicht so, würde die
gesellschaftspolitische Fiktion des ‚öffentlichen Interesses an der Erhaltung
der Denkmale‘ in sich zusammenbrechen.
Der Staat muss unter dieser Fiktion daher auch Fachkräfte aus
einschlägigen Wissenschaftsbereichen beschäftigen; denn er bedarf deren
Expertise, damit er fachwissenschaftlich hinreichend begründete Entscheidungen
darüber treffen kann, welche konkrete Sache nun ein Denkmal ist und welche
keines ist. Das scheint aufgrund der Vielzahl und Vielfältigkeit der
anfallenden Fälle – wenigstens solange die Politik nicht weitgehend blind einer
Privatisierungsideologie folgt und daher prinzipiell davon ausgeht, dass die
Privatwirtschaft alles besser macht als staatliche Einrichtungen – am
sinnvollsten dadurch erreichbar zu sein, dass der Staat selbst dieses
Fachpersonal (ob nun als echte Beamte oder Vertragsbedienstete) anstellt, weil
ihn das in der Regel deutlich billiger kommt, als in jedem Einzelfall die
erforderliche Fachexpertise extern zuzukaufen. Schon hier besteht allerdings –
dazu komme ich gleich noch – eine Privatisierungsmöglichkeit, denn es ist eben
nur normalerweise billiger, dieses Personal direkt im öffentlichen Dienst zu
beschäftigen als deren Expertise extern zuzukaufen.
Ergebnis davon ist nahezu notwendigerweise ein elitäres und vor allem
bevormundendes, obrigkeitsstaatliches System der Denkmalpflege (Karl 2016):
ExpertInnen – d.h. in der Archäologie graduierte ArchäologInnen, die
selbstverständlich ganz ausgeprägte eigene Interessen in dem
denkmalpflegerischen Bereich haben, in dem sie tätig sind, sonst hätten sie
schließlich niemals Archäologie studiert – können, in der Praxis weitestgehend
unkontrolliert durch eine effektive Dienst- oder gerichtliche Aufsicht
(Hoffmann-Axthelm 2000, 12-3; cf. Karl 2018, 13), weitestgehend autokratisch
bestimmen, was nun die Denkmale sind, deren Erhaltung im ‚öffentlichen
Interesse‘ – das in Wahrheit primär ihr eigenes bzw. ein breiteres fachliches
Partikularinteresse ist – gelegen ist und wie mit ihnen umzugehen ist; während
alle anderen ausgeschlossen bleiben (Smith 2006, 29-34). Dafür ist dieses
System nicht nur historisch gewachsen und steht daher in einer sehr langen
Tradition, an die man sich auch schon sehr schön gewöhnt hat, sondern ist auch
aus administrativer Sicht für den Staat, dessen Behörden und die in letzteren
tätigen Fachleute sehr bequem und auch sehr effizient: Entscheidungen können
schließlich sehr rasch und einfach getroffen werden, weil alles was man tun
muss ist, den zuständigen Experten im Haus zu fragen und auf Basis von dessen
Expertenmeinung zu entscheiden. Denn die Allgemeinheit, in deren Interesse das
alles angeblich passiert, hat schließlich keine, schon gar keine geeinte,
Stimme und kann sich daher auch gar nicht wehren.
Denkmale als Kollektivgüter
Man kann jedoch den Denkmalbegriff – in gewissem Sinn ‚moderner‘, wenn
auch in Wirklichkeit dem Ursprung des modernen Denkmalschutzgedankens im
dilettantischen Antiquarismus des 18. und 19. Jahrhunderts viel näher stehender
– auch ganz anders und Denkmale nicht als Allgemein-, sondern als
Kollektivgüter verstehen; ein Gedanke der insbesondere auch in der
Faro-Konvention (Europarat 2005) seinen Ausdruck findet. Im Unterschied zum
Allgemeingut, mit dem eben – meist angeblich – im Interesse aller irgendetwas
geschehen soll (wie erhalten und gepflegt werden) und das – stets nur angeblich
– allen gehört, ist ein Kollektivgut etwas, an dem nicht unbedingt nur ein
Einzelner (gewöhnlich: sein Eigentümer), sondern eben (wenigstens) eine (oder
sogar mehrere) Gruppe(n) von Menschen (unabhängig davon, wem es gehört) ein
(besonderes) Interesse hat (bzw. haben).
Im Bereich des kulturellen Erbes (d.h. der Denkmale) ist eine derartige
Gruppe von Menschen das, was die Faro-Konvention im Originalwortlaut in ihrem
Art. 2 (b) als „heritage community“
bezeichnet. Die Definition einer solchen Gruppe lautet in der amtlichen
österreichischen Übersetzung dieser Konvention ins Deutsche: „Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet
der Ausdruck […] Gemeinschaft für das
Kulturerbe Menschen, die bestimmte Aspekte des Kulturerbes wertschätzen, das sie
im Rahmen öffentlicher Maßnahmen zu wahren und an nachfolgende Generationen zu
übertragen wünschen“ (Europarat 2005). Das reflektiert weit besser als die
Vorstellung von Denkmalen als Allgemeingut die gesellschaftliche Wirklichkeit,
dass eben das ungeheuer wertvolle (archäologische) Kulturgut des (bzw. der)
einen (Gruppe von Menschen) gleichzeitig nicht mehr als der unnötige alte Mist
des (bzw. der) anderen und ebenso gleichzeitig der wirtschaftlich wertvolle
‚Schatz‘ des (bzw. der) Dritten ist: die Interessen verschiedener Menschen sind
eben unterschiedlich, und was der eine unverändert und unberührt erhalten will,
mag der andere gebrauchen, der Dritte verändern, der Vierte zerstören usw.
wollen.
Erkennt man diese gesellschaftliche Wirklichkeit an, dann folgt daraus
zwingend, dass die Erhaltung der Denkmale eben nicht im Interesse ‚der
Allgemeinheit‘, sondern nicht mehr (aber auch nicht weniger) als ein
Partikularinteresse bestimmter Teile der Gesellschaft bzw. politischen
Gemeinschaft ist. Ist es jedoch nur ein partikuläres, d.h. ein Einzelinteresse
(ob nun eines bestimmten Menschen oder auch einer bestimmten Gruppe von
Menschen, eben einer „Gemeinschaft für
das Kulturerbe“), ist es auch nicht und kann gar nicht ein ‚öffentliches
Interesse’ sein, sondern ist ein privates Interesse – eben das Interesse jener,
die ein bestimmtes kulturelles Erbe „zu
wahren und an nachfolgende Generationen zu übertragen wünschen“ (Europarat
2005).
In einer demokratischen, rechtsstaatlichen Gesellschaft westlicher
Prägung ist das ein enormes Problem: der Staat darf nämlich aufgrund des aus
Art. 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR; Vereinte Nationen 1948),
für Österreich zusätzlich aus Art. 7 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG) und Art. 2 Staatsgrundgesetz
1867 (StGG) und für Deutschland aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz
(GG) abgeleiteten, generellen Diskriminierungsverbotes nicht generell die
Interessen der einen (Gruppe von Menschen) gegenüber derer anderer bevorzugen.
Vielmehr ist es seine Aufgabe, zwischen diesen Gruppen zu vermitteln und –
nötigenfalls, wenn keine Vermittlung möglich ist – unparteiisch zwischen den
einander widersprechenden oder sogar entgegengesetzten, berechtigten Interessen
je nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls abzuwägen und
dementsprechend zu entscheiden, welchen davon in dem konkreten Einzelfall der
Vorrang zu geben ist.
Das macht die Angelegenheit natürlich nicht nur maßgeblich
komplizierter, insbesondere, wenn – wie sie das zumeist tun – die Interessen
der Personengruppe, die ein bestimmtes kulturelles Erbe bewahren will, nicht
mit den Interessen des rechtmäßigen Eigentümers dieses kulturellen Erbes
übereinstimmen; sondern hat vor allem eine bedeutende Auswirkung auf die Denkmalbehörden.
Denn der Staat braucht in diesem Fall eigentlich gar keine Denkmalbehörden mehr:
er muss schließlich gar nicht mehr feststellen, welche Sachen nun von derart
beschaffener Bedeutung sind, dass ihre Erhaltung im ‚öffentlichen Interesse‘
gelegen ist; sondern nur noch zwischen den Interessen an der Erhaltung eines
kulturellen Erbes der einen Gruppe von Menschen und den diesen
entgegenlaufenden Interessen eines anderen bzw. einer anderen Gruppe von
Menschen vermitteln oder entscheiden; und diese Aufgabe können z.B. genauso gut
die Gerichte oder irgendeine staatliche Schlichtungsstelle übernehmen, die von
kulturellem Erbe per se überhaupt nichts verstehen. Der Staat braucht daher vor
allem kein denkmalpflegerisches Fachpersonal mehr, bzw. braucht dieses höchstens
noch zur Verwaltung und Pflege jener Denkmale, die in seinem Eigentum stehen
und die er im Staatsinteresse[8]
erhalten will. Weil ob etwas ein Denkmal ist oder nicht hängt dann schließlich
nicht mehr davon ab, ob es aus geschichtlichen oder sonstigen der üblicherweise
in derzeitigen Denkmalschutzgesetzen genannten Gründen derart wichtig ist, dass
man diese Sache deswegen erhalten müsste, was nur durch FachexpertInnen
festgestellt werden kann; sondern nur davon, ob diese Sache die „Herzen“ irgendeiner Gemeinschaft für
das Kulturerbe „bewegt“
(Hoffmann-Axthelm 2000, 31), die ihre Interessen an der Erhaltung des ihr
wertvollen Kulturerbes schließlich selbst vertreten kann.
Damit ist dann natürlich auch eine wirklich vollständige Privatisierung
der Denkmalpflege möglich (wenngleich nicht unbedingt notwendig): der Staat
braucht sich in diesen Bereich des menschlichen Zusammenlebens nur insoweit
einmischen, als er auf gesetzlichem Weg Gemeinschaften für das Kulturerbe
gewisse Mitspracherechte in Entscheidungen über das Schicksal solcher Sachen,
die sie als ihr kulturelles Erbe betrachten, einräumen und geeignete Verfahren
vorsehen muss, die ihnen auch die Durchsetzung ihrer diesbezüglichen Interessen
ermöglichen. Das macht einen gewissen Eingriff in die willkürliche
Verfügungsgewalt der Eigentümer dieser Sachen notwendig; aber eine Beschränkung
der Eigentümerwillkür zum Schutz berechtigter Interessen Dritter ist
selbstverständlich durchaus möglich und tatsächlich in vielerlei Hinsicht ein
ganz normaler Bestandteil des Eigentumsrechts, also auch in Bereich des
Kollektivkulturgüterschutzes durchaus vorstellbar.
Mag es also auf den ersten Blick nachgerade unmöglich erschienen sein,
die (archäologische) Denkmalpflege vollständig zu privatisieren, so zeigt sich
bei genauerer Betrachtung, dass das – wenigstens in der Theorie – durchaus
möglich sein sollte. Mehr noch, es lässt sich sogar argumentieren, dass eine
solche Privatisierung der Denkmalpflege, inklusive einer kompletten Abschaffung
ihrer „hoheitlichen“ Aufgaben, der gesellschaftlichen Realität besser
entsprechen würde und insbesondere für die Zivilgesellschaft vorteilhaft wäre:
was Denkmale sind und wie mit ihnen zu verfahren ist, würden nicht mehr
irgendwelche FachexpertInnen in staatlichen Behörden auf Basis ihrer
subjektiven Beurteilungen entscheiden, sondern die BürgerInnen, die ein
kulturelles Erbe bewahren und an künftige Generationen übertragen wollen
selbst. Schlecht wäre das, so könnte man argumentieren, eigentlich nur für uns,
die ExpertInnen, die durch einen derartigen Zugang zur Denkmalpflege nahezu
vollständig entmachtet würden; was jedoch demokratiepolitisch durchaus
wünschenswert sein könnte.
Die Privatisierung der Denkmalpflege in der Praxis
Dass eine weitgehende, wenn nicht sogar nahvollständige, Privatisierung
der (archäologischen) Denkmalpflege auch in der Praxis tatsächlich
funktionieren kann, lässt sich auch anhand realer Beispiele zeigen. Denn
wenigstens in einigen Teilen des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und
Nordirland ist die Denkmalpflege bereits tatsächlich weitgehend privatisiert
und funktioniert trotzdem nicht maßgeblich schlechter als die im deutschen
Sprachraum. Manche wären sogar geneigt, zu behaupten, dass die weitgehend
privatisierte Denkmalpflege in Großbritannien besser funktioniert als die immer
noch wenigstens teilweise, wenn nicht sogar großteils, verstaatlichte im
deutschen Sprachraum.
Das wohl bekannteste Beispiel für schon seit langem aus dem öffentlichen
Dienst ausgegliederte und damit in wenigstens bereits teilweise entstaatlichte,
wenn auch nicht gänzlich privatisierte Denkmalpflegeorganisationen sind die
beiden englischen Organisationen Historic England
und English Heritage (die
bis 2015 eine Organisation waren, die insgesamt als English Heritage
firmierte). Das bekannteste Beispiel für eine niemals zum öffentlichen Dienst
gehört habende, aber dennoch funktionierende, private Denkmalpflegeorganisation
ist der National
Trust.
Von diesen ist Historic England ein sogenannter non-departmental public body bzw. eine quasi-autonomous non-governmental organisation (QUANGO) und steht
damit etwa auf halbem Weg zwischen staatlicher Behörde und
privatwirtschaftlichem Betrieb. Finanziert wird Historic England hauptsächlich
vom Department for Culture, Media, and
Sports (DCMS), dem englischen Kulturministerium, durch einen alle paar
Jahre neu verhandelten, jährlichen Fixbetrag, den es selbst verwaltet. Es untersteht
aber nicht dem DCMS, sondern hat ein eigenes Statut und wird von einem
‚unabhängigen‘ (wenngleich vom Kulturminister bestellten) Trust und einem Direktorium (Executive)
geleitet, die für die Erfüllung der an Historic England delegierten gesetzlichen
Aufgaben dem Parlament gegenüber verantwortlich sind. Die Aufgaben, die
Historic England erfüllt, sind im Wesentlichen die, die im deutschen Sprachraum
Denkmalbehörden erfüllen würden: nationale Denkmallisten führen, Gutachten in
allen konstitutiv geschützte und manche, nicht konstitutiv geschützte Denkmale
betreffenden Verfahren verfassen, Denkmalförderungen gewähren,
Denkmaleigentümer und sonstige Verfügungsberechtigte beraten, Standards und
Richtlinien erstellen, den Erhaltungszustand von Denkmalen überwachen, etc.
Historic England kann aber keine Bescheide erlassen: will jemand ein
geschütztes Denkmal verändern oder zerstören und bedarf daher einer Genehmigung
(scheduled monument consent bzw. listed building consent), wird darüber
vom DCMS beschieden, das von Historic England nur (z.B. durch Erstellung von
Fachgutachten) beraten wird. Das gleiche gilt in Unterschutzstellungsverfahren
nach dem konstitutiven Prinzip (scheduling
bei archäologischen bzw. listing bei
Baudenkmalen): Historic England verfasst die erforderlichen Fachgutachten, den
Bescheid erlässt aber das DCMS (Schofield et al. 2011, 93-6).
Der English Heritage Trust
(weiterhin gemeinhin als English Heritage bezeichnet) ist noch einen Schritt
weiter entstaatlicht, nämlich 2015 in einen Charitable
Trust (etwa dem entsprechend, was man im deutschen Sprachraum als
gemeinnützige Stiftung bezeichnen würde) umgewandelt worden. Verantwortlich ist
English Heritage für die Verwaltung und Erhaltung der in Staatseigentum
stehenden „Sammlung“ von (touristisch
genutzten) archäologischen Fundstellen und Baudenkmalen. Nachdem diese „Sammlung“ seit 2011 gewinnbringend
operiert, wurde sie eben 2015 mit einer Einmalzahlung von £ 80 Millionen als
zusätzliche Anstoßfinanzierung praktisch gänzlich vom Staat abgekoppelt.[9]
Damit ist die Aufgabe der öffentlichen Vermittlung der (besonders prominenten)
Denkmale in England praktisch gänzlich entstaatlicht bzw. de facto privatisiert.
Man hat 2014 sogar eine Weile lang überlegt, ob man nicht die „Sammlung“ staatlicher Denkmale gleich
der Einfachheit halber dem National Trust anvertrauen sollte, zu dem ich als
nächstes komme.
Der National Trust war nie und
ist auch nicht eine staatliche, sondern eine private Denkmalpflegeorganisation.
Er wurde 1894 als Charity (im Prinzip
ein gemeinnütziger Verein) gegründet und ist das immer noch; und hatte zu Ende
des Berichtjahres 2016/17 insgesamt 4.828.187 Mitglieder (National Trust 2017,
5 FN 3; das sind ca. 8,25% der Gesamtbevölkerung von England und Wales). Der
National Trust ist heute einer der größten Grundeigentümer in Großbritannien
(ihm gehören ca. 2.470 km2 Land, ca. 1,6 % der Gesamtfläche von England
und Wales) und etwa 350 bedeutendere Kulturdenkmale (um von den ca. 47.000,
sich auf seinem Land befindlichen archäologischen Fundstellen, von denen etwa
1.100 auch scheduled sind, gar nicht
erst zu reden). Seit 1907 gibt es auch eine eigene (zuletzt 2005 maßgeblicher
novellierte bzw. ergänzte) Gesetzgebung für den National Trust (National Trust
2005; The Charities (National
Trust) Order 2005). Nachdem der National Trust eine private
Denkmalpflegeorganisation ist, steht alles, was dem National Trust gehört,
unter privatem Denkmalschutz. Der National Trust hat dafür seine eigenen Regeln
und Verfahren, die grundsätzlich den nationalen entsprechen, aber vom (wo das
sinnvoll ist auch archäologischen) Personal des National Trust durchgeführt
werden.
Man mag davon denken, was man will; aber funktionieren tut dieser
private Denkmalschutz durch den National Trust genauso gut wie der staatliche;
und eine staatliche Beteiligung daran ist eigentlich überhaupt nicht notwendig
– die ca. 46.000 archäologischen Fundstellen, die sich auf dem Land des
National Trust befinden, aber nicht scheduled
sind, sind genauso gut geschützt wie die ca. 1.100, die es sind (siehe generell
zu der archäologischen Denkmalpflege des National Trust auch Schofield et al.
2011, 96-7). Nur am Rande bemerkt: 47.000 archäologische Fundstellen sind
beinahe genauso viele, wie dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege aus ganz
Bayern; und um etwa 20% mehr, als dem Baden-Württembergischen Landesamt aus
ganz Baden-Württemberg bekannt sind.
Eine nahvollständig privatisierte archäologische Denkmalpflege
In Wales funktioniert die archäologische Denkmalpflege, sieht man einmal
von den ca. 4.000 scheduled monuments
ab, die es hier im Lande gibt, überhaupt weitgehend privatisiert. Cadw, die walisische
Denkmalbehörde, kümmert sich selbst praktisch nur um die nach dem konstitutiven
Prinzip geschützten archäologischen Denkmale und deren öffentliche Vermittlung;
ist aber dafür noch Teil des öffentlichen Dienstes und stellt daher selbst
Bescheide aus, z.B. für scheduled
monument consent. Schon die walisische nationale Denkmalliste wird hingegen
von der Royal Commission on the Ancient and
Historic Monuments of Wales geführt, die ähnlich wie Historic
England ein QUANGO ist.
Alle anderen archäologischen Denkmale werden hingegen nur durch
Planungsbewilligungsverfahren, d.h. primär durch Baugenehmigungsverfahren,
geschützt. Diese Verfahren werden von den lokalen Councils (Lokal-
bzw. Regionalverwaltung vergleichbar Gemeinde/Bezirksbehörden) bzw. deren Planungsabteilungen durchgeführt,
die aber – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen – keine archäologischen
Fachkräfte beschäftigen. Stattdessen ist die archäologisch-denkmalpflegerische
Expertise in Wales nahezu komplett an vier regionale sogenannte „Trusts“ ausgelagert (Clwyd and Powys, Dyfedd, Gwynedd und Glamorgan-Gwent Archaeological Trust). Diese jeweils um
die Mitte der 1970er gegründeten Organisationen sind rechtlich entweder als Charity (gemeinnütziger Verein), oder
als Charitable Company
(gemeinnütziges, nicht profitorientiertes Unternehmen), oder doppelgleisig sowohl
als Charity als auch als Limited Company (GesmbH) organisiert, aber
unabhänging von der gewählten Konstellation rein private Unternehmen.
Im Auftrag und finanziert durch Cadw führen sie die (gemäß §§ 35-37 des Historic Environment
(Wales) Act 2016 auch gesetzlich verpflichtend vorgesehenen) Historic Environment Records (HER); d.h.
das lokale Denkmalverzeichnis. In diesem sind alle über 100.000 aus Wales
bekannten archäologischen Fundstellen (und etwa noch einmal so viele andere
Kulturdenkmale) verzeichnet. Der HER kann auch online unter https://www.archwilio.org.uk/arch/
abgerufen werden, ist also zur Gänze öffentlich zugänglich. Mit individuellen
Einträgen verbundene Untersuchungsberichte, z.B. Grabungsberichte, können in
den Büros des jeweils örtlich zuständigen Archaeological Trust ausgehoben
werden; von interessierten BürgerInnen und für wissenschaftliche Forschungen
gewöhnlich kostenlos, für kommerzielle Zwecke hingegen gegen eine (allerdings
sehr erträgliche) Gebühr.
In Planungsverfahren müssen Vorhabenträger ihren Anträgen auf Erteilung
der erforderlichen Genehmigung durch die Planungsbehörde auch ausreichende
Unterlagen beilegen, die es zu beurteilen gestatten, ob von geplanten Vorhaben
irgendwelche Denkmale betroffen werden könnten. Die dazu erforderlichen
Voruntersuchungen werden dabei gewöhnlich in Auftrag und auf Kosten des
Vorhabenträgers von privaten Archäologieunternehmen durchgeführt, die
gewöhnlich zuerst den HER konsultieren und dann erforderlichenfalls auch vor
Ort Prospektionen und, wo es nötig erscheint, auch Sondierungsgrabungen
durchführen. Man beachte: alles noch bevor irgendeine Genehmigung beantragt,
geschweige denn erteilt werden musste.
Soweit erforderlich werden diese Unternehmen sowie die Vorhabenträger
auch von den Archaeological Trusts beraten, sowohl welche Unterlagen welcher
Qualität dem Antrag beizulegen sind; als auch, welche Maßnahmen zur
Untersuchung oder Erhaltung allfällig vom geplanten Vorhaben betroffener
Denkmale erforderlich sein werden. Diese Maßnahmen hat ebenfalls der
Vorhabenträger in seinem Genehmigungsantrag entsprechend zu beschreiben, wenn
er eine Genehmigung erteilt bekommen will. Anträge, denen keine oder nur
unzureichende Unterlagen beigefügt sind, werden in der Regel von den
Planungsbehörden abgelehnt (Welsh Government 2016, 95-7, insbesondere Punkt
6.5.6. letzter Satz). Einigermaßen klare Bewertungshilfen, wie das Research Framework for the Archaeology of
Wales (CIfA Wales 2017) helfen bei der Bewertung nicht konstitutiv
geschützter Denkmale und dem Setzen von Prioritäten für präventive oder
Rettungsgrabungsmaßnahmen ebenso wie für Forschungsgrabungen.
Die Begutachtung der den Genehmigungsanträgen beigelegten
archäologischen Unterlagen ebenso wie der nach bauvorbereitend oder -begleitend
durchgeführten Feldarbeiten abzugebenden Grabungs- bzw. sonstigen
Projektberichte wird von den Planungsabteilungen der Councils auch – weil ihnen
ja eigene Expertise fehlt – an die Archaeological Trusts ausgelagert, die die
Planungsbehörden dann selbstverständlich auch in Hinblick auf mit Genehmigungen
zu verbindende Auflagen beraten. Nachdem die Endberichte letztendlich ohnehin
in den jeweiligen lokal zuständigen HER eingepflegt werden müssen, ist ein
derartiges Arrangement auch durchaus sinnvoll: schließlich soll das, was am
Ende im örtlichen Denkmalverzeichnis steht, auch sinnvoll und – ob nun für
interessierte Mitglieder der Öffentlichkeit, die wissenschaftliche
archäologische Forschung und natürlich auch zukünftige Vorhabenträger bzw. die
in deren Auftrag die erforderlichen Antragsunterlagen erstellende
archäologische Dienstleistungsunternehmen – nützlich sein. Dass das auch
tatsächlich der Fall ist, zeigen zum Beispiel die Ergebnisse des von mir selbst
geleiteten und mit meiner Kollegin Kate Waddington durchgeführten Projekts zur
Erforschung des spätbronzezeitlichen bis frühmittelalterlichen Siedlungswesens
in Nordwest-Wales: die Ergebnisse dieses Projektes beruhten großteils auf den
im HER enthaltenen Grabungsberichten von durch kommerzielle
Archäologieunternehmen und/oder Gwynedd Archaeological Trust selbst (oft
bauvorbereitend oder -begleitend) durchgeführten Untersuchungen (Waddington
2013).
Staatliche Behörden, und insbesondere die staatliche Denkmalbehörde
Cadw, sind also – abgesehen von den etwa 4.000 konstitutiv geschützten
archäologischen Denkmalen – in die praktische archäologische Denkmalpflege so
gut wie überhaupt nicht involviert. Diese wird vielmehr praktisch komplett von
privaten Unternehmen durchgeführt, während die staatlichen bzw. lokalen
Behörden nur zwischen den einander oft entgegengesetzten Interessen von
privaten Vorhabenträgern und der archäologischen Denkmalpflege abwägen und
entscheiden. Die Archäologie wird durch diese nahezu vollständig privatisierte
archäologische Denkmalpflege dabei aber nicht schlechter geschützt, als sie
anderswo durch eine vollständig oder überwiegend staatliche Denkmalpflege
geschützt wird.
Das zeigt, dass eine nahvollständig privatisierte archäologische
Denkmalpflege nicht nur in der Theorie funktionieren kann, sondern auch
tatsächlich in der Praxis funktioniert. Man kann also die archäologische
Denkmalpflege durchaus so gut wie gänzlich entstaatlichen, wenn man das will.
Umweltverträglichkeitsprüfungen
Auch im deutschen Sprachraum sollte man davon ausgehen, dass auch eine
nahezu gänzlich privatisierte archäologische Denkmalpflege funktionieren
könnte; denn im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen tut sie das beinahe
schon, bzw. könnte sie es sehr einfach. Und geht es in
Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren, dann sollte es auch in der sonstigen
archäologischen Denkmalpflege durchaus möglich sein.
Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren funktionieren EU-weit nahezu
gleich, weil sie alle auf den jeweiligen nationalen Umsetzungen der Direktiven 2014/52/EU
und 2011/92/EU (und noch älteren Vorgängerdirektiven) beruhen, also durch
europäisches Unionsrecht determiniert sind. Laut dem relevanten Art. 3 (c)
Direktive 2011/92/EU
„identifiziert, beschreibt und bewertet“
die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nicht nur „die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf“
den Menschen und seine natürliche Umwelt, sondern auch auf „Sachgüter und kulturelles Erbe“. Dabei entspricht das Vorgehen
wenigstens vor der Antragstellung weitgehend dem, das gerade für Wales
beschrieben wurde: Vorhabenträger haben von sich aus die voraussichtlichen
Auswirkungen des von ihnen geplanten Projekts auf die Umwelt (inklusive der
Kulturgüter) zu ermitteln und beschreiben oder von dafür von ihnen angestellten
Dritten (gewöhnlich privaten Dienstleistungsunternehmen) ermitteln und
beschreiben zu lassen. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen sind dem Antrag
beizulegen und haben gem. Art. 5 (3) Direktive 2011/92/EU jedenfalls „b) eine Beschreibung der Maßnahmen, mit
denen erhebliche nachteilige Auswirkungen vermieden, verringert und soweit
möglich ausgeglichen werden sollen; c) die notwendigen Angaben zur Feststellung
und Beurteilung der Hauptauswirkungen, die das Projekt voraussichtlich auf die
Umwelt haben wird;“ und sogar „d)
eine Übersicht über die wichtigsten anderweitigen vom Projektträger geprüften
Lösungsmöglichkeiten und Angabe der wesentlichen Auswahlgründe im Hinblick auf
die Umweltauswirkungen“ zu enthalten.
Zwar wird durch Art. 6 Abs. 1 vorgesehen, dass alle „Behörden, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich von dem Projekt
berührt sein könnten, die Möglichkeit haben, ihre Stellungnahme zu den Angaben
des Projektträgers und zu dem Antrag auf Genehmigung abzugeben“. Sofern es
also eine staatliche Denkmalbehörde gibt, muss diese auch am UVP-Verfahren
beteiligt werden.
Gäbe es jedoch keine staatliche Behörde, die Denkmalschutzaufgaben hat,
sondern ist in einem Staat der Denkmalschutz und die Denkmalpflege vollständig
privatisiert, würde das jedoch keineswegs unbedingt bedeuten, dass die Agenden
der Sach- und Kulturgüter im UVP-Verfahren völlig unberücksichtigt bleiben
würden bzw. müssten. Denn Art. 6 Abs. 2-6 sehen eine allgemeine Beteiligung der
betroffenen Öffentlichkeit am Verfahren vor. Laut Abs. 4 muss der
Öffentlichkeit „frühzeitig und in
effektiver Weise die Möglichkeit“ gegeben werden, „sich an den
umweltbezogenen Entscheidungsverfahren“ zu beteiligen. Zu diesem Zweck hat die
Öffentlichkeit das Recht, „der
zuständigen Behörde bzw. den zuständigen Behörden gegenüber Stellung zu nehmen
und Meinungen zu äußern, wenn alle Optionen noch offen stehen und bevor die
Entscheidung über den Genehmigungsantrag getroffen wird“. Gem. Art. 8 sind
auch die gemäß Artikel 6 eingeholten Angaben „beim Genehmigungsverfahren
zu berücksichtigen“. Behördliche
und private Stellungnahmen sind daher in UVP-Verfahren nicht von
unterschiedlichem Wert, sondern alle sind von der entscheidenden
Planungsbehörde gleichermaßen ernst zu nehmen und auch entsprechend ihres
jeweiligen inhaltlichen Wertes zu berücksichtigen.
In Österreich können, falls dies der
Planungsbehörde für ihre Entscheidung erforderlich erscheint, gem. § 3b Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz
2000 (UVPG 2000) auch nichtamtliche Sachverständige, inklusive „fachlich einschlägige Anstalten, Institute
oder Unternehmen“ auf Kosten des Antragstellers bestellt werden. Sinngemäß
das gleiche gilt auch gem. § 15 des deutschen Gesetzes über die
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG). Es können also, wenn es
erforderlich erscheint, zum Verfahren auch auf Kosten des Antragstellers
private Sachverständige aller Art beigezogen werden; darunter
selbstverständlich auch solche für Denkmalschutz oder Denkmalpflege betreffende
Fragen.
Noch wichtiger ist jedoch, dass auch
zivilgesellschaftliche Umweltorganisationen (NGO) als Teil der betroffenen
Öffentlichkeit an UVP-Verfahren zu beteiligen sind, selbst wenn sie nicht
unmittelbar von den Umweltauswirkungen eines konkreten, geplanten Vorhabens
betroffen sind. In Österreich haben gem. § 19 Abs. 1 Z 7 UVPG 2000
Umweltorganisationen gem. Abs. 6 Parteienstellung in UVP-Verfahren, wenn sie
gem. Abs. 7-9 vom zuständigen Bundesministerium anerkannt sind. Gem. § 19 Abs.
10 UVPG 2000 ist eine derartige Umweltorganisation auch berechtigt, „die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften
im Verfahren geltend zu machen, soweit sie während der Auflagefrist gemäß § 9
Abs. 1 schriftlich Einwendungen erhoben hat. Sie ist auch berechtigt,
Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht sowie Revision an den
Verwaltungsgerichtshof zu erheben“; es kommt derartigen
Umweltorganisationen also auch ein Verbandsklagerecht zu. In Deutschland gilt
gem. § 18 UVPG für „nach dem
Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannte Vereinigungen“ im Wesentlichen das
gleiche, diesen kommt gem. § 2 UmwRG ebenfalls ein
Verbandsklagerecht zu (siehe für Deutschland dazu auch Kemper 2017, 45-7,
insbesondere 46).
Die Berücksichtigung der Interessen
des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege könnte also – bei Interpretation des
Denkmalbegriffs als Kollektiv-, nicht als Allgemeingut im oben definierten Sinn
– in UVP-Verfahren gänzlich ohne Beteiligung staatlicher Denkmalbehörden
gewährleistet werden: allfällig notwendige Sachverständigengutachten könnten
von privatwirtschaftlich tätigen Sachverständigen oder fachlich einschlägigen
Anstalten, Instituten (wie z.B. in der archäologischen Denkmalpflege von
archäologischen Universitätsinstituten) oder auch von privatwirtschaftlichen
Unternehmen (wie archäologischen Dienstleistungsunternehmen) oder auch
entsprechenden NGOs eingeholt werden. NGOs – also z.B. satzungsgemäß
einschlägige Interessen am Schutz der kulturellen Umwelt und der Denkmale vertretende
Vereine wie in Österreich die Initiative Denkmalschutz oder ArchaeoPublica, in
Deutschland die DGUF, etc. – könnten hingegen nötigenfalls Rechtsmittel
ergreifen, wenn sie Grund zur Annahme haben, dass einschlägige
Rechtsvorschriften im UVP-Verfahren missachtet wurden.
Streng genommen braucht man unter
diesen Voraussetzungen staatliche Denkmalbehörden überhaupt nicht,
Denkmalschutz und Denkmalpflege könnten also durchaus vollständig privaten
Unternehmen und zivilgesellschaftlich organisierten BürgerInnen selbst
überlassen werden. Nachdem eine Aufnahme des Verbandsklagerechts in die
Denkmalschutzgesetze ohnehin auch schon – meiner Meinung nach völlig
berechtigterweise – von einigen Seiten gefordert wird (siehe auch dazu Kemper
2017), wäre also auch in der archäologischen Denkmalpflege jenseits von
UVP-Verfahren eine derartige völlige Privatisierung der derzeit von den
staatlichen Behörden wahrgenommenen Aufgaben durchaus möglich, auch im
deutschen Sprachraum.
Warum ich dennoch gegen eine vollständige Privatisierung bin
Wie ich im bisher Gesagten gezeigt habe, ist eine vollständige
Privatisierung des archäologischen Denkmalschutzes und der Denkmalpflege also
nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis möglich und damit keineswegs
so unvorstellbar, wie man es in der archäologischen Fachwelt immer noch gerne
und mehrheitlich glaubt. Es ist hier aber auch noch zu besprechen, ob eine
vollständige Entstaatlichung der archäologischen Denkmalpflege aus fachlicher
und gesellschaftspolitischer Sicht auch wünschenswert ist; weil bloß, weil
etwas in Theorie und Praxis funktionieren kann, bedeutet ja noch lange nicht,
dass man es deswegen auch so machen sollte.
Vorauszuschicken ist hier, dass auch ich – wenigstens teilweise – durch die
schon oben genannte fachliche Ideologie mitgeprägt bin, dass man – um es
bewusst etwas neutraler als in der Archäologie sonst üblich zu formulieren –
mit der nicht wissenschaftlich nachhaltigen Ausbeutung der Archäologie keinen
wirtschaftlichen Profit machen sollte.[10]
Ich bin daher bis zu einem gewissen Grad gegen eine Vollprivatisierung der
archäologischen Denkmalpflege prädisponiert. Ich denke allerdings, dass es auch
eine Reihe nicht fachideologischer Gründe gibt, die noch weit mehr gegen eine
vollständige Privatisierung der archäologischen Denkmalpflege sprechen (nicht
jedoch gegen eine verstärkte Bürgerbeteiligung an ihr). Die folgende kurze
Darstellung dieser Gründe erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ich denke
aber, dass schon sie dafür ausreichen, zum Schluss zu kommen, dass eine
vollständige Privatisierung der staatlichen Denkmalpflege tatsächlich nicht
empfehlens-, geschweige denn wünschenswert ist.
Höhere gesamtgesellschaftliche Kosten
Der größte Reiz einer Privatisierung der staatlichen Denkmalpflege ist
insbesondere für die Politik der, dass sie – vor allem dem Staat als
Rechtsperson – Kosten zu ersparen scheint. Für den Staat als Rechtsperson
stimmt das natürlich auch insofern, als die Kosten für die Denkmalpflege aus
seinem Budget verschwinden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die
gesamtgesellschaftlichen Kosten der Denkmalpflege verschwinden, wenigstens,
wenn diese durch die Privatisierung der staatlichen Aufgaben nicht gänzlich
abgeschafft werden soll bzw. wird: die Kosten werden nur aus dem staatlichen in
private Budgets verlagert.
Die Kostenreduktion durch den ‚freien Wettbewerb‘ zwischen privaten
Unternehmen, die – um selbst überleben zu können – angeblich effizienter
arbeiten müssen als der Staat und seine Behörden, entsteht – wenn überhaupt –
nur anfänglich. Tatsächlich kann es bei kurzfristiger Betrachtung zu einer
Senkung der gesamtgesellschaftlichen Kosten der Denkmalpflege kommen, weil in
einem noch unausgereiften, neu entstandenen und noch weitgehend unregulierten
Markt ein Verdrängungswettbewerb zwischen verschiedenen, miteinander
konkurrierenden Unternehmen die Preise senkt. Dies ist aber bestenfalls ein
zeitweiliger Effekt, denn früher oder später reift der Markt aus. Das bedeutet,
dass sich einige wenige, wenn nicht sogar nur ein einziges Unternehmen gegen
die Konkurrenz durchsetzt; und der Sektor sich auch zunehmend selbst zu
regulieren beginnt; ja sich zu regulieren beginnen muss, schon allein, weil das
dem Preiskampf, der im Endeffekt alle bis auf einen ruiniert, entgegenzuwirken
hilft. Sobald der Markt gereift ist, können aber alle noch überlebenden
Anbieter mit den Preisen anziehen, was im Endeffekt die gesamtgesellschaftlichen
Kosten über die einer staatlichen Regelung erhöht.
Hinzu kommt noch, dass es im Bereich der staatlichen Denkmalpflege auch wenigstens
ein natürliches Monopol gibt: zwar können, rein hypothetisch, auch
verschiedene, miteinander konkurrierende Unternehmen eigene, nicht miteinander
abgeglichene Denkmallisten (bzw. Listen archäologischer Fundstellen) führen, in
der Praxis ist das aber wenigstens sinnlos und aller Wahrscheinlichkeit nach
sogar schädlich. Denn gibt es nicht miteinander abgeglichene, separate Listen,
müssen jeweils vor und in Planungsverfahren alle davon nach Hinweisen auf
möglicherweise durch ein Vorhaben betroffene Denkmale durchsucht werden, was
die Kosten für alle Beteiligten maßgeblich steigert. Wird hingegen die örtlich
verbindliche Liste von einem einzelnen Anbieter geführt, hat der ein Monopol
und kann – wenn nicht seine Preisgestaltungspolitik gesetzlich geregelt wird,
was jedwede Privatisierung ad absurdum führt – für das Führen dieser Liste
verlangen, was auch immer er will. Diese Liste ist aber für jede sinnvolle
Denkmalpflege unumgänglich notwendig: man kann schließlich nur schützen, was
man schon kennt.
Verlagerung der Kosten auf Einzelne, insbesondere finanzschwache Einzelne
Als Resultat einer vollständigen Privatisierung der Denkmalpflege ist
also letztendlich eine erhebliche Steigerung der gesamtgesellschaftlichen
Kosten zu erwarten; auch wenn diese Kosten dann nicht mehr in den Staatsausgaben
aufscheinen. Verschärfend kommt dann auch noch dazu, dass diese Kosten vor
allem auf finanzschwache Einzelne abgewälzt werden (siehe auch, wenn auch in
deutlich anderem Sinn als hier, Hoffmann-Axthelm 2000, 12).
Am deutlichsten zu erkennen ist diese Verlagerung der Kosten der
Denkmalpflege auf betroffene Einzelne am schon so gut wie überall eingeführten
Verursacherprinzip, das derzeit besonders in der Archäologie populär ist. Auf
den ersten Blick erscheint das Verursacherprinzip – insbesondere aus
archäologisch-denkmalpflegerischer Sicht – eine sehr gute Idee zu sein, denn
die meisten ArchäologInnen haben in erster Linie mit besonders großen Vorhaben
zu tun, insbesondere Großbauprojekten und der großflächigen Ausbeutung
natürlicher Ressourcen (z.B. Schotterabbau, Braunkohletagbau, etc.). Diese
werden gewöhnlich von großen, gewinnorientiert arbeitenden, privaten
Unternehmen (Bau-, Bergbau, Energieproduktionsfirmen, etc.) durchgeführt und
kosten in der Regel insgesamt viele Millionen, manchmal sogar mehrere
Milliarden Euro. Im Vergleich dazu sind die Kosten für die dabei notwendig
werdenden archäologisch-denkmalpflegerischen Maßnahmen in der Regel
verschwindend gering und erscheinen daher den betreffenden Unternehmen auch
vollständig zumutbar.
Dabei vergessen wir ArchäologInnen aber allzu gerne, dass die Kosten für
die anfallenden archäologischen Maßnahmen nicht diese Großunternehmen tragen.
Vielmehr kalkulieren diese Unternehmen die Kosten für archäologische Maßnahmen
einfach in ihre Preiskalkulation ein und geben die Kosten nicht nur an die
Endverbraucher ihrer Produkte weiter, sondern schlagen – wenn sie nicht
vollkommen inkompetent geführt sind – auf die archäologischen Kosten noch ihre
gewöhnliche Profitspanne auf. Das bedeutet z.B. bei staatlich finanzierten
Infrastrukturbauvorhaben wie z.B. dem Bau neuer Autobahnen, dass der Staat in
der Regel nicht nur die Kosten bezahlt, die die erforderlich werdenden
archäologischen Arbeiten verursachen, sondern zusätzlich noch die darauf
aufgeschlagene Profitspanne des Bauunternehmens, das die Autobahn baut. Der
Staat zahlt also zugunsten des ‚Verursachers‘ der archäologischen
Untersuchungen mehr für die erbrachte archäologische Dienstleistung, als ihn
diese gekostet hätte, wenn er sie selbst erbracht hätte.
Bei privaten Großvorhaben werden die Kosten der erforderlich werdenden,
archäologischen Maßnahmen ebenfalls nicht vom ‚Verursacher‘ im rechtlichen
Sinn, d.h. vom Vorhabenträger, getragen, sondern einfach – ebenfalls zuzüglich
seiner Profitspanne – auf die Endabnehmer seines Produktes abgewälzt. Der
Braunkohlestrom z.B. wird einfach – wenn auch vielleicht für den Einzelnen
unmerklich – ein wenig teurer; kostet aber gesamtgesellschaftlich betrachtet
insgesamt mehr, als wenn die archäologischen Dienstleistungen vom Staat selbst
erbracht oder archäologische Dienstleister direkt bezahlt worden wären.
Die Kosten erforderlicher archäologischer Maßnahmen tragen in einem
solchen System also die Kleinen und die Kleinsten, die noch dazu als Individuen
umso stärker betroffen sind, wenn sie selbst zum ‚Verursacher‘
archäologisch-denkmalpflegerischer Maßnahmen werden. Der Eigentümer eines
kleinen Baugrundstückes, der darauf (vermutlich noch dazu auf Kredit) sein
Einfamilienhaus errichten will, auf dem – ob nun bereits bei Voruntersuchungen
während der Bauplanung oder bei den Baumaßnahmen selbst – zuvor noch unbekannte
archäologische Denkmale entdeckt werden, muss mit einer erheblichen Steigerung
seiner Kosten rechnen.
Schon die allfällig durchzuführenden Voruntersuchungen belasten den
‚kleinen Hausbauer‘ erheblich mehr als das Großunternehmen. Denn die Kosten für
die Archivuntersuchungen und das Verfassen eines Berichts oder sachverständigen
Gutachtens über allfällig betroffene Denkmale steigen nicht proportional mit
der betroffenen Fläche, sondern es gibt einen bedeutenden Degressionseffekt: je
mehr Fläche voruntersucht werden muss, desto geringer werden die
Voruntersuchungskosten pro Flächeneinheit.
Einen ebensolchen Degressionseffekt gibt es bei den Kosten für
bauvorbereitend oder baubegleitend notwendig werdenden Grabungen und auch deren
Auswertung. Die Kosten, die die archäologische Denkmalpflege verursacht, sind
also für jene am höchsten, die schon an sich die geringste Finanzkraft haben
und die am ehesten auch durch – absolut betrachtet vergleichsweise minimal
erscheinende Beträge – in größere Schwierigkeiten gebracht werden können. Für
den sein Eigenheim bauen wollenden Durchschnittsverdiener macht es einen nicht
unerheblichen Unterschied, ob sein Haus um 10% mehr kostet oder nicht, weil
diese 10% für ihn ein durchschnittliches Jahreseinkommen sein können.
Mehr privat, weniger Staat nutzt also in diesem Fall primär den
Großunternehmen, die ihre ‚Verursacherkosten‘ auf den jeweiligen Endverbraucher
ihrer Produkte abwälzen und durch die Kostentragungspflicht für archäologische
Maßnahmen nur noch ihren Profit vergrößern können; während sie vor allem den
betroffenen kleinen StaatsbürgerInnen schadet, sowohl kollektiv als auch
insbesondere individuell jenen, die als Endverbraucher gleichzeitig zu ‚Verursachern‘
archäologisch-denkmalpflegerisch notwendig erachteter Maßnahmen werden. Egal ob
man Denkmale nun im Sinne der obigen Definitionen als Allgemein- oder nur als
Kollektivgut betrachten will; die Verlagerung der Kosten auf zufällige Dritte,
d.h. die Endabnehmer von Produkten, durch deren Erzeugung archäologische
Maßnahmen verursacht wurden, oder – noch schlimmer – Einzelne, die zufällig das
Pech hatten, auf ihrem Grundeigentum eine archäologische Fundstelle zu haben, erscheint
wenigstens mir ausgesprochen unfair.
Gesellschaftliche Identitätsstiftung
Bei einer vollständigen Privatisierung der archäologischen Denkmalpflege
stellt sich auch die Frage, ob damit nicht ein wichtiges Instrument
gesamtgesellschaftlicher Identitätsstiftung verloren gehen würde. Man kann
natürlich zu Nationalstaaten stehen, wie man will – ich bin eher kein großer
Freund davon – aber es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass jede
beliebige menschliche Gesellschaft irgendwelche Instrumente braucht, um ihren
internen Zusammenhalt zu gewährleisten. Denkmale als Symbole einer kollektiven
Identität und konstitutive Elemente eines kollektiven kulturellen Gedächtnisses
sind bekanntermaßen eines der wichtigeren Mittel, diesen Zusammenhalt auch
tatsächlich zu stiften; was auch von politischen Gremien offen eingestandener
Weise ihr – wenigstens für die Politik – wichtigster Zweck ist (siehe dazu z.B.
erster Satz der Einleitung zur Lausanne-Charter, ICOMOS 1990; Art. 1 (i) der
Valletta-Konvention, Europarat 1992; Art 2 (a) der Faro-Konvention, Europarat
2005).
Den Schutz und die Pflege wenigstens einer selektiven Auswahl aller auf
dem Gebiet eines Nationalstaates befindlichen Denkmale als Symbole für diesen
Staat und auch als kollektives kulturelles Gedächtnis seiner Gesellschaft
gänzlich aus der Hand dieses Staates in die vollständige Kontrolle durch
Private zu geben, erscheint daher aus identitätspolitischer Sicht eher
ungünstig. Will der Staat eine gewisse Kontrolle über – wenigstens – einen Teil
der auf seinem Territorium befindlichen Denkmale behalten, wird er kaum darum
herumkommen, auch eine staatliche Behörde oder wenigstens einen QUANGO für die
Verwaltung, den Schutz und die Pflege wenigstens dieser Denkmale zu unterhalten
(wie er es ja auch in England und Wales tut), denn nur dann kann er das
Argument aufrechterhalten, dass die Denkmale – oder wenigstens die davon, die
er auswählt – tatsächlich ein Allgemein- und nicht nur ein Kollektivgut sind.
Die Fiktion der Denkmale als Allgemeingut ist darüber hinaus auch dafür
hilfreich, Instrumente wie das Verursacherprinzip – und sei es nur für die ausgewählten
nationalen Denkmale – aufrechterhalten zu können. Besteht nämlich kein
öffentliches Interesse, sondern nur verschiedene, einander teilweise
überschneidende, aber auch teilweise gegenseitig ausschließende, private
Individual- und Kollektivinteressen, wird es wenigstens weit schwieriger, wenn
nicht sogar unmöglich, zu argumentieren, dass der ‚Verursacher‘ wenigstens
einen erheblichen Teil der durch seine Vorhaben entstehenden Kosten für
archäologische Maßnahmen zu tragen hat. Schließlich stehen im letzteren Fall
einander nur verschiedene private Interessen entgegen, und dann ist nicht
wirklich einzusehen, warum der eine Private die Kosten tragen soll, die dadurch
entstehen, dass andere Private andere Interessen als er an einer in seinem
Eigentum stehenden oder sich zufällig auf diesem befindlichen Sache haben. Wenn
diese anderen ein derart hohes Interesse an dieser Sache haben, können sie
schließlich selbst die Kosten dafür tragen, dass sie unverändert in situ
erhalten oder wenigstens wissenschaftlich dokumentiert wird. Solche innergesellschaftlichen
Interessenskonflikte sind aber dann ihrerseits eher dazu geeignet, ein
gesamtgesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl zu schwächen als zu
stärken.
Denkmalpflegerische Beliebigkeit und die Wissenschaftsfreiheit
Ein weiterer Problemkreis bei einer vollständigen Privatisierung der
staatlichen Denkmalpflege und einer kompletten Übertragung ihrer Aufgaben an
Privatunternehmen und die Zivilgesellschaft ist die damit verbundene Gefahr einer
(verstärkten) denkmalpflegerischen Beliebigkeit.
Zwar haben auch und gerade staatliche DenkmalpflegerInnen oft
persönliche Vorlieben bzw. Vorurteile, was (besonders) erhaltenswerte Denkmale
sind und was nicht: Denkmale der jüngeren und jüngsten Vergangenheit und
politisch oder gesellschaftlich problematische Denkmale wurden und werden zum
Beispiel von der staatlichen Denkmalpflege oft stiefmütterlich behandelt.
Interessierte Teile der Zivilgesellschaft haben diesen hingegen oft weit früher
Denkmalwert zugeschrieben und Schritte zur Erhaltung derartigen ‚staatlich
ungeliebten‘ kulturellen Erbes gesetzt. Auch die staatliche Denkmalpflege muss
sich also wenigstens teilweise den Vorwurf einer gewissen Beliebigkeit ihres
denkmalpflegerischen Handelns gefallen lassen.
Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen staatlicher und
privater denkmalpflegerischer Beliebigkeit. Die staatliche denkmalpflegerische
Beliebigkeit ist normalerweise systematisch: sie konzentriert sich auf die
Erhaltung und Pflege gewisser bevorzugter Arten von Denkmalen, während sie andere
Arten von Denkmalen vergleichsweise vernachlässigt oder sogar gewisse
Kategorien von Sachen gar nicht als Denkmale betrachtet, obwohl diesen von
Teilen der Zivilgesellschaft eventuell bedeutender Denkmalwert zugewiesen wird.
Private denkmalpflegerische Beliebigkeit kennzeichnet sich hingegen verstärkt
dadurch, dass sie unsystematisch ist: erhalten und gepflegt werden nur jene
ganz bestimmten, individuellen Denkmale, für deren Erhaltung und Pflege sich
zufälligerweise ein ausreichend engagierter Teil der Zivilgesellschaft
interessiert, der auch ebenso zufälligerweise über die erforderlichen
Ressourcen für die Erhaltung und Pflege dieses ganz bestimmten Denkmals
verfügt.
Gerade der schon oben genannte National Trust war für einen Großteil
seiner Geschichte und ist auch heute noch ein typisches Beispiel für diese
private denkmalpflegerische Beliebigkeit. Anfänglich bestimmte überhaupt rein
der Zufall, welche Objekte dem National Trust zur Erhaltung und Pflege
überlassen wurden: diese wurden ihm von ihren Eigentümern geschenkt oder
vererbt. Später erwarb er – etwas weniger, aber immer noch stark auf Basis des
Zufallsprinzips – über mehrere Jahrzehnte hinweg hauptsächlich Schlösser und
bedeutende Landhäuser samt der zugehörigen Parks, deren vormalige Eigentümerfamilien
den wirtschaftlichen Wert der Eigentumsübertragung dieser Liegenschaften an den
National Trust gegen Erbschaftssteuern aufrechnen konnten. Dass sich heute auf
dem Grundeigentum des National Trust etwas 47.000 archäologische Fundstellen
befinden, ist ebenso nahezu reiner Zufall: diese befanden sich auf
Liegenschaften, die der National Trust zumeist aus ganz anderen Gründen
erworben hat; nicht, weil er diese archäologischen Denkmale erhalten und
pflegen wollte.
Die Beliebigkeit der Selektion erhaltens- und pflegewürdiger Denkmale
durch die staatliche Denkmalpflege kann durch zivilgesellschaftliche
Eigeninitiative also einigermaßen kompensiert werden: weisen Teile der
Zivilgesellschaft gewissen, von der staatlichen Denkmalpflege vernachlässigten
Denkmalen oder überhaupt nicht als Denkmale betrachteten Sachen Denkmalwert zu,
können sie sich – ob nun als ausreichend wohlhabendes Individuum oder als
gemeinschaftlich ausreichend finanzkräftiges Kollektiv – privat um die
Erhaltung und Pflege dieser Denkmale kümmern. Fehlt hingegen die staatliche
Denkmalpflege, wird die private denkmalpflegerische Beliebigkeit nicht
kompensiert; bzw. nur dann kompensiert, wenn eine zivilgesellschaftliche
Organisation oder ein Unternehmen die systematisch beliebige Selektion der
staatlichen Denkmalpflege weiterführt, wofür aber aller Wahrscheinlichkeit das
erforderliche zivilgesellschaftliche Interesse fehlt.
Aus gesellschaftlicher Sicht ist diese Beliebigkeit und welche Art von
Beliebigkeit man nun hat – nur die systematische der staatlichen Denkmalpflege,
nur die individuelle Beliebigkeit der privaten Denkmalpflege oder eine
Kombination aus beidem – im Grunde genommen einigermaßen egal. Im Endeffekt
werden manche Sachen als Denkmale erhalten und andere nicht; und manche werden
besser und mehr erhalten als andere; aber im Endeffekt gibt es weiterhin
irgendwelche Denkmale, die die gesellschaftlichen Funktionen, die sie erfüllen
können und sollen, auch tatsächlich erfüllen.
Aus denkmalfachlicher und insbesondere aus
archäologisch-wissenschaftlicher Sicht ist hingegen weder die Beliebigkeit noch
die Art der Beliebigkeit egal. Aus archäologischer Sicht ist selbst die
systematische Beliebigkeit der staatlichen Denkmalpflege schon ein nicht
unbedeutendes Problem; vor allem, wenn – wie in Österreich traditionell – die
archäologische Denkmalpflege stiefmütterlich behandelt und der Großteil der
verfügbaren öffentlichen Ressourcen in die Bau- und Kunstdenkmalpflege und da
wieder hauptsächlich im Bereich der Kirchen und Klöster investiert wird. Die
individuelle Beliebigkeit der privaten Denkmalpflege ist jedoch insbesondere
aus archäologischer Sicht noch um ein vielfaches problematischer: nachdem die
meisten archäologischen Denkmale nicht nur mit dem freien Auge unsichtbar,
sondern (selbst wenn sie mit dem freien Auge sichtbar sind) auch zumeist
höchstgradig unspektakulär sind (meistens – von seltenen Gustostückerln einmal
abgesehen – sogar auch während und nach ihrer Ausgrabung), ist es noch viel
schwieriger als bei Bau- und Kunstdenkmalen, die Zivilgesellschaft dafür zu
begeistern, sie zu erhalten und zu pflegen.
Dieses Problem wird zusätzlich dadurch verschärft, dass es aus
archäologischer Sicht in erster Linie die ‚durchschnittlichen‘ archäologischen
Überreste sind, d.h. jene Arten von Funden, Befunden oder gar ganzen
Fundstellen, von denen es viele mehr oder minder gleichartige gibt, denen die
höchste wissenschaftliche Bedeutung zukommt: archäologische Erkenntnis lebt von
der Wiederholbarkeit von Beobachtungen, aus denen sich Schlüsse über früher
gepflegte Sitten, Bräuche, gesellschaftliche Verhaltensmuster und -regeln etc.
ableiten lassen; d.h. vom Regelfall. Der besonders spektakuläre, aber mit
nichts vergleichbare Einzelfall, ist hingegen aus erkenntnislogischer Sicht
archäologisch weitestgehend nutzlos: er verrät uns normalerweise nur etwas über
sich selbst, gestattet aber zumeist keine weitreichenderen Schlüsse, die unser
Wissen über das menschliche Leben in (insbesondere der prähistorischen)
Vergangenheit maßgeblich zu erweitern vermögen.
Hier erweist sich die individuelle Beliebigkeit der privaten
Denkmalpflege als letal: die Zivilgesellschaft (oder auch ressourcenkräftige
Einzelne) davon zu überzeugen, etwas Einzigartiges, Besonderes zu schützen und
zu pflegen, kann einigermaßen gut funktionieren. Die Zivilgesellschaft (oder
auch Einzelne) hingegen dafür zu begeistern, dass man eine Fundstelle einer
bestimmten Art nicht nur schützen muss obwohl, sondern gerade weil, es noch 99
andere nahidentisch gleichartige gibt, ist praktisch unmöglich; schon allein
deshalb, weil es maßgeblich mehr Ressourcen erfordert, 100 räumlich weit
verstreute gleichartige Denkmale zu schützen als ein einzelnes
außergewöhnliches.
Nun bedarf aber die Archäologie als Wissenschaft nicht nur eines
einzigen dieser 100 weitgehend gleichartigen, unauffälligen und generell
durchschnittlichen Denkmale als Forschungsquelle, sondern idealerweise aller
100. Denn nur, wenn sie wenigstens eine repräsentative Auswahl, wenn nicht
sogar alle davon untersuchen kann, kann sie sowohl die Muster und Regeln, die
diese kennzeichnen, als auch gegebenenfalls individuelle Abweichungen von
diesen Mustern und Regeln erkennen, die es ihr ermöglichen, ihre Aufgabe,
signifikante wissenschaftliche Erkenntnisse über die Vergangenheit zu gewinnen,
auch tatsächlich zu erfüllen.
Eine staatliche archäologische Denkmalpflege ist daher insbesondere aus
archäologisch-wissenschaftlichen Gründen, nämlich zum Schutz der
archäologischen Wissenschaftsfreiheit durch den Schutz der für archäologische
Erkenntnisse notwendigen Quellen tatsächlich erforderlich. Der Staat – nachdem
er die Wissenschaftsfreiheit nicht nur passiv, sondern auch aktiv schützen muss
– ist daher auch wenigstens dazu verpflichtet, einen systematischen Schutz und
eine ebensolche Pflege der archäologischen Denkmale als Quellen der
wissenschaftlichen Forschung sicherzustellen. Das geht mit Abstand am einfachsten
und auch effektivsten durch eine staatliche archäologische Denkmalpflege, die
daher meiner Meinung nach schon allein aus diesem Grund jedenfalls
aufrechtzuerhalten ist.
Schwierigkeit der Aufrechterhaltung institutioneller Strukturen über längere Zeit
Diese Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung einer staatlichen
archäologischen Denkmalpflege besteht umso mehr, als eventuell auch mögliche,
wenn auch weit weniger effektivere und wohl auch gesamtgesellschaftlich,
wenngleich nicht unbedingt für den Staat, deutlich kostspieligere
Lösungsmöglichkeiten über längere Zeiträume nur sehr schwer aufrechtzuerhalten
sind.
Zwar können zivilgesellschaftliche Organisationen bzw. Institutionen
durchaus lange bestehen und sogar Lebensdauern haben, die jene moderner Staaten
deutlich übersteigt: ich selbst bin z.B. Mitglied der Society of
Antiquaries of London, die seit 1707 ungebrochen besteht. Die
Lebensdauer dieser zivilgesellschaftlichen Denkmalpflegeorganisation übersteigt
also jene des österreichischen BDA – selbst wenn man die K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und
Historischen Denkmale als seinen direkten Vorgänger in ungebrochener Linie
versteht – immer noch um beinahe das Doppelte.
Dennoch ist es riskant, sich darauf vollständig zu verlassen, vor allem,
wenn solche Organisationen Aufgaben übernehmen, die gesetzlich verpflichtend
erledigt werden müssen. So gut in der Praxis die walisische Lösung, die Führung
der regionalen Denkmalverzeichnisse an Privatunternehmen auszulagern, auch
derzeit – und das seit mehreren Jahrzehnten – funktionieren mag, es bleibt
dennoch stets das Risiko bestehen, dass einer der diese Verzeichnisse führenden
Archaeological Trusts bankrott geht. Geschieht das, gehört das von diesem Trust
geführte Denkmalverzeichnis zur Konkursmasse, was für die lokalen
Planungsbehörden und die walisische Regierung ein nicht unbedeutendes Problem
erzeugen könnte: schließlich muss dieses Denkmalverzeichnis dauernd benutzbar
bleiben und stets auf dem neuesten Stand gehalten werden. Wie das möglich sein soll,
wenn das ‚zuständige‘ Unternehmen zugesperrt hat, ist nur schwer vorstellbar.
Noch viel problematischer ist das, wenn komplexere Strukturen
aufrechterhalten werden müssen, weil die Denkmalliste von einem privaten
Unternehmen, die Archivierung von Befunden von einem anderen und die
Archivierung des Fundmaterials wieder von einem anderen Unternehmen übernommen
wird: fällt hier nur einer der Knotenpunkte in einem derartigen, komplexen,
rein zwischen privaten Trägern geknüpften Netzwerks aus, funktioniert sehr
rasch das ganze System nicht mehr. Fehlt dann auch noch jedwede staatliche
Struktur, die anstelle eines ausgefallenen zivilgesellschaftlichen Trägers in
einem solchen Netzwerk – und sei es nur im Notfall – akut einspringen und
dessen Aufgaben (und eventuell dafür auch dessen Personal; man denke nur an den
vor kurzem erfolgten Kollaps des viele staatliche Aufgaben privat übernommen
habenden Carillion-Konzerns
in Großbritannien) übernehmen kann, steht dann potentiell nicht nur die
(archäologische) Denkmalpflege, sondern potentiell – wenn gesetzlich
erforderlich ist, dass Bauplanungen entsprechend archäologisch begleitet werden
– auch gleich ein guter Teil der Bauindustrie still.
Machbar, aber nicht zu empfehlen
Eine nahezu vollständige oder totale Privatisierung der staatlichen
(archäologischen) Denkmalpflege ist also, wie oben gezeigt wurde, auch in der
Praxis vermutlich möglich; weil man die Aufgaben, die die staatliche
Denkmalpflege erfüllt, durchaus auch an QUANGOs, echte NGOs und gemeinnützig
oder sogar profitorientiert operierende Privatfirmen auslagern kann, ohne dass
man damit Denkmalschutz und Denkmalpflege gleichzeitig abschafft.
Empfehlenswert erscheint mir eine derartige Form von „Entstaatlichung“ (Hoffmann-Axthelm 2000) jedoch trotzdem nicht,
denn das einzige, was man damit wirklich erreicht, ist, dass die Kosten dafür
aus den staatlichen Bilanzen verschwinden, während die dafür
gesamtgesellschaftlich anfallenden Kosten steigen und vor allem vergleichsweise
finanzschwache Einzelne damit belastet werden. Gleichzeitig gehen mit dieser
Beschönigung des Staatshaushaltes hingegen eine ganze Reihe von absolut
vermeidbaren und unnötigen Risiken einher; beginnend mit dem Risiko des
Verlustes der gesamtgesellschaftliche Identität stiftenden Wirkung staatlich
geschützter und vermittelter ‚Nationaldenkmale‘; über das Risiko bedeutenden
archäologisch-wissenschaftlichen Flurschadens durch die individualisierte
Beliebigkeit der privaten Denkmalpflege; bis hin zum Risiko, dass
zivilgesellschaftliche Strukturen, die für die Funktion nicht nur der
Denkmalpflege, sondern auch davon betroffener Wirtschaftssektoren (insbesondere
der Bauwirtschaft) erforderlich sind, als Folge des Versagens eines
unauffälligen und unbedeutenden Knotens in einem zivilgesellschaftlich
organisierten Denkmalpflegenetzwerk, unerwartet und unvorhersehbar kollabieren.
Diesen Risiken lässt sich durch eine staatliche (archäologische)
Denkmalpflege leicht und zu vergleichsweise lächerlichen Kosten effektiv
vorbeugen; nicht nur zum Vorteil der Denkmale, sondern tatsächlich zum Vorteil
aller. Spart man also bei der staatlichen (archäologischen) Denkmalpflege, ohne
gleichzeitig den Denkmalschutz insgesamt aufgeben zu wollen, spart man an der
falschen Stelle.
Gute Entstaatlichung ohne vollständige Privatisierung
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich nicht trotzdem für eine
verstärkte Entstaatlichung der archäologischen Denkmalpflege bin. Wie schon
oben ausgeführt, sind schließlich Entstaatlichung und Privatisierung keineswegs
ein und dasselbe, sondern es gibt auch noch eine andere Art, wie man die
Denkmalpflege verstärkt entstaatlichen kann. Diese andere, meist positive und
gesellschaftlich wünschenswerte Form der Entstaatlichung der (archäologischen)
Denkmalpflege ist, die denkmalpflegerischen Arbeits- und Entscheidungsprozesse
verstärkt zu demokratisieren; d.h. die Zivilgesellschaft verstärkt in den
Denkmalschutz und die Denkmalpflege einzubinden, wie es auch explizit von der
Faro-Konvention (Europarat 2005) gefordert wird.
Gerade gegen diese wehren sich aber sowohl unsere Staaten als auch die
staatliche Denkmalpflege mehr oder minder intensiv; und zwar selbst, wenn sie,
wie die Republik Österreich, die genannte Konvention bereits ratifiziert haben.
Für den Staat bedeutet nämlich die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der
denkmalpflegerischen Arbeit und Entscheidungsprozessen eine höhere finanzielle
Belastung (der dies schließlich dann auch irgendwie ermöglichen und auch die
finanziellen Rahmenbedingungen dafür schaffen muss) und gleichzeitig eine
potentielle Behinderung der Wirtschaft durch zivilgesellschaftliche Einmischung
in Bau- und andere einschlägige Genehmigungsverfahren. Das läuft jedoch der in
den letzten Jahrzehnten vom Staat intensiv vorangetriebenen Form der
Privatisierung der (archäologischen) Denkmalpflege durch die Abwälzung der
damit verbundenen Kosten qua ‚Verursacherprinzip‘ und Auslagerung des
denkmalpflegerischen „Unternehmerrisikos“
(Piffko 2018, 3) entgegen, die ja primär der Entlastung der Staatshaushalte
dienen.
Für die staatliche Denkmalpflege und insbesondere die in ihr tätigen
FachexpertInnen hingegen bedeutet eine solche Form der Entstaatlichung einen
bedeutenden Machtverlust. Effektive Mitbestimmungsrechte für die Zivilgesellschaft
bedeuten zwingend, dass nicht mehr einzig die Fachmeinung von Bedeutung für die
Beurteilung der Frage ist, was nun ein derart bedeutendes Denkmal ist, dass
seine Erhaltung gesellschaftlich gewollt wird und daher auch andere als
fachliche Kriterien (oder auch nur die subjektiven Vorlieben des einzelnen
Denkmalpflegers) in Entscheidungsprozessen relevant werden. Anders gesagt: es
würden (teilweise) andere Denkmale (teilweise) anders gepflegt (siehe dazu auch
schon Hoffmann-Axthelm 2000, 9-10) als bisher. Das läuft aber der zunehmenden
Professionalisierung der Denkmalpflege, insbesondere in den letzten
Jahrzehnten, direkt entgegen.
Gerade deshalb, weil es den Tendenzen, insbesondere denen der letzten
Jahrzehnte, entgegenläuft, ist eine derartige Entstaatlichung der Denkmalpflege
ganz besonders wichtig und erforderlich. Der Staat muss – gerade von seinen
BürgerInnen – wieder vermehrt in die Verantwortung genommen werden können, sich
der Aufgabe, der der Denkmalschutz und die Denkmalpflege tatsächlich dient – im
Interesse seiner BürgerInnen die Kultur zu erhalten, deren Erhaltung seine
BürgerInnen auch tatsächlich wünschen – zu stellen; nicht zuletzt auch
finanziell. Das ist aber nur möglich, wenn jene BürgerInnen, die sich für die
(archäologische) Denkmalpflege interessieren, und die Organisationen, zu denen
sie sich zivilgesellschaftlich dafür zusammenschließen, auch effektive
Teilhaberechte am (archäologischen) kulturellen Erbe haben; d.h. auch von sich
aus den Staat in die Pflicht nehmen können, ihre Interessen zu schützen, wenn
er das nicht (ausreichend) tut. Dafür sind vor allem rechtliche Instrumente wie
verpflichtende Konsultationsverfahren samt der Möglichkeit für (und sei es auch
nur mittelbar) Betroffene und vor allem zivilgesellschaftliche
Denkmalpflegeorganisationen auch Rechtsmittel ergreifen zu können, unabdingbar.
Gleichermaßen muss die staatliche Denkmalpflege und müssen vor allem die
in ihr tätigen ExpertInnen erneut und verstärkt daran erinnert werden, dass
Denkmale in Wahrheit keine Allgemein-, sondern Kollektivgüter sind; an deren
Erhaltung, Pflege und Erforschung niemals ‚alle‘, sondern immer nur bestimmte
‚private‘ Interessensgruppen (oder gar nur Einzelpersonen) interessiert sind;
nicht zuletzt die staatlichen DenkmalpflegerInnen selbst. Diese vielfältigen
und einander oft genug entgegengesetzten Interessen haben die staatlichen
DenkmalpflegerInnen unparteiisch gegeneinander abzuwägen; und nicht, wie sie es
selbst mehrheitlich zu glauben scheinen, als „Anwalt“ der ihnen „anvertrauten
historischen Objekte“ (Donath 2000, 3) oder „Anwalt der Bodendenkmale“ (Verband der Landesarchäologen 2001, 4)
zu agieren. Denn die Denkmale selbst haben keine Interessen, die die staatliche
Denkmalpflege anwaltlich und somit parteiisch vertreten könnten oder auch nur
dürften: die derart vertretenen Interessen sind nämlich vielmehr ‚nur‘ die
eines ganz bestimmten der vielen Kollektive, die ‚private‘ Interessen an den
Denkmalen haben, nämlich des Kollektivs der (staatlichen, seltener auch der
‚professionellen‘) DenkmalpflegerInnen (und, ebenfalls seltener, der
wissenschaftlichen Fachgemeinschaften insgesamt, aus denen sich diese
ExpertInnen rekrutieren) selbst.
Wie es schon Dieter Hoffmann-Axthelm ganz prägnant ausgedrückt hat: „Der Staat ist nicht dazu [da], Erfüllungsgehilfe der […] politischen Ansprüche von Spezialisten zu
sein, wenn diese an der […] Bevölkerung
[…] scheitern“ (Hoffmann-Axthelm
2000, 26). Der Bürger ist nicht für die Denkmale (und schon gar nicht für deren
Schutz und Pflege) da, sondern die Denkmale (und ihr Schutz und ihre Pflege)
sind für die BürgerInnen da; egal ob uns das als Fachleuten mit ganz
bestimmten, eigenen und letztendlich privaten Interessen an diesen Denkmalen
gefällt. Unsere Interessen sind natürlich ebenso berechtigt wie die anderer, an
den Denkmalen (und deren Schutz und Pflege oder auch deren sonstiger Nutzung
auf andere Weise) interessierter BürgerInnen, und sollen, ja müssen daher in
den denkmalpflegerischen Arbeits- und Entscheidungsprozessen selbstverständlich
auch gehört werden und Gewicht haben. Ihnen aber mehr Gewicht zu geben als
denen aller anderen BürgerInnen, die ebenso wie wir das Recht darauf haben,
ihre Vorstellungen davon, was Kultur ist und was Denkmale sind (und was nicht),
selbstbestimmt zu verwirklichen, ist grundfalsch; und zwar ethisch, rechtlich
und auch gesellschaftspolitisch; weil das den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und unserer jeweiligen
Staatsverfassungen verletzt, auf dem sowohl unsere Gesellschaftsordnung als
auch die Wissenschaft letztendlich beruht.
Die (archäologische) Denkmalpflege muss also ganz dringend entstaatlicht
werden; allerdings gerade nicht in Form der ökonomisch determinierten
Privatisierung, die ihr nun seit Jahrzehnten vom Staat aufgezwungen wird und
bei der die Fachwelt begeistert mitgespielt hat, weil sie für uns und unsere
Interessen von Vorteil ist; sondern in Form einer verstärkten Demokratisierung,
durch welche die Denkmale endlich wieder denen zurückgegeben werden, in deren
Namen und Interesse der Staat sie (wenngleich auch derzeit nur angeblich)
erhält: den BürgerInnen. Dafür bedarf es sehr wohl auch einer staatliche
Denkmalpflege; allerdings einer ganz anderen als bisher: einer, die dort
einspringt, wo es – ob zum Schutz der Quellen der historischen Wissenschaften
oder der Denkmalerhaltungsinteressen von kleinen, ressourcenschwachen Kollektiven,
der Interessen des Staates und seiner territorialen Untereinheiten als
Rechtspersonen, oder aus sonstigen kollektiven Gründen – erforderlich ist, weil
zivilgesellschaftlicher Schutz und Pflege dort nicht aus- oder bis dort nicht
einmal hinreichen.
Alle anderen denkmalpflegerischen Angelegenheiten haben hingegen der
Staat und seine Organe – und die staatliche Denkmalpflege ist nichts anderes
als ein Organ des Staates, das daher, ebenso wie er „…um des Menschen willen […],
nicht der Mensch um des Staates willen“ (Art. 1 Abs. 1
Herrenchiemsee-Entwurf des deutschen Grundgesetzes; zitiert in Jarass &
Pieroth 2016, 41) da ist – den verschiedenen „Gemeinschaften für das Kulturerbe“ (Europarat 2005) –
selbstverständlich inklusive den Gemeinschaften der FachexpertInnen für
Denkmalpflege und denen der verschiedenen denkmalpflegerelevanten
Wissenschaften – selbst ihm Rahmen ihres durch Art. 27 Abs. 1 der AEMR
(Vereinte Nationen 1948) garantierten kulturellen Selbstbestimmungsrechtes zu
überlassen und nur zwischen deren unterschiedlichen Interessen abzuwägen, zu
vermitteln und erforderlichenfalls zu entscheiden. Denn die Kultur, die – und
damit auch das (archäologische) kulturelle Erbe, das – gemäß dem
Kulturstaatsprinzip (siehe Krischok 2016, 181-2) vom Staat zu fördern ist, ist
letztendlich nicht vom Staat (und schon gar nicht von irgendwelchen
‚ExpertInnen‘ in einer seiner Behörden) seinen BürgerInnen vorzuschreiben,
sondern von den BürgerInnen selbst so zu gestalten, wie es ihnen gefällt.
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[1] Der Vollständigkeit halber ist hier anzumerken, dass mit dem Begriff Entstaatlichung nicht unbedingt das
gleiche wie Privatisierung gemeint
sein muss. Vor allem, wenn mit der Forderung nach einer Entstaatlichung der
Denkmalpflege eigentlich ihre verstärkte Demokratisierung (und eventuell auch
Liberalisierung; Hofmann 2017, 12) durch erweiterte Möglichkeiten zur
Bürgerbeteiligung bzw. zivilgesellschaftlichen Teilhabe am kulturellen Erbe und
das Kulturerbe betreffenden Entscheidungsprozessen im Sinne der Faro-Konvention
(Europarat 2005) und des Menschenrechtes auf Teilhabe am kulturellen Leben der
Gemeinschaft (Art. 27 Abs. 1 AEMR; Vereinte Nationen 1948) gemeint ist; ist
wenigstens das von den Proponenten einer solchen Entstaatlichung angestrebte
Ziel eigentlich eine verstärkte Kollektivierung der Denkmalpflege, nicht eine
Privatisierung. Gegenwärtig wird aber, ganz im Sinne der derzeitigen Dominanz
einer ganz konkreten, neoliberalen Ideologie und deren populären Mantras von „Mehr privat, weniger Staat“ und des
dadurch generierten konzeptionellen Gegensatzpaares privat – staatlich, die Vorstellung einer Entstaatlichung mit der
einer Privatisierung der entstaatlichten Agenden bzw. Aufgaben gleichgesetzt,
nicht zuletzt in der gelebten Wirklichkeit. Die eigentlich – wenigstens von den
Proponenten einer Entstaatlichung im zuvor kurz erläuterten Sinn –
beabsichtigte Kollektivierung, d.h. die Verlagerung von denkmalpflegerischen
Aufgaben und Entscheidungsprozessen aus den Händen von einigen wenigen
ExpertInnen, in denen sich diese derzeit nahezu ausschließlich befinden (Smith
2006, 29-34), an breitere Gruppen (bzw. „Gemeinschaften
für das Kulturerbe“ im Sinne des Art. 2 (b) der Faro-Konvention; Europarat
2005) bzw. aus ExpertInnen und RepräsentantInnen derartiger Gruppen
zusammengesetzte Kollektivorgane, wird nur dadurch in den Bereich des
ideologisch (allerdings nicht formallogisch) aus dem Diskurs ‚ausgeschlossenen Dritten‘ verlagert.
[2] Die
Ursachen dafür, dass sie das nicht konnten, sind teilweise lokal
unterschiedlich und zumeist einer Kombination verschiedener Faktoren geschuldet.
Zu diesen gehören einerseits der politisch gewollte bzw. ideologisch
vorangetriebene Stellenabbau – ob nun durch langjährige Aufnahmestopps oder
tatsächliche Personalkürzungen – im öffentlichen Dienst, der die ohnehin immer
schon knappe Personaldecke der staatlichen Denkmalbehörden noch zusätzlich
ausgedünnt hat; andererseits aber auch die teilweise rapide Zunahme von
Großbauprojekten seit den 1970ern; sowie eine Reihe mehr oder minder
selbstverursachter Gründe. Zu den letzteren gehört einerseits die durch die
Entstehung der wissenschaftlichen Forschungsgebiete der Neuzeit-, Industrie-
und Schlachtfeldarchäologie zunehmende Annäherung der zeitlichen Grenze, ab der
materielle Hinterlassenschaften und Überreste der Vergangenheit als
archäologisch relevante Quellen betrachtet werden, an die Gegenwart, durch die
immer mehr auch noch einigermaßen oder sogar sehr häufig vorkommende Sachen
auch denkmalpflegerisch relevant geworden sind. Andererseits haben von
ArchäologInnen für ArchäologInnen geschriebene, internationale Übereinkommen,
insbesondere die Lausanne-Charter (ICOMOS 1990) und die Valletta-Konvention
(Europarat 1992), dazu geführt, dass heute innerfachlich die Aufgabe der
archäologischen Denkmalpflege nicht mehr so sehr in der aus wissenschaftlichen
Gründen erforderlichen Selektion besonders bedeutender archäologischer Denkmale
gelegen gesehen wird, sondern vielmehr die möglichst vollständige, dauerhafte
Erhaltung – sei es nun in situ oder,
wo das nicht möglich ist, durch wissenschaftliche Dokumentation – aller archäologischen
Funde und Befunde, die es (noch) gibt. Dabei kommt selbstverständlich den
beiden zuletzt genannten, selbstverschuldeten Ursachen mit Abstand das größte
Gewicht zu, was den rapiden Anstieg des Arbeitsanfalls in der (praktischen)
archäologischen Denkmalpflege betrifft.
[3] Die Auswirkungen davon sind – nicht zuletzt dank der Bankenkrise von
2008 – einigermaßen gut bekannt: Boomt die Bauwirtschaft, wie in Irland bis
2008, gibt es so viele ArchäologInnenjobs, dass ein bedeutender Anteil des
Personals aus dem Ausland zugekauft werden muss, weil die ‚nationale‘
Produktion an qualifiziertem Fachpersonal nicht mithalten kann (McDermot &
La Piscopia 2008, 28-31, 34-5). Bricht die Bauwirtschaft hingegen weitgehend
zusammen, gehen auch zahllose ArchäologInnenstellen verloren, in Extremfällen,
wie in Irland nach 2008, auch gleich einmal um die 80% (Cleary & McCullagh
2014, 24-5, 28-9); und natürlich auch viele archäologische
Dienstleistungsunternehmen bankrott.
Betrachtet man diese Einbrüche in den Stellenzahlen, macht das auch sehr
verständlich, weshalb politische Entscheidungsträger das Risiko für die
Personalkosten der zu Bauboomzeiten von der Bauwirtschaft benötigten
archäologischen Fachkräfte dem Staat nicht aufbürden wollen: hätte in Irland
die dort zuständige staatliche Denkmalbehörde alle vor 2008 benötigten
ArchäologInnen im öffentlichen Dienst angestellt gehabt, hätte sie entweder
nach 2008 ungefähr 1.300 davon aufgrund ausgefallener Verursacherfinanzierung
entlassen oder eben auf Kosten der öffentlichen Hand weiter beschäftigen
müssen. Legt man einer Berechnung der Kosten, die der Republik Irland für eine
Weiterbeschäftigung dieser ca. 1.300 ArchäologInnen angefallen wären, das
durchschnittliche Jahreseinkommen irischer ArchäologInnen im Jahr 2007 von ca.
€ 37.680 brutto (McDermot & La Piscopia 2008, 42-4) zugrunde, wären das pro
Jahr ca. € 49 Millionen gewesen, Lohnnebenkosten des Arbeitgebers noch gar
nicht mitberechnet. Das ist beinahe ebenso viel wie der geschätzte Gesamtumsatz
der österreichischen Archäologie im Jahr 2013 (Aitchison et al. 2014, 41-2),
d.h. aller in einem Land mit beinahe doppelt so vielen EinwohnerInnen wie die
Republik Irland verrichteten archäologischen Arbeit. Dass kein Politiker sein
Land mit derartigen Kosten für ArchäologInnen belasten will, die dann –
wenigstens aus seiner Sicht – eventuell das ganze Jahr herumsitzen und auf
Staatskosten Däumchen drehen, ist durchaus nachvollziehbar; auch wenn natürlich
alle ArchäologInnen wissen, wie viel noch unaufgearbeitetes Fundmaterial in
staatlichen archäologischen Archiven liegt, dessen wissenschaftliche
Bearbeitung selbst diese 1.300 ArchäologInnen wenigstens ein paar Jahrzehnte,
wenn nicht ein paar Jahrhunderte, mit einer Vollzeitbeschäftigung versorgen
würde.
[4] Dass sie allerdings in erster Linie aus politisch-ideologischen und
nicht unbedingt wirtschaftlichen Gründen unabdingbar war bzw. ist, zeigt das
französische Modell mit dem staatlichen Institut national de recherches
archéologiques préventìves (INRAP), das die überwiegende
Mehrheit aller denkmalpflegerisch indizierten archäologischen Maßnahmen in
Frankreich durchführt. Dabei kann man natürlich vorzüglich darüber streiten, ob
dieses Modell wirklich (so gut) funktioniert (wie es einen die
Selbstdarstellung durch INRAP glauben lassen würde); dass es aber auch
wirtschaftlich durchaus (wenigstens so hinreichend gut) funktioniert (dass
Frankreich dadurch keinen schweren wirtschaftlichen Schaden nimmt) kann man
jedoch nicht bestreiten, was zeigt, dass es auch durchaus möglich (und auch
politisch vertretbar) ist, eine verursacherfinanzierte staatliche
archäologische Denkmalpflege zu betreiben.
[5] Beispiele dafür sind z.B. die Beschäftigung von zusätzlichem, verursacherfinanziertem,
externem archäologischem Fachpersonal über Zeitarbeitsfirmen wie z.B. derzeit
in Sachsen-Anhalt; oder behördennahe Vereinskonstruktionen zur Umgehung
staatlicher Personalaufnahmestopps wie in Österreich bis etwa 2009 (Karl 2011,
110-27).
[6] Dilettantismus ist hier im ursprünglich eher positiv besetzten Sinn des
Begriffes verwendet wird: das Wort leitet sich bekanntlich von Lateinisch ‚delectare‘ (‚erfreuen; vergnügen,
gefallen‘) ab. Ein Dilettant in diesem frühen Wortsinn beschäftigt sich mit der
Materie, in der er dilettiert, aus ‚Liebhaberei‘, weil er sich für sie
besonders interessiert, sie ihn amüsiert und / oder ihm gefällt (siehe in
diesem Sinn auch mit Verweisen auf weiterführende Literatur Jung 2010, 22-3).
[7] Der doppeldeutige Begriff ‚bedeutender Teil der Gesellschaft‘ ist hier
sehr beabsichtigt gewählt: schließlich kann damit sowohl ein einigermaßen
großer Anteil aller Mitglieder einer Gesellschaft als auch eine zahlenmäßig
zwar sehr kleine, aber dafür – aus welchen Gründen auch immer – besonders
einflussreiche Elite gemeint sein.
[8] Zu beachten ist hier, dass das hier genannte Staatsinteresse keineswegs
das gleiche wie das ‚öffentliche Interesse‘ ist: das ‚öffentliche Interesse‘
ist ja eigentlich nicht das Interesse des Staates selbst, sondern das seiner
StaatsbürgerInnen als Kollektiv. Der Staat selbst agiert nur als unparteiischer
Vermittler zwischen den Interessen des Einzelnen und dem ‚öffentlichen
Interesse‘; darf aber als dieser Vermittler zwischen Einzelnem und Kollektiv
gar kein eigenes Interesse in der Sache haben, in der er vermittelt, weil er
sonst im rechtlichen Sinn befangen, also gerade nicht unparteiisch, wäre.
Als Körperschaft mit eigener Rechtsfähigkeit hat der Staat aber
selbstverständlich auch eigene Interessen: es stehen z.B. viele Sachen in
seinem exklusiven Eigentum. Dieses Staatseigentum mag zwar theoretisch – d.h.
im Sinne einer gesellschaftspolitischen Fiktion – das ‚Allgemeineigentum‘ all
seiner StaatsbürgerInnen sein; aber praktisch und auch rechtlich gesehen gehört
es eben nicht ‚allen‘ zu gleichen Teilen, sondern eben dem Staat als
Rechtsperson, der daher genauso willkürlich damit verfahren darf wie Sie oder
ich mit unserem jeweiligen Privateigentum. Das lässt sich am einfachsten
dadurch zeigen, dass der Staat sich z.B. jederzeit willkürlich dazu
entschließen darf, alle seine Büromöbel, die derzeit in Staatseigentum stehen,
wegzuwerfen und durch neue zu ersetzen. Tut er das, können weder Sie noch ich
dagegen irgendetwas unternehmen und auch nicht als unseren jeweiligen Anteil an
diesem Staatseigentum einen der noch perfekt funktionstüchtigen Bürosessel, die
der Staat wegwirft, für uns beanspruchen: diese Büromöbel gehören rechtlich
gesehen eben nicht ‚uns allen‘, sondern sie gehören dem Staat, der daher auch,
ganz im Sinne des § 362 Allgemeines
Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) „seine
Sache nach Willkühr benützen oder unbenützt lassen; […] sie vertilgen, ganz
oder zum Theile auf Andere übertragen, oder unbedingt sich derselben begeben,
das ist, sie verlassen“ darf (siehe auch § 354 ABGB und, für Deutschland im
Wesentlichen ident dazu, § 903 BGB).
Betrachtet der Staat also irgendeine Sache als sein eigenes kulturelles
Erbe und diese steht auch in seinem Eigentum – z.B. sein seit vielen
Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten genutztes Parlamentsgebäude – kann es
durchaus im Staatsinteresse sein, diese Sache als Denkmal zu erhalten; auch
wenn das gar nicht im ‚öffentlichen Interesse‘ gelegen ist (z.B. weil es weit
wirtschaftlicher wäre, den alten, baufälligen und dauernd massive Renovierungs-
und Erhaltungskosten verursachenden Klotz abzureißen und durch ein neues
Gebäude zu ersetzen, um der Allgemeinheit bedeutende Kosten zu ersparen).
[10] Diese bewusst etwas neutraler als üblich gewählte Umschreibung habe ich
deshalb gewählt, weil die in diesem Zusammenhang üblichen Formulierungen
wenigstens manchmal meiner Meinung nach gefährlich nahe an die Forderung
herankommen, man solle mit Archäologie überhaupt kein Geld verdienen dürfen;
und man nicht selten den Eindruck bekommt, manche KollegInnen würden das auch
tatsächlich glauben bzw. derart interpretieren, wenigstens solange es nicht um
ihr eigenes Gehalt geht (siehe dazu schon die obigen Ausführungen zu den – ob
nun bewussten oder auch nur unbewussten – Vorbehalten gegen eine
„privatwirtschaftliche“ Archäologie). Derartige extreme Auslegungen von
fachlichen Ethikvorstellungen sind meiner Meinung nach aber gleich aus
wenigstens zweierlei Gründen höchst problematisch: zum einen negieren sie in
unlauterer Weise die Tatsache, dass wir als professionelle ArchäologInnen
selbstverständlich auch irgendwie unseren Lebensunterhalt bestreiten und daher
mit unserer archäologischen Arbeit auch Geld verdienen können müssen; zum anderen
machen sie jede Forderung nach höheren Löhnen in der Archäologie – deren es
dringend bedarf – schwieriger durchsetzbar, weil solchen Forderungen
notwendigerweise der Geruch von Geld anhaftet.
Ebenso problematisch erscheint mir die z.B. im Ehrenkodex von WSVA und
DGUF explizit aufgestellte Forderung, dass „…
keine Archäologen/innen in irgendeiner Form für den Kunsthandel tätig werden“
(DGUF 2011, 4) sollten: dies impliziert, dass der Handel mit Kunst – völlig
unabhängig von der Frage, ob er legal oder illegal ist – inhärent mit einem
moralische Makel behaftet wäre, der ArchäologInnen jeden Umgang mit dem
Kunsthandel verbietet, weil sie sich sonst wie mit einer ansteckenden Krankheit
‚infizieren‘ könnten. Nimmt man diese Forderung wörtlich – unabhängig davon, ob
sie nun jetzt eigentlich so gemeint war oder sich nur auf den Handel mit
illegal ausgegrabenen archäologischen Objekten beziehen sollte – würde sie zur
Folge haben, dass ich nicht einmal eine von mir selbst angefertigte
archäologische Rekonstruktionszeichnung, die auch einen Marktwert als Kunstwerk
hat, im Kunsthandel verkaufen dürfte, ohne gegen diese archäologische
Ethikregel zu verstoßen. Dabei spricht nicht nur dagegen nichts, sondern z.B.
auch nichts dagegen, legal ausgegrabene, sachgerecht dokumentierte Massenfunde
oder auch Einzelfunde, die mit den verfügbaren Ressourcen weder sachgerecht
gelagert noch langfristig erhalten werden können, auch gewinnbringend am
Kunstmarkt zu verkaufen: ist die einzig verfügbare Alternative ihr
Totalverlust, dient ihr Verkauf an Personen, die sie privat erhalten wollen,
weit eher dazu, sie dauerhaft zu erhalten und wenigstens teilweise
längerfristig zugänglich zu halten als dass er vermeidbaren Schaden an ihnen
anrichten würde.
Und schließlich ist es auch generell aus fachlichen Gründen erforderlich
und auch weit sinnvoller, die Archäologie wissenschaftlich nachhaltig
auszubeuten, statt sie einfach im Boden zu be- und somit der zufälligen,
undokumentierten Zerstörung in situ zu überlassen (siehe dazu schon Against
retention in situ). Es spricht also auch nichts gegen die
wissenschaftlich nachhaltige Ausbeutung der Archäologie; nur gegen ihre
wissenschaftlich nicht nachhaltige Ausbeutung; gegen ihre unsachgemäße
Behandlung.
Meine ideologische Abneigung richtet sich daher nicht gegen die
wissenschaftlich nachhaltige Ausbeutung der Archäologie, die ich sogar in einem
gewissen Rahmen für extrem wünschenswert halte; sondern nur gegen ihre nicht
wissenschaftlich nachhaltige Ausbeutung. Dieser Tatsache wird durch die
gewählte, neutralere Formulierung entsprechend Rechnung getragen.
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