Wie sich mir aus
diversen Reaktionen auf meine verschiedenen denkmalbehörden- und
denkmalrechtskritischen Beiträge erschließt, scheint meine Kritik an
Missständen in der (staatlichen) archäologischen Denkmalpflege, wenigstens von
einer – nicht gänzlich unbedeutenden – Minderheit meiner KollegInnen,
grundlegend als gegen staatliche Denkmalpflege bzw. Denkmalschutzgesetze
gerichtete Agitation missverstanden zu werden. Zuletzt hat z.B. Kerstin P.
Hofmann (2017, 11-12) meine mehrfach geäußerte Forderung, vermehrt die aktive
und teilweise auch selbstbestimmte Bürgerbeteiligung an archäologischen und
denkmalpflegerischen Abläufen zu ermöglichen – wahrlich zu Zeiten der
Faro-Konvention (Europarat 2005) keine radikale Forderung – als Ruf nach einer „Entstaatlichung“ des Denkmalschutzes
interpretiert. Dieses Missverständnis ist bedauerlich, denn eigentlich liegt
mir kaum etwas ferner als das: tatsächlich bin ich nicht nur für eine
staatliche Denkmalpflege und Denkmalschutzgesetze, sondern halte diese sogar
für völlig unabdingbar.
Meine Kritik an den
staatlichen Denkmalpflegebehörden, deren Praktiken, und den
Denkmalschutzgesetzen, hat stets und bezweckt immer deren (meiner Meinung nach
in allen Fällen mögliche und meist auch sehr notwendige) Verbesserung und hat
keineswegs ihre Abschaffung oder auch nur Schwächung zum Ziel. Dies sollte zwar
meiner Meinung nach auch ganz von selbst von jedem aus meinen kritischen
Schriften selbst problemlos erkennbar sein, ist es aber scheinbar – wenigstens
für manche – nicht in ausreichendem Maß. Ich möchte mir daher in diesem Beitrag
erlauben, das deutlicher als gewöhnlich zum Ausdruck zu bringen und auch etwas
genauer zu erläutern.
Die archäologische Denkmalpflege in der Krise
Meiner Wahrnehmung
nach – und diese Wahrnehmung kann selbstverständlich falsch sein, auch wenn ich
aus verschiedenen Gründen glaube, dass sie richtig ist – befindet sich archäologische
Denkmalpflege bereits seit langem, insbesondere im deutschen Sprachraum, in
einer zunehmend schlimmer werdenden Krise; und zwar in nahezu allen Bereichen
ihrer Tätigkeit. Diese von mir wahrgenommene Krise wird auch kaum ernsthaft von
anderen in unserem Fachbereich bestritten, sondern ebenfalls wahrgenommen. Die
Liste ist dabei sehr lange:
Sie beginnt bei der
meist gravierenden Unterfinanzierung und personellen Unterausstattung der
staatlichen Denkmalbehörden selbst; von denen derzeit – wenigstens, aber nicht
nur – im deutschen Sprachraum keine einzige ausreichende Ressourcen für die
Erledigung der ihr im öffentlichen Interesse aufgetragenen Aufgaben zur
Verfügung zu haben scheint. Mein Heimatland, Österreich, ist ein besonders
augenfälliges Beispiel dafür: die Republik beschäftigt insgesamt gerade einmal
14 archäologische Fachkräfte, die denkmalpflegerisch für ein Territorium von
83,879 km2 zuständig sind. Dass diese nicht damit nachkommen, die
hunderttausenden archäologischen Denkmale, die es in Österreich geben dürfte,
auch nur halbwegs effektiv zu schützen – so selbstaufopfernd sie sich auch tatsächlich
in der Beziehung einsetzen – kann niemanden ernsthaft verwundern.
Sie geht über viele
andere Krisenherde, wie z.B. über den, dass wir zwar inzwischen – dank
„Verursacherprinzip“ – mehr Geld als je zuvor für die „Rettung“ archäologischer
Informationen vor bzw. bei Bauarbeiten haben, aber dank des „freien Markts“ für
archäologische Dienstleistungen, der damit verbunden ist, nicht nur
durchschnittlich immer schlechter werdende Arbeitsbedingungen in der
angewandten Denkmalpflege im Feld haben, sondern auch – insbesondere
verhältnismäßig zur Datengewinnung – immer weniger Mittel zur Auswertung und
langfristigen Erhaltung sowohl der geborgenen beweglichen Kleinfunde als auch
der „geretteten“ Daten. Als Wirtschaftsbereich setzt die Archäologie inzwischen
europaweit jährlich jedenfalls deutlich mehr als € 1 Milliarde um (siehe Discovering the Archaeologists of Europe 2012-2014, 41-42) – wohl ein Anstieg um mehr als das Zehnfache
in den letzten 30 Jahren, Inflation bereits mitgerechnet – ohne dass ein auch
nur halbwegs vergleichbarer Anstieg im Bereich der archäologischen
Erkenntnisse, geschweige denn bedeutender Erkenntnisse, bemerkbar wäre.
Gleichzeitig quellen unsere „archäologischen Archive“ ob Millionen von Funden
aus allen Nähten, oft mit negativen Nebenwirkungen für die Funde selbst, das
Personal, und die wissenschaftliche Forschung (vgl. Karl 2015; 2016a). Das
Kosten-Nutzen-Verhältnis der archäologischen Denkmalpflege scheint sich also in
den letzten Jahrzehnten eher deutlich verschlechtert als maßgeblich verbessert
zu haben, trotzdem viel mehr Geld zur Verfügung steht.
Die Liste erstreckt
sich schlussendlich auch in den Bereich, der – im weitesten Sinn des Wortes –
als Bürgerbeteiligung am kulturellen Erbe betrachtet werden kann, sowohl im
positiven als auch im – wenigstens aus herkömmlicher denkmalpflegerischer Sicht
betrachtet – negativen Sinn. Denn für eine mehr oder minder staatlich geregelte
und fachlich betreute Bürgerbeteiligung stehen in der Regel im Fach und in der
staatlichen Denkmalpflege nicht einmal ansatzweise ausreichende Ressourcen zur
Verfügung; geschweige denn, dass es – ehrenamtliche Beteiligungsprojekte an der
Tätigkeit von Denkmalämtern bereits berücksichtigt (z.B. das Projekt
„Archäologie und Ehrenamt“ in Bayern; Meyer et al. 2012; und vergleichbare
Projekte in anderen deutschen Bundesländern) – eine ausreichende Vielzahl an
Programmen dafür gäbe. Teilweise fehlen sogar wohlentwickelte, effektive
Mechanismen, das zweifelsfrei bestehende zivilgesellschaftliche Interesse an
den (archäologischen) Denkmalen (Karl et al. 2014; Siegmund et al. 2017; Marx
et al. 2017) in halbwegs geordnete Bahnen zu bringen (aber siehe z.B. Programme
wie „Adopt a monument“ in Schottland oder private Initiativen wie DigVentures in Großbritannien), noch nahezu vollständig,
wie z.B. in Österreich.
Dazu kommt der – aus
fachlicher Sicht gewöhnlich negativ bewertete – Bereich der weitgehend
selbstbestimmten Bürgerbeteiligung am kulturellen Erbe, insbesondere die unprofessionelle
Metallsuche, aber auch sogenannte ‚alternative‘ Archäologien (Feder 2010) und
die Nutzung des archäologischen Kulturerbes durch spezielle, z.B.
neuheidnische, Interessensgruppen (z.B. Leskovar 2012; Leskovar & Karl im
Druck). Dabei bereitet insbesondere die unprofessionelle Metallsuche dem Fach
und der staatlichen Denkmalpflege besonderes Kopfzerbrechen, weil sie nicht nur
tatsächlich (teilweise) signifikanten archäologischen Sachschaden anrichtet
(bzw. anrichten kann), sondern trotz inzwischen jahrzehntelanger Versuche,
dieses Problems durch immer restriktivere Gesetzgebung Herr zu werden (siehe
dazu zuletzt „Schärfere Gesetze für die
Denkmalpflege?“), ein
zunehmend populäres Hobby zu sein scheint.
Die meisten dieser
Krisenherde sind im Fach wohl bekannt und ihre Existenz (mit wenigen Ausnahmen
teilweise abweichender Bewertung, insbesondere im Bereich der fachlich positiv
bewerteten Bürgerbeteiligung) ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass die in
diesen Bereichen bestehenden Probleme seit langem sowohl in zahlenmäßiger Menge
als auch in ihren Auswirkungen auf Archäologie, Fachwissenschaft und
Denkmalpflege stetig zunehmen. Sie werden auch gelegentlich innerfachlich
diskutiert (siehe zuletzt mit weiterführender Literatur z.B. Hofmann et al.
2017; diverse Beiträge in Archäologische Informationen 38, 39, 40), teilweise auch durchaus fach-,
behörden- und gesetzgebungskritisch.
Nach außen, d.h. in
die allgemeine Öffentlichkeit hinein, wird hingegen weitestgehend – teilweise
mit Ausnahme des „Problems der Raubgrabungen“ – ein Bild einer weitgehend
heilen archäologischen Denkmalpflegewelt projiziert, in der (nahezu) alles –
und insbesondere „unsere“ Arbeit – praktisch immer beinahe perfekt funktioniert
(aber siehe dazu „Facharchäologische Argumente gegen
die Metallsuche durch Laien“). Teilweise wird sogar die Existenz von Problemen öffentlich geleugnet
bzw. Personen und auch Fachgesellschaften, die Probleme öffentlichkeitswirksam
bekannt machen (wollen), dringlich davon abgeraten (siehe Siegmund &
Scherzler 2014, 173-175). Öffentliche Kritik, insbesondere solche betreffend
innerfachlicher Mängel, wird manchmal sogar explizit als sowohl unangebracht
als auch gefährlich dargestellt: „… wir
ArchäologInnen [sollten] uns bewusst werden, dass wir alle im selben »Boot«
sitzen und die archäologische Forschung nach außen – in die Öffentlichkeit, der
Bevölkerung bis zum Staat gegenüber – vertreten. Negativaussagen können
außerhalb des KollegInnenkreises nicht beurteilt werden und werden in der Regel
als bare Münze genommen. Dies bedeutet aber auch, dass künftige Geldgeber – von
den Gemeinden bis hin zum Ministerium – eigentlich nur einen »Haufen«
zerstrittener ArchäologInnen sehen und keiner künftig gefördert werden wird“
(Krenn-Leeb 1998).
Kritik, vor allem öffentliche Kritik? Nein danke!
Die obrigkeitsstaatliche Denkmalschutzgesetzgebung
Ich habe bereits in „Eine der „schwierigsten Aufgaben“
des Bundesdenkmalamtes“
erläutert, dass die vom österreichischen Gesetzgeber vorgesehene denkmalpflegerische
Aufgabenverteilung den Denkmalschutz und die Denkmalpflege eigentlich nicht als
eine Aufgabe sieht, die vom Staat, sondern in erster Linie von den –
überwiegend ‚privaten‘ – Denkmaleigentümern zu leisten ist. Aufgabe des Staates
in diesem Bereich ist – wie auch durch Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG vorgesehen – nur „die Gesetzgebung und die Vollziehung“, d.h. die rechtliche
Verwaltung, von Denkmalschutz und Denkmalpflege. Die eigentlichen, sozusagen
‚praktischen‘ Schutz- und Pflegeleistungen haben hingegen jene natürlichen oder
juristischen Personen zu erbringen, die – ob nun zufällig oder absichtlich –
Eigentümer von und somit rechtlich verantwortlich für schützenswerte und (daher
zum Wohle der Allgemeinheit) pflegebedürftige Denkmale sind.
In Deutschland ist –
und zwar in allen Bundesländern – vom jeweiligen Gesetzgeber im Prinzip die
exakt gleiche Aufgabenverteilung im Denkmalschutz und der Denkmalpflege
gesetzlich vorgesehen worden. Nicht anders als das österreichische DMSG
beschränken auch alle deutschen DSchG in erster Linie die Verfügungsgewalt des
Eigentümers (und allfällig auch von diesem mit solcher ausgestatteter Dritter)
über jene Sachen, die – ob nun nach konstitutivem oder deklaratorischem Prinzip
(DGUF 2013) – geschützte Denkmale sind; während den staatlichen
Denkmalpflegebehörden eigentlich nur die Aufgabe zukommt, die rechtliche
Verwaltung des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege zu leisten. Eine
allfällige gesetzliche Verpflichtung zum ‚passiven‘ Schutz (durch Unterlassung
bestimmter, gesetzlich verbotener) oder auch zur ‚aktiven‘ Pflege (bzw.
‚Erhaltung‘ durch die Durchführung bestimmter, gesetzlich gebotener Handlungen)
trifft stets primär den Denkmaleigentümer; zu denen selbstverständlich in
manchen Fällen der Staat selbst gehören kann, aber nicht unbedingt gehören
muss.
Für wen gilt „Kulturerbe = Kulturpflicht?“ (Hofmann et al. 2017)
Wie wenig Verantwortung
für den praktischen Denkmalschutz und die Denkmalpflege manche
deutschsprachigen Staaten übernehmen, zeigt sich dabei besonders offensichtlich
daran, dass sich manche davon explizit selbst von den für alle anderen
Rechtsadressaten geltenden Eigentums- und sonstigen Verfügungsbeschränkungen
über Denkmale ausnehmen, selbst wenn vom staatlichen Handeln tatsächlich im
öffentlichen Interesse schutzwürdige Denkmale betroffen sind (z.B. durch die
Ausnahme staatlicher Behörden aus gesetzlichen NFG-Pflichten wie z.B. durch §
11 Abs. 2 DMSG; Art. 7 Abs. 3 DSchG-BY, § 12 Abs. 1 DSchG-NS, § 13 Abs. 1 DSchG-NRW). Der Staat stellt sich hier also selbst, bzw.
das Handeln seiner eigenen Behörden, über das Gesetz; und zwar explizit.
Weniger
offensichtlich, aber noch dramatischer, zeigt sich das Gleiche am
Ungleichverhältnis zwischen dem ‚Staat‘ (und seinen Behörden) und den
‚Privaten‘ in Bezug auf die Möglichkeiten dieser beiden unterschiedlichen Arten
von Rechtspersonen, Kontrolle über die Handlungen der jeweils anderen Art
auszuüben. Dieses Ungleichverhältnis findet dabei seinen deutlichsten Ausdruck im
noch weitgehend vollständigen Fehlen von Verbandsklagerechten (Kemper 2017) und
sonstigen zivilgesellschaftlichen Kontrollrechten in Hinblick auf das
praktische Denkmalschutz- und -pflegehandeln des Staates.
Der Staat und seine
Denkmalbehörden können nämlich im Rahmen ihrer rechtlichen Kontrolle über die
Verfügungsgewalt privater Denkmaleigentümer über deren Denkmale diesen
‚Privaten‘ (wenigstens innerhalb der ihnen dabei durch die Verfassung gesetzten
Grenzen) mehr oder minder nach Belieben Ge- und Verbote auferlegen, deren
Handeln (und das von Dritten) auch mehr oder minder detaillierten Regelungen
unterwerfen und allfällige Missachtungen nötigenfalls auch gerichtlich
bestrafen lassen. ‚Private‘ hingegen, ob nun allein oder kollektiv, haben
keinerlei rechtliche Instrumente zur Verfügung, um den Staat oder dessen
Behörden auch nur zum Schutz und der Pflege im Staatseigentum stehender,
amtlich als besonders bedeutend identifizierter, (archäologischer) Denkmale zu
zwingen; geschweige denn dazu, die Anerkennung einer im Staatseigentum stehenden
Sache, die sie, der Staat bzw. dessen Behörden jedoch nicht, für ein solches
halten, als Denkmal im Sinne der örtlich geltenden gesetzlichen Begriffsdefinition
rechtlich zu erzwingen.
Der Staat bzw. seine
Behörden können also jederzeit willkürlich jedes in Staatseigentum stehende
Denkmal – auch wenn dessen Schutzwürdigkeit bereits in einem dafür vorgesehenen
gesetzlichen Verfahren rechtskräftig festgestellt wurde – zerstören, verändern,
ins Ausland verbringen oder anderswie unsachgemäß behandeln. Denn selbst wenn
es ihnen durch das Gesetz explizit verboten sein sollte, das zu tun: wer soll
den Staat und seine zum Vollzug der einschlägigen Gesetze beauftragte Behörde
für eine – auch eklatante – Denkmalschutzgesetzesverletzung zur Verantwortung
ziehen? Die zuständige Behörde wird sich wohl kaum selbst anzeigen; und eine
ernstzunehmende interne Kontrolle, geschweige denn eine externe
Kontrollmöglichkeit durch die Zivilgesellschaft, gibt es nicht. Gräbt also z.B.
ein Denkmalamt ein geschütztes Bodendenkmal aus, dessen unveränderte Erhaltung
in situ tatsächlich im öffentlichen Interesse gelegen und durch nichts in
irgendeiner Weise gefährdet ist – zerstört dieses also als Originalquelle –
gibt es weder für die archäologische Fachgemeinschaft noch interessierte
BürgerInnen irgendeine rechtliche Handhabe, dieses denkmalschädlich handelnde
Denkmalamt, geschweige denn den Staat, dafür zur Verantwortung zu ziehen.
Etwas härter gesagt:
Kulturerbe ist nur für ‚Private‘ gleich Kulturpflicht, der Staat hat hingegen
keinerlei Kulturpflichten, sondern nur Kulturrechte. Der Kontrolle bedürfen nur
die ‚Privaten‘, niemals hingegen ‚der Staat‘, weil ‚Private‘ machen meist alles
falsch, ‚der Staat‘ hingegen immer alles richtig.
Obrigkeit; Untertan; und Kulturrechte und -pflichten
Der junge Kaiser Franz Josef im Jahr 1853 (Bild: M. Barabas, Ungarisches Nationalmuseum). Im gleichen Jahr nahm die k.k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, der direkte Vorgänger des heutigen österreichischen Bundesdenkmalamtes, seine Arbeit auf. Es ist dies auch die Zeit des habsburgischen Neoabsolutismus, gekennzeichnet durch die Aufhebung der Verfassung, Auflösung des Reichsrates (Parlaments) und Wiedereinführung der Zensur. |
Der Staat und all
seine Organe sind daher auch über jedwede Kritik durch ihre Untertanen erhaben:
diesen fehlt schließlich das Wissen darüber und auch das Verständnis dessen,
was für ‚das Allgemeinwohl‘ erforderlich ist; und sie haben daher gefälligst
schweigend und dankbar den Anordnungen der Obrigkeit zu gehorchen, die besser
weiß als sie selbst, was gut für sie (und alle anderen Staatsangehörigen) ist.
Insbesondere Systemkritik ist vollkommen ausgeschlossen und verpönt: der Staat
kann schließlich unter diesem Verständnis keine Fehler machen, sondern ist
perfekt; weil wäre er das nicht, wäre seine übergeordnete Stellung im
Verhältnis zu seinen Untertanen schließlich durch nichts zu rechtfertigen.
Falls doch einmal ein
Mangel besteht oder ein Problem auftaucht, muss dies entweder ein bedauerlicher
Einzelfall sein, in dem eines der nicht gänzlich unfehlbaren Staatsorgane von
dem vom Staat vorgesehenen, perfekten Plan unabsichtlich oder aus Böswilligkeit
abgewichen ist; oder muss unkontrollierbaren ‚äußeren‘ Umständen geschuldet
sein, die auch die beste Staatsführung nicht vorhersehen und daher bisher nicht
lösen konnte. Hat ein einzelnes Staatsorgan einen Fehler begangen, ist es
natürlich ausschließliche Aufgabe des Staates selbst, diesen Fehler zu beheben,
und die Behebung ist stets schon praktisch so gut wie erledigt. War dieses Problem
hingegen bisher aufgrund äußerer Umstände nicht lösbar, so wird
selbstverständlich schon vom Staat und den von ihm dazu befugten Organen mit
aller Kraft an seiner Lösung gearbeitet; wobei sich ja kein Untertan in diese
Problemlösungsversuche einzumischen versuchen sollte, weil dies nur unnötig den
Staat und seine Organe davon ablenkt und abhält, die ohnehin bereits beinahe
gefundene Lösung auch so rasch und effektiv als möglich umsetzen zu können.
Diese Umsetzung
erfolgt dann in der Regel durch die relevante Gesetzgebung bzw. deren Anwendung
durch die staatliche Verwaltung: die Gesetzgebung ist schließlich das Mittel,
mit dem der (insbesondere der obrigkeitliche) Staat seinen Untertanen mitteilt,
was sie zum Wohle der Allgemeinheit zu tun bzw. zu lassen zu haben; und die
Verwaltung sein Mittel, mit dem er dafür sorgt, dass seine Untertanen auch
tatsächlich das tun, was sie tun sollen. Daher räumt der obrigkeitlich
handelnde Staat auch sich selbst in der Regel nur Rechte ein, erlegt hingegen
den ‚Privaten‘ nur Pflichten auf. Alles andere wäre auch völlig widersinnig:
den Staat als jene Kraft, die stets das Gute will und es für alle schafft,
irgendwelchen Verpflichtungen zu unterwerfen, durch die ihn irgendwelche
‚Privaten‘ zu anderem als jenem Verhalten zwingen könnten, das er für am
förderlichsten für das Allgemeinwohl hält, würde schließlich seine perfekte Funktionsfähigkeit
zerstören. Was er hingegen dringend braucht sind Rechte, um jene ‚Privaten‘,
die Teil jener Kraft sind, die stets nur das Gute für sich selbst will und
daher meist das Böse schafft, zu jenen Handlungen bzw. deren Unterlassen
zwingen zu können, zu denen er sie zum Wohle der Allgemeinheit verpflichtet
hat.
Konsequenzen für die Gesetzgebung und das Verständnis ihrer Wirkung
Dieses extrem obrigkeitliche
Verständnis von Denkmalschutz und Denkmalpflege – das daher auch die Erzwingung des denkmalnützlichen
Verhaltens als wichtigste Aufgabe der Denkmalbehörden und somit auch (als
erzwungenes Verhalten) Denkmalschutz und Denkmalpflege als ‚Staatsaufgabe‘
sieht – bedingt in weiterer Folge eine ganz spezifische Sichtweise des Zwecks
und der Funktionsweise (bzw. Wirkung) der Denkmalschutzgesetzgebung.
Unter dieser
Sichtweise dienen Denkmalschutzgesetze dazu, den – grundsätzlich unverständigen
und nicht vertrauenswürdigen – Untertanen des Staates zu sagen, was sie zum
Wohle der Allgemeinheit (erforderlichenfalls wie) zu tun und was sie (stets
oder unter welchen Umständen) zu unterlassen haben. Die Untertanen hingegen
haben jedwede Anordnung, die der Staat aus welchen Gründen (die seine Organe
auch überhaupt nicht erklären müssen) auch immer gerade für dem Allgemeinwohl
dienlich erachtet, ohne jeden Widerspruch zu befolgen. Es ist schließlich
diesem Verständnis inhärent, dass der Staat jederzeit tatsächlich bereits weiß,
was das Beste für das Allgemeinwohl ist, während der Untertan weder wissen noch
jemals wirklich vollständig verstehen kann, dass und warum dem so ist. Es kann daher
unter dieser Sichtweise auch gar keine berechtigten Einwände des Untertanen
geben: der Staat sucht schließlich die Wahrheit nicht mehr, „sondern er hat sie“ (Watzlawick 2001, 102; Hervorhebung: Original)
bereits, Einwände des Untertanen können also nichts Entscheidungswesentliches mehr
zum Wahrheitsfindungsprozess beitragen.
Was der Untertan will,
bleibt sich letztendlich bei dieser Betrachtungsweise vollständig gleich: es
geht schließlich dem obrigkeitlichen Staat nicht darum, dem Einzelnen die
möglichst freie Entfaltung seines Willens (bzw. seiner Persönlichkeit, siehe
Art. 2 Abs. 1 GG) zu gestatten; sondern das Allgemeinwohl hat
das Primat vor dem Wohl (und damit selbstverständlich auch dem Willen) des
Einzelnen. Der Wille des Einzelnen ist unter diesem Verständnis also stets nur
insoweit relevant, als er das Allgemeinwohl, repräsentiert durch den Staat,
nicht tangiert oder ihm – noch besser – dient (in diesem Sinn Davydov 2017,
11). Alles, wodurch die Untertanen den Staat bei der Erzwingung seiner Ziele – „wenn nötig auch gegen deren Willen“
(Watzlawick 2001, 102) – auch nur behindern könnten, ist daher von ihnen
vollständig zu unterlassen.
Unter diesen
Voraussetzungen funktionieren Gesetze (und auch behördliche Anordnungen) auf
ganz bestimmte Weise: der Gesetzgeber schafft an, der Untertan hat zu
gehorchen; ob es ihm gefällt oder nicht. Der obrigkeitliche Staat erwartet
dabei gewöhnlich, dass seine Untertanen gänzlich von sich aus auf jede eigene
Willensäußerung verzichten und sich – gänzlich widerstandslos – an die
staatlichen Anordnungen halten; weil schon jeder bloße Widerspruch den Staat
beim Erreichen seiner Ziele behindert. Verhält sich ein Untertan tatsächlich –
weil er seinen eigenen Willen entgegen den staatlichen Anordnungen (d.h. gegen
den Willen des Staates) durchsetzen will – vorsätzlich widerspenstig, verhält
er sich allgemeinwohlschädlich und ist daher unmittelbar zu bestrafen.
Gesetzliche Strafen
für verbotenes Handeln dienen unter dieser Betrachtungsweise also primär dazu,
jene Untertanen, die sich widerspenstig – d.h. rechtswidrig – verhalten haben,
dafür zu bestrafen, dass sie ihren eigenen Willen über den des Gesetzgebers
bzw. das von diesem definierte Allgemeinwohl gestellt haben. Das soll zweierlei
Ziele erreichen: einerseits soll die Strafe den eigenwilligen Untertanen
lehren, dass seine Unfolgsamkeit unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen
wird. Zum anderen soll die Strafandrohung all jene Untertanen, die mit dem
Gedanken spielen, eine vom Staat erlassene Anordnung zu missachten, aus Angst
vor Strafe zur Folgsamkeit motivieren.
Unter diesem
Verständnis war das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Untertanen also
letztendlich wie das zwischen einem wohlmeinenden, weisen Elternteil und dessen
unverständigen und undisziplinierten Kindern konzipiert: die Kinder haben dem
Elternteil zu gehorchen, der – wenn nötig – zu ihrem eigenen Besten und dem
Besten aller auch gelegentlich ihr Taschengeld einziehen oder über sie ein
Ausgehverbot verhängen muss. Dadurch werden die Kinder dazu erzogen, sich brav
gehorsam zu verhalten und das zu tun, was ihnen der betreffende Elternteil, der
als weiser Erwachsener besser weiß als seine Kinder, was für sie und die
gesamte Familie gut ist, zu tun und lassen befiehlt.
Dummerweise werden die
meisten Untertanen – im Gegensatz zu Kindern – niemals selbst reif genug, dass
sie der Staat aus diesem Vormundschaftsverhältnis entlassen könnte. Der Punkt,
der Georg Dehio vorgeschwebt hat, als er meinte, dass „[w]enn das Volk erst darüber unterrichtet ist, worum es sich handelt,
mag es, wo Gegenwart und Vergangenheit in Konflikt kommen, die Wahl und
Verantwortung übernehmen“ (Dehio 1905, 274) wird also in der
obrigkeitsstaatlichen Denkmalpflege niemals erreicht, sondern die Wahl und
Verantwortung über den Denkmalschutz und die Denkmalpflege muss – für immer –
jenen wenigen besonders gut dafür ausgebildeten Fachleuten überlassen bleiben,
die überhaupt richtig beurteilen können, was im Bereich der Denkmalpflege dem
Allgemeinwohl am besten dient: uns.
Wenig
überraschenderweise bevorzugen die meisten professionellen ArchäologInnen und
insbesondere die staatlichen DenkmalpflegerInnen daher genau dieses Verständnis
von Denkmalschutz und Denkmalpflege, weil es garantiert nicht nur die
Notwendigkeit der Existenz unseres Berufs, sondern auch – wenigstens manchen
von uns – exklusive Entscheidungsrechte über das Schicksal der Denkmale, die
uns besonders am Herzen liegen. Es sorgt also dafür, dass letztendlich die
Gewalt, über Archäologie zu verfügen, wenigstens in den Händen von Fachleuten
liegt, d.h. denen unserer KollegInnen oder sogar in unseren eigenen.
Obrigkeitsstaatliche Denkmalpflege ist gut für uns.
Aufgeklärte Gesellschaften
Ungünstigerweise steht
dieses Verständnis in diametralem Widerspruch zu den aufgeklärten, modernen
Gesellschaftsordnungen, die sich unsere jeweiligen Staatsvölker selbst gegeben
haben.
Immanuel Kant (Bild: A. Praefcke 2005) |
Moderne, aufgeklärte
Bürgergesellschaften westlicher Prägung sind letztendlich aus der Abwendung von
und in Gegenwehr zu eben jenem (vor allem vor- und frühneuzeitlichen) Obrigkeitsstaat
entstanden, der in der staatlichen Denkmalpflege immer noch nachlebt. Sie
konzipieren das Verhältnis zwischen dem Staat und dem Staatsbürger nachgerade
entgegengesetzt zum Obrigkeitsstaat: nicht der Staat (samt seiner Behörden und
deren Organe) ist der Souverän, dem seine unmündigen
Untertanen zu gehorchen und dienstbar zu sein haben; sondern der mündige Bürger (bzw. genauer: die
Gemeinschaft der mündigen Bürger) ist der Souverän, dem der Staat, seine
Behörden und selbstverständlich auch deren Organe zu gehorchen und dienstbar zu
sein haben. Das – in erster Linie durch die verfassungsgesetzlich (GG bzw. B-VG und StGG) und völkerrechtlich (AEMR) garantierten Grund- und Menschenrechte bestimmte – höchste Staatsziel
moderner demokratischer Rechtsstaaten ist daher, das friedliche „Zusammenleben der Menschen in Freiheit,
Gleichheit und Würde“ (Berka 1999, 1) zu ermöglichen und zu sichern.
Das Verhältnis zwischen Einzel- und Allgemeininteressen
Das bedingt ein ganz
anderes Verhältnis zwischen den Rechten (und Wünschen) des Einzelnen und den
Rechten (und Wünschen) der Allgemeinheit. In demokratischen Verfassungsstaaten
(Berka 1999, 2) schützen die Grund- und Menschenrechte nicht nur den mündigen
Bürger vor der Diktatur der Obrigkeit, sondern gleichermaßen auch vor der Diktatur
der Allgemeinheit: die Rechte (und Wünsche) des Einzelnen sind nicht
grundsätzlich den Rechten (und Wünschen) der Allgemeinheit untergeordnet,
sondern stehen – wenigstens prinzipiell – gleichberechtigt mit diesen auf der
gleichen Ebene.
Das bedeutet natürlich
keineswegs, dass deshalb in modernen, demokratischen Rechtsstaaten jeder Bürger
unbeschränkt tun und lassen darf, was er wie, wann und wo tun oder lassen will:
selbstverständlich können auch demokratische Rechtsstaaten allgemeingültige
Gesetze erlassen, an die sich jeder zu halten hat; ja müssen das sogar und tun
es selbstverständlich auch. Der Wille des Einzelnen ist eben nicht dem der
Allgemeinheit hierarchisch übergeordnet, sondern steht mit diesem nur auf
gleicher Ebene und muss daher – ob nun generell oder im konkreten Einzelfall – gegen
diesen abgewogen werden. Überwiegt dabei das Interesse der Allgemeinheit das
Interesse des Einzelnen, hat der Einzelne – letztendlich genauso wie im
Obrigkeitsstaat – den Gesetzen zu gehorchen und diese zu befolgen; und kann und
soll selbstverständlich auch bestraft werden, wenn er diese (oder berechtigte
Anordnungen durch die Behörden oder deren Organe) vorsätzlich (oder, sofern
gesetzlich so vorgesehen, auch nur fahrlässig) missachtet.
Dennoch ist das
grundsätzliche Verhältnis zwischen dem Willen des Einzelnen und dem
Allgemeinwohl ein ganz anderes als das im Obrigkeitsstaat; eben weil die Rechte
und der Wille des Einzelnen dem Allgemeinwohl nicht prinzipiell hierarchisch
untergeordnet sind, sondern mit diesen auf gleicher Ebene stehen. Im
Obrigkeitsstaat spielt aufgrund der systematischen hierarchischen Unterordnung
des Einzelnen unter die Gemeinschaft (bzw. das – wie auch immer ermittelte –
‚Allgemeinwohl‘) der Wille des Einzelnen überhaupt keine Rolle. Im modernen,
aufgeklärten, demokratischen Rechtsstaat stehen hingegen der Wille des
Einzelnen und das ‚Allgemeinwohl’ auf gleicher Ebene und der Staat muss daher –
als Vertreter des ‚Allgemeinwohls‘ gegenüber den partikularen Interessen des
Einzelnen, aber auch Beschützer des Einzelnen vor der Diktatur jedes Anderen
(inklusive des Allgemeinwohls) – die Rechte und den Willen des Einzelnen stets
hinreichend berücksichtigen.
Nachdem es die raison d’etre des Verfassungsstaates ist,
neben der Gleichheit und Würde des Menschen auch dessen Freiheit – letztendlich
die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) – möglichst zu gewährleisten, muss dem
Einzelnen durch den Staat auch tatsächlich die selbstbestimmte Entfaltung
seines Willens immer dann ermöglicht werden, wenn es nicht gewichtigere
(sachliche) Gründe gibt, welche die Beschränkung seines freien Willens
erforderlich machen. Etwas vereinfacht gesagt, muss der Staat dafür sorgen,
dass jeder Einzelne seinen Willen durchsetzen kann, so lange das – und sei es
auch nur gerade noch irgendwie – geht, ohne dass dadurch wenigstens ebenso
wichtige Rechte Dritter oder das Allgemeinwohl ernsthaft bedroht werden. Kann
der Einzelne also seinen Willen zwar nicht genau auf dem Weg, auf dem er ihn am
liebsten durchgesetzt hätte, aber doch auf einem anderen Weg als dem von ihm
bevorzugten erreichen, ohne dass durch die Durchsetzung seines Willens andere
mutmaßlich empfindlichen Schaden erleiden werden, muss der Staat dem Einzelnen wenigstens
diesen anderen Weg zur Verwirklichung seines Willens zu nehmen gestatten.
Der Willen des
Einzelnen ist also in diesem Verhältnis von enormer Relevanz: der Staat muss
ihn zwingend in seiner Gesetzgebung und seine Behörden ihn ebenso zwingend in ihrer
Verwaltungspraxis hinreichend berücksichtigen, denn es ist ihre vordringlichste
Aufgabe, dem Einzelnen die Entfaltung seines Willens zu gestatten und ihn dabei
nur soweit zu beschränken, als dies zum Schutz anderer unbedingt erforderlich
ist. Es genügt unter dieser Voraussetzung nicht, dass im Interesse des
Allgemeinwohls bestimmte Handlungen gesetzt werden müssen oder nicht gesetzt
werden dürfen, um den Einzelnen an der Verwirklichung seines eigenen Willens
bzw. am Erreichen der sich von ihm selbst gesetzten Ziele gänzlich hindern zu
dürfen. Vielmehr hat der Staat zu ermitteln, ob es nicht doch irgendeine
gangbare Möglichkeit gibt, dass der Einzelne seinen Willen verwirklichen kann,
die Dritte oder das Allgemeinwohl nicht derart maßgeblich schädigt, dass dies
die – und sei es auch nur eingeschränkte oder teilweise – Verwirklichung seines
Willens gänzlich verunmöglichen würde.
Konsequenzen für die Gesetzgebung und das Verständnis ihrer Wirkung
Dieses modernere,
aufgeklärte, bürgergesellschaftliche Verständnis des Verhältnisses zwischen dem
Willen des Einzelnen und dem Allgemeinwohl hat selbstverständlich auch
maßgebliche Konsequenzen für die Gesetzgebung und das Verständnis ihrer
Wirkung; natürlich auch in Denkmalschutz und Denkmalpflege.
Denn es ist unter
dieser Voraussetzung eben nicht die wichtigste Aufgabe des Staates,
denkmalförderliches Verhalten seiner unverständigen und nicht
vertrauenswürdigen Untertanen zu erzwingen. Vielmehr ist es nur seine Aufgabe
(und insbesondere die seiner Denkmalbehörden), seine mündigen – d.h.
grundsätzlich verständigen und vertrauenswürdigen – BürgerInnen durch
entsprechende Anleitung dazu zu bewegen, ihr – ansonsten selbstbestimmtes –
Verhalten derart zu gestalten, dass es möglichst denkmalförderlich und
möglichst wenig denkmalschädigend ist. Die BürgerInnen trifft dagegen primär
die Pflicht, ihr Verhalten auch tatsächlich möglichst so zu gestalten, dass es
den gesetzlichen Bestimmungen möglichst entspricht; insbesondere dem – in der
Regel von ihnen selbst zu erschließenden – Sinn dieser gesetzlichen
Bestimmungen. Die BürgerInnen sollen ihre selbstgewählten Wünsche schließlich
möglichst verwirklichen bzw. Ziele möglichst erreichen können und dabei nur ihr
Verhalten derart gestalten, dass dadurch Dritten bzw. der Allgemeinheit kein
unverhältnismäßiger, unnötiger oder gar gänzlich vermeidbarer Schaden entsteht.
Der praktische Denkmalschutz
und die Denkmalpflege sind daher auch nicht Aufgabe des Staates, sondern die der
– großteils ‚privaten‘ – DenkmaleigentümerInnen selbst. Der Staat gibt nur den
Rahmen vor, innerhalb dessen seine BürgerInnen ihr Verhalten so zu gestalten
haben, dass sie Denkmale nicht unverhältnismäßig gefährden oder zerstören; und
seine Denkmalbehörden haben nur die Aufgabe, das gesetzeskonforme Verhalten
seiner BürgerInnen zu ermöglichen, unterstützen, kontrollieren und nötigenfalls
Gesetzesverstöße zu ahnden, d.h. den Denkmalschutz und die Denkmalpflege
rechtlich zu verwalten.
Unter diesen Voraussetzungen
funktionieren Gesetze (und auch behördliche Anordnungen) auf ganz andere Weise
als im Obrigkeitsstaat: der Gesetzgeber bestimmt primär nur den Rahmen, den
BürgerInnen bei ihrem – sonst weitgehend selbstbestimmten – Handeln ausreichend
zu berücksichtigen haben, um nicht das Erreichen der Ziele zu vereiteln, die
der Staat durch die Gesetzgebung zu erreichen versucht; während sie sonst
weitgehend tun und lassen dürfen, was sie wollen. Sie dürfen, sollen und müssen
dabei sogar ihren eigenen Willen äußern, weil sonst der Staat ihnen dessen
Verwirklichung gar nicht sinnvoll ermöglichen kann; und müssen sich auch nicht
widerspruchs- und widerstandslos an die staatlichen Anordnungen halten, wenn
diese sie beim Erreichen ihrer Ziele grundlos oder übermäßig behindern. Vielmehr
steht ihnen der Gerichtsweg gegen jede Anordnung offen, durch die sie sich
unrechtmäßig oder sogar nur unverhältnismäßig behindert fühlen. In
demokratischen Verfassungsstaaten dürfen sich also BürgerInnen mit allen
gesetzlichen Mitteln gegen den Staat und seine Behörden zur Wehr setzen, um
ihren eigenen Willen – erforderlichenfalls auch gegen das Allgemeinwohl –
durchsetzen zu können.
Verhält sich ein Bürger
– weil er seinen eigenen Willen entgegen den staatlichen Anordnungen verwirklichen
will und entweder zu bequem ist, den Gerichtsweg zu beschreiten, oder diesen
bereits erfolglos beschritten hat – dennoch rechtswidrig, kann und soll er
natürlich auch in modernen Bürgergesellschaften bestraft werden. Der Einzelne
ist schließlich nicht unabhängig von der weiteren bürgerlichen Gemeinschaft und
hat daher auch – wenn seine Interessen in den dafür vorgesehenen Verfahren
tatsächlich adäquat gegen die Rechte Dritter und Allgemeinwohlinteressen
abgewogen worden sind – gewisse Einschränkungen seines freien Willens zu
akzeptieren und sich an die gemeinschaftlich entwickelten gesellschaftlichen
Regeln zu halten.
Gesetzliche Strafen
für verbotenes Handeln dienen in dieser Betrachtungsweise daher letztendlich
auch primär anderen Zwecken als in obrigkeitlichen Staaten: zum einen sollen
sie den Täter selbst (gegebenenfalls auch schmerzhaft) daran erinnern, dass er
sich nicht willkürlich über die gemeinschaftlich vereinbarten Regeln des
gesellschaftlichen Zusammenlebens hinwegsetzen darf, sondern – wenn ihm eine
bestimmte Regel nicht passt – er diese auf den dafür gesellschaftlich
vorgesehenen Wegen ändern muss. Zum anderen dienen sie dazu, das
gesamtgesellschaftliche Verhalten in eine bestimmte, vom Gesetzgeber gewünschte
Richtung zu steuern, indem sie die Attraktivität rechtswidrigen Verhaltens bei
objektiver Betrachtung durch den vernünftigen Bürger möglichst reduzieren.
Unter diesem
Verständnis des Verhältnisses zwischen dem Staat und seinen BürgerInnen wird
dieses Verhältnis also letztendlich wie das zwischen grundsätzlich
gleichberechtigten, erwachsenen PartnerInnen konzipiert, die im Sinne eines
‚Gesellschaftsvertrags‘ miteinander Regeln vereinbart haben: selbstverständlich
müssen sich alle PartnerInnen an diese Regeln halten. Tun sie das nicht, müssen
sie die vertraglich für Regelbrüche vereinbarten Strafen an die anderen
PartnerInnen zahlen; wobei es jedem mündigen Gesellschaftsmitglied selbst
überlassen bleibt, ob er sich lieber an die vereinbarten Regeln halten oder die
vereinbarte Strafe für Regelverstöße zahlen will. Was der Gesetzgeber zu
erreichen versucht, ist also die Vertragstreue aller BürgerInnen.
Es sind schließlich fast
alle seiner BürgerInnen mündig, d.h. ganz im Sinne der Erklärung Kants im
Stande, sich ihres Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen und
verstehen daher von sich aus, dass es für das friedliche Zusammenleben
gleichberechtigter PartnerInnen erforderlich ist, dass sich alle an die
gemeinsam entwickelten Regeln zur Konfliktvermeidung und -lösung halten.
Derartige vernünftige, erwachsene Menschen müssen nicht durch Strafen
diszipliniert und damit zur Folgsamkeit erzogen werden. Der Gesetzgeber muss
ihnen bloß klar sagen, was die geltenden Regeln sind, an die sie sich halten
sollen; und natürlich, welche Konsequenzen es hat, wenn sie sich entschließen,
diese Regeln zu missachten; und kann sie dann weitgehend sich selbst
überlassen.
Dieses völlig andere
Verständnis des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat als in obrigkeitlichen
Gesellschaftssystemen hat dann natürlich auch Folgen in der Wirklichkeit.
Die Wirklichkeit und die Gesetzestreue von BürgerInnen
Wir leben nunmehr
bereits seit Längerem in modernen, aufgeklärten, demokratischen Rechtsstaaten:
in Österreich und dem ehemaligen Westdeutschland mehr oder minder seit Ende des
Dritten Reichs; im ehemaligen Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
Deutschlands vor etwa 28 Jahren. Die StaatsbürgerInnen unserer Staaten sind
daher inzwischen weitgehend an das Verständnis des Verhältnisses zwischen
BürgerInnen und Staat gewöhnt, das für derartige Gesellschaftsordnungen
charakteristisch ist; auch wenn es – in unterschiedlichen Regionen unserer
Staaten – durchaus noch viele Menschen gibt, die in einer obrigkeitsstaatlich
organisierten Gesellschaft aufgewachsen sind und daher bis zu einem gewissen
Grad durch diese geprägt wurden.
Der Prozess der
(vollständigen) Verwirklichung einer aufgeklärten Gesellschaft freier,
gleicher, mündiger BürgerInnen ist also noch keineswegs vollkommen
abgeschlossen; einmal abgesehen davon, dass selbst in Letzteren sicherlich
nicht jeder den Mut (bzw. den Willen) hat, im Geist des von Kant definierten
Ideals der Aufklärung sich seines Verstandes ohne Leitung durch andere zu
bedienen: wie eine jüngere Umfrage in Österreich gezeigt hat, will immerhin ein
Viertel der ÖsterreicherInnen (immer noch oder wieder; Tendenz steigend) einen „starken Führer“ (Volkshilfe Sozialbarometer). Gleichzeitig wird aber
zivilgesellschaftliche Partizipation und auch der bürgerliche Protest gegen
Missstände als wichtig für die Demokratie erachtet, Letzteres von 80% aller
ÖsterreicherInnen (ibid.). Langfristig gesehen scheint sich – wenngleich
eventuell mit zeitweiligen Rückschritten – über die letzten Jahrzehnte ein
zivilgesellschaftliches Gesellschafts- und Rechtsverständnis immer mehr
durchgesetzt zu haben.
Das hat Folgen dafür,
wie sich Menschen dem Staat und seinen Behörden gegenüber positionieren und
verhalten und wie und warum sie Gesetze und andere staatliche oder behördliche
Anordnungen befolgen bzw. mit diesen umgehen. Insbesondere die staatlichen
Behörden werden – weil das auch ihre Rolle in einem demokratischen Rechtsstaat
ist – zunehmend als Dienstleister verstanden, deren Aufgabe es sein sollte,
BürgerInnen bei der Verwirklichung ihrer Wünsche zu helfen. Es wird auch
zunehmend erwartet, dass die Behörden ihre Entscheidungen auch vernünftig (d.h.
auch für den von der Entscheidung Betroffenen nachvollziehbar) begründen: es
genügt heutzutage nicht mehr, dass eine Behörde die Entscheidung trifft, die
sie für richtig hält. Es wird vielmehr zunehmend – selbst von staatlichen
Kontrollinstanzen wie dem österreichischen Rechnungshof ganz konkret im Kontext
des Denkmalschutzes (RH 2017, 47) – erwartet, dass Behörden die Gründe für ihre
Entscheidungen auch tatsächlich transparent darlegen und sachlich rechtfertigen
können.
Es hat aber vor allem
auch Konsequenzen dafür, wie BürgerInnen mit dem Gesetz umgehen bzw. inwieweit
und auf welche Weise sie sich gesetzestreu verhalten. BürgerInnen handeln, sehr
vereinfacht gesagt, was ihre Gesetzestreue betrifft tatsächlich zumeist mündig:
sie halten sich nicht an Gesetze, weil sie dem Staat und seinen Behörden blind
gehorchen; und auch nicht aus Angst vor den gesetzlich angedrohten Strafen;
sondern großteils völlig freiwillig, weil sie den Sinn des betreffenden
Gesetzes verstehen und den vom Gesetzgeber mit dem Gesetz verfolgten Zweck also
auch das betreffende Gesetz selbst für legitim halten (Tylor 2006).
Vor allem aber
bedeutet es auch, dass BürgerInnen ihren eigenen Willen nicht automatisch dem
Willen des Staates oder seiner Behörden unterordnen; d.h. Gesetze und
Anordnungen einfach befolgen, weil sie bestehen. Vielmehr wägen sie auch – ob
im Einzelfall oder generell – zwischen ihrem Willen und dem des Gesetzgebers
bzw. der Behörde ab; und entscheiden sich dann in der Regel dafür, ihren Willen
zu verwirklichen, auch wenn dies dem Staatswillen widerspricht. Dies gilt
insbesondere bei Handlungen, die sie für weitgehend oder gänzlich unschädlich
halten. Klassische Beispiele dafür sind solche Handlungen wie des Nachts als
Fußgänger bei Rot eine geregelte Kreuzung zu überqueren, weil weit und breit
kein Straßenverkehr zu sehen ist: BürgerInnen sind zwar in der Regel durchaus
bereit, sich freiwillig an die Straßenverkehrsordnung zu halten, aber ebenso
bereit sie zu missachten, wenn ihre Beachtung aufgrund der besonderen Umstände
des Einzelfalls keinen Sinn hat.
Das Gleiche gilt
natürlich auch im Bereich von Denkmalschutz und Denkmalpflege: an
Denkmalschutzgesetze halten sich alle Bürger gerne, so lange diese Gesetze
nicht ihr eigenes Handeln beschränken. Wir ArchäologInnen halten uns zum
Beispiel nahezu alle an ein staatliches archäologisches Schatzregal, selbst
wenn das örtlich geltende Denkmalschutzgesetz ein solches gar nicht kennt: wir wollen
schließlich normalerweise, dass archäologische Funde in öffentliche Sammlungen
gelangen, weil dort der Staat für ihre langfristige Erhaltung sorgen (und
zahlen) muss, nicht wir selbst privat, wir aber trotzdem weitgehend
unbeschränkten Zugang zu ihnen haben. Dass wir daher gerade in dieser Beziehung
für mehr Staat, weniger Privat sind, ist vollkommen selbstverständlich.
Wo jedoch
Denkmalschutzgesetze das Handeln eines Betroffenen beschränken, verhält sich
die Situation genauso wie im Bereich der geregelten Fußgängerquerungen ohne
Verkehrsaufkommen: der Betroffene wägt ab, ob von der Verwirklichung seines
eigenen Willens voraussichtlich eine maßgebliche Gefahr für ihn selbst, Dritte,
oder auch für von ihm selbst und seinem Freundeskreis wertvoll erachtete
Allgemeinwohlgüter ausgehen dürfte. Kommt er zum Schluss, dass die
voraussichtlich von seiner Handlung ausgehende Gefahr sehr gering ist,
verwirklicht er seinen Willen; egal was das Gesetz oder irgendwelche
behördlichen Anordnungen sagen. Erscheint ihm das mit seiner Handlung
verbundene Risiko hingegen hoch, kommt es darauf an, wie sehr er seinen Willen
verwirklichen will, ob er es in Kauf nimmt oder nicht; ebenfalls egal, was die
Gesetze oder sonstige Anordnungen sagen oder nicht.
Extrem vereinfacht gesagt:
kommen der Wille des Bürgers und der Wille des Staates in Konflikt miteinander,
wird der Bürger in nahezu allen Fällen seinen eigenen Willen über den des
Staates stellen, solange davon keine unmittelbar ersichtliche, bedeutende
Gefahr für ihn selbst, Dritte, oder Dinge, die ihm wichtig sind, ausgeht. Das
ist auch und insbesondere bei Denkmalschutzgesetzen so, insbesondere in jenen
Bereichen davon, die praktisch nicht exekutierbar sind, d.h. wo selbst eine
allfällige abschreckende Wirkung von Strafen nicht greift, weil Täter damit
rechnen können, nicht bestraft zu werden (siehe dazu schon „Schärfere Gesetze für die
Denkmalpflege?“).
Wie Denkmalschutzgesetze (vielleicht) funktionieren können
Das bisher Gesagte hat
signifikante Konsequenzen dafür, wie Denkmalschutzgesetze – vor allem in ihren
nicht exekutierbaren Bereichen – funktionieren könnten und wie sie sicherlich
nicht funktionieren können. In der Folge soll dies am konkreten Beispiel der
Regelung von archäologischen Nachforschungen und den damit derzeit im deutschen
Sprachraum denkmalrechtlich verbundenen Aktivitäten von MetallsucherInnen
durchbesprochen werden.
Der obrigkeitsstaatliche Zugang
Bekanntermaßen werden
derzeit überall im deutschen Sprachraum derartige Handlungen denkmalrechtlichen
Genehmigungspflichten unterworfen. Auch wenn sich die genaue gesetzliche
Regelung von Land zu Land mehr oder minder stark unterscheidet (siehe dazu
zuletzt „Können, dürfen, sollen?“), gleichen sich dennoch alle einschlägigen
Regelungen darin, dass sie prinzipiell einmal archäologische Nachforschungen
generell verbieten. Je nach genauer landes- bzw. in Österreich
bundesgesetzlicher Regelung kann eine jeweils örtlich zuständige Denkmalbehörde
in Abweichung vom sonst bestehenden generellen Verbot einzelne, konkrete, von
ihr geprüfte Nachforschungen – sozusagen ausnahmsweise – doch erlauben (siehe
dazu zusammenfassend Krischok 2016, 128-129). Je nachdem, wie genau die örtlich
relevante gesetzliche Regelung gestaltet ist, kann eine solche Genehmigung
entweder (wie in Österreich) ausschließlich an graduierte ArchäologInnen oder
(wie in Deutschland) grundsätzlich jedermann erteilt werden; wobei auch in den
deutschen Ländern die Handhabungspraxis weit restriktiver sein kann, als das
der Gesetzeswortlaut vermuten lassen würde, bis hin zu einer Beschränkung, die
im Prinzip der des österreichischen Gesetzes entspricht.
Der dabei gewählte
Zugang ist klar ein Obrigkeitsstaatlicher: auf die Wünsche und Interessen der
BürgerInnen wird von den betreffenden gesetzlichen Bestimmungen praktisch
keinerlei Rücksicht genommen, sondern zuerst einmal ein Totalverbot erteilt.
Nur wo wenigstens einigermaßen bürger(beteiligungs)freundliche Denkmalbehörden
mit der Anwendung eines nicht grundsätzlich bürgerbeteiligungsfeindlichen
Gesetzes betraut sind – die es natürlich auch gibt, so z.B. in
Nordrhein-Westfalen (siehe Bergische Historiker [27.3.2018]) – gehen wenigstens diese
wenigstens insoweit auf bürgerliche Wünsche ein, als NFGs wenigstens
einigermaßen problemlos wenigstens für manche Gebiete ausgestellt werden, in
denen die Betroffenen ihre Nachforschungen anstellen wollen. In einigen Ländern
ist das hingegen nicht der Fall und die Bürgerbeteiligung an der
archäologischen Feldforschung nur zu exakt jenen Konditionen möglich, die die
örtlich zuständige Behörde für richtig hält, so z.B. in Baden-Württemberg, wo
NFGs an ‚Privatpersonen‘ prinzipiell nicht erteilt zu werden scheinen (siehe Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg [27.3.2018]).
Dieser Zugang bewirkt
– außer vielleicht in ‚liberaleren‘ Bundesländern – in Bezug auf das
gesetzliche Schutzziel der NFG-Pflichten das, was Diane Scherzler (2017, 14-15)
zuletzt als „geplante Folgenlosigkeit“ bezeichnet hat. Denn gerade das
Verhalten, das die Denkmalbehörden mittels der gesetzlichen NFG-Pflichten
primär steuern wollen – das der MetallsucherInnen – beeinflussen diese Verbote
überhaupt nicht in die Richtung, in die der Staat es beeinflussen will; und
eigentlich auch nicht das Verhalten irgendwelcher anderen Normunterworfenen:
wir ArchäologInnen würden ohnehin in der überwältigenden Mehrheit aller Fälle
fachlich ausreichend hochqualitativ arbeiten, dass dadurch kein maßgeblicher
archäologischer Sachschaden entsteht; und alle anderen BürgerInnen wollen
ohnehin keine archäologischen Nachforschungen durchführen.
Das Verhalten der
MetallsucherInnen beeinflussen derartige Verbote schon allein deshalb nicht in
die gewünschte Richtung, weil die gesetzliche Hürde, die ihr Verhalten
beeinflussen könnte, am völlig falschen Punkt aufgestellt ist: an dem Punkt, an
dem der Metallsucher den Willen entwickelt, eine Metallsuche durchzuführen.
Diesem Willen des Metallsuchers steht die Genehmigungspflicht nahezu diametral
entgegen, vor allem wenn solche Genehmigungen an ‚Private‘ ohne archäologischen
Studienabschluss überhaupt nicht erteilt werden; und vereitelt diesen Willen
des Metallsuchers somit gänzlich, wenn er das Verbot der nicht genehmigten
Suche beachtet. Gerade an diesem Zeitpunkt kann aber der Metallsucher in der
Regel noch überhaupt keine besondere Gefahr für irgendetwas erkennen: nicht für
sich selbst, denn die Gefahr erwischt zu werden ist so verschwindend gering,
dass er sie nicht weiter berücksichtigen muss; nicht für andere, auf die seine
Handlung voraussichtlich überhaupt keine Auswirkung haben kann; und auch nicht
für irgendein bedeutendes Schutzgut, weil wie oft findet und zerstört ein
Metallsucher wirklich ein auch aus seiner Sicht bedeutendes Denkmal? Betrachtet
man den Sachverhalt aus Sicht des Metallsuchers, ist klar, was normalerweise
das Ergebnis seiner Abwägung sein wird: er geht suchen, egal ob das gesetzlich
verboten ist.
Eine Steuerwirkung
entfaltet das ‚Metallsuchverbot‘ erst, wenn der Metallsucher etwas findet, was
wirklich bedeutend ist, und da entfaltet es nun die genau entgegengesetzte
Wirkung von der, die der Gesetzgeber erreichen will. Denn sobald dieser Fall
eintritt, hat der Finder ein Problem: er kann den bedeutenden Fund nun nicht
mehr melden, ohne gegenüber den zuständigen Behörden zugeben zu müssen, dass er
ohne NFG gesucht hat. Nachdem ein solches Geständnis aller Wahrscheinlichkeit
nach eine Strafe nach sich ziehen würde, entfaltet nun erst die Strafandrohung
des Gesetzes ihre abschreckende Wirkung: sie ist nun eine unmittelbare Gefahr,
wenn er das tut, was der Gesetzgeber im Fall eines Fundes eines bedeutenden
Denkmals will, nämlich es meldet. Betrachtet man auch hier den Sachverhalt aus
Sicht des betroffenen Metallsuchers, ist ebenfalls völlig klar, wie er sich
verhalten wird: er verheimlicht den Fund.
Nachdem der Staat bzw.
seine Behörden den Willen jener BürgerInnen nicht mit berücksichtigen, deren
Verhalten sie steuern wollen, erreichen sie nicht das, was sie eigentlich
erreichen wollen, sondern das genaue Gegenteil: es wird nicht weniger
Archäologie unsachgemäß dem Boden entrissen, sondern genauso viel wie wenn man
den BürgerInnen ihren Willen gelassen hätte; dafür verheimlichen die
Betroffenen ihre Funde, um der Strafe zu entgehen, die sie belehren und
abschrecken soll. Was die Untertanen lernen, ist nicht, sich folgsam zu
verhalten, sondern den Staat und seine Behörden einfach zu umgehen bzw. zu
betrügen, wo sie es können. Und im Bereich der Metallsuche ist das sehr einfach.
Der bürgergesellschaftliche Zugang
Der
bürgergesellschaftliche Zugang zum gleichen Problem wäre ein ganz anderer. Denn
unter diesem würden der Staat sich zuallererst einmal fragen: Was wollen die
BürgerInnen, deren Verhalten ich in eine bestimmte Richtung steuern will, denn eigentlich
erreichen? Dabei würde der Staat
unmittelbar zum Schluss kommen, dass die BürgerInnen, deren Handeln er
vorwiegend zu beeinflussen versucht – die MetallsucherInnen ebenso wie die
professionellen ArchäologInnen – im Boden verborgene Sachen finden wollen. Er
muss sich daher also überlegen, wie er diesen BürgerInnen ermöglichen kann,
ihren Entdeckungswillen einigermaßen frei zu verwirklichen und dabei
gleichzeitig zu erreichen, dass sich diese dabei möglichst denkmalschonend verhalten
und möglichst großen archäologischen Nutzen erzeugen.
Nachforschungen durch professionelle ArchäologInnen
Bei den
professionellen ArchäologInnen[1]
ist das grundsätzlich einmal überhaupt kein Problem: diese wollen ja in der
Regel mit wissenschaftlich anerkannten Methoden möglichst hochwertige
archäologische Untersuchungen anstellen und möglichst viele im Boden verborgene
Informationen möglichst sachgerecht dokumentieren und wohl in weiterer Folge
auch wissenschaftlich auswerten und ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen.
Das ist letztendlich auch wenigstens eines der Ziele, das der Staat erreichen
will, wenn er Denkmale für die wissenschaftliche und kulturelle Nutzung durch
seine BürgerInnen zu erhalten versucht.
Im Prinzip muss er also,
damit sich professionelle ArchäologInnen möglichst denkmalschonend und
allgemeinwohlnützlich verhalten, nur gewisse Mindeststandards definieren, die
bei archäologischen Nachforschungen einzuhalten sind; und deren Einhaltung –
soweit das erforderlich ist – auch kontrollieren. Eine stärkere Beschränkung
der Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG; Art. 17 StGG; Art. 13 Charta der Grundrechte der
Europäischen Union;
Art. 15 Abs. 3 Internationaler Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; Art. 27 Abs. 1 AEMR) professioneller ArchäologInnen – und sei es auch nur durch eine
gesetzliche NFG-Pflicht – ist nur für archäologische wissenschaftliche
Nachforschungen auf solchen Bodenflächen sowohl erforderlich als auch
verhältnismäßig, die – z.B. als Grabungsschutzgebiete – aus besonderen Gründen
(und regelhaft nach dem konstitutiven Prinzip; DGUF 2013) auch vor allen
anderen Erdarbeiten, die dort vorkommende archäologische Denkmale gefährden
könnten, gleichermaßen geschützt sind.
Metallsuchen und andere Nachforschungen durch andere BürgerInnen
Bei Metallsuchen und
anderen Nachforschungen durch andere BürgerInnen, d.h. solchen, die nicht
professionelle ArchäologInnen im soeben definierten Sinn sind, ist die
Situation etwas komplizierter.
Erkundet der Staat die
Motive (d.h. letztendlich den Willen) dieser BürgerInnen, wird er unschwer
feststellen können, dass diese – mit wenigen Ausnahmen – nicht nur für sie
subjektiv interessante oder wertvolle Objekte im Boden finden, sondern sich
ihre Funde auch – wenigstens zeitweilig – aneignen wollen; während sie
normalerweise – im Gegensatz zu professionellen ArchäologInnen – nicht oder nur
sehr wenig daran interessiert sind, ihre Funde und deren Fundumstände wissenschaftlich zu verwerten. Grob
vereinfacht gesagt wollen solche BürgerInnen Sachen finden und in ihre Gewalt
bringen, um dann mit diesen tun bzw. lassen zu können, was sie wollen.
Österreichisches Parlament (Bild: Gryffindor 2006) |
Dieser Kompromiss kann
nicht ein totales Suchverbot mit Ausnahmegenehmigungsmöglichkeit sein; und zwar
keineswegs nur (aber auch) weil das kein Kompromiss ist, der funktionieren
könnte. Viel wichtiger ist hier nämlich, dass die Mehrheit der Sachen, die
solche BürgerInnen zu entdecken versuchen und auch tatsächlich finden,
überhaupt keine (archäologischen) Denkmale sind, sondern ganz normale Sachen.
Der Staat darf aber schon allein aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit
(Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. für Österreich, wo ein solches
Grundrecht nur sehr bedingt besteht, die Erläuterungen in Berka 1999, 141-142)
seinen BürgerInnen die Suche zum Zweck der Entdeckung beliebiger, normaler
Sachen und aufgrund der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG; Art. 5 StGG; Art. 1 1.ZProtEMRK) schon gar nicht die Suche nach in ihrem Eigentum stehenden,
verlorengegangenen Sachen verbieten. Totale Suchverbote (auch solche mit
Ausnahmegenehmigungsmöglichkeit) sind also in demokratischen Verfassungsstaaten
prinzipiell verfassungsrechtlich unmöglich. Der Verfassungsstaat ist daher
wenigstens dazu gezwungen, irgendwie zwischen erlaubten (d.h. mutmaßlich nicht
denkmalschädigenden) und verbotenen (d.h. mutmaßlich denkmalschädigenden)
Nachforschungen zu unterscheiden.
Das macht es aber
doppelt sinnlos, eine Hürde am Punkt der bürgerlichen Suchwillensbildung
aufzustellen. Denn nicht nur sind BürgerInnen, die suchen wollen, schon
grundsätzlich prädisponiert, nicht exekutierbare gesetzliche Suchverbote zu
missachten; sondern der Staat zwingt sie dann auch noch dazu, weitgehend
selbstständig zu entscheiden, ob die von ihnen geplante Suche nun eine
(mutmaßlich nicht denkmalschädliche und daher) erlaubte oder eine (vermutlich
denkmalschädliche und daher) ohne Ausnahmegenehmigung verbotene Suche sein
dürfte.
Nun wissen aber gerade
jene BürgerInnen, die dem Hobby der Metallsuche nachgehen wollen – deren
Verhalten der Staat ja insbesondere beeinflussen will –, dass die
überwältigende Mehrheit der Sachen, die sie normalerweise finden, moderner
Schrott sind, der sicher nicht unter den örtlich relevanten Denkmalbegriff
fällt. Sie werden daher in der Regel, wenn sie entscheiden müssen, ob ihre
Suche eine ihrer Meinung nach mutmaßlich nicht denkmalschädliche und daher
erlaubte oder eine ohne NFG verbotene Suche ist, zur – wenigstens aus ihrer
Sicht – durchaus berechtigten Ansicht gelangen, dass sie die geplante Suche
ohne NFG durchführen dürfen; egal was die archäologische Fachwelt oder
irgendwelche Denkmalbehörden in dieser Beziehung glauben.
Und die BürgerInnen
sind auch berechtigt, das Gesetz so auslegen, wie sie es für richtig halten:
die Rechtsmeinung der Denkmalschutzbehörden ist schließlich nicht mehr und
nicht weniger wert als die des Einzelnen; und welche von zwei allfällig
voneinander abweichenden Rechtsmeinungen die richtige ist, ist im Streitfall
von den Gerichten zu klären. Natürlich mag der Einzelne in der Regel gut
beraten sein, eher der Rechtsmeinung der Behörde als seinen eigenen
vernünftigen Überlegungen zu vertrauen, weil die Behörde als zuständige
staatliche Stelle eigentlich wissen sollte (bzw. sogar wissen muss), was Recht
ist und was nicht. Dennoch gilt gerade auch in diesem Zusammenhang im
demokratischen Verfassungsstaat „Sapere
aude!“ (Kant 1784, 481): der Bürger bedarf nicht der Anleitung der Behörde,
um seinen eigenen Verstand zu gebrauchen und ist auch nicht verpflichtet, ihr
zu glauben, wenn er zu einer anderen Einschätzung der Rechtslage gelangt als
sie.
Der bürgerliche Wille als Verhaltenssteuerungsinstrument
Betrachtet man den
Willen und die tatsächlichen Lebenserfahrungen der BürgerInnen etwas genauer,
findet man auch sehr rasch und einfach heraus, worum es BürgerInnen, die im
Boden verborgene Sachen suchen wollen, eigentlich geht. Diese BürgerInnen wollen
nämlich in aller Regel – wenigstens zeitweilig – die Verfügungsgewalt über
solche Sachen gewinnen, wenigstens die tatsächliche, wenn nicht sogar (wohl
weit häufiger) die rechtliche. In anderen Worten: diese BürgerInnen wollen die
von ihnen gesuchten Sachen wenigstens in ihren Besitz bringen,
wenn nicht sogar ihrem Eigentum einverleiben.
Dass diese BürgerInnen
das wollen, ist unbestritten und auch unbestreitbar: ihr Handeln zeigt das in
aller Deutlichkeit. Dabei ist völlig gleichgültig, dass diese BürgerInnen mit
dieser Inbesitznahme bzw. Aneignung letztendlich – wenigstens teilweise – sehr
unterschiedliche Motive verfolgen: manche möchten sie (bzw. wenigstens manche
davon) gewinnbringend verkaufen, andere sie ihrer privaten Sammlung
einverleiben, wieder andere sie einem Museum überlassen, und wieder andere sie heimatkundlich
erforschen und verwerten. Für all das (und so ziemlich alle möglichen anderen
weiterführenden Zwecke, die der Einzelne mit der Entdeckung von
Fundgegenständen zu erreichen versucht) ist jedoch stets wenigstens die
zeitweilige Inbesitznahme, wenn nicht sogar die dauerhafte Aneignung, der
entdeckten Fundgegenstände erforderlich.
Auch die
Praxiserfahrung der BürgerInnen ist zu bedenken: in der Regel finden sie
modernen Metallschrott, der sowohl für sie als auch für die archäologische
Fachwelt uninteressant ist. In Besitz genommen werden hingegen in der Regel nur
jene Minderheit von Funden, die ihre EntdeckerInnen in irgendeiner Weise für interessant
oder wertvoll halten. Von diesen in Besitz genommenen Funden ist schließlich
wiederum nur eine sehr kleine Minderheit auch finanziell einigermaßen wertvoll;
d.h. so wertvoll, dass ihr Wert die gewöhnliche Grenze von € 10 für
verpflichtende Fundmeldungen gem. § 965 Abs. 2 BGB bzw. § 391 Abs. 2 ABGB übersteigt. Je wertvoller entdeckte Funde sind
– ob nun wissenschaftlich oder auch wirtschaftlich – desto höher ist aber der
Anreiz für ihre Finder, sie sich auch tatsächlich anzueignen. Schließlich
versprechen wissenschaftlich wertvolle Funde wenigstens eine gewisse
Anerkennung. Wirtschaftlich wertvolle Funde, insbesondere Funde von Schätzen im
umgangssprachlichen Sinn dieses Begriffes (Verkehrswert von mehreren hundert
Euro oder mehr), versprechen hingegen einen finanziellen Gewinn, auf den kaum
jemand – nachdem er die Sache nun schon einmal gefunden hat – völlig selbstlos
zu verzichten bereit ist.
Diese grundsätzliche
Gleichartigkeit des bürgerlichen Willens und der bürgerlichen Lebenserfahrung (und
der menschlichen Psychologie bei ‚Schatzfunden‘) bietet daher einen Ansatzpunkt
für einen funktionieren könnenden Kompromiss: diese BürgerInnen wollen ihre
Funde wenigstens in Besitz nehmen, wenn nicht sogar sich aneignen; der Staat
hingegen will im Interesse des Allgemeinwohls erreichen, dass mit jenen unter
diesen Funden, die archäologische Denkmale sind, bei ihrer Entdeckung möglichst
denkmalschonend und möglichst archäologienützlich umgegangen wird. Der logische
Kompromiss ist es in diesem Fall, diese beiden Ziele miteinander zu verknüpfen
um beide gleichzeitig erreichen zu können.
Dabei ist zu bedenken,
wie der Staat normalerweise sein Ziel, Denkmale zu schützen, zu pflegen und der
Allgemeinheit zugänglich zu machen, zu erreichen versucht; nämlich dadurch,
dass er die Verfügungsgewalt der (zumeist privaten) Eigentümer von Denkmalen
durch gesetzliche Vorschriften beschränkt und diesen eventuell auch gewisse
(aktive) Erhaltungspflichten auferlegt. Denn schon für die allgemeine
Zugänglichkeit solcher Denkmale, oder auch nur ihre Zugänglichkeit für die
wissenschaftliche Forschung, trifft der Staat – außer eventuell für seine
Denkmalbehörden selbst für die Ausübung ihrer dienstlichen Aufgaben notwendigen
Denkmalforschung – keinerlei Vorkehrungen: möchte ein Wissenschafter das auf
dem Grundstück eines Dritten gelegene, unbewegliche Bodendenkmal
wissenschaftlich untersuchen, so wichtig dieses Denkmal und seine geplanten
Forschungen wissenschaftlich auch sein mögen, bedarf er für diese
Nachforschungen jedenfalls auch der Genehmigung dieses Dritten; und darf auch
dessen Grundstück nur mit dessen ausdrücklicher Einwilligung betreten. Ein
besonderer, sachlicher, denkmalschützerischer Grund, bewegliche Kleinfunde
anders zu behandeln als unbewegliche Bodendenkmale, ist nicht erkenntlich.
Ein mutmaßlich funktionierender Kompromiss
Der logische
Kompromiss ist es also, den Erwerb der rechtlichen Verfügungsgewalt über
entdeckte bewegliche Kleinfunde an deren sachgerechte Bergung, Dokumentation
und Meldung zu knüpfen. Damit ermöglicht nämlich der Staat dem Einzelnen, der
das möchte, seinen Entdeckungs- und Aneignungswillen weitestgehend
uneingeschränkt tatsächlich zu verwirklichen, während er gleichzeitig dafür
sorgt, dass bedeutende Denkmale nicht unsachgemäß dem Boden entrissen und die
in ihnen gespeicherte archäologische Information der Wissenschaft nicht verloren
geht.
Die Verantwortung, das
auch tatsächlich richtig zu tun, überlässt er dabei – wie er es auch sollte –
weitgehend seinen mündigen und auch grundsätzlich vertrauenswürdigen
BürgerInnen. Diese haben selbst dafür Sorge zu tragen, dass sie archäologische
Funde und Befunde – wo auch immer diese vorkommen mögen – nicht durch ihr
unsachgemäßes Handeln zerstören oder auch nur mehr als notwendig gefährden.
Dass der Staat das Handeln seiner BürgerInnen – soweit es ihm notwendig
erscheint – dabei auch durchaus einer behördlichen Nachkontrolle unterziehen
kann, versteht sich von selbst.
Selbstverständlich
braucht es auch unter diesen Voraussetzungen klar vorgegebener
Mindeststandards, die solche BürgerInnen, die Sachen im Boden finden wollen
oder auch nur finden könnten, bei ihren selbstbestimmten Handlungen einzuhalten
haben; und selbstverständlich können weiterhin Bodenflächen, auf denen bereits
bekanntermaßen besonders bedeutende Denkmale vorkommen, zusätzlich besonders –
eben z.B. als Grabungsschutzgebiete – geschützt und jede Handlung auf diesen,
die die dort vorkommenden Denkmale gefährden könnte, einer besonderen
gesetzlichen Genehmigungspflicht unterworfen werden. Der Staat kann auch – wie
er das auch immer und überall sonst kann – besonders bedeutende Bodenfunde, die
von BürgerInnen bei ihren erlaubten selbstbestimmten Handlungen entdeckt
wurden, durch ein staatliches Vorkaufsrecht bzw. eine Enteignung der
FinderInnen gegen entsprechende finanzielle Entschädigung erwerben. Er kann
sogar problemlos nicht sachgerecht geborgene, dokumentierte und gemeldete
bewegliche Kleinfunde – die dann schließlich rechtswidrig entdeckt wurden – als
Früchte verbotener Taten beschlagnahmen und dem Staatsvermögen einverleiben,
ohne einer besonderen Beweisführung zu bedürfen: der illegale Erwerb dieser
Sachen durch ihre BesitzerInnen wird schließlich schon allein dadurch bewiesen,
dass sie nicht sachgerecht geborgen, dokumentiert und gemeldet wurden.
Dadurch würden
FinderInnen – die sich schließlich, wenigstens zeitweilig (und sei es auch nur,
um sie anschließend rechtmäßig einer öffentlichen Sammlung schenken zu können),
ihre Funde tatsächlich aneignen wollen – tatsächlich effektiv zu möglichst
denkmalschonendem und archäologienützlichem Verhalten animiert: schließlich könnten
sie ihren eigenen Willen vollständig verwirklichen, wenn sie sich an die vom
Gesetzgeber zur Förderung des denkmalschonenden und archäologienützlichen
Verhaltens erlassenen Regeln halten. Der Staat würde somit sein eigentliches
Ziel weit effektiver erreichen als durch bloße obrigkeitliche Verbote, indem er
den tatsächlich bestehenden bürgerlichen Willen so kanalisiert, dass er sich
möglichst allgemeinwohlnützlich, unschädlich und gleichzeitig möglichst frei
entfalten kann.
Die notwendige Kritik an der staatlichen Denkmalpflege
Leider hat ein
bedeutender Teil der deutschsprachigen archäologischen Denkmalpflege bisher nicht
verstanden, dass wir nicht mehr, wie vor etwa hundert Jahren, als die
Grundlagen unserer heutigen Denkmalschutzgesetze gelegt wurden, in
obrigkeitlich, sondern in bürgergesellschaftlich organisierten, aufgeklärten,
demokratischen Rechtsstaaten leben; und will das im Bereich der archäologischen
Denkmalpflege auch nicht akzeptieren.
Denn um unter
gegenwärtigen Realitäten funktionierende Denkmalschutzgesetze und eine ebensolche
staatliche archäologische Denkmalpflege zu schaffen, müsste man viele heilige
Kühe der staatlichen Denkmalpflege schlachten und fachliche Dogmata aufgeben;
insbesondere die Idee, dass die Denkmalpflege primär die Aufgabe der staatlichen
Behörden ist, denen alle ‚Privaten‘ untertan sind. Ebenso müsste man die
bequeme Vorstellung aufgeben, dass ihre Untertanen den staatlichen
Denkmalbehörden dienstbar zu sein haben, wenn sie die bürgerliche Hilfe
brauchen oder gerade gerne hätten, sich sonst aber jeder Handlung zu enthalten
hätten, die die Behörden in irgendeiner Weise lästig sein könnte.
Daher ist – gerade
wenn wir die verfassungsgesetzlich festgeschriebene Ordnung unserer
Gesellschaften und die Rolle der staatlichen Denkmalpflege in dieser
verteidigen und stärken wollen – Kritik, auch scharfe Kritik, an den derzeit
geltenden Denkmalschutzgesetzen und den bestehenden Missständen in den
staatlichen Denkmalpflegebehörden dringend notwendig. Denn so lange die
staatlichen Denkmalbehörden auf Basis lange schon untauglicher Gesetze eine
obrigkeitsstaatliche archäologische Denkmalpflege umzusetzen versuchen,
untergraben sie nicht nur den gesellschaftlichen Rückhalt, den die Idee der
staatlichen Rolle in Denkmalschutz und Denkmalpflege in unseren gegenwärtigen
Gesellschaften (noch) hat, sondern schaden auch der Archäologie selbst. Damit
erreichen sie aber weder ihr selbstgesetztes Ziel, die Denkmale zu schützen und
zum Wohle einer (hypothetischen) Allgemeinheit (die es real nicht gibt) zu erhalten;
noch das Ziel, das der Gesetzgeber eigentlich zu erreichen versucht, nämlich
die Denkmale zum Wohle seiner real existierenden BürgerInnen und deren
Interessen für diese möglichst nutzbar zu machen.
Wenn ich also die
derzeitigen Denkmalschutzgesetze und bestimmte Aspekte des Verhaltens und der
Praxis der staatlichen Denkmalbehörden kritisiere, dann tue ich das nicht, um
eine wie auch immer geartete „Entstaatlichung“ der Denkmalpflege zu erreichen;
oder auch nur die staatliche Denkmalpflege zu schwächen. Ganz im Gegenteil geht
es mir darum, die Denkmalschutzgesetze und die staatliche Denkmalpflege zu
stärken, vor allem dadurch, dass ich sie gegenwarts- und
bürgergesellschaftstauglich zu machen versuche. Denn soll die staatliche Denkmalpflege
längerfristig überleben, kann sie nicht ideologisch im späten 19. Jahrhundert
verbleiben, wie sehr ihr das auch gefallen würde: unsere Gesellschaft hat sich schon
lange gravierend geändert. Ändert sich die staatliche Denkmalpflege nicht mit,
wird sie früher oder später – und zwar vermutlich früher als später, man
erinnere sich nur an die Überlegungen über eine mögliche Ausgliederung (lies: Privatisierung) des BDA in Österreich als
Folge des letztjährigen, devastierenden Rechnungshofberichts (RH 2017) – ganz
abgeschafft werden.
Eine moderne
staatliche Denkmalpflege muss bürgergesellschaftlich funktionieren. Das
bedeutet nicht nur, dass eine ernstzunehmende, d.h. wenigstens auch teilweise
selbstbestimmte, Beteiligung von BürgerInnen an und in ihr möglich sein muss, und
zwar nicht nur als kostenlose Arbeitskraft für die staatlichen Denkmalbehörden,
wenn, wann, wo und wie diese es gerade möchten. Es bedeutet auch, dass die
Zivilgesellschaft ernstzunehmende Mitspracherechte in denkmalschützerischen und
denkmalpflegerischen Entscheidungen haben muss. Wie solche Rechte gestaltet
werden können, muss selbstverständlich sowohl innerfachlich als auch
gesamtgesellschaftlich diskutiert werden: Bürgerbeteiligung und
Bürgermitsprache bedeutet keineswegs „anything
goes“ (Feyerabend 1986, 21), sondern es soll und muss klare und
allgemeinverständliche Regeln geben. In diesen müssen aber die bürgerlichen
Wünsche und vor allem die Bürgerrechte – die Grund- und Menschenrechte jedes
einzelnen Bürgers – auch entsprechend berücksichtigt werden, nicht nur ein
hypothetisches Allgemeinwohl, das ausschließlich von den amtlichen ExpertInnen
bestimmt wird.
Es genügt für eine
moderne, bürgergesellschaftliche Denkmalpflege nicht mehr, darauf zu warten,
bis „das Volk erst darüber unterrichtet
ist, worum es sich handelt“, um den BürgerInnen, sowohl einzeln als auch
kollektiv, „wo Gegenwart und Vergangenheit
in Konflikt kommen“, wenigstens einen gewissen Teil der „Wahl und Verantwortung“ (Dehio 1905, 274)
zu überlassen. Mündige BürgerInnen haben ein Recht darauf, nicht bis zum Sankt
Nimmerleinstag darauf warten zu müssen, bis die wohlmeinende staatliche
Denkmalpflege sie für reif und gebildet genug hält, sich ihres Verstandes
selbstständig bedienen zu dürfen. Sie haben ein Recht darauf, sofort als
gleichberechtigte Partner in Denkmalschutz und Denkmalpflege mitreden und
-wirken zu dürfen. Es ist höchste Zeit, dass das die staatlichen
Denkmalbehörden und deren Organe auch tatsächlich akzeptieren und pflichtgemäß
umzusetzen beginnen.
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[1] Als professionelle ArchäologInnen werden hier alle jene natürlichen
Personen bezeichnet, die eine einschlägige fachliche (ob nun universitäre oder
außeruniversitäre) Ausbildung vorweisen können, in der sie den Stand der
wissenschaftlichen Nachforschungstechnik kennen und korrekt anzuwenden gelernt
haben; die auch durch stetige Fort- bzw. Weiterbildung (im Sinne eines
lebenslangen Lernens) die Weiterentwicklung dieses Standes der Technik
verfolgen und ihre Anwendung stetig diesem anpassen; sich selbst zur Einhaltung
professioneller Standards (wie z.B. des Code
of Conduct des CIfA; CIfA 2014) verpflichtet haben; und sich auch einer
professionellen Qualitätskontrolle durch ihre KollegInnen unterwerfen.
Professionalität beschreibt also in diesem Kontext eine bestimmte Qualität von
archäologischer Arbeit und berufsbezogenem Verhalten.
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