Meiner Meinung nach ist es eines der größten
und gravierendsten Probleme der archäologischen Denkmalpflege im deutschen
Sprachraum, dass sie – entgegen aller gegenteiligen Beteuerungen ihrer primären
Proponenten – keine Wissenschaft, sondern in erster Linie eine dogmatisch
vertretene Ideologie ist. In diesem Beitrag möchte ich das an einem konkreten
Beispiel aufzeigen, nämlich der Frage, worum es der archäologischen
Denkmalpflege eigentlich geht: um die unveränderte Erhaltung aller
archäologischen Denkmale, idealerweise in situ; oder um die Verwaltung der
unabwendbaren Veränderungen, um den Verlust signifikanter archäologischer
Informationen möglichst zu minimieren.
Dazu möchte ich zuerst einmal ein wenig weiter
ausholen.
Was ist Wissenschaft?
Sehr verkürzt und vereinfacht zusammengefasst ist Wissenschaft nichts anderes als der Versuch, durch die sinnliche Beobachtung der Wirklichkeit (≈ durch ‚Erfahrung‘) und vernünftige
Überlegung (≈ ‚rational‘) begründete Erkenntnisse (≈ ‚Wissen‘) darüber zu gewinnen, wie das Universum, in dem
wir leben, tatsächlich (≈ ‚wirklich‘) funktioniert; und auch
warum das so ist. Es geht der Wissenschaft also in erster Linie darum, festzustellen,
gemäß welchen ‚Gesetzmäßigkeiten‘ bzw. ‚Regeln‘ oder wenigstens aufgrund
welcher kausalen Zusammenhänge das, was ist, so ist, wie es eben nun einmal
ist. Damit verbunden kann es in zweiter Linie auch von Bedeutung sein, welche
wesentlichen, einzigartigen, charakteristischen Eigenschaften eine Sache bzw.
ein Sachverhalt aufweisen, weil das für das Erkennen der genannten
Zusammenhänge wichtig sein kann.
Das Endziel und gleichzeitig wichtigste Regulativ der Wissenschaft ist das, was man gemeinhin als ‚Wahrheit‘ bezeichnet. Neuerlich grob vereinfacht gesagt: Die ‚Wahrheit‘ als Zielvorstellung ist das objektiv inhaltlich vollkommen korrekte und vollständige Wissen darüber, wie und warum etwas (der Gegenstand der Erkenntnis) so ist, wie es (er) wirklich ist. Selbst wenn dieses Ziel bezüglich eines konkreten Sachverhaltes erreicht werden sollte, ist es aber in der Regel[1] aus erkenntnislogischen Gründen (siehe dazu detailliert Popper 1994) unmöglich, zu wissen, dass das tatsächlich wahre Wissen, das geschaffen wurde, auch wirklich objektiv wahr ist. Die ‚Wahrheit‘ als Regulativ ist hingegen bei subjektiven wissenschaftlichen Aussagen die Verpflichtung zur ‚schonungslosen Ehrlichkeit‘ im umgangssprachlichen Sinn: vorsätzliche Lügen in wissenschaftlichen Aussagen würden schließlich den Prozess der Wahrheitsfindung kompromittieren. WissenschafterInnen müssen daher, um die österreichische gerichtliche Eidesformel zu bemühen, wissenschaftlich stets das sagen, was sie subjektiv für die „die reine und volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ halten.
Das Endziel und gleichzeitig wichtigste Regulativ der Wissenschaft ist das, was man gemeinhin als ‚Wahrheit‘ bezeichnet. Neuerlich grob vereinfacht gesagt: Die ‚Wahrheit‘ als Zielvorstellung ist das objektiv inhaltlich vollkommen korrekte und vollständige Wissen darüber, wie und warum etwas (der Gegenstand der Erkenntnis) so ist, wie es (er) wirklich ist. Selbst wenn dieses Ziel bezüglich eines konkreten Sachverhaltes erreicht werden sollte, ist es aber in der Regel[1] aus erkenntnislogischen Gründen (siehe dazu detailliert Popper 1994) unmöglich, zu wissen, dass das tatsächlich wahre Wissen, das geschaffen wurde, auch wirklich objektiv wahr ist. Die ‚Wahrheit‘ als Regulativ ist hingegen bei subjektiven wissenschaftlichen Aussagen die Verpflichtung zur ‚schonungslosen Ehrlichkeit‘ im umgangssprachlichen Sinn: vorsätzliche Lügen in wissenschaftlichen Aussagen würden schließlich den Prozess der Wahrheitsfindung kompromittieren. WissenschafterInnen müssen daher, um die österreichische gerichtliche Eidesformel zu bemühen, wissenschaftlich stets das sagen, was sie subjektiv für die „die reine und volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ halten.
Als Versuch der Wahrheitserkenntnis ist die
Wissenschaft zuallererst und hauptsächlich Selbstzweck. Denn aus Sicht der
WissenschafterInnen, d.h. der Wahrheitssuchenden, bleibt sich weitgehend gleich,
ob das von ihnen gewonnene, mutmaßlich ‚wahre‘ Wissen für irgendetwas oder irgendjemanden
nützlich ist: die Wahrheit zu finden ist für jene, die nach ihr suchen, schon
genug. Diese – die ‚reine‘ – Wissenschaft
ist sozusagen eine Denksportaufgabe: ob die Lösung der wissenschaftlichen
Rätsel irgendeine praktische Anwendungsmöglichkeit hat, spielt – wenigstens
vorerst – keine Rolle, das einzige was wissenschaftlich relevant ist, ist, dass
diese Rätsel richtig gelöst werden.
Die erwünschten Nebenwirkungen der schonungslosen Wahrheitssuche
Die schonungslose wissenschaftliche Wahrheitssuche
erzeugt aber gleichzeitig – insbesondere, wenn sie tatsächlich erfolgreich,
aber oft sogar, wenn sie eigentlich nicht erfolgreich ist – eine wenigstens
gesellschaftlich, meist aber auch von den beteiligten WissenschafterInnen
selbst, gewollte Nebenwirkung. Denn erkennt die Wissenschaft tatsächlich die
objektive Wahrheit über einen bestimmten Sachverhalt, erkennt sie ja
gleichzeitig wie und warum – d.h. aufgrund welcher Regeln oder kausalen
Zusammenhänge – dieser Sachverhalt zustande kommt bzw. gekommen ist.
Das erlaubt einerseits, Vorhersagen zu machen,
was zukünftig geschehen wird, wenn unter gleichen oder sehr ähnlichen
Voraussetzungen die gleichen Regeln wirken. Das gewonnene Wissen erlaubt es
daher, vorausschauend für die vorhersehbaren Folgen des Zusammentreffens
gleichartiger Voraussetzungen und gleich wirkender Regeln zu planen. Weiß man
z.B., unter welchen Voraussetzungen ein Fluss wieviel Wasser führen wird, kann
man Dämme bauen, um vorhersehbare Überflutungen abzuwenden.
Andererseits kann es erlauben – wenn durch
gezieltes Handeln die notwendigen Voraussetzungen hergestellt werden können,
dass die erkannten Regeln wirksam werden können – verlässlich vorhersagbare
Vorteile zu gewinnen, die man ohne das Wissen über den betreffenden Sachverhalt
nicht gewinnen könnte. Weiß man z.B. unter welchen Voraussetzungen Luftströme
wieviel Auftrieb und wieviel Schub generieren, kann man Flugzeuge bauen, mit
denen man viel schneller als mit anderen Transportmitteln von einem an einen
anderen Ort gelangen kann.
Selbst daraus, dass angeblich wahres Wissen als
tatsächlich falsch erkannt wird, kann man regelhaft bedeutenden Nutzen gewinnen.
Denn man lernt dadurch zumindest, dass und warum etwas tatsächlich nicht
zutrifft. Damit kann man dann wenigstens jene Handlungen vermeiden, die
vorhersehbarerweise nicht zum gewünschten Erfolg führen werden und stattdessen
andere Handlungen setzen, die (und sei es nur, weil man noch nicht weiß, dass
sie sicherlich erfolglos sein werden) erfolgversprechender sein könnten.
Rein utilitaristisch betrachtet ist es dabei
sogar weitgehend gleichgültig, ob das wissenschaftlich erzeugte Wissen
tatsächlich objektiv wahr ist: treten die Vorhersagen, die sich aus ihm
ableiten lassen, mit ausreichend hoher Verlässlichkeit ein (selbst wenn sie in
seltenen Einzelfällen nicht eintreten), bzw. lassen sich die angestrebten
Vorteile ausreichend verlässlich gewinnen, dann genügt das schon. Es genügt
also im Bereich der angewandten Wissenschaft völlig, dass das gewonnene Wissen
– im Sinne einer ausreichenden Annäherung – ‚wahr genug‘ ist, dass es –
wenigstens normalerweise – in der Anwendungspraxis funktioniert: wehrt der Damm
99 von 100 vorhersehbaren Überschwemmungen ab, aber die hundertste nicht, weil
das Wissen, aufgrund dessen man den Damm gebaut hat, nicht ganz, sondern nur
fast ganz richtig war, hat man immer noch 99 von 100 vorhersehbaren Schäden
abgewendet, nicht alle 100 erlitten.
Wissenschaft ist also enorm nützlich dafür,
reale Probleme dadurch zu lösen, dass man die Realität empirisch beobachtet und
daraus vernünftige Schlussfolgerungen darüber zieht, wie sich diese Probleme
aller Wahrscheinlichkeit nach einigermaßen verlässlich erfolgreich lösen
lassen. Die Vorteile, die sich daraus gewinnen lassen, sind aus der Außensicht die
Wirkung der ‚angewandten‘ Wissenschaft, die sie für die Gesellschaft insgesamt
wertvoll macht; und damit ihre Finanzierung aus gemeinschaftlich
bereitgestellten Mitteln (≈ ‚Steuergeld‘) sowohl rechtfertigt
als auch – so lässt sich wenigstens argumentieren – zur Förderung des
Allgemeinwohls erforderlich macht.
Damit die Wissenschaft aber sowohl ihr
selbstgesetztes Ziel als auch ihre gesellschaftlich gewünschte Nebenwirkung
erreichen kann, muss sie – und zwar ebenfalls völlig schonungslos –
selbstkritisch sein: der Wissenschaft ist nichts heilig und darf auch nichts
heilig sein, ganz besonders nicht schon gewonnenes, scheinbar sicheres,
wissenschaftlich generiertes Wissen. Der einzig wirklich relevante Maßstab ist
dabei neuerlich die empirische Beobachtung der Wirklichkeit: sagt
wissenschaftlich gewonnenes Wissen (≈ eine ‚Theorie‘) die Wirklichkeit
nicht vollständig korrekt vorher, muss man als WissenschafterIn eingestehen,
dass diese Theorie – wie sehr man auch von ihr überzeugt gewesen sein mag –
aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens teilweise falsch ist und daher durch
eine neue, besser funktionierende Theorie (d.h. neues, wissenschaftlich
gewonnenes Wissen) ersetzt werden muss.
Selbst wenn WissenschafterInnen also glauben,
die Wahrheit über irgendeinen Sachverhalt bereits gewonnen zu haben, müssen sie
dennoch stets davon ausgehen, dass sie sich getäuscht haben und weiter und nur
noch intensiver nach der Wahrheit suchen. Wissenschaftlich gewonnenes Wissen
muss stets an der Wirklichkeit überprüft werden; auch und insbesondere, wenn
alle WissenschafterInnen derzeit übereinstimmend der Meinung sind, dass das,
was wir schon zu wissen glauben, vermutlich wahr sein dürfte: denn nicht nur
der einzelne, sondern auch alle WissenschafterInnen können sich irren. Zeigt
die empirische Beobachtung der Wirklichkeit, dass die Theorie nicht funktioniert,
die alle für richtig halten, ist die Theorie falsch; nicht die Wirklichkeit.
Wodurch unterscheidet sich Wissenschaft von Ideologie?
Es ist genau der letztgenannte Punkt, in dem
sich die Wissenschaft ganz maßgeblich von Ideologien unterscheidet.
Ideologien – ob nun religiöse, politische oder
beliebige andere – sind ebenfalls Wissenssysteme, die – im Prinzip nicht anders
als die Wissenschaft – dazu dienen, die Wirklichkeit (ob nun im Großen ‚die
Welt‘, ‚die Schöpfung‘, ‚die Gesellschaftsordnung‘ oder auch nur im Kleinen
bestimmte Sachverhalte) zu erklären und den Menschen zu ermöglichen, möglichst
erfolgreich mit ihr umzugehen. Auch Ideologien geben den Menschen, die an sie
glauben, letztendlich Handlungsanweisungen, ob nun generelle oder spezifische,
wie sie sich in bestimmten Umständen verhalten sollen, um ein bestimmtes
Endziel zu erreichen. Dieses Endziel kann ein sehr großes und weit entferntes
Ziel sein, wie das, am Tag des Jüngsten Gerichts zu jenen Gerechten zu gehören,
denen ewiges glückliches Leben im göttlichen Paradies beschert werden wird,
weil man sich an die in der Bibel enthaltenen Verhaltensregeln gehalten hat.
Oder es kann ein weit kleineres und bescheideneres, aber dafür unmittelbarer
erreichbares Ziel sein, wie das, sich in einem Rechtsstaat nicht einer
bestimmten Straftat schuldig zu machen, weil man nicht gegen das sie
definierende Gesetz verstößt und daher dann auch nicht vom weltlichen Richter bestraft
werden darf. Die jeweilige Ideologie erhebt den Anspruch, den Menschen das
Wissen zu geben, das sie brauchen, um ihre Handlungen im gegebenen Umfeld
jeweils so gestalten zu können, dass sie das von ihnen erwünschte und
angestrebte Ziel erreichen.
Nicht anders als in der Wissenschaft wird
dieses ideologische Wissen, das den Menschen dazu dienen soll, durch
entsprechendes Handeln das von ihnen angestrebte Ziel zu erreichen, in der
jeweiligen Ideologie ebenfalls als ‚wahres Wissen‘ dargestellt. Es wird auch
von Gläubigen tatsächlich als immer im oben genannten Sinn verlässlich
betrachtet: verhält man sich den ideologisch vorgegebenen Handlungsanweisungen
entsprechend, erreicht man sicherlich das angestrebte Ziel, ob es nun die
Erlösung am Tag des Jüngsten Gerichts oder auch nur die Vermeidung der
Bestrafung durch den weltlichen Richter ist; oder was auch immer sonst das
angestrebte Ziel sein mag.
Im Gegensatz zur Wissenschaft gilt aber in
Ideologien wenigstens manches, nämlich das wirklich ideologisch relevante
Wissen – also das, aus dem sich die erforderlichen Handlungsanweisungen für den
Einzelnen ergeben – als nicht kritisierbar und auch der Überprüfung anhand der
empirisch beobachtbaren Wirklichkeit nicht zugänglich: es gilt als absolut und
unveränderlich wahr. Im Mindestfall werden Abweichungen zwischen der empirisch
beobachtbaren Wirklichkeit – z.B. offensichtliche Fehlurteile durch weltliche
Richter – als ‚menschliches Versagen‘ wegerklärt, selbst wenn sie systematisch
auf- und eintreten: Kritik am Einzelfall bzw. den in diesem handelnden Personen
oder sogar an einzelnen Regeln im System ist erlaubt; das ideologische System
selbst aber letztendlich über jede Kritik erhaben.[2]
Im Extremfall gilt hingegen jede Kritik oder auch nur die unterstellte
Abweichung von der ‚reinen‘ ideologischen Lehre als Häresie, die wenigstens mit
dem Ausschluss aus der ideologischen Gemeinschaft, wenn nicht mit noch
dramatischeren Sanktionen geahndet wird.
Im Gegensatz zu WissenschafterInnen sind also
IdeologInnen im Bereich des ideologisch relevanten Wissens so überzeugt davon,
die objektive Wahrheit bereits zu kennen, dass es für sie nicht mehr notwendig
ist, nach alternativem, möglicherweise besserem Wissen als dem, das sie bereits
zu haben glauben, zu suchen; oft sogar so sehr, dass bereits die bloße Suche
nach Alternativen gänzlich tabu ist. Ideologisches Wissen braucht und darf
sogar oft nicht an der Wirklichkeit überprüft werden; weil das, dessen Wahrheit
behauptet wird, wahr sein muss: IdeologInnen können sich bezüglich ideologisch
relevanten Wissens nicht irren. Zeigt die empirische Beobachtung der
Wirklichkeit etwas anderes als das, was die (Chef-) IdeologInnen zur Wahrheit
erklärt haben, dann ist nicht etwa die Ideologie falsch; sondern die
Wirklichkeit.
Die Überprüfung des eigenen Glaubens anhand der
empirischen Beobachtung der Wirklichkeit ist also im Bereich des ideologischen
Wissens nicht erforderlich und wird zumeist sogar als gefährlich erachtet.
Schließlich kann die Überprüfung der Ideologie an der Wirklichkeit letztendlich
nur den Glauben der Gläubigen an die Wahrheit der Ideologie erschüttern, wenn
die ideologischen Handlungsanweisungen nicht verlässlich zum angestrebten
Erfolg führen. Zur Bestätigung der Wahrheit der Ideologie ist ihre Überprüfung
an der Wirklichkeit hingegen gar nicht notwendig, weil wahre Gläubige ohnehin
schon wissen, dass sie wahr ist. Sucht die Wissenschaft also die Überprüfung
des von ihr erzeugten Wissens an der Wirklichkeit, weil sie dadurch nur
gewinnen kann; scheut die Ideologie ebendiese Überprüfung, weil sie dadurch nur
verlieren kann.
In anderen Worten gesagt: während WissenschafterInnen wissen, dass sie nur
aus bestimmten Gründen glauben, dass das
von ihnen generierte wissenschaftliche
Wissen vermutlich objektiv wahr ist;
glauben IdeologInnen aus dem Grund,
dass das ideologisch notwendig ist, zu
wissen, dass ihr ideologisches Wissen sicher objektiv wahr ist. Oder noch einfacher: in der Wissenschaft kommt Wissen vor
Glauben, in der Ideologie Glauben vor Wissen.
Archäologische Denkmalpflege und Ideologie
Damit komme ich nun zu meiner Behauptung
zurück, dass die archäologische Denkmalpflege im deutschen Sprachraum keine
Wissenschaft, sondern dogmatisch vertretene Ideologie ist. Dies lässt sich
deutlich anhand der für sie ganz grundlegenden Frage zeigen, worum es bei der
archäologischen Denkmalpflege eigentlich geht, also was das Ziel
archäologisch-denkmalpflegerischen Handelns ist.
Ganz vereinfacht gesagt gibt es in diesem
Bereich derzeit international zwei miteinander konkurrierende Sichtweisen:
Die eine davon, die im deutschen Sprachraum
derzeit meiner Wahrnehmung nach dominant ist, ist die, dass es bei
archäologisch-denkmalpflegerischem Handeln um die möglichst dauerhafte,
unveränderte Erhaltung der archäologischen Denkmale geht; idealerweise in situ,
d.h. dort, wo sie sich wenigstens derzeit, wenn nicht sogar seit ihrer
Deponierung (zumeist im Boden) befinden. Das Ziel dieses Zugangs ist also, dass
alle Bodendenkmale – die unverfälschten archäologischen „Urkunden“ (Riegl 1903, 30) – genauso, wie sie derzeit sind, genau
dort, wo sie sich derzeit befinden, für immer verbleiben.
Die andere davon, die sich inzwischen z.B. im
anglophonen Raum (aber auch z.B. in der Baudenkmalpflege auch im deutschen
Sprachraum) zunehmend durchsetzt, wenn nicht bereits weitestgehend durchgesetzt
hat, ist die, dass es bei archäologisch-denkmalpflegerischem Handeln primär um
die Verwaltung der Veränderung von (archäologischen) Denkmalen geht (Drury
& McPherson 2008, 7, 22). Das Ziel ist also unter diesem Zugang, dass die
Veränderung archäologischer Denkmale idealerweise stets nur in einem
kontrollierten Rahmen unter vorab intentionell geplanten Bedingungen
stattfindet.
Diese beiden Sichtweisen bzw. Zugänge zur
archäologischen Denkmalpflege könnten also kaum unterschiedlicher sein:
betrachtet die Erste jede Art von Veränderung des derzeitigen Zustands von archäologischen
Denkmalen als inhärent schlecht und bezweckt daher ihre möglichst vollständige
Verhinderung; betrachtet die Zweite diese Veränderung wenigstens als
unvermeidbar, wenn nicht sogar – solange sie kontrolliert abläuft – letztendlich
als wünschenswert und inhärent positiv und will nur ihren unkontrollierten Ablauf
verhindern. Das führt in der Folge natürlich zu gänzlich unterschiedlichen
Handlungsanweisungen, wie mit archäologischen Denkmalen umgegangen werden soll,
d.h. zu einer ganz verschiedenen Einschätzung, was ‚denkmalgerechtes‘ Handeln
ist und was nicht.
Würde bzw. will man nun wissenschaftlich an die
Frage herangehen, welche dieser beiden Sicht- bzw. Zugangsweisen die ist, die
in der Wirklichkeit besser funktioniert, muss man beide als wissenschaftliche
Paradigmata (Kuhn 1973, 57-64) bzw. die sich aus ihnen ableitbaren Handlungsanweisungen
als wissenschaftliche Theorien betrachten, deren Erfolg sich empirisch
überprüfen lässt und auch empirisch überprüft werden muss. Wäre die
archäologische Denkmalpflege also eine Wissenschaft, müsste sich – wiederum
empirisch – beobachten lassen, dass das archäologisch-denkmalpflegerische
Handeln durch die so Handelnden regelhaft auf seinen Erfolg überprüft und die
aus dieser Überprüfung des tatsächlichen Erfolges oder Misserfolges dieses
Handelns notwendige Schlussfolgerung gezogen, d.h. erforderlichenfalls die eine
zugunsten der anderen Sichtweise aufgegeben wird. Findet diese Überprüfung des
Zugangs zur archäologischen Denkmalpflege hingegen normalerweise nicht statt
und werden selbst offensichtliche Diskrepanzen zwischen den Vorhersagen der
jeweiligen Theorie (bzw. des jeweiligen Paradigmas) und der empirisch
beobachtbaren Wirklichkeit von den entsprechend ihrer Handlungsanweisungen
Handelnden systematisch ignoriert bzw. die Existenz derartiger Diskrepanzen
sogar geleugnet, zeigt das, dass die betreffende Sichtweise von ihren Proponentinnen
dogmatisch als Ideologie vertreten wird.
Das Paradigma der unveränderten Erhaltung
Dass das Paradigma der unveränderten Erhaltung
der archäologischen Denkmale in der deutschsprachigen Denkmalpflege dominant
ist, lässt sich sehr leicht sowohl an der archäologischen als auch der
denkmalrechtlichen Fachliteratur zur Frage und den damit verbundenen,
praktischen Handlungsanweisungen zeigen. Diese sagen nämlich sehr eindeutig und
nahezu unisono, dass das von der archäologischen Denkmalpflege angestrebte Ziel
die (möglichst) unveränderte Erhaltung aller archäologischen Denkmale in ihrer
historisch gewachsenen Substanz und Erscheinung ist (z.B. Bazil et al. 2015, 42),
idealerweise in situ. Jedes archäologische Objekt, ob nun beweglich oder
unbeweglich, und insbesondere jedes archäologische Objekt, das sich noch ungestört
in seiner ursprünglichen Lage im Boden befindet (z.B. Kriesch et al. 1997, 24-6),
ob es nun bereits bekannt oder noch gänzlich unbekannt ist, sollte der
einschlägigen Fachliteratur zufolge idealerweise ebendort in ebendem Zustand
erhalten bleiben, in dem es sich derzeit befindet. Nur dort und nur in diesem
Zustand ist und bleibt es die originale Bodenurkunde, die es nicht nur aus
denkmalfachlicher Sicht zu erhalten gilt, sondern die auch im Boden am besten
geschützt ist (so sinngemäß z.B. Strobl & Sieche 2010, 264-5).
Jede – auch die bei ihrer wissenschaftlichen
Untersuchung durch invasive archäologische Methoden, insbesondere systematische
Ausgrabungen, unvermeidbare, aber jedenfalls wissenschaftlich nützliche –
Veränderung dieser Bodenurkunde ist aus dieser Sicht eigentlich überhaupt nur
dann zulässig, wenn sie in situ durch andere Gefahrenquellen als diese
wissenschaftlichen Untersuchungen mit mehr oder minder akuter Zerstörung
bedroht ist (ibid., 266). Nur in (seltenen) Ausnahmefällen, wenn überhaupt,
kann eventuell die Möglichkeit bzw. sogar Notwendigkeit des
archäologisch-wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns die Notwendigkeit der
unveränderten Belassung der Bodenurkunde in situ überwiegen (ibid., 266-7),
wobei selbst in diesem Fall bei gleichermaßen zur Beantwortung der zu klärenden
Forschungsfragen geeigneten archäologischen Denkmalen jedenfalls die
Untersuchung jener zu bevorzugen ist, die durch andere Gefahrenquellen am
stärksten gefährdet sind (siehe z.B. WSVA 2010, 3).
Manche Kommentare zu Denkmalschutzgesetzen
(z.B. Strobl & Sieche 2010, 266) wie auch Fachpublikationen aus der
archäologischen Denkmalpflege (z.B. Planck 1991, 22) gehen dabei sogar soweit,
zu argumentieren, dass auch eine vollständige Untersagung der (invasiven)
archäologischen Feldforschung zulässig wäre, weil ohnehin aus den sogenannten „Rettungsgrabungen“ mehr als genug
Primärquellen für die archäologische Forschung verfügbar würden; und vor allem
die „private“ Feldforschung – d.h.
Forschung durch nichtstaatliche Organisationen oder Einzelpersonen – regelhaft
weniger bedeutend als die unveränderte Erhaltung der archäologischen Denkmale
in situ sei (so z.B. Viebrock 2007, 239-40). Manche KollegInnen vertreten
sogar, wenigstens in informellen Konversationen, die Ansicht, dass es zum
Erreichen des Ziels der dauerhaften Erhaltung der Denkmale am besten wäre, wenn
überhaupt nicht mehr gegraben oder anders invasiv archäologisch geforscht
würde, sondern einfach alle Denkmale, die es gibt, in situ belassen würden.
Alle sonstigen, nicht auf die wissenschaftliche
Erforschung der Denkmale ausgerichteten Handlungen von Menschen, die der
Erhaltung archäologischer Denkmale in situ abträglich sein könnten, sind
hingegen idealerweise überhaupt vollständig zu unterlassen.
Bricht man das auf die zentralen
Handlungsanweisungen herunter, die sich in diesen Ansichten finden lassen, sind
das die Folgenden:
- Verhindere alles, wodurch ein archäologisches Denkmal in situ verändert werden könnte.
- Grabe jedes archäologische Denkmal nur dann und nur wissenschaftlich aus, wenn es durch andere Ursachen in situ durch unabwendbare Veränderung bedroht ist.
Man hält also auf diese Weise bezüglich der
archäologischen Denkmale in der Theorie den Ablauf der Zeit[3]
an: was heute so ist, wie es ist, wird auch morgen noch genauso sein, wie es
heute ist.
Die unveränderte Erhaltung in der Wirklichkeit
Beobachtet man hingegen empirisch die
Wirklichkeit, zeigt sich unmittelbar, dass diese Theorie nicht wahr sein kann.
Die Probleme damit, diese Theorie mit der
Wirklichkeit in Einklang zu bringen, beginnen schon damit, dass – wie die Gerichtsbarkeit
im Bereich des Denkmalschutzes schon längst erkannt hat (Bazil at al. 2015, 16)
– die Veränderung, bzw. langfristig gesehen Zerstörung, der Denkmale durch
Zeitablauf überhaupt nicht verhindert werden kann: die natürliche Entropie kann
letztendlich niemals völlig aufgehoben, der Ablauf der Zeit eben gerade nicht
völlig angehalten, sondern der Verfall der archäologischen Denkmale höchstens
bis zu einem gewissen Grad verlangsamt werden. Aber über dieses Problem kommt
man, wenigstens hypothetisch, vielleicht gerade noch dadurch hinweg, dass man
versuchen kann, durch die Verhinderung jedwedes denkmalgefährdenden Ereignisses
die archäologischen Denkmale, zu deren wissenschaftlicher Untersuchung man
derzeit nicht ausreichende Ressourcen zur Verfügung hat, wenigstens so lange ‚unverändert‘
zu erhalten, bis man die zu ihrer wissenschaftlichen Untersuchung
erforderlichen Ressourcen bekommt.
Weit gravierender ist jedoch das Problem, dass
die Annahme, dass man alle archäologischen Denkmale dadurch unverändert
erhalten kann, dass man alles verhindert, was sie in situ verändern könnte, die
Wahrheit wenigstens einer von zwei notwendigen Vorannahmen (Prämissen)
voraussetzt:
I. Man
kennt alle derzeit existierenden archäologischen Denkmale so ausreichend genau
und erkennt die sie zu jedem beliebigen Zeitpunkt möglicherweise mit
Veränderung bedrohen könnenden Gefahren ausreichend frühzeitig und ausreichend
genau, um diese Gefahren entweder präventiv abwenden (d.h. die drohende Veränderung
verhindern) oder diese archäologischen Denkmale vor Eintritt der Veränderung
vollständig wissenschaftlich ausgraben zu können.
II. Alle
noch un- oder nur unzureichend bekannten archäologischen Denkmale, die sich
derzeit noch im Boden befinden, sind in situ perfekt vor jeder Art von
Veränderung geschützt.
Sind beide dieser Prämissen nicht wahr, ist auch
die Annahme, dass man alle archäologischen Denkmale dadurch unverändert
erhalten kann, dass man alles verhindert, was sie in situ verändern könnte,
notwendigerweise unhaltbar, d.h. falsch. Denn um Gefahren von Sachen abhalten
zu können, muss man schließlich wissen, welche Gefahr welcher Sache droht: nachdem
unterschiedliche Ursachen (= Gefahren) unterschiedliche Veränderungen
unterschiedlicher Arten archäologischer Denkmale bewirken und daher
unterschiedliche Gegenmaßnahmen erfordern, kann man nur dann die zur Abwendung
der konkret drohenden Gefahr geeignete Gegenmaßnahme setzen, wenn man sowohl
die genaue Ursache einer drohenden Veränderung als auch das konkrete, von ihr
betroffene Denkmal kennt. Die oben genannten Handlungsanweisungen 1 und 2
können daher stets nur dazu geeignet sein, bekannte Gefahren von bekannten
archäologischen Denkmalen abzuwehren. Unbekannte Denkmale sind hingegen schutzlos,
weil man keine sinnvollen Gegenmaßnahmen zur Verhinderung ihrer Veränderung
durch unbekannte Gefahren setzen kann.
Damit folgt aber zwingend, dass, wenn man nicht
alle existierenden archäologischen Denkmale kennt, alle noch un- und
unzureichend bekannten archäologischen Denkmale im Boden perfekt vor jedweder
Veränderung geschützt sein müssen, damit der vom Paradigma der unveränderten
Erhaltung aller Denkmale angestrebte, perfekte Denkmalschutz erreicht werden
kann. Ist das auch nicht der Fall, gibt es nämlich eine Gruppe von un- und
unzureichend bekannten archäologischen Denkmalen, die dauernd durch unbekannte
Gefahren verändert werden, die durch die Befolgung von Handlungsanweisungen 1
und 2 nicht abgewehrt werden können. Damit würde aber nicht dafür gesorgt, dass
alle archäologischen Denkmale genau dort in genau dem Zustand erhalten bleiben,
in dem sie sich gerade befinden. Vielmehr würden nur jene archäologischen
Denkmale erhalten, die man schon kennt und deren Gefährdung man auch
tatsächlich rechtzeitig erkennen kann, um zeitgerecht adäquate Schutzmaßnahmen
setzen zu können.
Es ist daher an dieser Stelle erforderlich,
diese beiden Vorannahmen zu überprüfen, um festzustellen, ob beide oder
wenigstens eine davon wahr sein könnte.
Unbekannte archäologische Denkmale
Es bedarf eigentlich keiner besonderen
Erläuterung, dass derzeit keineswegs auch nur die Existenz aller
archäologischen Denkmale, die es (noch) im Boden gibt, auch schon tatsächlich
bekannt ist; geschweige denn, dass diese hinreichend genau bekannt wären, dass
man verlässlich bestimmen könnte, welche möglichen Gegenmaßnahmen dazu geeignet
wären, sie tatsächlich unverändert in situ zu erhalten. Vielmehr kann als
wohlbekannt vorausgesetzt werden, dass selbst in jenen Ländern, in denen bereits
seit mehr als einem Jahrhundert aktiv eine systematische archäologische
Landesaufnahme betrieben wird, wie z.B. in Großbritannien, aller
Wahrscheinlichkeit nach höchstens etwa die Hälfte aller archäologischen
Fundstellen, die es tatsächlich geben dürfte, bereits bekannt sind.
In den meisten deutschsprachigen Ländern, in
denen die archäologische Landesaufnahme noch deutlich weniger fortgeschritten
ist, ist das Verhältnis zwischen bekannten und unbekannten Fundstellen
regelhaft noch deutlich schlechter als das in besser aufgenommenen Ländern. Das
zeigt sich mit erschreckender Deutlichkeit an der jeweiligen Anzahl bekannter
Fundstellen im Verhältnis zur Landesfläche: nimmt man die jüngsten Zahlen des
österreichischen Bundesdenkmalamtes [BDA] von ca. 19.550 bekannten Fundstellen
(Picker at al. 2016, 285), sind derzeit in Österreich ca. 0,23 archäologische
Fundstellen pro Quadratkilometer Bodenfläche (Gesamtfläche: 83,879 km2)
bekannt. Zum Vergleich: in
Brandenburg sind dem dortigen Landesamt für Denkmalpflege z.B. ca. 52.000 archäologische
Fundstellen bekannt, d.h. ca. 1,76 Fundstellen pro Quadratkilometer (Auskunft des Landesamtes für
Denkmalpflege vom 19.4.2018; Landesfläche: 29.479 km2), in Niedersachsen 123.300, d.h. ca. 2,59
Fundstellen pro Quadratkilometer (Auskunft des Landesamtes für Denkmalpflege
vom 24.4.2018; Landesfläche: 47.614 km2); in Wales hingegen ca.
100.000, d.h. ca. 4,81 Fundstellen pro Quadratkilometer (http://www.cofiadurcahcymru.org.uk/arch [18.4.2018]; Landesfläche: 20,779 km2).
Dass derartige Unterschiede die reale Fundstellendichte in den jeweiligen
Ländern reflektieren, d.h. in Brandenburg tatsächlich etwa 8, in Niedersachsen
etwa 11, und in Wales etwa 21 Mal so viele Fundstellen existieren wie in
Österreich, erscheint in Anbetracht der jeweiligen Besiedlungsgeschichte dieser
verschiedenen Länder nachgerade ausgeschlossen.
Ebenso zeigen begleitende archäologische Untersuchungen von
Großbauprojekten, dass regelhaft die auf den betroffenen Bodenflächen bereits
zuvor bekannten Fundstellen nur einen kleinen Anteil der tatsächlich bei der
systematischen Untersuchung dieser Flächen angetroffenen archäologischen
Denkmale ausmachen. So hat z.B. Harald Stäuble in seinem Beitrag zu einem vom Europae Archaeologiae Consilium [EAC] –
d.h. dem transnationalen Verband der europäischen staatlichen archäologischen
DenkmalpflegerInnen – herausgegebenen Band gezeigt, „dass das Verhältnis zwischen bekannten und unbekannten Fundstellen im
Mittel etwa 1:5 beträgt – und dabei sind die mehrfach belegten, polykulturellen
Fundstellen gar nicht berücksichtigt“ (Stäuble 2012, 18-9). Dabei ist
allerdings selbst in Ländern mit über 100 Jahren systematischer archäologischer
Landesaufnahme, wie in Wales, der Anteil der bei Großbauprojekten entdeckten,
zuvor noch unbekannten archäologischen Fundstellen immer noch erschreckend hoch
(siehe dazu z.B. Cuttler et al. 2012, 2-4).
Geht man also auf Basis der oben genannten, bekannten Fundstellendichten in
den verschiedenen genannten Ländern davon aus, dass im Mittel in diesen
Regionen etwa 2,5 Fundstellen pro Quadratkilometer bekannt sind, ist auf Basis
von Stäubles (2012, 18-9) Daten damit zu rechnen, dass die durchschnittliche Dichte
tatsächlich vorhandener archäologischer Fundstellen bei etwa 12,5 Fundstellen
pro Quadratkilometer liegt. Dies würde bedeuten, dass in Wales – nach über 100
Jahren systematischer archäologischer Landesaufnahme durch die Royal Commission on the Ancient and
Historical Monuments of Wales (https://rcahmw.gov.uk/) – gerade einmal etwa 40% aller
tatsächlich vorhandenen archäologischen Fundstellen bekannt sind, was auch etwa
den Erfahrungswerten entspricht (Cuttler et al. 2012). In Niedersachsen wären
es hingegen etwa 21% der erwartungsgemäß vorhandenen archäologischen
Fundstellen, die bereits bekannt sind, in Brandenburg ungefähr 13%, und in
Österreich nicht einmal ganz 2%. Um das, wenigstens für Österreich, auch in
absoluten Zahlen auszudrücken: von geschätzt ca. 1,05 Millionen mutmaßlich
vorhandenen archäologischen Fundstellen (83.879 km2 x 12,5
Fundstellen/km2 = 1.048.487,5 Fundstellen) wären dem BDA gerade
einmal ca. 19.550 (Picker et al. 2016, 285) bekannt, geschätzte 1.028.973,5 hingegen
noch gänzlich unbekannt.
Davon, dass den staatlichen archäologischen Denkmalbehörden auch nur
annähernd alle tatsächlich existierenden archäologischen Fundstellen bekannt
wären, kann also keine Rede sein. Die empirische Erfahrung zeigt vielmehr, dass
selbst in den am besten archäologisch voruntersuchten Ländern die zuständigen
staatlichen Stellen nicht einmal die Hälfte aller mutmaßlich tatsächlich
vorhandenen archäologischen Fundstellen (geschweige denn die dazwischen
vorkommenden archäologischen Kleinstreufunde) zu kennen scheinen. In den am
schlechtesten archäologisch voraufgenommenen Ländern unter den hier
verglichenen, wie in Österreich, dürften den staatlichen Stellen hingegen nicht
einmal ein Fünfzigstel aller mutmaßlich tatsächlich vorkommenden
archäologischen Fundstellen bekannt sein. Es scheint also überall die Mehrheit
der mutmaßlich vorkommenden archäologischen Fundstellen den zuständigen
staatlichen Stellen noch gänzlich unbekannt zu sein; in manchen Ländern sogar
die überwältigende Mehrheit.
Grad des Kenntnisstandes über und Kontrolle des Erhaltungszustandes bekannter Denkmale
Ebenfalls von Relevanz sind die Fragen, wie
entwickelt der fachliche Kenntnisstand über bereits bekannte Denkmale ist und
wie detailliert und regelmäßig der Erhaltungszustand bereits bekannter Denkmale
überprüft bzw. einer denkmalpflegerischen Kontrolle unterworfen wird.
Schließlich muss man, um der unveränderten Erhaltung der archäologischen
Denkmale in situ drohende Gefahren auch effektiv abwenden zu können, nicht nur
wissen, wo sich solche Denkmale ungefähr befinden, sondern muss auch ihre
innere Zusammensetzung einigermaßen gut verstehen, damit man geeignete
Gegenmaßnahmen zur Abwehr dieser drohenden Veränderungen treffen kann. Ebenso
muss man wissen, wann jeder einzelne maßgebliche Bestandteil eines derzeit noch
in situ vorhandenen Denkmals durch externe Ursachen derart verändert zu werden
droht, dass ein aktives Eingreifen zur Rettung der in ihm gespeicherten
historischen Information durch seine fachgerechte archäologische Ausgrabung
erforderlich wird, weil nur dadurch kann man ihn vor seiner völlig unbemerkten,
unbeobachteten und damit undokumentierten Zerstörung bewahren. Wie viel man
über bereits bekannte archäologische Denkmale weiß und wie genau und regelmäßig
man ihren Erhaltungszustand kontrolliert, hat also eine unmittelbare Auswirkung
darauf, ob man die beiden zentralen Handlungsanweisungen des Paradigmas der
unveränderten Erhaltung überhaupt in der Praxis umsetzen kann.
Auch in Hinblick auf diese Fragen sieht die
Realität allerdings alles andere als erfreulich aus. Zwar kommen in der
modernen Archäologie zunehmend nicht-invasive Prospektionsmethoden wie
Magnetometrie oder Bodenradar zum Einsatz, durch die mutmaßlich im Boden
vorhandene Störungen, teilweise sogar dreidimensional, vorerkannt werden
können. Diese Voruntersuchungen können bei manchen Fundstellenkomplexen – ein
gutes Beispiel dafür ist das römische Carnuntum und sein weiteres Umfeld (siehe
z.B. http://lbi-archpro.org/cs/carnuntum/index.html [18.4.2018]) - auch zur mehr oder
minder flächendeckenden Untersuchung mehrerer Quadratkilometer an Boden geführt
haben; insbesondere, wenn ein entsprechend gut aufgestelltes wissenschaftliches
Forschungsinstitut ein entsprechend langjähriges Forschungsprojekt betreibt.
Dennoch erlauben selbst die modernsten, hochauflösenden geophysikalischen
Untersuchungsmethoden bestenfalls ein ungefähres Bild des Bodenaufbaus zu
gewinnen; inwieweit sie also genau genug sind, um wirklich beurteilen zu
können, ob und inwieweit sich die Denkmalsubstanz im Boden verändert, ist
bereits diskutierbar; vor allem wenn regelmäßig wiederholte
Überprüfungsmessungen, insbesondere mit der gleichen Messanordnung – wie das
bisher der Fall ist – nur in extrem seltenen Fällen durchgeführt werden. Und
über die Lage, geschweige denn den Erhaltungszustand, im Boden enthaltener,
beweglicher Kleinfunde verraten diese Methoden in der Regel ohnehin überhaupt
nichts.
Noch viel problematischer ist jedoch, dass
derartige flächige Untersuchungen immer noch die Ausnahme zur Regel darstellen.
Die Regel ist vielmehr, dass die meisten archäologischen Fundstellen den
staatlichen Behörden nur durch Oberflächenfunde bzw. obertägig sichtbare
Bodenmerkmale (wie die lokale Geomorphologie, Bewuchsmerkmale, etc.) bekannt
sind. Zum Beispiel sind von den ca. 19.550 dem österreichischen BDA bekannten
Fundstellen (Picker et al. 2016, 285) wohl nur ein geringer Prozentsatz – wenn
es hoch kommt um die 5% – auch nur teilweise geophysikalisch prospektiert
worden, geschweige denn vollständig. Es fehlt daher dem österreichischen BDA
vermutlich nicht nur jedwede Kenntnis über die bloße Existenz von über 98%
aller mutmaßlich in Österreich vorkommenden archäologischen Fundstellen. Es
fehlt ihm wohl auch jedwede über die bloße mutmaßliche Kenntnis ihrer Existenz
hinausgehende Kenntnis über den inneren Aufbau von über 95% der verbleibenden
weniger als 2% der mutmaßlich vorhandenen archäologischen Fundstellen, die es
kennt. Auch nur möglicherweise ansatzweise ausreichende Kenntnisse, um die
Befolgung der oben genannten Handlungsanweisung 1 überhaupt zu ermöglichen, hat
das BDA also über maximal 0,1% aller mutmaßlich derzeit in Österreich noch
vorhandenen archäologischen Fundstellen; bewegliche Kleinstreufunde dazwischen
noch gar nicht mitgerechnet.
In anderen Ländern mit besserem Kenntnisstand,
wenigstens über die Existenz von archäologischen Fundstellen, mag auch der
Erforschungsstand der bereits bekannten archäologischen Fundstellen etwas
besser sein als der im „archäologischen
Schurkenstaat“ (Tomedi 2002) Österreich. Aber wohl selbst in den
besterforschten europäischen Staaten sind wohl immer noch nur sehr geringe
Prozentsätze aller mutmaßlich vorhandenen archäologischen Fundstellen auch nur
einmal so ordentlich prospektiert worden, dass man von ausreichender Kenntnis
über den inneren Aufbau dieser Fundstellen für die Befolgung von
Handlungsanweisung 1 ausgehen könnte. Tatsächlich ist es vermutlich selbst in
Wales – dem Spitzenreiter in der Statistik der hier kurz betrachteten Länder –
so, dass insgesamt weniger als 1% der derzeit noch im Boden verborgenen
Archäologie auch nur magnetometrisch prospektiert wurde, geschweige denn
mittels Bodenradar oder anderen dreidimensionale Bodenstrukturbilder liefernden
Verfahren. Tatsächlich weiß also die staatliche Denkmalpflege kaum etwas
darüber, was sich wo an Archäologie im Boden befindet; geschweige denn, dass
sie das ausreichend genau wüsste, um geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen, um
tatsächlich der unveränderten Erhaltung der archäologischen Denkmale in situ
drohende Gefahren effektiv abwenden zu können.
Die Kontrolle des Erhaltungszustandes bereits
bekannter Fundstellen ist dann nur noch umso schlechter. Schließlich ist die
überwältigende Mehrheit aller bereits bekannten archäologischen Fundstellen
noch nicht einmal ausreichend prospektiert, um überhaupt – sozusagen als
Bezugspunkt für künftige Vergleichsuntersuchungen – auch nur Hinweise darauf zu
haben, wie der innere Aufbau dieser Fundstellen zu einem bestimmten Zeitpunkt
in der Vergangenheit beschaffen war. Regelmäßige Vergleichsuntersuchungen,
mittels derer die Geschwindigkeit des Verfalls bzw. der Erosion archäologischer
Informationen in situ auch nur annähernd bestimmt werden könnte, können daher
auch gar nicht erst durchgeführt werden, weil man keine historischen Daten hat,
mit denen man neu gewonnene Messdaten vergleichen könnte.
Nicht einmal eine regelmäßige, auch nur rein
optische, oberflächliche Überprüfung der meisten bekannten archäologischen
Fundstellen durch Fachkräfte der staatlichen Denkmalbehörden scheint überall
stattzufinden; z.B. in Österreich praktisch überhaupt nicht. Das sollte auch –
gerade in den Denkmalbehörden – niemanden überraschen: dass die 14
archäologischen FachbeamtInnen des BDA, die hauptsächlich mit administrativen
Arbeiten im Innendienst ausgelastet sind, nicht einmal die ca. 19.550
archäologischen Fundstellen (Picker et al. 2016, 285), die ihnen bekannt sind,
regelmäßig in Augenschein nehmen können, versteht sich eigentlich völlig von
selbst. Denn selbst wenn man alle diese 14 Fachkräfte ausschließlich für die
Inaugenscheinnahme dieser Denkmale im Feld einsetzen würde, würde jeder davon
immer noch ca. 1.400 bekannte Fundstellen regelmäßig in Augenschein nehmen
müssen; Fundstellen, die noch dazu über das ganze Land verstreut und teilweise
eher abgelegen liegen. Eine derart häufige Kontrolle auch nur aller bekannten
Fundstellen – um von der geschätzten Million tatsächlich vorhandener
Fundstellen erst gar nicht zu reden –, dass der Erhaltung von archäologischen
Denkmalen in situ drohende Gefahren effektiv abgewendet werden könnten, ist
also in der Praxis vollkommen unmöglich.
Handlungsanweisung 1 des Paradigmas der
unveränderten Erhaltung kann also in der Wirklichkeit gar nicht funktionieren,
und funktioniert auch tatsächlich nicht. Beispiele für die erst viel zu spät
bemerkte teilweise Veränderung oder sogar nahezu vollständige Zerstörung
bereits bekannter archäologischer Fundstellen gibt es zuhauf; ich selbst habe
das z.B. zuletzt am Beispiel der Zerstörung frühmittelalterlicher Hügelgräber durch
Baggerarbeiten im Zirkenauer Wald dargestellt (Karl 2017, 4-5). Die
Vorstellung, dass man alle Gefahren, die archäologischen Denkmalen drohen,
abwenden und damit deren Veränderung in situ auch nur einigermaßen effektiv
verhindern könnte, findet also in der Realität nicht nur keine Bestätigung,
sondern erweist sich als grundsätzlich falsch. Wenn überhaupt, lässt sich ein
verschwindend kleiner Anteil der archäologischen Denkmalen in situ drohenden
Gefahren bei einer minimalen Minderheit geschützter und regelmäßig aktiv
kontrollierter Denkmale teilweise abwenden. Mehr geht, wie der österreichische
Gesetzgeber durchaus bereits erkannt hat (RV 1999, 39), nicht.
Unveränderte Erhaltung im Boden
Damit bleibt nur die zweite Vorannahme, dass alle
noch un- und unzureichend bekannten archäologischen Denkmale, die sich derzeit noch
im Boden befinden, in situ vor jeder Art von Veränderung geschützt wären, damit
das Paradigma der unveränderten Erhaltung in situ irgendwie gerettet werden
könnte. Denn nachdem die überwältigende Mehrheit der archäologischen Denkmale
in situ durch die staatlichen Denkmalpflegebehörden nicht effektiv geschützt
werden kann, können die Handlungsanweisungen dieses Paradigmas nur dann
erfolgversprechend sein, wenn die archäologischen Denkmale wenigstens im Boden
bis zu ihrer fachgerechten Ausgrabung vor jedweder Veränderung gefeit sind.
Nun bedarf es eigentlich keiner besonderen
Erwähnung, dass es nachgerade lächerlich ist, anzunehmen, dass diese Vorannahme
tatsächlich in der Wirklichkeit zutreffen könnte. Das zeigt schon das im
letzten Absatz des vorherigen Kapitels erwähnte Beispiel der Zerstörung der
frühmittelalterlichen Hügelgräber im Zirkenauer Wald: diese Hügelgräber waren
seit spätestens 1919 dem BDA (das damals noch Staatsdenkmalamt hieß), bekannt
(Kyrle 1919). Sie wurden sogar zwischen 2000 und 2002 teilweise – mit
Genehmigung durch das BDA – wissenschaftlich untersucht (Ruprechtsberger 2003).
Dass sie sich noch unverändert im Boden befanden, hat sie aber nicht vor der
unbeobachteten Zerstörung im Jahr 2015 geschützt (Krieglsteiner 2015).
Dabei sind es nicht nur, ja nicht einmal
hauptsächlich, solche ‚vorsätzlichen‘ Zerstörungen mit dem Bagger, die
archäologische Denkmale in situ gefährden, sondern noch viel mehr die
alltäglichen, unmerklichen Gefahren, die von Land- und Forstwirtschaft und
natürlichen Einflüssen wie der Luftverschmutzung und der damit verbundenen
Versäuerung von Böden ausgehen, die sie mit Veränderung bedrohen. Das wissen
auch die staatlichen DenkmalpflegerInnen sehr gut: so warnt z.B. Bendix Trier
im Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege (Martin & Krautzberger 2010,
851-2) eindringlich davor, dass durch diese Faktoren die „Archive im Boden ernsthaft bedroht“ wären. Mehr oder minder
systematische Untersuchungen europäischer Denkmalämter zeigen sogar deutlich, dass
die mit Abstand größte kumulative Gefahr für die Erhaltung von archäologischen
Denkmalen in situ die ganz normale Land- und Forstwirtschaft ist (siehe z.B.
Trow et al. 2010; Trow & Holyoak 2014, 56).
Wo Untersuchungen über den Verlust von durch Bewuchsmerkmale bekannten Fundstellen angestellt werden, bringen diese unterschiedliche, aber teilweise dramatische Ergebnisse. So haben z.B. Untersuchungen von Dunwell und Ralston (2008) gezeigt, dass in manchen Teilen Schottlands noch unterirdische Strukturen erhalten sind, obwohl es deutliche Verluste durch Pflugtätigkeiten gibt. Jüngere, noch unveröffentlichte Untersuchungen durch Cook und Cook (unpubl.) zeigen jedoch, dass in anderen Regionen inzwischen zwischen selbst 80-100% aller auf Luftbildern aus den 1970er-Jahren noch gut anhand von Bewuchsmerkmalen erkennbaren Fundstellen bereits völlig zerstört sind. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich – in wenig überraschender Weise – bei jüngeren Untersuchungen auch auf denkmalgeschützten Fundstellen in East Yorkshire (pers. Komm. Peter Halkon, 7.3.2018).
Es kann also auch keine Rede davon sein, dass archäologische Denkmale in situ am besten erhalten bleiben würden, geschweige denn, dass sie dort notwendigerweise unverändert erhalten bleiben würden, so lange man sie nicht ausgräbt; und sie daher nur dann ausgegraben werden müssten, wenn ihre Erhaltung in situ ‚akut‘ bedroht wäre. Alle archäologischen Denkmale, die sich noch in situ befinden, sind immer akut bedroht (siehe dazu auch schon Against retention in situ); und noch schlimmer: alle archäologischen Denkmale sind dauernd Veränderungsprozessen unterworfen. Die einzige wirkliche (relevante) Frage ist daher eigentlich, wann dieser Veränderungsprozess soweit voranschreitet, dass das betroffene archäologische Denkmal dadurch so sehr verändert oder gar zerstört wird, dass dabei bedeutsame archäologische Information verlorengeht. Wann dieser Zeitpunkt unmittelbar bevorsteht bzw. erreicht wird, kann man aber nur beurteilen, wenn man das betroffene Denkmal und die ihm drohenden Gefahren bereits möglichst genau kennt, womit man zu Handlungsanweisung 1 zurückkommt, deren Wirksamkeit wir schon weiter oben ausgeschlossen haben.
Wo Untersuchungen über den Verlust von durch Bewuchsmerkmale bekannten Fundstellen angestellt werden, bringen diese unterschiedliche, aber teilweise dramatische Ergebnisse. So haben z.B. Untersuchungen von Dunwell und Ralston (2008) gezeigt, dass in manchen Teilen Schottlands noch unterirdische Strukturen erhalten sind, obwohl es deutliche Verluste durch Pflugtätigkeiten gibt. Jüngere, noch unveröffentlichte Untersuchungen durch Cook und Cook (unpubl.) zeigen jedoch, dass in anderen Regionen inzwischen zwischen selbst 80-100% aller auf Luftbildern aus den 1970er-Jahren noch gut anhand von Bewuchsmerkmalen erkennbaren Fundstellen bereits völlig zerstört sind. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich – in wenig überraschender Weise – bei jüngeren Untersuchungen auch auf denkmalgeschützten Fundstellen in East Yorkshire (pers. Komm. Peter Halkon, 7.3.2018).
Es kann also auch keine Rede davon sein, dass archäologische Denkmale in situ am besten erhalten bleiben würden, geschweige denn, dass sie dort notwendigerweise unverändert erhalten bleiben würden, so lange man sie nicht ausgräbt; und sie daher nur dann ausgegraben werden müssten, wenn ihre Erhaltung in situ ‚akut‘ bedroht wäre. Alle archäologischen Denkmale, die sich noch in situ befinden, sind immer akut bedroht (siehe dazu auch schon Against retention in situ); und noch schlimmer: alle archäologischen Denkmale sind dauernd Veränderungsprozessen unterworfen. Die einzige wirkliche (relevante) Frage ist daher eigentlich, wann dieser Veränderungsprozess soweit voranschreitet, dass das betroffene archäologische Denkmal dadurch so sehr verändert oder gar zerstört wird, dass dabei bedeutsame archäologische Information verlorengeht. Wann dieser Zeitpunkt unmittelbar bevorsteht bzw. erreicht wird, kann man aber nur beurteilen, wenn man das betroffene Denkmal und die ihm drohenden Gefahren bereits möglichst genau kennt, womit man zu Handlungsanweisung 1 zurückkommt, deren Wirksamkeit wir schon weiter oben ausgeschlossen haben.
Die Unmöglichkeit der unveränderten Erhaltung in situ
Betrachtet man also die beiden Vorannahmen, von
denen notwendigerweise wenigstens eine richtig sein muss, damit die
Handlungsanweisungen des Paradigmas der unveränderten Erhaltung in situ zum
erwünschten Erfolg – einem effektiven archäologischen Denkmalschutz – führen können,
auch nur etwas genauer, stellt sich heraus, dass sich beide in der Wirklichkeit
nicht bewähren. Der Schutz vor Veränderungen, den die Befolgung der beiden
zentralen Handlungsanweisungen dieses Paradigmas den archäologischen Denkmalen
bietet, ist zwar hypothetisch perfekt, aber praktisch so gut wie inexistent.
Die archäologischen Denkmale, insbesondere die Mehrheit davon, die noch
gänzlich unbekannt ist, aber selbst die Mehrheit jener Minderheit davon, die
den staatlichen Denkmalbehörden bereits bekannt ist, wird in der Wirklichkeit
dadurch überhaupt nicht geschützt; und selbst jene Minderheit jener Minderheit
von archäologischen Denkmalen, die den Behörden bereits bekannt sind, nur eher
schlecht als recht.
Das Paradigma der unveränderten Erhaltung als denkmalpflegerische Ideologie
Dass die Handlungsanweisungen, die sich aus dem
Paradigma der unveränderten Erhaltung in situ ergeben, tatsächlich nicht zum
erwünschten Erfolg führen, ja – bei auch nur etwas genauerer Analyse – nicht
einmal hypothetisch zu diesem führen können, ist selbstverständlich auch der
staatlichen Denkmalpflege wohlbekannt. Die staatlichen DenkmalpflegerInnen sind
nämlich durchgehend hochgebildete, intelligente Personen, die häufiger als
sonst jemand die tagtäglichen Veränderungen und Zerstörungen archäologischer
Denkmale bemerken: es ist schließlich Teil ihres Berufs, sich mit eingehenden
Schadensmeldungen zu befassen.
Ebenso wissen die staatlichen
DenkmalpflegerInnen sehr gut darüber Bescheid, dass sie nicht einmal ansatzweise
alle archäologischen Denkmale kennen, die es tatsächlich noch gibt; geschweige
denn gut genug kennen, dass sie – außer in seltenen Ausnahmefällen wie (Groß-)
Bauprojekten – auch nur einigermaßen verlässlich vorhersehen könnten, wann ein
bestimmtes, bereits bekanntes archäologisches Denkmal durch welche Ursachen
derart gefährdet wird, dass es akut ausgegraben werden müsste. Sie wissen auch,
dass sie keineswegs auch nur annähernd die Ressourcen dafür haben, auch nur
jene archäologischen Denkmale, von deren akuter Bedrohung durch Veränderung
oder Zerstörung (durch andere Ursachen als Baumaßnahmen, in deren Rahmen eine
verursacherfinanzierte Grabung angeordnet werden kann) sie tatsächlich wissen,
selbst oder durch Dritte fachgerecht archäologisch auszugraben oder ausgraben
zu lassen, ehe diese unabwendbaren Veränderungen zum Verlust archäologischer
Informationen führen.
Ebenso wissen sie sehr gut, dass die primär in
der Valletta-Konvention (Europarat 1992a) verankerte Präferenz für die
Erhaltung archäologischer Denkmale in situ niemals als absoluter Wert, sondern
nur als Mittel zum Zweck, insbesondere im Kontext von Bauplanungsvorhaben
gedacht war (Europarat 1992b, 1-7). Das geht schon aus dem erläuternden Bericht
zu dieser Konvention in aller Eindeutigkeit hervor, der spezifisch darauf
verweist, dass die Erhaltung in situ „soweit
realisierbar“ (Europarat 1992b, 6) empfohlen wird; d.h. dort wo sie auch
tatsächlich erreicht werden kann. Noch deutlicher geht es aber aus den Worten
von Willem Willems hervor, einem der Co-Autoren des Textes der
Valletta-Konvention und des zugehörigen erläuternden Berichts, der in einem
ursprünglich unter dem Titel „Preservation
in situ sucks!“ gehaltenen, kurz danach veröffentlichten Vortrag auf die
gravierenden Probleme mit dem Dogma der unveränderten Erhaltung in situ
aufmerksam gemacht hat (Willems 2012). Willems fasst sein Argument im Abstract
zu diesem Beitrag wie folgt zusammen:
„Preservation in situ has developed into a central dogma of
western archaeological heritage management. This paper examines assumptions
underlying that dogma and the way in which it works out in practice, both in
western and non-western contexts. Bureaucratization and commercialization are
seen as important drives behind its rise as a dominating concept in heritage
policy. While surely useful and important in some situations, preservation in
situ is too problematic in several ways to be acceptable as an ethical
principle with broad validity.“ (Willems 2012, 1).
Aber trotzdem man das alles in den Denkmalbehörden
sicherlich weiß, beharren diese – wenigstens in ihrer Außenkommunikation –
stets auf dem Primat des Erhaltungsprinzips in situ, so zuletzt z.B. wieder Davydov
(2017, 9), und dem damit verbundenen prohibitiven Ansatz, der sich aus den
zugehörigen, oben besprochenen Handlungsanweisungen ergibt. Wie es Adrian
Olivier, der derzeitige Secretary-General des International
Scientific Committee on Archaeological Heritage Management (ICAHM) des
International Council on Monuments
and Sites
(ICOMOS) jüngst etwas sarkastisch ausgedrückt hat: die Denkmalbehörden haben –
und das übrigens nicht nur im deutschen Sprachraum – den Ruf “the agency who says NO!” (pers. Komm.
A. Olivier, 10.4.2018) zu sein; obwohl jeder, der Augen im Kopf hat, sehen
kann, dass die Strategien, die diese Behörden verwenden, nicht den
postulierten, erwünschten Effekt erzielen, sondern zumeist das Gegenteil davon.
Dass die Denkmalbehörden trotz alledem auf
ihrer Argumentation und deren Begründung beharren, dass sich „der gesetzliche Schutzauftrag gegenüber dem
archäologischen Erbe … nicht auf die bekannten, bewerteten und als bedeutend
eingestuften Objekte … beschränkt“ (Davydov 2017, 9), d.h. sowohl bekannte
als auch unbekannte archäologische Denkmale umfassen soll, und „primär auf ihre ungestörte Erhaltung in situ gerichtet ist“ (ibid.;
Hervorhebung: Original), weil diese dort angeblich am besten geschützt wären,
zeigt, dass sie sich der (Überprüfung des Paradigmas der unveränderten
Erhaltung in situ an der) Wirklichkeit verweigern. Das wiederum macht deutlich,
dass die Denkmalbehörden nicht wissenschaftlich vorgehen, wenn es um die
bestmögliche Erhaltung bzw. den bestmöglichen Umgang mit archäologischen
Denkmalen geht, sondern einer Ideologie anhängen: die archäologischen Denkmale,
ob nun bekannt oder unbekannt, sollen „ungestört“
in situ erhalten werden, daher muss man sie in situ belassen (siehe zum
Unterschied zwischen Erhaltung und Belassung auch schon Against retention in situ); egal ob sie dort tatsächlich oder nur
hypothetisch wirklich ungestört bleiben und vor Veränderungen geschützt sind.
Der Glaube an die Notwendigkeit der ungestörten
Erhaltung in situ ist, wie es Willems (2012, 1) ausgedrückt hat, tatsächlich zu
einem zentralen Dogma geworden, das
so sakrosankt ist, für so unumstößlich wahr gehalten wird, dass, wenn die
Wirklichkeit ihm nicht entspricht, nicht mit dem Dogma, sondern mit der
Wirklichkeit etwas falsch sein muss.
Was sagt eigentlich die Valletta-Konvention dazu?
In diesem Zusammenhang ist es auch besonders
interessant, sich die Frage zu stellen, was eigentlich die Valletta-Konvention,
die stets zur Rechtfertigung dieses Dogmas herangezogen wird, zur Erhaltung in
situ sagt; und vor allem, welche Zwecke sie mittels der in ihr ausgedrückten
Präferenz für die Erhaltung in situ („soweit
realisierbar“, Europarat 1992b, 6) überhaupt zu erreichen versucht. Dafür
ist neuerlich insbesondere der erläuternde Bericht zur Konvention besonders
aufschlussreich.
Schon in der Einleitung zur Erläuterung
(Europarat 1992b) zum Europäischen
Übereinkommen zum Schutz des archäologischen Erbes (revidiert) (Europarat
1992a), wie der deutsche Titel dieser Konvention eigentlich lautet, wird
erklärt, dass es der Konvention im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, der
sogenannten Londoner Konvention (Europarat 1969), primär um die Abwendung
anderer Gefahren als die durch Ausgrabungen oder andere wissenschaftliche
Untersuchungen geht:
„While, in the 1960s, clandestine excavation was seen as the
major threat to the archaeological heritage, in the 1980s, it was large-scale
construction projects.”
(Europarat 1992b, 1).
In der Begründung, warum überhaupt eine
Revision der Londoner Konvention erforderlich erschien, wird noch deutlicher,
dass es nicht um die möglichst vollständige Verhinderung von archäologischer
Feldforschung – indem nur
sogenannte Rettungsgrabungen überhaupt als zulässig betrachtet werden – geht, sondern vielmehr darum, das
Verständnis archäologischer Feldforschungstätigkeit zu erweitern und die
archäologische Feldforschung – auch und insbesondere mit Bürgerbeteiligung – zu
fördern:
„A study of the [London] Convention … spoke of major changes in the scientific
and economic context of archaeology. In particular, there has been a major
switch from concentration on excavation to the utilisation of a wide range of
techniques – geophysical prospecting, the processing of satellite pictures,
laboratory analysis – in studying the past life of mankind. Excavation is now
but one link in the chain of scientific activities that make up archaeological research.
Furthermore, there is an increasing demand by members of the public to have access
to their past. This is a demand for an identity and is a fundamental right of
peoples.” (Europarat 1992b, 2).
Insbesondere für Letzteres, die Ermöglichung einer möglichst breiten Bürgerbeteiligung am archäologischen Kulturerbe, sieht die revidierte Konvention vor, dass kompetente Spezialisten die Bürgerbeteiligung ermöglichen sollen. Das Bedürfnis nach Teilhabe am archäologischen Erbe kann ihr zufolge
„… only
be met by specialists – archaeologists – who can interpret the data and assist
the public in gaining access to its heritage.” (Europarat 1992b, 2).
An keiner Stelle lässt sich aus der Valletta-Konvention eine Wertehierarchie ableiten, die der Vorstellung eines Primats der ungestörten Erhaltung der archäologischen Denkmale in situ, wie sie in der deutschsprachigen archäologischen Denkmalpflege noch immer propagiert wird (siehe Davydov 2017, 9), auch nur im Entferntesten entspricht. Vielmehr weisen die Erläuterungen zur Konvention, unter Berufung auf die Lausanne-Charter (ICOMOS 1990), ganz besonders auf die Bedeutung der wissenschaftlichen Erforschung des archäologischen Kulturerbes hin:
„The stated aim of the revised Convention emphasises the
scientific importance of the archaeological heritage. … the aim of the revised Convention is
consistent with the Charter for the Protection and Management of the
Archaeological Heritage produced by the International Council of Monuments and
Sites (hereinafter referred to as the "Icomos Charter"), which states
that "archaeological knowledge is based principally on the scientific
investigation of the archaeological heritage" and that excavation is a
last resort in the search for that information. This is not to say that the heritage must remain inviolate. By the use
of scientific techniques, both destructive and nondestructive, the heritage can be used to provide
information on the evolution of mankind in Europe, to serve "as a source of the European collective memory".”
(Europarat 1992b, 3; Hervorhebungen: RK).
Die der Valletta-Konvention inhärente Wertehierarchie ist also keineswegs die, dass der ungestörten Erhaltung der archäologischen Denkmale in situ das Primat zukommt und die wissenschaftliche Erforschung des archäologischen Erbes, insbesondere durch Ausgrabungen und andere destruktive Forschungsmethoden, überhaupt nur dann zulässig sein soll, wenn die betroffenen archäologischen Denkmale akut durch Baumaßnahmen oder andere externe Einflüsse durch maßgebliche Veränderung oder Zerstörung bedroht sind (in diesem Sinn etwa Strobl & Sieche 2010, 266). Vielmehr sieht sie als höchsten Wert der archäologischen Denkmalpflege und einzigen Zweck der Erhaltung der archäologischen Denkmale – ob nun in oder ex situ – deren Erforschung mit – ob nun destruktiven oder nicht destruktiven – wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden an. Der Valletta-Konvention zufolge dient die Erhaltung der Denkmale dem Schutz der Möglichkeit ihrer Erforschung, ob nun durch derzeitige oder zukünftige Generationen von ForscherInnen, nicht ihre Erforschung als minderes Substitut für ihre Erhaltung in situ, wenn letztere nicht möglich ist (was sie ohnehin, wie oben gezeigt wurde, so gut wie niemals und nirgendwo ist). Worum es der Valletta-Konvention geht ist also nicht, archäologische Feldforschungen und Ausgrabungen so sehr als möglich zu verhindern, sondern die Quellen dieser Forschungen vor anderen Gefahren, insbesondere von Baumaßnahmen ausgehenden Gefahren, zu schützen (Europarat 1992b, 3-7), bis sie wissenschaftlich erforscht sind.
Selbst ihr Artikel 3, der sich in erster Linie
mit der Frage der wissenschaftlichen archäologischen Qualitätssicherung befasst
und eine Bewilligung der Anwendung, insbesondere destruktiver, archäologischer
Feldforschungsmethoden vorsieht, bezweckt explizit nicht eine staatliche Kontrolle der
archäologischen Feldforschung, geschweige denn ein „staatliches Forschungsvorrecht“, das manche deutschen
Denkmalschutzjuristen postulieren (z.B. explizit Viebrock 2007, 238-9), sondern
eine wissenschaftliche
Qualitätskontrolle. Dieser haben sich den Erläuterungen der Konvention zufolge
auch staatliche Einrichtungen zu unterwerfen:
„The permit contains various conditions controlling the
activities envisaged. In this way it is sought to limit any damage to the
archaeological heritage strictly to that which provides scientific evidence. … Article 3, paragraph i, makes it clear that
the system installed should apply to
the State as well as to private archaeologists. State departments must also
follow the procedure.” (Europarat 1992b, 4; Hervorhebungen: RK).
Ob all der Berufung deutschsprachiger archäologischer Denkmalbehörden auf die Bestimmungen der Valletta-Konvention, insbesondere im Bereich der gesetzlichen Genehmigungspflicht von archäologischen Nachforschungen [NFG-Pflichten], erscheint ihre Interpretation dieser Konvention besonders bedenklich. Schließlich möchte diese Konvention gerade in Bezug auf gesetzliche NFG-Pflichten explizit nicht zwischen staatlichen und privaten Akteuren unterscheiden, sondern verlangt ausdrücklich die rechtliche Gleichbehandlung beider dieser Arten von archäologisch Forschenden. Es erscheint daher einigermaßen seltsam, dass gerade die Ausgrabungen und sonstigen Feldforschungen der staatlichen Denkmalbehörden von vielen deutschsprachigen Denkmalschutzgesetzen aus der für alle anderen Normunterworfenen verpflichtenden NFG-Pflicht ausgenommen werden (so z.B. § 13 Abs. 1 2. Satz DSchG-NRW, Davydov at al. 2016, 245; § 11 Abs. 2 DMSG, Bazil et al. 2015, 64) oder die Denkmalbehörden sich im Wege von – selbstverständlich von Amtsjuristen verfassten – Kommentaren ohne gesetzliche Grundlage selbst davon ausnehmen (siehe z.B. Hönes 1995, 273; Strobl & Sieche 2010, 269; siehe dazu auch schon Karl 2018a). Scheinbar gelten die Bestimmungen von Valletta entgegen der expliziten Forderung des Gegenteils in den ihr zugehörigen Erläuterungen aus unerfindlichen Gründen nicht für den Staat und insbesondere nicht für die staatlichen Denkmalbehörden.
Von einem Vorrang oder gar einem Vorrecht
staatlicher vor privater Forschung kann also – wenigstens auf Basis der
Valletta-Konvention – keine Rede sein. Vielmehr sehen wir auch hier wieder
einmal eine eigennützige, selektive Lesung einschlägiger – hier
völkerrechtlicher – Bestimmungen durch die staatliche Denkmalpflege aus
ideologischen Gründen. Im Herrenchiemsee-Entwurf des deutschen Grundgesetzes
[GG] heißt es in Art. 1 Abs. 1 noch: „Der
Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“
(Jarass & Pieroth 2016, 41). In der deutschsprachigen archäologischen
Denkmalpflege scheint hingegen das Gegenteil davon der Fall zu sein, weil es „unsinnig“ (Strobl & Sieche 2010,
269) wäre, wenn für den Staat und seine Denkmalbehörden dieselben Regeln wie
für Privatpersonen gelten und die „durch
die mit der Einbindung Privater verbundene Entlastung der Denkmalbehörde in
eine Belastung umschlägt“ (Davydov 2017, 10). Völker- und Verfassungsrecht
sind zugegebenermaßen interpretierbar, aber aus einer Forderung nach der
Gleichberechtigung staatlicher und privater Akteure ein Forschungsvorrecht
staatlicher Akteure und ein nahezu vollständiges Forschungsverbot für private
Akteure abzuleiten, dafür braucht es schon ein ungewöhnlich hohes Ausmaß an Unverschämtheit.
Die Alternative: Verwaltung von Veränderung
Tatsächlich weisen bereits die Charter von
Lausanne (ICOMOS 1990) und noch mehr die Valletta-Konvention (Europarat 1992a;
b) eigentlich den Weg in eine ganz andere Richtung; weg von einem prohibitiven
hin zu einem operativen Denkmalschutz. Gerade aus der soeben vorgenommenen,
kurzen Besprechung der Ziele, die durch die Valletta-Konvention erreicht werden
sollten, geht in aller Deutlichkeit hervor, dass es der internationalen
archäologisch-denkmalpflegerischen Fachwelt – und diese hat beide der genannten
internationalen Übereinkommen verfasst (siehe dazu für die Valletta-Konvention
ganz deutlich Europarat 1992b, 2) – nicht um eine Beschränkung genuiner
archäologischer Forschung, sondern um den Schutz archäologischer Quellen für
die wissenschaftliche Forschung geht. Diesen Forschungsquellenschutz will die
Valletta-Konvention primär durch Sicherstellung einer adäquaten
wissenschaftlichen Qualitätssicherung aller archäologischen Untersuchungen bei
ihrer Durchführung erreichen; vorerst einmal egal, weshalb und von wem diese
Untersuchungen durchgeführt werden.
Dabei erachtet die Konvention ebenso wie die
Lausanne-Charter die Durchführung derartiger Untersuchungen dann als besonders
notwendig, wenn archäologische Kontexte durch innere oder äußere Ursachen so
sehr zu verfallen drohen, dass dadurch wichtige wissenschaftliche Informationen
verlorengehen (ICOMOS 1990, 4). Als Kontexte im Sinne der Valletta-Konvention sind
dabei alle jene Spuren und Überreste vergangenen menschlichen Handelns zu
betrachten, die sich derzeit noch – aber seit ihrer Ablagerung in der Vergangenheit
bereits regelhaft mehr oder weniger stark durch natürliche Verfallsprozesse und
externe Einflüsse verändert – im Boden befinden (Europarat 1992b, 3):
„ungestörte“ archäologische Denkmale kennt die Valletta-Konvention und auch die
Lausanne-Charter (ICOMOS 1990) nicht. Ziel ist letztendlich eine
archäologisch-denkmalpflegerische Kontrolle über und Verwaltung der
gegenwärtigen und zukünftigen Veränderungsprozesse, durch die archäologische
Information, die derzeit noch in der Substanz der archäologischen Denkmale im
Boden gespeichert ist, unbeobachtet und undokumentiert verloren gehen würde,
egal aus welchem Grund.
Die in beiden internationalen Übereinkommen
genannte Präferenz für die Erhaltung archäologischer Denkmale in situ (ICOMOS
1990, Art. 5-6; Europarat 1992a, Art. 4 Abs. ii) bezieht sich daher nicht auf
alle archäologischen Denkmale, sondern nur auf solche, deren unveränderte
Erhaltung an Ort und Stelle durch aktive Pflege, d.h. geeignete
Konservierungsmaßnahmen, auch tatsächlich sichergestellt werden kann. Die
Lausanne-Charter äußert sich dazu besonders deutlich:
„Owing to the inevitable limitations of available resources, active maintenance will have to be carried
out on a selective basis. It should therefore be applied to a sample of the
diversity of sites and monuments, based upon a scientific assessment of their
significance and representative character, and not confined to the more notable
and visually attractive monuments.” (ICOMOS 1990, 4; Hervorhebung: RK).
Dies entspricht exakt der Forderung im erläuternden Bericht zur Valletta-Konvention, dass die Erhaltung archäologischer Denkmale in situ dann zu bevorzugen ist, wenn sie tatsächlich realisierbar ist (Europarat 1992b, 6). Das setzt selbstverständlich die regelmäßige Kontrolle des tatsächlichen Erhaltungszustandes der noch an Ort und Stelle vorhandenen Denkmale und ihre aktive Erhaltung durch geeignete Konservierungsmaßnahmen voraus (Europarat 1992b, 4-6).
Dafür ist aber selbstverständlich eine
sinnvolle, nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgende Auswahl jener Denkmale
erforderlich, deren langfristige Erhaltung mit den verfügbaren Ressourcen
tatsächlich erreicht werden kann: eine bloße Belassung aller archäologischen
Denkmale in situ in der verfehlten Hoffnung, dass sie dort schon irgendwie
„bestmöglich“ erhalten bleiben werden, genügt dafür nicht. Diese Notwendigkeit
sowohl der Selektivität, als auch der Wissenschaftlichkeit der durchzuführenden
Auswahl, hat auch z.B. der österreichische Gesetzgeber bereits vollständig
korrekt erkannt (RV 1999, 39).
Die Verwaltung von Veränderung in der Wirklichkeit
Dass diese Auswahl unumgänglich notwendig ist,
hat natürlich auch maßgebliche Folgen dafür, welche Handlungsanweisungen für
die archäologische Denkmalpflege, wenn sie erfolgreich sein will, essentiell
sind. Dabei ist die wichtigste Konsequenz, dass nicht etwa die Erhaltung der
archäologischen Denkmale vor ihrer Erforschung kommt, sondern die Erforschung
der archäologischen Denkmale vor ihrer Erhaltung kommen muss: wie schon oben
gezeigt wurde, kann man Denkmale, die man nicht ausreichend genau kennt,
überhaupt nicht sinnvoll erhalten, weil man weder weiß, welche davon wie stark
gefährdet sind, noch weiß, welche Gegenmaßnahmen man ergreifen muss, um den
Denkmalen tatsächlich drohenden Schaden von ihnen abzuwenden.
Das bedeutet nun natürlich keineswegs, dass man
alle archäologischen Denkmale so rasch als möglich ausgraben sollte: sowohl die
Lausanne-Charter als auch die Valletta-Konvention weisen ganz richtig darauf
hin, dass die systematische archäologische Ausgrabung eines archäologischen
Denkmals den letzten Schritt in einem längeren archäologischen (Er-)
Forschungsprozess darstellt. Vielmehr sollten archäologische Denkmale zuerst
möglichst zerstörungsfrei bzw. substanzschonend untersucht werden, d.h.
vorzugsweise mit modernen archäologischen Prospektionsmethoden (ICOMOS 1990,
Art. 4-5).
Dennoch steht die Gewinnung aussagekräftiger Informationen über die archäologischen Denkmale ganz klar im Vordergrund: solange man keine oder nur unzureichende Informationen über archäologische Denkmale hat, kann man sie nicht erhalten. Aussagekräftige Informationen über archäologische Denkmale zu gewinnen hat also absolute Priorität, denn von diesem Erkenntnisgewinn hängen alle weiteren Schritte im Prozess des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege ab. Neuerlich drückt das die Lausanne-Charter in aller wünschenswerten Deutlichkeit aus:
„The protection of the archaeological heritage must be based
on the fullest possible knowledge of its extent and nature.” (ICOMOS
1990, 3).
Daraus folgt, dass die erste und wichtigste Handlungsanweisung (Abb. 1) für einen archäologischen Denkmalschutz im Sinne der Lausanne-Charter und der Valletta-Konvention ist:
- Gewinne
möglichst jede Information über die Existenz und Natur archäologischer
Denkmale, die gewonnen werden kann, unabhängig davon, unter welchen Umständen
diese Information zutage gekommen ist; idealerweise mit möglichst
wissenschaftlich verlässlichen Methoden.
Aus dieser Handlungsanweisung folgen dann die folgenden (Abb. 1) in absteigender Priorität - Beurteile auf Basis der verfügbaren Information die mutmaßliche wissenschaftliche Signifikanz, den aktuellen Erhaltungszustand und die Gefährdungslage der in bekannten archäologischen Denkmalen gespeicherten archäologischen Information.
- Wähle auf Basis dieser Beurteilung jene davon aus, die mit den verfügbaren staatlichen und privaten Ressourcen regelmäßig kontrolliert und längerfristig durch aktive Konservierungsmaßnahmen in situ erhalten werden können und weise diese entsprechend als besonders schützenswerte Objekte aus.
- Wähle
auf Basis dieser Beurteilung und der für Rettungsmaßnahmen verfügbaren
staatlichen und privaten Ressourcen jene davon aus, die wissenschaftlich so
signifikant erscheinen und so unmittelbar gefährdet sind, dass ihre sachgerechte
wissenschaftliche archäologische Untersuchung durch Ausgrabungen (und andere
Methoden) akut notwendig ist.
Schließlich folgt aber daraus auch noch eine fünfte und letzte Handlungsanweisung (Abb. 1): - Überlasse alle archäologischen Denkmale, die mit den behördlich verfügbaren staatlichen und privaten Mitteln weder in situ erhalten noch sachgerecht archäologisch untersucht und ausgegraben werden können, der beliebigen Nutzung durch Dritte zu deren Zwecken; idealerweise zum Gewinnen weiterer Informationen darüber, wo welche davon vorkommen, um in einem iterativen Prozess zu Handlungsanweisung 2 zurückkehren zu können.
Abb.
1: Archäologischer Denkmalschutz gemäß der Handlungsanweisungen des Paradigmas der Verwaltung von Denkmalveränderungen. |
Es geht eben in einer modernen archäologischen Denkmalpflege gerade nicht darum, alles, was es geben könnte, in der Theorie zu schützen und dann in der Praxis so wenig als möglich zu tun und auch niemanden anderen als die staatlichen Denkmalbehörden irgendetwas selbst tun zu lassen; bzw., wie es Eckart Rüsch ausgedrückt hat, nicht um eine „Zukunfts-Entsorgung“ der (archäologischen) Denkmale durch die Vertagung denkmalpflegerisch notwendiger Entscheidungen „in eine unbestimmte Zukunft“ (Rüsch 2004, 4). Es geht vielmehr darum, sachverständig die jetzt jeweils denkmalpflegerisch notwendigen Entscheidungen zu treffen; und dazu braucht es zuerst einmal das Wissen, welche archäologischen Denkmale sich wo befinden und wodurch diese tatsächlich gefährdet sind (Abb. 1). Das hat selbstverständlich bedeutende Folgen für den Umgang mit archäologischen Denkmalen, insbesondere unbekannten und unzureichend erforschten; und natürlich auch dafür, welche Erhaltungsmaßnahmen unter welchen Voraussetzungen indiziert sind.
Die Entdeckung und Untersuchung unbekannter Denkmale
Archäologische Denkmale, die man noch nicht
kennt, kann man nicht dadurch schützen, dass man versucht, ihre Entdeckung und
Untersuchung möglichst zu verhindern, weil sie dadurch ja verändert oder
zerstört werden könnten. Vielmehr ist die erste und wichtigste
Erhaltungsmaßnahme für bisher unbekannte archäologische Denkmale, von ihrer
Existenz und Lage sowie von möglichst vielen weiteren Details über ihre
Beschaffenheit zu erfahren (Abb. 1). Die „Nachforschung
zum Zwecke der Entdeckung und Untersuchung“ (§ 11 Abs. 1 DMSG) derzeit noch
unbekannter archäologischer Denkmale ist also essentiell, um sie überhaupt
schützen zu können.
Selbstverständlich wäre es für den
archäologischen Denkmalschutz optimal, wenn diese Entdeckung und Erstuntersuchung
durch kompetente Personen erfolgt, die dazu möglichst zerstörungsfreie
archäologische Prospektionsmethoden verwenden: das ist der ideale Prozess, den
auch die Lausanne-Charter (ICOMOS 1990, Art. 4-5) und die Valletta-Konvention
(Europarat 1992a, Art. 3 Abs. i lit b) als ersten Schritt im archäologischen
Denkmalerhaltungsprozess empfehlen. In der Realität wird dieser Idealzustand
aber nur viel zu selten erreicht und kann mit den tatsächlich dafür verfügbaren
Ressourcen auch in der Regel gar nicht ausreichend erreicht werden. Das zeigen
Beispielländer wie Wales mit einer über 100-jährigen Tradition der
personalintensiven, systematischen archäologischen Landesaufnahme in aller
Deutlichkeit: selbst nach dieser langen Zeit sind scheinbar nur etwas über ein
Drittel aller mutmaßlich tatsächlich vorhandenen archäologischen Denkmale
bekannt. In Ländern wie Österreich, wo eine solche systematische Landesaufnahme
bisher weitgehend fehlt, weil dem BDA vom Staat dafür niemals genug Personal
und sonstige Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden, ist die Sachlage in
dieser Beziehung noch weit dramatischer. Sich in dieser Situation auf die
Position zurückzuziehen, dass nur die ideale Vorgehensweise zulässig sein darf,
bedeutet das Beste zum Feind des Besseren zu machen, ohne dadurch dem
erwünschten Erfolg – möglichst genaue Kenntnisse über die vorhandenen Denkmale
zu erlangen, um sie sinnvoll schützen zu können – auch nur einen halben Schritt
näher zu kommen. Vielmehr fördert es die unbemerkte Zerstörung der unbekannten
archäologischen Denkmäler.
Man muss also in der Praxis – wenigstens, wenn
man die unbekannten archäologischen Denkmale tatsächlich schützen will –
Abstriche von Idealzustand in Kauf nehmen. Nachdem das Wissen über die Existenz
eines Denkmals überhaupt erst seinen effektiven Schutz ermöglicht, muss man
daher auch in Kauf nehmen, dass archäologische Denkmale auch durch fachliche
Laien gefunden werden können und sogar häufig vorsätzlich gesucht werden; auch
wenn die nicht-professionelle Entdeckung und Untersuchung von archäologischen
Denkmalen eine gewisse, aber vergleichsweise mit der gänzlich unbemerkten
Zerstörung des Denkmals geringe, Veränderung des derzeitigen Zustandes des
Denkmals verursachen kann. Diese vergleichsweise geringe Veränderung des zuvor
noch unbekannten archäologischen Denkmals ist der Preis, den man dafür zahlen
muss, dass man zukünftige weitere Veränderungen des Denkmals den
Verwaltungsprozessen unterwerfen kann, die seinem Schutz vor weiteren,
unbemerkten Veränderungen dienen; wenigstens so lange man nicht unbegrenzte
Ressourcen für eine systematische, professionelle archäologische Landesaufnahme
zur Verfügung hat.
Wichtigstes Ziel der archäologischen
Denkmalpflege muss es daher sein, möglichst alle Informationen über
archäologische Denkmale zu bekommen, die irgendjemandem auf egal welchem Weg
bekannt werden; nicht nur jene Informationen, die bei systematischen, mit
modernen wissenschaftlichen Methoden durchgeführten, professionellen
archäologischen Untersuchungen gewonnen werden. Das haben auch die frühen Väter
der Denkmalpflege ebenso wie die AutorInnen der Lausanne-Charter und die
Valletta-Konvention verstanden: aus genau diesem Grund hat die
Habsburgermonarchie schon 1846 auf das bis dahin durch § 399 ABGB vorgesehene
„Staatsdrittel“ am Eigentum von (archäologischen) Schatzfunden verzichtet (Karl
et al. 2017, 100-2), und darum wird von der Valletta-Konvention (Europarat
1992a, Art. 2 Abs. iii) eine allgemeine archäologische Fundmeldepflicht
vorgesehen. Eine solche kennen sogar auch alle deutschsprachigen
Denkmalschutzgesetze; wo sie nur durch die staatlichen Denkmalschutzbehörden derzeit
durch ihre Auslegung der NFG-Pflichtbestimmungen völlig untergraben wird (siehe
dazu zuletzt Karl 2018b).
Die Verbesserung des Kenntnisstandes und Entscheidung über bekannte Denkmale
Ziel aller dieser Bestimmungen ist es, den
staatlichen Denkmalbehörden möglichst viel Kenntnis über die tatsächlich
vorhandenen archäologischen Denkmale in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich
zu verschaffen; und zwar egal aus welcher Quelle sie stammen. Die erste Aufgabe
der Denkmalbehörde – und damit die zweite Erhaltungsmaßnahme – ist es dann, auf
Basis dieser ihr verfügbaren Kenntnisse und ihres besonderen Sachverstandes zu
beurteilen, ob ihr schon genug Informationen über dieses Denkmal vorliegen, um
seine wissenschaftliche (oder sonstige) Bedeutung tatsächlich sachverständig beurteilen zu können (Abb.
1).
Reicht ihre Kenntnis zu dieser Beurteilung noch
nicht aus, hat sie – unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des
konkreten Einzelfalls – zu entscheiden (Abb. 1), ob
a) die vorliegenden Informationen noch keinen ausreichenden Anfangsverdacht begründen, dass am Fundort ein wissenschaftlich (oder sonstwie) derart bedeutendes archäologisches Denkmal vorliegen könnte, dass der Einsatz weiterer Ressourcen zur genaueren Ermittlung des Sachverhalts angebracht wäre und daher weitere Fundmeldungen bzw. Untersuchungsergebnismeldungen vom betroffenen Fundort abzuwarten sind; oder
b) die vorliegenden Informationen einen ausreichenden Anfangsverdacht begründen, um den Einsatz staatlicher (oder gegebenenfalls auch für die Behörde verfügbarer privater) Ressourcen zur genaueren Voruntersuchung der betroffenen Fundstelle erforderlich erscheinen zu lassen.
a) die vorliegenden Informationen noch keinen ausreichenden Anfangsverdacht begründen, dass am Fundort ein wissenschaftlich (oder sonstwie) derart bedeutendes archäologisches Denkmal vorliegen könnte, dass der Einsatz weiterer Ressourcen zur genaueren Ermittlung des Sachverhalts angebracht wäre und daher weitere Fundmeldungen bzw. Untersuchungsergebnismeldungen vom betroffenen Fundort abzuwarten sind; oder
b) die vorliegenden Informationen einen ausreichenden Anfangsverdacht begründen, um den Einsatz staatlicher (oder gegebenenfalls auch für die Behörde verfügbarer privater) Ressourcen zur genaueren Voruntersuchung der betroffenen Fundstelle erforderlich erscheinen zu lassen.
Ist Option a) das Ergebnis der behördlichen
Entscheidung, hat es nicht nur keinen Sinn, sondern muss es sogar als schädlich
betrachtet werden, wenn weitere Untersuchungen der betreffenden Fundstelle durch
die Behörde untersagt werden: schließlich braucht die Behörde noch weitere
Informationen, um überhaupt entscheiden zu können, ob dort tatsächlich irgendetwas
vorkommt, das den Einsatz behördlicher Ressourcen zur ausreichenden
Verbesserung des behördlichen Kenntnisstandes über dieses (mögliche) Denkmal
rechtfertigen würde (Abb. 1). Nachdem sie dazu gerade keine eigenen Ressourcen
einsetzen will, muss sie anderen (d.h. in der Regel privaten Akteuren) die
Möglichkeit lassen und diese eventuell sogar dazu anregen, deren Ressourcen
dazu zu verwenden, den Kenntnisstand über dieses (mögliche) Denkmal zu
verbessern, damit die Behörde nötigenfalls zu späterer Zeit aufgrund des dann
besseren Kenntnisstandes zum Ergebnis kommen kann, dass der Einsatz
behördlicher Forschungsressourcen zum Schutz dieses (möglichen) Denkmals
notwendig ist. Das schließt –
selbst wenn eine qualitative Betreuung nicht möglich oder erwünscht ist –
jedenfalls mit ein, keine aktiven oder mittelbaren Abschreckungsmaßnahmen zu
ergreifen, damit die potentiellen InformationsgewinnerInnen ihr Wissen dann
auch mit der Behörde teilen.
Ist hingegen Option b) das Ergebnis der
behördlichen Entscheidung, hat die Behörde von sich aus das mögliche Denkmal zu
untersuchen oder (ob nun ehrenamtlich oder entgeltlich tätige) Dritte mit einer
solchen genaueren Untersuchung zu beauftragen (Abb. 1). Ziel dieser genaueren
Untersuchung – die nun, weil unter der Hoheit der Denkmalbehörden, hoffentlich
tatsächlich entsprechend den Empfehlungen der Lausanne-Charter und
Valletta-Konvention möglichst denkmalsubstanzschonend und möglichst
professionell durchzuführen ist – ist es, den Kenntnisstand der durchführenden
bzw. beauftragenden Behörde soweit zu vergrößern, dass sie die im engeren Sinn
denkmalschutzrelevanten Entscheidungen treffen kann, nämlich ob an Ort und
Stelle
i) kein ausreichend wissenschaftlich (oder sonstwie) bedeutendes archäologisches Denkmal vorzukommen scheint, dass der Einsatz weiterer behördlicher Ressourcen erforderlich erscheinen würde;
ii) derart bedeutende, aber akut gefährdete archäologische Denkmale vorkommen, dass ihre zeitnahe teilweise oder vollständige archäologische Untersuchung inklusive ihrer Ausgrabung mit den absehbar verfügbaren behördlichen (oder auch verfügbaren privaten) Ressourcen sowohl vor ihrer Zerstörung möglich als auch aus denkmalfachlicher Sicht erforderlich ist; oder
iii) derart bedeutende archäologische Denkmale vorkommen, dass ihre (regelmäßige) Überwachung und (aktive) Erhaltung in situ mit den absehbar verfügbaren, behördlichen (oder auch verfügbaren privaten) Ressourcen wenigstens mittelfristig (d.h. z.B. für das nächste Jahrzehnt) auch tatsächlich möglich ist.
i) kein ausreichend wissenschaftlich (oder sonstwie) bedeutendes archäologisches Denkmal vorzukommen scheint, dass der Einsatz weiterer behördlicher Ressourcen erforderlich erscheinen würde;
ii) derart bedeutende, aber akut gefährdete archäologische Denkmale vorkommen, dass ihre zeitnahe teilweise oder vollständige archäologische Untersuchung inklusive ihrer Ausgrabung mit den absehbar verfügbaren behördlichen (oder auch verfügbaren privaten) Ressourcen sowohl vor ihrer Zerstörung möglich als auch aus denkmalfachlicher Sicht erforderlich ist; oder
iii) derart bedeutende archäologische Denkmale vorkommen, dass ihre (regelmäßige) Überwachung und (aktive) Erhaltung in situ mit den absehbar verfügbaren, behördlichen (oder auch verfügbaren privaten) Ressourcen wenigstens mittelfristig (d.h. z.B. für das nächste Jahrzehnt) auch tatsächlich möglich ist.
Ist Option i) das Ergebnis der denkmalfachlichen Bewertung der Untersuchungsergebnisse der genaueren Untersuchung eines bereits bekannten (mutmaßlichen) Denkmals, gilt das gleiche wie soeben zu Option a) gesagt: es ist schädlich, wenn die Behörde weitere Untersuchungen der betroffenen Bodenfläche untersagt, denn sie selbst ist nicht bereit, irgendwelche der ihr direkt oder mittelbar verfügbaren Ressourcen zum Schutz irgendwelcher dort möglicherweise dennoch vorkommenden archäologischen Denkmale zu investieren. Sie muss also alle weiteren Versuche, dort doch noch die Existenz von (bedeutenden) archäologischen Denkmalen nachzuweisen oder diese zu untersuchen (oder auch zu bergen) der privaten Initiative jener BürgerInnen überlassen, die das wollen. Diese können schließlich keinen zu vermeidenden Schaden an Denkmalen anrichten, die (nach Ansicht der Behörde) dort gar nicht vorkommen oder nicht mit den ihr verfügbaren Ressourcen erhaltungsfähig sind, wo sie ihre Nachforschungen durchführen wollen. Weil etwas, was gar nicht da ist, kann man auch dadurch nicht kaputt machen, dass man unsachgemäß danach gräbt; und was nicht wichtig genug ist, um mit der zuständigen Behörde verfügbaren, staatlichen oder privaten Ressourcen erhalten zu werden, dessen Erhaltung liegt offensichtlich nicht im öffentlichen Interesse.
Wissenschaftliche Untersuchung und Ausgrabung gefährdeter bedeutender Denkmale
Kommt die Denkmalbehörde bei ihrer
denkmalfachlichen Beurteilung der genaueren Untersuchungsergebnisse hingegen zu
Ergebnis ii), hat sie selbstverständlich die wissenschaftliche Untersuchung –
soweit erforderlich samt teilweiser oder gar vollständiger professioneller
Ausgrabung der gefährdeten archäologischen Denkmale – so nahzeitig zu
veranlassen, dass die in diesen Denkmalen gespeicherte, bedeutende
archäologische Information so vollständig als möglich dokumentiert und durch
sachgerechte Archivierung langfristig erhalten werden kann, ehe sie in situ
verloren geht.
Dies ist aber auch, wie sowohl die
Lausanne-Charter (ICOMOS 1990, Art. 6) als auch die Valletta-Konvention
(Europarat 1992b, 6-7) anerkennen, wenigstens teilweise abhängig von den
verfügbaren Ressourcen. Zentral für die Entscheidung, was wie genau wissenschaftlich
untersucht werden kann bzw. soll, ist daher das Prinzip der „wissenschaftlich überlegte[n] Auswahl“ (RV 1999, 39): natürlich
sollte idealerweise jeder archäologische Kontext so gut es derzeit möglich ist
dokumentiert und jeder entdeckte Fund dauerhaft aufgehoben werden, um sowohl
die archäologische Information als auch alle beweglichen archäologischen
Quellen für die derzeitige und zukünftige Forschung zu erhalten. In der Praxis
ist das jedoch in der Regel nicht generell möglich, weil sowohl für
Ausgrabungen (und sonstige Feldforschungen) als auch für die Langzeiterhaltung
der angefertigten Dokumentationen und entdeckten Fundmaterialien und ihre wissenschaftliche
Auswertung nur beschränkte Ressourcen zur Verfügung stehen.
Auch hier gilt daher: was die staatliche
Denkmalpflege nicht selbst sachgerecht ausgraben oder durch professionelle
Dritte sachgerecht ausgraben lassen kann, weil die Ressourcen dafür fehlen, ist
von ihr nicht einfach zur Zerstörung freizugeben, sondern zuerst einmal
interessierten, nicht-professionellen Dritten zu überlassen. Die Niederlande
tun dies schon: wird ein archäologisches Denkmal, z.B. vor geplanten
Bauarbeiten, von der Denkmalbehörde zur Zerstörung freigegeben, ohne dass eine
professionelle archäologische Untersuchung angeordnet wird, ist auch die
zwischenzeitliche, unprofessionelle Untersuchung dieses Denkmals durch
interessierte BürgerInnen nicht mehr untersagt. Schließlich hat die
Denkmalbehörde die Zerstörung des betroffenen Denkmals bereits erlaubt, ihr
Schutz vor unsachgemäß durchgeführten Ausgrabungen kann also nicht mehr
erforderlich sein. Dies ist auch ganz im Geist der Charter von Lausanne, die
bereits die aktive Bürgerbeteiligung an der Denkmalpflege fordert (ICOMOS 1990,
Art. 2, 6); und wo wäre solche Bürgerbeteiligung besser als zur Rettung
wenigstens mancher Teile von Denkmalen, die anderenfalls sicher gänzlich
zerstört würden?
Aktive Überwachung und Erhaltung von Denkmalen in situ
Kommt die zuständige Denkmalbehörde bei ihrer
denkmalfachlichen Beurteilung der genaueren Untersuchungsergebnisse hingegen zu
Ergebnis iii), hat sie für eine tatsächliche Erhaltung dieser Denkmale in situ
Sorge zu tragen; was – wie auch schon die Lausanne-Charter (ICOMOS 1990, Art.
6) explizit feststellt – aktive Erhaltungsmaßnahmen erforderlich macht, die
auch (wenigstens auf absehbare Zeit) finanzierbar sein müssen. Ideal wäre dafür,
diese Denkmale vollständig aus der modernen Bodennutzung auszunehmen, um wenigstens
die bei der modernen Landnutzung unvermeidbaren Veränderungen der
archäologischen Denkmale in situ im Boden auszuschließen.
Nachdem aber eine derartige aktive
Konservierung von unbeweglichen archäologischen Denkmalen gewaltigen
Ressourcenaufwand verursacht, muss man wohl auch hier in der Praxis gewisse
Abstriche von der nahperfekten Erhaltung in situ machen. Dennoch reicht eine
bloße Belassung dieser Denkmale in situ sicherlich nicht aus: im Mindestfall
ist ihre regelmäßige Überwachung und das Setzen tatsächlich geeigneter
Gegenmaßnahmen erforderlich, wenn Gefahrenquellen oder auch nur natürliche
Veränderungen der Denkmalsubstanz erkannt werden, um aus einer bloßen Belassung
in situ auch eine tatsächliche Erhaltung der Denkmale in situ zu machen. Dass
dabei als Überwachung die bloße oberflächliche Inaugenscheinnahme des in situ
zu erhaltenen Denkmals nicht genügt, sondern regelmäßig wiederholte
zerstörungsfreie bzw. substanzschonende (z.B. Bodenbeprobung zur Feststellung
möglicher Veränderungen der Erhaltungsbedingungen im Boden) Untersuchungen
erforderlich sind, versteht sich von selbst. Denn nur, wenn man die
denkmalerhaltungsrelevanten Bodeneigenschaften kennt und auf allfällige
Veränderungen dieser Eigenschaften aktiv reagiert, erhält man das betroffene
archäologische Denkmal langfristig in situ und verhindert tatsächlich seine
Veränderung, statt sie bloß in völliger Unkenntnis der Sachlage tatenlos zuzulassen.
Eine ernstzunehmende Erhaltung von
archäologischen Denkmalen in situ ist daher zwar durchaus wünschenswert, aber
ob des damit gewöhnlich verbundenen, doch einigermaßen bedeutenden
Ressourcenaufwands nur sehr selektiv möglich. Daher fordert auch die
Lausanne-Charter (ICOMOS 1990, Art. 6), dass diese Auswahl der Vielfalt der
archäologischen Denkmale aufgrund der wissenschaftlichen Bewertung entsprechend
ihrer Signifikanz getroffen werden und sich nicht auf die bemerkenswerteren und
visuell attraktiveren archäologischen Denkmale beschränken sollte.
Das Paradigma der Verwaltung der Veränderung als Denkmalpflegewissenschaft
Im Gegensatz zum ideologischen Paradigma der
unveränderten Erhaltung in situ erweist sich also das Paradigma der Verwaltung
der Denkmalveränderung als wissenschaftliche Zugang zur archäologischen
Denkmalpflege: es wird dadurch nicht ein ideologisches Ideal der Wirklichkeit übergestülpt,
während die Effekte des ideologischen Handelns in dieser Wirklichkeit
geflissentlich ignoriert oder wegzuerklären versucht werden. Vielmehr steht die
Gewinnung empirischer Daten über die Wirklichkeit – wie unter anderem von der
Charter von Lausanne (ICOMOS 1990) und der Valletta-Konvention (Europarat
1992a; b) gefordert – nicht nur im Vordergrund, sondern bildet die Grundlage
aller tatsächlich sachverständigen denkmalpflegerischen Entscheidungen;
insbesondere der vernünftigen Entscheidung darüber, welche konkreten
Erhaltungsmaßnahmen zur Abwehr oder Verminderung konkreter Gefahren von
tatsächlich bedrohten archäologischen Denkmalen geeignet, erforderlich und mit
den tatsächlich verfügbaren Ressourcen erfolgreich umsetzbar sind.
Es versteht sich von selbst, dass es das
Paradigma der Verwaltung der Denkmalveränderung nicht ermöglicht, alle
archäologischen Denkmale vor jedweder Veränderung zu schützen: es geht
schließlich unter diesem Zugang überhaupt nicht darum, möglichst jede
Veränderung jedes bekannten und unbekannten Denkmals zu verhindern – ein Ziel,
dass natürlich auch nicht erreicht werden kann, wenn man den
Handlungsanweisungen des Dogmas der unveränderten Erhaltung in situ folgt. Vielmehr
geht es darum, möglichst viel, möglichst verlässliches Wissen darüber zu
gewinnen, wie sich archäologische Denkmale verändern; im Rahmen der verfügbaren
Ressourcen möglichst viele der archäologischen Informationen, die ansonsten
unbemerkt verloren gehen würden, durch möglichst sachgerechte Dokumentation
auszulesen und zu erhalten; und wissenschaftlich überlegt jene archäologischen
Denkmale auszuwählen, die mit den verfügbaren Ressourcen durch das aktive
Setzen geeigneter Gefahrenabwehrmaßnahmen tatsächlich wenigstens mittelfristig,
wenn nicht sogar langfristig, in ihrer Substanz essentiell unverändert erhalten
werden können.
Folgt man den Handlungsanweisungen, die sich
aus dem Paradigma der Verwaltung der Denkmalveränderung ergeben, wie es auch
die Lausanne-Charter (ICOMOS 1990) und Valletta-Konvention (Europarat 1992a; b)
anraten, kann man das selbstgesetzte Ziel, möglichst viele signifikante
Informationen über das archäologische Kulturerbe zu erhalten, um dieses „zum
Nutzen derzeitiger und zukünftiger Generationen untersuchen und
interpretieren zu können“ (ICOMOS 1990, 1; Übersetzung und Hervorhebung:
RK), auch tatsächlich in der Wirklichkeit einigermaßen effektiv erreichen. Mehr
noch: man kann nicht nur, sondern muss dauernd den tatsächlichen Erfolg des
denkmalpflegerischen Handelns an der empirischen Wirklichkeit überprüfen und,
wenn sich herausstellt, dass die getroffenen Entscheidungen und gesetzten
Handlungen nicht oder nicht ausreichend effektiv zum gewünschten Erfolg führen,
diese Entscheidungen revidieren und sein Handeln ändern. Dies gilt selbstverständlich
auch für das Paradigma selbst: wie es auch die Lausanne-Charter explizit
fordert, sollten alle „Strategien
für den Schutz archäologischer Denkmale kontinuierlicher revidiert werden, um
auf aktuellem Stand zu bleiben“ (ICOMOS 1990, Art. 2; Übersetzung und
Hervorhebung: RK); und das gewählte Paradigma ist nicht mehr und nicht weniger
als die strategische Grundlage der denkmalpflegerischen Praxis, die ebenfalls
stets durch stetige Revision am neuesten Stand zu halten ist.
Denkmalbehörden, die den Handlungsanweisungen
des Paradigmas der Verwaltung der Denkmalveränderung folgen wären daher dann
auch nicht Behörden, „die nein sagen“
(pers. Komm. A. Olivier, 10.4.2018; Übersetzung: RK), sondern Behörden, die
herauszufinden versuchen, was sinnvoll ist, damit möglichst alle Teilhaber am
kulturellen Erbe ihre Ziele möglichst effektiv erreichen können. Sie werden
also zu den Behörden, die sagen, wie die Allgemeinheit den größtmöglichen
Nutzen aus den archäologischen Denkmalen ziehen kann; d.h. zu jener
Dienstleistungseinrichtung, zu der in Österreich der aktuelle Kulturminister
Gernot Blümel das Bundesdenkmalamt machen möchte (APA 2018).
Schlussfolgerungen
In der archäologischen Denkmalpflege gibt es
schon seit langem einen paradigmatischen Streit zwischen zwei grundsätzlich
unterschiedlichen Denkschulen, von denen im deutschen Sprachraum bislang das
Paradigma der unveränderten Erhaltung der archäologischen Denkmale in situ
dominant ist.
Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, handelt es
sich bei diesem Paradigma um eine denkmalpflegerische Ideologie, die, von ihren
Proponenten dogmatisch vertreten, die hauptsächliche Aufgabe der
archäologischen Denkmalpflege darin sieht, die archäologischen Denkmale
möglichst unverändert für eine „unbestimmte
Zukunft“ (Rüsch 2004, 4) zu erhalten und sie dazu weder zu bewerten, noch
irgendwelche Entscheidungen über ihre bestmögliche Nutzung zu treffen, noch
überhaupt anzurühren; gänzlich ohne die Konsequenzen des derartigen denkmalpflegerischen
Handelns in der Wirklichkeit zu überprüfen. Es wird ein hypothetischer
Idealzustand – dass die archäologischen Denkmale, dort wo sie sich derzeit im
Boden befinden, notwendigerweise ‚am besten‘ erhalten bleiben – zur unbestreitbaren
Glaubenswahrheit erklärt und die Verhinderung jeder Handlung, die Denkmale
gefährden könnte, zum Grundprinzip denkmalpflegerischer (Un-) Tätigkeit
erhoben, obgleich das nachweislich in der Wirklichkeit nicht zum postulierten
Erfolg führt.
Eckart Rüsch hat bereits 2004 diese Ideologie
sehr zutreffend beschrieben:
„Man kann
sich des schwierigen Umgangs mit den Denkmalen auch dadurch entledigen, dass
man verantwortliche Entscheidungen in eine unbestimmte Zukunft vertagt. Das geschieht,
wenn die Einsicht aus dem Auge verloren wird, dass Denkmalpflege von Anfang bis
Ende mit interessierter Wertung, Umwertung und Verwertung zu tun hat. Immer
dann, wenn Denkmalpfleger so tun, als gäbe es diese Wertungen nicht, dann
vertagen sie ihre Antworten, oder eigentlich genauer: ihre Ver-Antwortung. Immer
in der (übrigens höchst spekulativen) Hoffnung, dass die künftigen Generationen
erfreut und dankbar sein würden, dass wir ihnen diese Art von Denkmalen
vorgehalten haben. Wem der Mut zu abschließenden Denkmal-Bewertungen und zu
Eingriffsentscheidungen fehlt, der zieht sich auf die einfachste Position
zurück, nämlich Bewertungsfragen offen zu lassen, nicht einzugreifen und am
liebsten gar nichts anzurühren. Mit einer solchen Haltung ist, so glaubt mancher
Denkmalpfleger blauäugig, wenigstens nichts falsch zu machen. Auch brauche man
so als Denkmalpfleger keine Kollegen-Schelte zu fürchten, warum man denn diese
oder jene Denkmalbedeutung drangegeben habe. Untätigkeit als ethischer Auftrag
des Denkmalpflegers? Sie sehen: In der Zukunfts-Entsorgung von Denkmalen ähneln
sich Konservierung und Entscheidungsschwäche zum Verwechseln...“ (Rüsch 2004, 4).
Im Gegensatz zur Ideologie der unveränderten Erhaltung in situ, die jede Überprüfung ihrer Prämissen und ihres (Miss-) Erfolgs in der Praxis anhand der Wirklichkeit wenigstens scheut, wenn nicht sogar aktiv verweigert, sucht das mit dieser Ideologie konkurrierende, wissenschaftliche Paradigma der Verwaltung der Denkmalveränderung diese Überprüfung an der Wirklichkeit aktiv und macht es zum Kern seiner Vorgehensweise. Ganz im Sinne der Lausanne-Charter (ICOMOS 1990) und der Valletta-Konvention (Europarat 1992a; b) stellt dieses Paradigma die Erhebung empirischer Daten über die archäologischen Denkmale – vorzugsweise mit zerstörungsfreien oder wenigstens möglichst denkmalsubstanzschonenden Untersuchungsmethoden – in den Vordergrund.
Das damit gewonnene Wissen dient dabei in
erster Linie dem Zweck, den staatlichen DenkmalpflegerInnen die Wahrnehmung
ihrer von Rüsch (2004, 4) genannten Verantwortung, diese Denkmale in der
Gegenwart sachverständig zu be- und verwerten und die notwendigen vernünftigen
Entscheidungen über erforderliche, geeignete und mit den verfügbaren Ressourcen
auch mögliche Schutzmaßnahmen zu treffen, überhaupt erst zu ermöglichen. Es
dient aber in zweiter Linie auch dem Zweck, ihnen darüber hinaus zu gestatten,
wissenschaftlich überlegte Entscheidungen darüber zu treffen, welche
archäologischen Denkmale mit den verfügbaren Ressourcen weder unverändert in
situ erhalten noch sachgerecht archäologisch untersucht und ausgegraben werden
können und daher – so schmerzhaft und bitter dies aus denkmalschützerischer
Sicht auch sein mag – der unbeschränkten, selbstbestimmten Nutzung und damit
notwendigerweise verbundenen Veränderung durch an ihrer Nutzung interessierte
Privatpersonen überlassen werden müssen.
Dass sich die deutschsprachige archäologische
Denkmalpflege dem zweitgenannten, wissenschaftlichen denkmalpflegerischen
Paradigma verweigert und stattdessen – in der Wirklichkeit weitgehend erfolglos
und vor allem weit erfolgloser als dies unter dem zweitgenannten Paradigma
tatsächlich möglich wäre – dogmatisch dem erstgenannten, ideologischen
Paradigma folgt, bestätigt in aller Deutlichkeit die eingangs dieses Beitrages
aufgestellte Behauptung: die archäologische Denkmalpflege im deutschen
Sprachraum ist – entgegen aller gegenteiligen Beteuerungen ihrer primären
Proponenten – keine Wissenschaft, sondern in erster Linie eine dogmatisch
vertretene Ideologie. Als solche mag sie sehr gut dafür geeignet sein, die
staatlichen DenkmalpflegerInnen darin zu bestärken, zu glauben, dass sie schon
wissen würden, was für ‚die archäologischen Denkmale‘ in ihrer Gesamtheit – ob
sie nun schon bekannt oder noch völlig unbekannt sind – ‚das Beste‘ sei. Sie
ist jedoch in der bitteren Wirklichkeit, wie sie sich empirisch beobachten
lässt, absolut ungeeignet, das eigentliche Ziel, das die archäologische
Denkmalpflege zu erreichen versuchen sollte, tatsächlich effektiv zu erreichen:
„das archäologische Erbe als Quelle
gemeinsamer europäischer Erinnerung und als Instrument für historische und
wissenschaftliche Studien zu schützen“ (Europarat 1992a, Art. 1 Abs. 1; offizielle amtliche Übersetzung
durch die Republik Österreich).
Literaturverweise
APA 2018. Kulturminister Blümel:
Österreich wird sich bei der EU-Ratspräsidentschaft als Kulturnation
präsentieren.
Wien: Austria Presse Agentur, 5.4.2018 [27.4.2018].
Bazil, C.,
Binder-Krieglstein, R., Kraft, N. 2015. Das
österreichische Denkmalschutzrecht. Kurzkommentar. 2. Aufl., Wien: Manz.
Cook, M.L., Cook, M.J. unpubl. Some observations on Scotland’s Cropmark Enclosures. Unpubl.
Manuskript.
Cuttler, R., Davidson, A., Hughes, G. 2012. A Corridor Through Time. The Archaeology of
the A55 Anglesey Road Scheme. Oxford: Oxbow Books.
Davydov, D.
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[1] Ausnahmen sind die reinen
Formalwissenschaften und wissenschaftlich banale Aussagen wie z.B. reine
Beschreibungen von Messdaten oder sinnlichen Wahrnehmungen.
[2] Auch wenn Systemkritik
vielleicht geäußert werden darf, so kann sie doch niemals zur Aufgabe der
ideologischen Grundvoraussetzungen des Systems führen, denn diese gelten als
unumstößlich und unveränderlich. In der Ideologie des Rechtsstaates kann daher
z.B. die wahrhaftige Gerechtigkeit der rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung
selbst nicht angezweifelt werden, weil diese ist die ideologische Grundannahme,
die als unumstößlich wahr gilt.
[3] Dieser Ablauf der Zeit lässt
sich in der Praxis empirisch nur dadurch beobachten, dass sich Dinge verändern.
Wird also bezüglich bestimmter Sachen – wie z.B. der archäologischen Denkmale –
jede Veränderung dieser Sachen verhindert, wird für diese Sachen der Ablauf der
Zeit angehalten: wären diese Sachen die einzigen Sachen, die sich empirisch
beobachten lassen, wäre der Ablauf der Zeit nicht mehr empirisch beobachtbar
und damit in der Wirklichkeit nicht mehr existent, weil wirkungslos.
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