Zu Polemik, Peer-Review
und Streit(un)kultur in der deutschsprachigen Archäologie
Abstract: Die wissenschaftliche Qualitätskontrolle von Manuskripten erfolgt heute häufig durch anonymes Peer-Review, d.h. die Begutachtung von eingereichten Texten durch externe ExpertInnen. Obgleich dieses System normalerweise gut funktioniert, kann es insbesondere bei gegen im Fach vorherrschende Meinungen oder Praktiken gerichteten Texten missbraucht werden. Eine in den Archäologischen Informationen erschienene Distanzierung der HerausgeberInnen dieser Fachzeitschrift zeigt, dass das Problem der versuchten Unterdrückung missliebiger wissenschaftlicher Meinungsäußerungen in der deutschsprachigen Archäologie teilweise erschreckende Ausmaße annimmt; bis hin zur versuchten Unterdrückung jedweder wissenschaftlichen Meinungsäußerung missliebiger KollegInnen.
Dies weist auf das Bestehen einer wissenschaftlichen Streitunkultur hin, in der die Veröffentlichung im klassischen Sinn polemischer Streitschriften selten zu sein scheint. Es scheint die klassische Polemik – d.h. die streitbar und kompromisslos geführte, wissenschaftlich-sachliche (oder sonstige) Auseinandersetzung – die für die wissenschaftliche Selbstkontrolle unumgänglich notwendig ist, durch missverstandene Gleichsetzung mit ihrem modernen Äquivalentbegriff – der insbesondere für scharfe, persönliche sprachliche An- und Untergriffe steht – als unzulässige Form der Argumentation abgetan zu werden; während unsachliche Polemiken gerade in Peer-Reviews zu unliebsamen Manuskripten die typische Form der Begründung negativer Gutachten zu sein scheint.
Dies weist auf das Bestehen einer wissenschaftlichen Streitunkultur hin, in der die Veröffentlichung im klassischen Sinn polemischer Streitschriften selten zu sein scheint. Es scheint die klassische Polemik – d.h. die streitbar und kompromisslos geführte, wissenschaftlich-sachliche (oder sonstige) Auseinandersetzung – die für die wissenschaftliche Selbstkontrolle unumgänglich notwendig ist, durch missverstandene Gleichsetzung mit ihrem modernen Äquivalentbegriff – der insbesondere für scharfe, persönliche sprachliche An- und Untergriffe steht – als unzulässige Form der Argumentation abgetan zu werden; während unsachliche Polemiken gerade in Peer-Reviews zu unliebsamen Manuskripten die typische Form der Begründung negativer Gutachten zu sein scheint.
Dieser Beitrag
setzt sich damit kritisch auseinander und macht Vorschläge zu einer
Verbesserung einer offenen und öffentlichen, wissenschaftlichen Streitkultur
und der Bekämpfung von schwerwiegendem wissenschaftlichen Fehlverhalten.
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Im Editorial des
Bandes 40 der Archäologischen
Informationen verwehren sich deren HerausgeberInnen in erfreulich
deutlichen Worten gegen scheinbar wiederholt vorgekommene Versuche, sie „zu beeinflussen, bestimmte Manuskripte bzw.
Texte bestimmter Autoren nicht (mehr) zu publizieren, beispielsweise weil die
Autoren manchen Kollegen recht unbequem sind“ (Siegmund et al.
2017,
4). Diese sehr beachtenswerten Bemerkungen sind für mich gleichermaßen
erschütternd wie nicht überraschend und haben mich animiert, diesen – ohnehin
schon länger geplanten – Beitrag zu verfassen. Das Erschütternde und
gleichzeitig keineswegs Überraschende – ich habe als selbst gelegentlich herausgeberrisch
Tätiger Ähnliches in meinem Posteingang vorgefunden – daran ist, dass es
symptomatisch für die (wissenschaftliche) Streitkultur – bzw. das weitgehende
Fehlen einer solchen – in der deutschsprachigen Archäologie und ihr
nahestehenden Themengebieten (wie insbesondere z.B. der archäologischen Denkmalpflege)
ist.
Wissenschaftliche Wissenserkenntnis
Bekanntermaßen ist
die moderne Wissenschaft – wenigstens die ‚westlicher‘ Prägung – ein Kind der
Aufklärung: ihr Ziel ist es, vom (angeblich für das ‚dunkle‘ Mittelalter
charakteristischen) dogmatischen (Aber-) Glauben weg hin zu auf empirische
Beobachtung der Wirklichkeit und rationale Überlegungen gestütztem – wenigstens
in einem weiteren Sinn des Begriffs ‚wahren‘[1]
– Wissen über bestehende Sachverhalte zu gelangen; Wissen das idealerweise
durch jeden vernunftbegabten Menschen nachvollzogen werden kann. Im Rahmen des
größeren – wenn man so will gesamtgesellschaftlichen – Projekts der ‚Aufklärung‘
(Kant
1784, 481) beliebiger Tatsachen bzw. Sachverhalte wurde allerdings recht
rasch bzw. war eigentlich bereits seit der Antike (und zwar seit spätestens den
Vorsokratikern; siehe dazu z.B. Popper 1994, XXVI) klar, dass selbst mit der
besten Beobachtung und der größten Vernunft die Wahrheitserkenntnis nicht
einfach ist: der Mensch kann nicht nur irren, sondern irrt oft; wenn nicht
sogar beinahe immer. Das liegt schon allein daran, dass selbst der
vernünftigste Mensch mit der schärfsten Beobachtungsgabe in zweierlei Hinsicht
begrenzt bleibt: er kann unmöglich alles beobachten, das es gibt; und unmöglich
alles Bedenken, was man bedenken müsste, um der Komplexität des Universums, in
dem wir leben, gerecht werden zu können. Alle menschliche Erkenntnis ist daher
zwingend stets nicht mehr als Vermutung: im sokratischen Sinne wissen wir nur,
dass wir nicht wissen, und nicht einmal das ist gewiss.
Dieses Problem der
Unmöglichkeit, die ‚Wahrheit‘ positiv zu erkennen (d.h. sie nicht nur eventuell
zu wissen, sondern auch zu wissen, dass man sie tatsächlich weiß) wird in der
Archäologie zusätzlich dadurch verschärft, dass man – aufgrund der essentiellen
Unvollständigkeit der archäologischen Quellen – niemals vollständige
Beobachtungen der (vergangenen) Wirklichkeit anstellen und somit – selbst wenn
positive Wahrheitserkenntnis theoretisch durch Vollinduktion möglich wäre – nie
positiv wissen kann, ob man bei seinen rationalen Überlegungen nicht
irgendetwas übersehen hat, was man gar nicht sehen konnte, weil es bereits
vollständig zerstört wurde (siehe dazu schon ausführlich Karl 2010).
Damit ist die
einzige Möglichkeit, die uns bleibt, um der (Erkenntnis der) ‚Wahrheit‘ näher
zu kommen, die Hypothesen – d.h. die Vermutungen darüber, wie ein Sachverhalt
tatsächlich beschaffen (gewesen) sein könnte – die wir postulieren, dadurch zu
überprüfen, dass wir sie mit (idealer Weise neuen, bei ihrer Erstellung nicht
berücksichtigten) empirischen Beobachtungen und rationalen Überlegungen
vergleichen. Als Folge davon sind Hypothesen (wenigstens vorläufig)
auszuscheiden, die dadurch widerlegt wurden[2];
d.h. bei denen man auf Grund der neuen Beobachtungen und Überlegungen zu
überzeugenderen als jenen Schlussfolgerungen gelangt, zu denen man zuvor
gelangt ist. Jene hingegen, die solche Überprüfungen bestanden haben, kann man
als (wenigstens vorläufig) gesichertes Wissen betrachten und mit ihnen
weiterarbeiten. Diesen Überprüfungsprozess einer postulierten Hypothese –
letztendlich die Bewertung ihrer mutmaßlichen Wahrhaftigkeit auf Basis neuer
empirischer Beobachtungen und/oder rationaler Überlegungen – bezeichnet man –
ebenso wie die damit normalerweise einhergehende Veröffentlichung einer
erläuternden Darstellung dieses Bewertungsprozesses – gemeinhin als wissenschaftliche Kritik.
Daraus folgt, dass
der wissenschaftliche Meinungsaustausch bzw. Meinungsstreit unbedingt
öffentlich, frei und gleichberechtigt ausgetragen werden muss. Schließlich muss
– wenigstens hypothetisch – jeder Mensch den Erkenntnisprozess mittels seines
eigenen Verstandes (Kant
1784, 481) nachvollziehen können und damit – wenn er die gleichen
Beobachtungen gleichermaßen korrekt mit gleichartigen Überlegungen verbindet –
zum gleichen Ergebnis gelangen wie jeder andere. Man kann jedoch nicht wissen,
welcher (falls überhaupt einer) von zwei Menschen, die aufgrund
unterschiedlicher (oder auch der gleichen) Beobachtungen und unterschiedlicher Überlegungen
zu unterschiedlichen Hypothesen über den gleichen Sachverhalt gelangt sind,
tatsächlich ‚die Wahrheit‘ erkannt hat. Gibt es also eine
Meinungsverschiedenheit, ist es notwendig, dass beide Meinungen veröffentlicht
und kritisch bewertet werden, weil nur dadurch lässt sich feststellen, welche
davon vermutlich als falsch und ob eine und – falls ja – welche davon (vorläufig)
als richtig zu betrachten ist. Nachdem das nur geht, wenn beide
WissenschafterInnen gleichermaßen uneingeschränkt ihre Meinungen allen anderen
Interessierten vorstellen und argumentativ begründen können, folgt die
Notwendigkeit der wissenschaftlichen Meinungsfreiheit zwingend.
Daher ist der
Versuch, wissenschaftliche Meinungsäußerungen beliebiger Personen zu
unterdrücken, weil man anderer Ansicht ist als diese, eines der gravierendsten
wissenschaftlichen Fehlverhalten, die es gibt (Hochschulrektorenkonferenz
1998, Hochschulverband
2000; Max-Planck-Gesellschaft
2000); sogar – vielleicht abgesehen von der vorsätzlichen Lüge über
wissenschaftliche Sachverhalte (z.B. durch Datenfälschung) – das
schwerwiegendste, das es überhaupt gibt. WissenschafterInnen, die so handeln,
stellen ihr Eigeninteresse, recht zu behalten, vor das Interesse der
wissenschaftlichen Allgemeinheit und der Gesellschaft insgesamt, ‚die Wahrheit‘
– was auch immer diese nun sein mag – erkennen zu können; egal wer jetzt recht
hat und wer nicht.
Wissenschaftliche Hypothesen und Meinungsstreitigkeiten
Jede Hypothese
lässt sich als Aussage (als Satz bzw.
Kombination von Sätzen) bzw. Behauptung
über einen bestimmten Sachverhalt betrachten, von der jener, der sie
aufgestellt hat, behauptet, dass sie (im oben genannten Sinn) ‚wahr‘ ist.
Stelle ich also z.B. die Hypothese auf, dass alle Schwäne weiß sind, dann
behaupte ich, dass es wahr ist, dass jeder Schwan, den es gibt, weiß ist. Ich
behaupte damit gleichzeitig aber auch, dass jeder des Sehens mächtige Mensch die
‚Wahrheit‘ meiner Behauptung überprüfen kann und – wenn er alle Schwäne
anschaut – feststellen wird, dass tatsächlich alle weiß sind. Überprüft also
ein Anderer meine Behauptung, indem er sich alle Schwäne anschaut und stellt
dabei fest, dass auch nur ein einziger davon nicht weiß ist, erweist sich meine
Behauptung als falsch. Stellt er hingegen fest, dass tatsächlich alle Schwäne,
die es gibt, weiß sind, dann bestätigen seine Beobachtungen meine und meine
Hypothese kann (wenigstens vorläufig) als gesichertes Wissen betrachtet werden.
Charakteristisch
für wissenschaftliche Hypothesen ist, dass sie in Form eines Arguments[3]
dargestellt werden; d.h. auch erklärt bzw. gezeigt wird, aus welchen Gründen
man glauben soll, dass die dadurch aufgestellte Behauptung ‚wahr‘ ist. Dabei
ist es vorerst gleichgültig, ob diese Gründe stark oder schwach sind, auch wenn
dies natürlich (insbesondere in Meinungsstreitigkeiten) in weiterer Folge von
Bedeutung sein kann.
Dennoch: um meine
Hypothese darüber, dass alle Schwäne weiß sind, aufstellen und argumentativ
begründen zu können, ist es nicht erforderlich, dass ich mir alle Schwäne, die
es gibt, angeschaut habe. Es genügt vielmehr, dass ich mir jene angeschaut
habe, die ich finden konnte; und sei es auch nur ein einziger. Mein
wissenschaftliches Argument, dass alle Schwäne weiß sind, weil der eine, den
ich angeschaut habe, weiß ist, mag kein besonders belastbares Argument sein;
aber ob es belastbar ist, ist bestenfalls sekundär, wenn nicht sogar völlig irrelevant:
letztendlich zählt nur, dass ich einen Grund für meine Behauptung hatte und sich
diese in der beobachtbaren Wirklichkeit tatsächlich bestätigt.
Meinungsstreitigkeiten
Nachdem eine
Hypothese eine begründete Aussage ist, deren Wahrheit behauptet wird, kommt es,
wenn gegenteilige (bzw. einander in signifikanten Aspekten widersprechende, unterschiedliche)
Meinungen über den gleichen Sachverhalt geäußert werden, zwingend zu einem
Meinungsstreit: schließlich behaupten die VertreterInnen der verschiedenen
Hypothesen, dass ihre jeweilige Meinung wahr ist. Es kann aber, wenn sie
einander auch nur teilweise widersprechen, nur maximal eine davon tatsächlich
wahr sein.
Hat ein
Wissenschafter behauptet, dass alle Schwäne weiß sind, ein anderer hingegen,
dass sie alle schwarz sind, muss wenigstens einer davon falsch liegen. Die
Wahrheit muss auch keineswegs irgendwo in der Mitte zwischen den beiden
Hypothesen liegen, weshalb sich die Streitparteien auch nicht darauf einigen
können, dass alle Schwäne grau sind: habe ich mir alle, die es gibt, angeschaut
und alle waren weiß, dann kann ich mich mit einem Schwarzseher nicht darauf
einigen, dass alle Schwäne grau sind. Dieser Kompromiss würde schließlich nicht
den Sachverhalt richtig wiedergeben, sondern ich würde mich auf eine Ansicht
einigen, von der glaube, dass sie falsch ist; und das geht wissenschaftlich
nicht. Entweder habe ich recht, oder der Schwarzsseher hat recht, oder wir
haben beide unrecht, z.B. weil in Wahrheit manche Schwäne weiß und andere
Schwäne schwarz sind. Ist Letzteres wahr, ist das kein Kompromiss zwischen den
beiden Hypothesen. Es ist vielmehr eine dritte, die den tatsächlichen
Sachverhalt korrekt darstellt; während die beiden anderen schlicht und einfach
falsch sind.
Glaube ich daher,
dass eine Hypothese aus guten Gründen wahr sein dürfte, kann ich einer ihr (und
sei es nur teilweise) widersprechenden Meinung nicht zustimmen und mich auch
nicht auf irgendeinen Kompromiss einigen. Solange meine KontrahentInnen nicht
Gründe anführen, die mich von der Wahrheit ihrer – und damit der Falschheit
meiner – Hypothese überzeugen, muss ich davon ausgehen, dass ich richtig und sie
falsch liegen.
Ja ich muss sogar –
schließlich geht es in der Wissenschaft darum, die ‚Wahrheit‘ nicht nur zu
erkennen, sondern ihr auch zum Durchbruch zu verhelfen – versuchen, alle von
der Richtigkeit meiner – und damit auch der Falschheit aller anderen –
Hypothesen zu überzeugen. Eine wissenschaftliche Meinungsverschiedenheit ist
also zwingend ein kompromisslos ausgetragener Meinungsstreit, der nur auf zwei
Wegen entschieden werden kann; nämlich indem die Unrichtigkeit der Hypothese
einer oder beider Seiten aufgezeigt wird. Beide Seiten müssen also absolut
schonungs- und kompromisslos aufzuzeigen versuchen, warum die Hypothese der
jeweils anderen Seite unmöglich richtig sein kann.
Polemik
Einen solchen,
scharfen wissenschaftlichen (oder auch literarischen, politischen, etc.) Meinungsstreit,
in dem Streitparteien keinen Kompromiss zu finden versuchen (auch wenn sie sich
diesem nicht unbedingt grundsätzlich verweigern), sondern ihren jeweiligen
Argumenten zum Durchbruch zu verhelfen und jene der Gegenseite zu entwerten
versuchen, bezeichnet man traditionell, der klassischen Rhetoriklehre folgend,
als Polemik (von Griechisch πολεμικός, „feindselig“). Ein wissenschaftlicher Meinungsstreit ist immer eine
solche ‚gelehrte Fehde‘, und muss es auch sein: schließlich glauben die
Streitparteien, dass ihre jeweilige Ansicht ‚wahr‘ und daher zwingend jede
andere falsch sein muss; und müssen versuchen, das auch so deutlich als möglich
zu zeigen. Nur das gewährleistet, dass wir als Kollektiv dem Endziel der
Wissenschaft näherkommen werden, tatsächlich wahres Wissen über die von uns
untersuchten Sachverhalte zu gewinnen. Polemik in diesem Sinn ist also nichts
Negatives, sondern für den wissenschaftlichen Fortschritt essentiell; und in
der klassischen Rhetorik auch kein negativ besetzter Begriff, sondern ein
probates Mittel in verbalen Auseinandersetzungen.
Dennoch ist heute
im deutschsprachigen Wissenschaftsverständnis der Begriff Polemik deutlich
negativ besetzt; d.h. Polemik wird als schlecht und insbesondere in
wissenschaftlichen Meinungsstreitigkeiten unangebracht betrachtet. Der Duden
führt z.B. als Erklärung des Begriffs an, dass diese ein „scharfer, oft persönlicher
Angriff ohne sachliche Argumente [im Rahmen einer Auseinandersetzung] im
Bereich der Literatur, Kunst, Religion, Philosophie, Politik o. Ä.“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Polemik, 8.1.2019;
Hervorhebung: RK) sei. Weshalb der Begriff heute überwiegend negativ besetzt
ist, zeigt sich am hervorgehobenen Satzteil: es werden darunter heute oft
unsachliche, persönliche Angriffe, nicht mehr (nur) im weiteren Wortsinn scharf
und kompromisslos geführte verbale Auseinandersetzungen verstanden.
Das ist auch nicht
gänzlich grundlos so: tatsächlich kennzeichnen sich Meinungsstreitigkeiten oft
auch dadurch, dass sich Streitparteien nicht ausschließlich auf
wissenschaftlich-sachliche Argumente beschränken, sondern auch andere
rhetorische Mittel dazu verwenden, um ihre Position zu stärken und die der
Gegenseite zu schwächen oder gar zu vernichten. In einer
außerwissenschaftlichen Polemik können und werden daher gerne auch Sophismen
und Scheinargumente eingesetzt, wobei insbesondere die letzteren zwar
unlautere, aber durchaus effektive Mittel sein können, um einen rhetorischen
Wettstreit für sich entscheiden zu können. Weil es, vor allem in politischen
Auseinandersetzungen, oft weit leichter und effektiver ist, den politischen
Gegner lächerlich zu machen oder zu diffamieren, um das erwünschte Ziel zu
erreichen, hat Polemik einen deutlich negativen Beigeschmack bekommen.
Wissenschaftliche Argumente
Ob eine
Meinungsäußerung eine sachliche und daher zulässige oder eine unsachliche und
daher wissenschaftlich unzulässige Polemik ist, hängt nur von den verwendeten
Argumenten ab; polemisch ist sie in wissenschaftlichen Meinungsstreitigkeiten
nämlich aus den schon genannten Gründen notwendigerweise immer. Wissenschaftliche
Argumente unterscheiden sich dabei von anderen primär dadurch, dass ihrer
Begründung logische Beweiskraft zukommen sollte (bzw. sogar muss). Es gibt
daher eigentlich nur zwei Arten von wissenschaftlichen Argumenten, nämlich induktive und deduktive Argumente (wenigstens so lange man z.B. die
aristotelische Abduktion als Teilinduktion und nicht im Sinne von Peirce 1931, 171, als
eigenständige Form des logischen Schlusses ansehen will). Erstere stellen einen
Schluss aus dem Einzelfall (bzw. vielen Einzelfällen) auf das Allgemeine;
Zweite einen Schluss aus dem Allgemeinen auf den Einzelfall dar.
Das oben schon
genannte Beispiel des Schlusses aus der Beobachtung von Schwänen auf den Satz „Alle Schwäne sind weiß“ ist ein
klassisches Beispiel für einen abduktiven
bzw. einen induktiven Schluss.
Umgekehrt wäre es ein Beispiel für einen deduktiven
Schluss, wenn man zu begründen versucht, weshalb ein konkreter Vogel, den man
sieht, ein Schwan ist, indem man auf die allgemeine Theorie „Alle Schwäne sind weiß“ zurückgreift
und dann die Farbe des konkret betroffenen Vogels empirisch betrachtet und,
weil er weiß ist, darauf schließt, dass er ein Schwan ist. Beide Arten von Schlüssen
können selbstverständlich trotzdem zu falschen Schlussfolgerungen führen, aber sind
logisch beweiskräftig: sind die gewählten Prämissen wahr, ist es auch der
Schluss.
Hinzu kommt zu
diesen beiden Argumentationsarten noch das argumentum
e contrario bzw. der Beweis durch Widerlegung des Gegenteils. Es handelt sich dabei um die Methode von Sherlock
Holmes: "When you have excluded the
impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth." (Doyle 1892). Gibt
es nur eine beschränkte Anzahl möglicher Aussagen über einen bestimmten
Sachverhalt und kann man zeigen, dass alle bis auf eine davon falsch sind,
bleibt notwendigerweise nur diese als – somit indirekt als wahr bewiesene –
einzig mögliche Aussage übrig.
Trugschlüsse: Sophismen und Paralogismen
Sophismen und Paralogismen
unterscheiden sich von wissenschaftlichen Argumenten in erster Linie dadurch,
dass es ihnen an logischer Beweiskraft fehlt; d.h. sie im wissenschaftlichen
Sinn Fehl- bzw. Trugschlüsse darstellen. Fehlt die Beweiskraft absichtlich, ist der
Trugschluss ein Sophismus: das Argument ist ‚geschickt‘ so ausgestaltet, sodass
es fälschlich den Eindruck erweckt, logisch beweiskräftig zu sein. Wird der
Trugschluss hingegen irrtümlich gezogen, nennt man ihn Paralogismus: der Rhetor
versucht nicht seine Zuhörer zu täuschen, sondern irrt selbst.
Sophismen sind
wissenschaftlich jedenfalls unzulässig, weil sie in Täuschungsabsicht geführt
werden. Sie sind im besten Fall ‚Nebelkerzen‘, die verhindern sollen, einen
Trugschluss als solchen zu erkennen; oder dienen sogar dazu, die Zuhörer
fälschlich von der Wahrheit einer unwahren oder der Unwahrheit einer wahren
Aussage zu überzeugen. Paralogismen können hingegen vorkommen – schließlich
kann jeder Fehler machen – stellen aber Denkfehler dar und sind daher ebenfalls
aufzuzeigen. Dies liegt auch im Interesse des Kritisierten: es ist schließlich
davon auszugehen, dass dieser ebenfalls nach der Wahrheit sucht und daher daran
interessiert ist, keine Denkfehler zu begehen.
Klassische
Sophismen bzw. Paralogismen sind das argumentum
ad verecundiam, d.h. die Berufung auf eine Autorität (darunter auch die ‚der
Quellen‘); ad populum, d.h. die
Berufung auf eine (angeblich) allgemeine Meinung; ad antiquitatem, d.h. die Behauptung, etwas (z.B. Wissen oder
Praxis) habe sich seit langem bewährt; ad
metum, d.h. das Erwecken von oder die Berufung auf Ängste und Befürchtungen;
etc. Ebenfalls dazu gehört der klassische Zirkelschluss;
aber auch alle moralischen, ideologischen, pragmatischen sowie Strohmann-Argumente,
d.h. Argumente, bei denen die Unrichtigkeit einer Position gezeigt wird, die
die Gegenseite gar nicht vertreten hat.
Alle diese Arten
von Argumenten sind in wissenschaftlichen Meinungsstreitigkeiten unangebracht;
es sei denn, sie werden auch logisch korrekt begründet. Zu bedenken ist auch,
dass manche Trugschlüsse in Einzelfällen nur schwer von wissenschaftlichen
Argumenten abgegrenzt werden können: die
Berufung auf (die Autorität von) Quellen kann z.B. ganz unabsichtlich vom
Bereich des soliden empirischen, induktiven
Arguments in den des argumentum ad
verecundiam übergehen, ohne dass das in irgendeiner Weise beabsichtigt ist;
und ob es noch das eine oder schon das andere ist, ist manchmal schwer zu
entscheiden. Man muss also in wissenschaftlichen Gegenkritiken wenigstens
vorsichtig sein, ehe man der Gegenseite die Verwendung von Sophismen vorwirft.
Dennoch, wird die Grenze wenigstens zum Paralogismus überschritten, ist das
Argument unzulässig.
Scheinargumente
Im Gegensatz zu
Trugschlüssen kennzeichnen sich Scheinargumente dadurch, dass sie nicht einmal
den Anschein zu erwecken versuchen, dass ihnen irgendeine logische Beweiskraft
in der Sache zukommt. Sie sind in wissenschaftlichen Meinungsstreitigkeiten
gänzlich unzulässig, aber gerade in der rhetorischen Polemik ganz besonders
beliebt; weshalb man heute umgangssprachlich auch in erster Linie die
Verwendung von klassischen Scheinargumenten als Polemik betrachtet.
Die meisten
Scheinargumente findet man heute zuhauf in ‚heißen‘ Diskussionen in sozialen
Medien wie Facebook, wo sie regelhaft
zum Einsatz kommen. Besonders häufig zum Einsatz kommt das argumentum ad hominem, d.h. der direkte, persönliche Angriff auf
den Streitgegner, z.B. durch die Unterstellung, dass diesem das zur Beurteilung
der betreffenden Frage erforderliche Wissen fehlen würde, oder er generell
inkompetent sei. Es gehören aber auch das argumentum
ad baculum, d.h. die Drohung; das argumentum
consensu gentium bzw. ad iudicum,
d.h. die Berufung auf angeblich allgemeingültige (z.B. ethische) Werte oder den
allgemeinen Menschenverstand; sowie alle klassischen Totschlagargumente dazu; und auch die Unterstellung angeblicher unlauterer
Motive.
Polemik dieser Art
hat nicht einmal in einem normalen Streitgespräch etwas zu suchen, geschweige
denn in wissenschaftlichen Meinungsstreitigkeiten. Allerdings ist gerade
Polemik dieser Art sehr geeignet, der eigenen Meinung in ‚Glaubensstreitigkeiten‘
zum Durchbruch zu verhelfen: gelingt es, den Streitgegner lächerlich zu machen,
ihn als Verräter abzustempeln, oder als inkompetenten Dummkopf, hat man den
Streit schon so gut wie gewonnen. Der enorme Vorteil von Scheinargumenten ist,
dass man sie nicht sachlich begründen muss; d.h. man muss sich nicht mit
mühsamer Recherchearbeit oder unbequemen Tatsachen aufhalten, welche die eigene
Meinung widerlegen könnten.
Der Schreibstil als Mittel der Polemik
Nachdem es in
Meinungsstreitigkeiten darum geht, andere davon zu überzeugen, dass man recht
hat; spielt auch ihr Stil eine bedeutende Rolle. Nachdem es besonders in der
außerwissenschaftlichen Polemik ein besonders probates Mittel ist, den
Streitgegner schlecht zu machen, werden auch gern die Stilmittel der Übertreibung, Ironie, Satire und des Sarkasmus verwendet.
Diesem als
polemisch und oft auch als unsachlich betrachteten Stil steht insbesondere in
empiristischer Tradition (Karl 2010, 8-10) stehenden Wissenschaften die
Idealvorstellung des rein sachlichen, objektiven Arguments gegenüber, das die
Daten für sich sprechen lässt. Daher gilt die Verwendung von Stilmitteln, die
den ernsten Sachverhalt nicht gänzlich ernst zu nehmen scheinen, als
unwissenschaftlich: ein Wissenschafter schreibt trocken, sachlich, und streng
logisch. Etwas sarkastisch gesprochen könnte man sagen: wenn ein Text nicht
stilistisch todlangweilig ist, kann er – dieser Meinung zufolge – schon allein
deshalb kein wissenschaftlicher Text sein, weil er nicht todlangweilig ist.
Diese Ansicht ist
zwar nur soziale Konvention, aber sie hat – insbesondere, wenn man
deskriptiv-klassifizierend arbeiten will – durchaus eine gewisse Berechtigung.
Denn in einem deskriptiv-klassifizierenden Text geht es um die Vorlage und
Ordnung von Beobachtungen; und dabei haben Ironie, Satire und Sarkasmus nichts
verloren, weil sie nur vom Zweck ablenken, den der Text erfüllen soll.
Allerdings kann man über Daten kaum signifikante Meinungsstreitigkeiten haben,
denn die Daten sind ja das, was gegeben ist; d.h. sind (wenigstens hypothetisch
gesprochen) noch (weitgehend) meinungsfrei. Man kann vielleicht über die Auswahl
oder Klassifizierung von Daten streiten, aber nicht über die Daten selbst
(außer vielleicht, ob sie eine Fälschung sind).
Wissenschaftlicher polemischer Schreibstil
In wirklichen
wissenschaftlichen Meinungsstreitigkeiten geht es hingegen genau darum, Dritte
von Meinungen zu überzeugen, über die man streiten kann. Dabei ist natürlich
der Boden der Sachlichkeit der verwendeten Argumente nicht zu verlassen. Das
bedeutet aber keineswegs, dass man in Bezug auf den Schreibstil an Trockenheit
gebunden ist; ganz im Gegenteil: diese kann sogar schädlich sein. Die
Argumentation ist ja schließlich polemisch und muss das auch sein; und
Argumente, die zeigen sollen, dass ein anderes Argument falsch ist, müssen
daher auch so effektiv als möglich gefasst werden. Der Stil, in dem eine Kritik
gefasst ist, hat dabei keine Auswirkung auf den Inhalt des geführten Arguments;
sehr wohl jedoch auf seine mutmaßliche Wirkmächtigkeit.
Will man eine
wissenschaftliche Aussage kritisieren, von der Unrichtigkeit man aus guten
Gründen überzeugt ist, dann muss man das auch in klaren Worten und auch
schonungslos sagen: diese Aussage ist meiner Meinung nach aus diesen und jenen
Gründen falsch. Hier die Kernaussage in Watte zu verpacken, um der Gegenseite
den Schmerz zu ersparen, dass ihre Aussage öffentlich als falsch bezeichnet
wird, bringt nichts. Nachdem man ja begründet zu wissen glaubt, dass und warum
die kritisierte Aussage falsch ist, muss man das auch so zum Ausdruck bringen,
dass das auch jeder Dritte, der sich mit der Sache beschäftigt, möglichst
einsieht. Und gerade dafür können Stilmittel wie Übertreibung[4],
Ironie, Satire und Sarkasmus – so lange sie in
rem, also auf die Sache bzw. das kritisierte Argument bezogen bleiben –
höchst geeignet, ja sogar erforderlich sein.
Ist ein Argument so
offensichtlich falsch, dass es lächerlich ist, dann darf und soll man es auch
lächerlich machen: das dient dem Zweck, möglichst effektiv zu verhindern, dass
es Dritte dennoch übernehmen, weil sie die begründete Feststellung, dass und
warum es falsch ist, nicht ausreichend überzeugt hat, es für falsch zu halten;
z.B. weil sie gerne hätten, dass es richtig wäre. Niemand arbeitet völlig
vorurteilsfrei, auch nicht (und oft gerade besonders nicht) in der
Wissenschaft. Eine tatsächlich sarkastische Vernichtung eines Arguments, dass
zwar offensichtlich und gut begründeter Maßen falsch, aber dennoch für manche
WissenschafterInnen aus ideologischen oder anderen Gründen attraktiv ist, wirkt
solchen vorurteilbedingten Tradierungen falscher Fachmeinungen entgegen. Zahme
Worte schaden hier, nur harte und eventuell auch ironische, satirische oder
sarkastische Worte erfüllen den Zweck, den die wissenschaftliche Polemik
erfüllen soll und muss.
Der Unterschied
zwischen dem in einem wissenschaftlichen Streit zulässigen, polemisierenden
Stil, und unzulässiger, unsachlicher Polemik, liegt letztendlich in der
inhaltlichen Sachlichkeit der Argumentation, nicht in ihrer Form. Tatsächlich
ist es ein Trugschluss, zu glauben, dass eine wissenschaftliche Kritik
unzulässige Polemik sei, weil sie in ironischem oder sarkastischem Stil
verfasst ist. Das ist nämlich ein normatives
Argument, ein Trugschluss, dem es an jedweder logischen Beweiskraft fehlt: die
Form des Argumentes sagt nichts über seine inhaltliche Richtigkeit aus; und in
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen geht es um die inhaltliche Richtigkeit
von Aussagen, nicht um ihre Form. Ist ein ironisches oder sarkastisches
Argument also logisch korrekt aufgebaut und beweiskräftig, kann und darf der
Stil, in dem es vorgebracht wurde, keine Rolle spielen.[5]
Wissenschaftliche Qualitätskontrolle
Die meisten
WissenschafterInnen halten wissenschaftliche Qualitätskontrolle für wichtig:
schließlich geht es darum, ‚die Wahrheit‘ zu erkennen; daher sind Fehler nach
Möglichkeit zu vermeiden. Der freie Diskurs ist zwar dafür geeignet, dennoch
vorgekommene Fehler im Nachhinein zu entdecken und korrigieren; aber vorab
verhindern kann man sie dadurch nicht. In der deutschsprachigen Archäologie
kommt das Problem dazu, dass wissenschaftliche Polemik in veröffentlichten
Schriften und Gegenschriften eher selten ist (auch wenn es Ausnahmen gibt,
siehe z.B. Eggert 1988; 1999; Krauße 1999; Veit 2000; oder Karl 2008; Urban
2008; Karl 2009).
Zensurversuche (Siegmund et al.
2017,
4) sind daher wohl eher dem Bemühen geschuldet, eine vor Veröffentlichung
greifende wissenschaftliche Qualitätssicherung zu erreichen, als wirklich böse
gemeint. Als solche erscheinen sie als logische Fortsetzung des Systems des
Peer-Reviews. Denn HerausgeberInnen ersuchen bei Letzterem von sich aus externe
KollegInnen um derartige Einflussnahme, bzw. um etwas, was Einflussnahmen recht
nahekommt.
Das System des Peer-Review
Entstanden ist
Peer-Review als Mittel zur Qualitätssicherung in großen, breit angelegten
Fachzeitschriften; als Ergänzung des zuvor verwendeten Systems der Beurteilung
durch HerausgeberInnen bzw. einen wissenschaftlichen Beirat. Aufgrund der
zunehmenden Spezialisierung der Wissenschaften wurden die Kompetenzgrenzen auch
größerer Beiräte erreicht; externe Gutachter aus Spezialgebieten daher
notwendig. Daher wurde Peer-Review ab Mitte des 20. Jahrhunderts populär und wird
nun vielerorts als Qualitätsmerkmal wissenschaftlicher Publikationen angesehen.
Die in der Regel
schriftlichen, meist anonymen, Gutachten sollen dabei zwei primäre Zwecke
erfüllen: zum einen sollen sie HerausgeberInnen die für ihre Entscheidung über
Annahme oder Ablehnung eines Manuskripts erforderlichen Fakten liefern; in der
Regel in Form wissenschaftlich begründeter Empfehlungen. Zum anderen sollen sie
AutorInnen dabei helfen, ihre Texte – soweit erforderlich – zu verbessern; und
zwar unabhängig davon, ob das Manuskript letztendlich angenommen oder abgelehnt
wird. Peer-Reviews sollten also wissenschaftlich argumentiert sein: auf
Trugschlüssen oder Scheinargumenten basierende Empfehlungen nutzen schließlich
weder HerausgeberInnen noch AutorInnen.
Grundsätzlich ist
anzumerken, dass solide wissenschaftlich argumentierte Peer-Reviews sehr
hilfreich sind; insbesondere, wenn sie inhaltlich sehr kritisch und im
klassischen Sinn polemisch sind: schließlich zeigen sie AutorInnen von
Manuskripten, wo und warum ihre Argumentation nicht überzeugend oder falsch
ist. Ein scharf kritisches Peer-Review mit einhergehender Ablehnung des
Manuskripts mag daher zwar emotional unangenehm sein; man kann und sollte sich
aber als AutorIn durchaus darüber freuen, weil man erspart man sich dadurch
potentiell eine öffentliche Blamage.
Ebenfalls
anzumerken ist, dass das Peer-Review-System gewöhnlich auch durchaus gut
funktioniert: GutachterInnen versuchen meist, HerausgeberInnen und AutorInnen
mit sachlichen Hinweisen und Kritiken zu helfen. Das gilt insbesondere für
Manuskripte, die im pejorativen Nebensinn des Begriffes akademische Fragen
behandeln, d.h. sich in der Archäologie primär mit der Vergangenheit befassen.
Über solche Fragen lässt sich zwar vortrefflich streiten, aber letztendlich ist
weitgehend gleichgültig, ob und wenn ja wie Meinungsstreitigkeiten entschieden
werden, weil es – vielleicht ausgenommen für individuelle Karrieren und Chancen
auf Forschungsförderungen – praktisch keinerlei reale Konsequenzen hat, wer
recht hat und wer nicht.
Unsachliches anonymes Peer-Review
Anders und den
eingangs zitierten Versuchen der Einflussnahme viel ähnlicher stellt sich das
anonyme Peer-Review jedoch in Fällen dar, in denen Meinungsverschiedenheiten
nicht rein akademische Fragen betreffen, sondern in denen es z.B. um fachliche
Praktiken geht; d.h. um Themen, die auch in der gegenwärtigen und zukünftigen
Wirklichkeit von Relevanz sind oder wenigstens sein könnten; z.B. in der
archäologischen Denkmalpflege, die ja stets in der Gegenwart verortet ist. Ich
möchte das zuerst an einer kleinen, statistischen Schätzung auf Basis meiner
eigenen Erfahrungen darstellen, ehe ich mich genauer der Argumentation in
manchen derartigen Peer-Reviews zuwende.
Ich habe bisher
etwa 150 Manuskripte verfasst, die ein Peer-Review oder diesem sehr ähnlichen
Prozess durchlaufen haben. Von diesen sind etwa zwei Drittel Texte zu rein
akademischen Fragen. Weitere ungefähr 10% behandeln wissenschaftstheoretische
Fragen, die zwar eine gewisse, aber selten eine besonders hohe Relevanz in der
gegenwärtigen (fachlichen) Wirklichkeit haben. Der Rest, also etwa 25%,
beschäftigt sich mit fachpolitischen Fragen bzw. Praktiken, insbesondere auch
in der archäologischen Denkmalpflege und ist meist sehr fachkritisch.
Grob geschätzt habe
ich bezüglich dieser Texte – ob Monografien oder Fachartikel – um die 350 Peer-Gutachten
zugeschickt bekommen. Von diesen waren alle, die Manuskripte betrafen, die sich
mit rein akademischen Fragen befasst haben, durchgehend sachlich gehalten und –
selbst wo sie kritisch waren – stets konstruktiv. Dies war unabhängig davon der
Fall, in welcher Sprache das betreffende Manuskript verfasst und bei welchem
Publikationsorgan in welchem Land es eingereicht worden war. Ähnlich ist die
Situation bei wissenschaftstheoretischen Manuskripten, allerdings bereits mit
einigen deutlichen Abweichungen in einigen deutschsprachigen Gutachten. Dennoch
kann man in Bezug auf die Abweichungen (noch) von Einzelfällen sprechen.
Gänzlich anders
verhält es sich bei fachpolitischen oder fachliche Praktiken betreffenden,
kritischen Manuskripten. Bei diesen sind die Peer-Reviews, die von
englischsprachigen (und teilweise auch anderssprachigen) KollegInnen für
englischsprachige Fachorgane verfasst wurden, in aller Regel ebenso sachlich
wie bei Manuskripten zu rein akademischen Fragen. Die Reviews, die hingegen von
deutschsprachigen GutachterInnen verfasst wurden, werfen mir zu etwa drei
Vierteln „unsachliche Polemik“ vor;
strotzen dabei aber selbst von Trugschlüssen und Scheinargumenten im oben
genannten Sinn. In Extremfällen ist dies bis zu Formulierungen gegangen, die
als gefährliche Drohungen gewertet werden könnten.
Dies ist eine
auffällige Abweichung; vor allem, da veröffentlichte Gegenschriften zu meinen
von Peer-Reviewern scharf (unsachlich) kritisierten Manuskripten bisher
weitgehend fehlen. Wissenschaftliche Streitigkeiten zu gegenwartsrelevanten
fachpolitischen und Praxisthemen scheinen also nicht in der wissenschaftlich
vorgesehenen Weise ausgetragen zu werden, d.h. nicht offen in öffentlichen
Medien, sondern durch weitgehend geheime Versuche der Einflussnahme oder gar,
wie von der DGUF (Siegmund et al.
2017,
4) moniert, durch Zensurversuche. Das ist wissenschaftlich,
wissenschaftsethisch und auch demokratiepolitisch ein ernstes Problem.
Wissenschaftliche und unwissenschaftliche Polemik
Dabei ist der
Vorwurf, diese Manuskripte wären polemisch, natürlich insofern korrekt, als sie
das im klassischen Sinn des Begriffs durchaus sind: ich versuche in ihnen
nicht, einen Kompromiss zu finden, sondern vielmehr auf ‚streitbare‘ Weise meinen
Argumenten zum Durchbruch zu verhelfen. Aber das ist regelhaft nicht mit dem
Vorwurf der unsachlichen Polemik
gemeint.
Vielmehr wird
dieser Vorwurf regelhaft als eines – oft als eröffnendes – in einer Reihe von
Scheinargumenten verwendet: „der Autor“
argumentiere „polemisch“ und „seine Äußerungen müssten schon allein
deshalb nicht weiter beachtet und abgelehnt werden“ (anon.). Überhaupt: er verstehe „nichts von der Materie“, oder sei „nicht Imstande, die Rechtslage korrekt zu interpretieren“ (anon.);
es fehle ihm „das richtige Verständnis
von Archäologie“ und/oder „Denkmalpflege“
(anon.). Ein anderes schönes Beispiel ist auch: „der Autor nimmt hier weder die einschlägige Literatur zur Kenntnis,
noch hat er anscheinend praktische Erfahrungen auf diesem Feld“ (anon.;
sinngemäß ident auch anderswo); bislang in allen Fällen – und es sind übrigens
inzwischen weit über 50 – ohne Angabe eines einzigen nachvollziehbaren
Literaturverweises. All das sind klassische Argumente ad hominem.
Nicht nur das, sie
sind auch in der Regel objektiv falsch. Greifen wir z.B. das ebenfalls
gelegentlich zu findende Argument heraus, als „nicht juristisch gebildeter“ Mensch würde mir der Sachverstand in
Rechtsfragen fehlen (anon.). Man fragt sich, woher – außer, dass ich eine andere
Rechtsmeinung vertrete als sie – die GutachterInnen wissen wollen, dass ich
nicht juristisch gebildet sei? Tatsächlich habe ich nämlich eine juristische
Ausbildung genossen: ich habe im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit für die
Stadt Wien einige Zeit lang in einem juristischen Tätigkeitsbereich gearbeitet
und wurde dafür natürlich entsprechend ausgebildet. Ich habe dabei
hauptberuflich Mandanten als Rechtsbeistand vertreten, auch in
Gerichtsverfahren; d.h. ich habe sogar ‚anwaltliche‘ Prozesserfahrung. Das
bedeutet natürlich nicht, dass ich deswegen Rechtsvorschriften immer korrekt
auslege: ich kann mich, wie jeder, natürlich auch irren. Aber das liegt, wenn
dem so ist, nicht daran, dass mir die notwendige juristische Ausbildung zur
Beurteilung von Rechtsfragen fehlen würde. Die GutachterInnen, die dieses
Argument führen, haben also Daten gefälscht bzw. frei erfunden, nämlich in Unkenntnis
des tatsächlichen Sachverhalts behauptet, dass es wahr sei, dass ich keine
entsprechende Ausbildung hätte, obwohl ich tatsächlich eine habe.
Wo Gutachten über
reine persönliche Angriffe hinausgehen, enthalten sie meist weitere
Trugschlüsse und Scheinargumente als Begründungen dafür, dass mein jeweiliges
Manuskript nicht den hohen wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen des
jeweiligen Publikationsorgans genügt. Öfters gesehen habe ich zum Beispiel die
Unterstellung schlechter Motive, z.B. im Kontext meiner Texte zu
Wissenschaftsfreiheit, dass ich einen „Freibrief
für Raubgräber“ (anon.) fordern würde, was gleichzeitig auch noch ein Strohmann-Argument ist, weil ich das nie
gefordert habe und auch gar nicht will. Dazwischen eingestreut finden sich
Argumente ad antiquitatem, z.B. etwas
habe „sich in jahrzehntelanger Praxis
bewährt“ (anon.), pragmatische
Argumente, z.B. „hebt er auf eine eher
(internationale) universitäre Diskussion ab, die in dieser Form tatsächlich am
archäologisch-denkmalpflegerischen Arbeitsalltag vorbeigeht“ (anon.),
Argumente ad metum, wie z.B. „ich darf ja auch keine Herzoperation
durchführen“ (anon.) und nicht zuletzt das argumentum ad misericordiam „wozu
habe ich dann jahrelang Archäologie studiert, wenn das ohnehin ein jeder kann“
(anon.).
Der letztgenannte
Trugschluss ist besonders interessant, denn er beruht auf einem ganz
gravierenden logischen Kategorienfehler: ich argumentiere nie, dass jeder
korrekt archäologisch arbeiten kann; sondern weise vielmehr darauf hin, dass
archäologische Qualitätssicherung erforderlich ist (zuletzt wieder z.B. Karl 2017, 82-84). Was ich
hingegen argumentiere ist, dass aller Wahrscheinlichkeit nach, nach derzeitiger
Rechtslage, jeder fast überall archäologische Forschungen anstellen darf; und zwar vollkommen unabhängig
davon, ob er das kann, weshalb meiner
Meinung nach eine Veränderung der derzeitigen Rechtslage dringend erforderlich
ist (z.B. explizit Karl 2017). Der gravierende
Denkfehler ist also, das nicht korrekt zwischen der (auch meiner Meinung nach)
zur Durchführung archäologischer Forschungen erforderlichen Kompetenz und der
nicht nur meiner Rechtsmeinung nach (für Österreich siehe dazu z.B. Bundesverwaltungsgericht
2017)
derzeit rechtlich nicht erforderlichen behördlichen Erlaubnis zu ihrer
Durchführung unterschieden wird.
Diese Peer-Reviews
sind also in der Mehrheit aller Fälle nicht sachlich gehaltene,
wissenschaftlich akzeptable, kritische Auseinandersetzungen mit dem jeweils im
Manuskript geführten Argument. Vielmehr sind sie sehr häufig völlig unsachliche
und ihrerseits nicht publizierbare, gänzlich unwissenschaftliche
Meinungsäußerungen, in denen sich nur Paralogismen oder gar Sophismen und
Scheinargumente, aber keine gehaltvollen, konstruktiven, wissenschaftlich
argumentierten Kritiken finden lassen. Sie sind also, nun im tatsächlich
pejorativen Sinn des Begriffes, polemisch, d.h. genau das, was die
GutachterInnen dem ihnen jeweils vorliegenden Manuskript vorwerfen.
Die Auswirkungen in der Praxis
Das bleibt auch
nicht folgenlos: gute HerausgeberInnen erkennen solche Polemiken als Versuche,
andere wissenschaftliche Meinungen zu unterdrücken und nehmen daher solche
Manuskripte dennoch oder gerade wegen der Unsachlichkeit der Reviews an. Andere
HerausgeberInnen hingegen, und natürlich noch viel mehr solche, die
GutachterInnen zur scheinbar objektiven Begründung einer Ablehnung ausgewählt
haben, lehnen auf solcher Basis durchaus Manuskripte ab.
Ein besonders
krasser Fall davon ist mir erst relativ kürzlich bei einer deutschen
Fachzeitschrift, die hier ungenannt bleiben soll, widerfahren. Diese schickt
Formulare aus, mittels derer GutachterInnen das Manuskript in Hinblick auf
mehrere Aspekte prüfen sollen. Zu jedem Aspekt gibt es drei
Beurteilungsmöglichkeiten – eine positive, eine neutrale, und eine negative –
sowie jeweils ein Freitextfeld für eine kurze Begründung der jeweiligen Bewertung.
Zusätzlich gibt es einen ident aufgebauten Teil für eine Empfehlung, ob das
Manuskript – gegebenenfalls nach einer empfohlenen oder erforderlichen
Überarbeitung – angenommen oder abgelehnt werden soll, sowie ein abschließendes
Freitextfeld für Verbesserungsvorschläge.
Von den beiden mir
in diesem Fall zugeschickten, ausnehmend negativen Reviews enthält das eine
kein einziges Wort zur Begründung irgendeiner der mehrheitlich negativen
Beurteilungen von Einzelaspekten und der Empfehlung zur Ablehnung des
Manuskripts. Auch Verbesserungsvorschläge fehlen völlig, wohl auf Grund der
empfohlenen Ablehnung. Ein solches Review ist weitgehend nutzlos, sowohl für
HerausgeberInnen als auch den Autor, weil nichts wissenschaftlich-sachlich
begründet wird. Es stellt nicht mehr als eine gänzlich unbegründete, subjektive
Meinungsäußerung durch den Gutachter bzw. die Gutachterin dar, die weder für
mich noch die HerausgeberInnen in irgendeiner Weise nachvollziehbar ist. Das
ist natürlich, insgesamt gesehen, auch ein Scheinargument, nämlich ein
Autoritätsargument: der bzw. die GutachterIn behauptet damit, dass das zur
Begutachtung vorgelegte Manuskript nicht publizierbar sei, weil er als Experte bzw.
sie als Expertin das behauptet.
Das andere Review
ist weit ausführlicher, aber ebenso unsachlich. Das zeigt sich schon daran,
dass der Gutachter – in diesem Fall identifizierbar, er soll aber auch
ungenannt bleiben – bei einigen Aspekten eine zusätzliche, vierte
Beurteilungskategorie zu den drei vorgesehenen hinzugefügt hat, z.B. in einem
Fall „völlig abstrus und irrelevant“
(anon.). Er gibt dazu im Freitextfeld an: „Habe
den Text einmal quer geschaut, dann die Literatur geprüft und dann nach der
Hälfte abgebrochen. Vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrung […] kann ich das Geschriebene weder nachvollziehen,
noch als kritischen Einwurf verstehen […]“ (anon.); gibt also selbst zu, den Text nicht einmal genau gelesen
statt wissenschaftlich geprüft zu haben. Sachliche Argumente, weshalb mein
Argument falsch sein soll, fehlen im Review daher auch völlig.
Stattdessen wird
mit ad hominems und zahlreichen
Paralogismen (oder gar Sophismen) gearbeitet. Besonders sticht z.B. der Satz „Nebenbei sei gesagt, dass Erich von Däniken
immer auf ähnliche Art und Weise argumentiert“ (anon.) hervor.[6]
Die Empfehlung zur Ablehnung wird wie folgt begründet: „Der Autor schreibt aus einer Perspektive ohne jegliche Verbindung zur
Realität. Auch wenn der Text ein in sich stimmiges Bezugsystem darstellt, so
ist dieses für die denkmalpflegerische Praxis völlig irrelevant. Die für seine
Argumentation genutzten insbesondere rechtlichen Eckpunkte sind völlig
selektiv“ (anon.). Dabei geht es in dem betreffenden Manuskript gar nicht
um Rechtsfragen, sondern vielmehr um eine aus empirischen Daten abgeleitete
Zukunftsprognose, die das Primat des Prinzips der „Erhaltung in situ“ als präferierte Schutzmaßnahme in Frage stellt
und zeigt, dass bei langfristiger Betrachtung mittels „Erhaltung durch Dokumentation“ eine höhere
Erhaltungswahrscheinlichkeit, insbesondere von noch völlig unbekannten
archäologischen Denkmalen, erreicht werden könnte (vgl. Karl 2018[7]).
Der zweite
Gutachter in diesem Fall hat seine Behauptungen also zwar durchaus begründet,
allerdings in völlig unsachlicher, unwissenschaftlicher Weise. Die von ihm
geführte Argumentation beruht im Endeffekt ebenfalls rein auf seiner Stellung
als im konkreten Fall von den HerausgeberInnen befragter ‚ausgewiesener
Experte‘ mit ‚praktischer Erfahrung‘ im Bereich, aus dem mein Beitrag stammt; statt
die (von ihm behauptete) Fehlerhaftigkeit der von mir vorgebrachten Argumente
bzw. meiner gesamten Argumentation im betreffenden Beitrag konkret logisch
schlüssig aufzuzeigen. Tatsächlich beschäftigt er sich mit meinen Argumenten an
keiner Stelle seines Gutachtens und schon gar nicht damit, ob sie ‚wahr‘ oder
‚falsch‘ sind, sondern erklärt die Schlussfolgerungen, zu denen ich in diesem
Beitrag gelange, für „irrelevant“
(anon.). Er benutzt also deutlich mehr Worte als der bzw. die andere
GutachterIn, behauptet aber letztendlich genau dasselbe: das zur Begutachtung
vorgelegte Manuskript sei nicht publizierbar sei, weil er das aus einer Autoritätsstellung
(als ‚beauftragter Gutachter‘) heraus behauptet.
Auf Basis dieser
beiden ‚Gutachten‘, die gar keine oder rein rhetorische Argumente enthalten und
denen daher jedwede sachliche Begründung fehlt, haben die HerausgeberInnen das
vorgeschlagene Manuskript abgelehnt; bzw. diese beiden ‚Gutachten‘ wenigstens
dafür verwendet, um eine (möglicherweise auch ihrer eigenen Meinung nach
erforderliche) Ablehnung des Manuskripts zu rechtfertigen. Das ist natürlich
ihr gutes Recht: als HerausgeberInnen steht es ihnen frei, ihnen vorgeschlagene
Manuskripte anzunehmen oder abzulehnen, wie es ihnen gefällt. Einen nachvollziehbaren
sachlichen Grund – außer dass die zwei KollegInnen, die zur Begutachtung des
Manuskripts eingeladen wurden, sich ohne nachvollziehbare sachliche Gründe
gegen seine Annahme ausgesprochen hatten – hatten die HerausgeberInnen aber
nicht; und haben es trotz der im inhaltlich ergiebigeren Gutachten enthaltenen
Ausfälligkeiten scheinbar dennoch nicht für notwendig erachtet, auch nur ein halbwegs
sachliches Gutachten einzuholen.
In streitbarem Stil
verfasste wissenschaftliche Texte soll man also scheinbar nicht
veröffentlichen, weil sie den hohen wissenschaftlichen Qualitätsstandards der
deutschsprachigen Archäologie nicht genügen. Zur Sicherung dieser hohen
wissenschaftlichen Qualität sind jedoch anscheinend auch gänzlich unsachliche,
ja sogar ehrenrührige Polemiken geeignet, so lange sie unter dem Siegel von
Anonymität und Verschwiegenheit in einem nichtöffentlichen Rahmen geäußert
werden. Hier scheint wenigstens mir doch irgendetwas falsch zu laufen.
Die Streit(un)kultur in der deutschsprachigen Archäologie
Was diese Beispiele
in Verbindung mit der eingangs zitierten, bemerkenswerten Stellungnahme der
DGUF (Siegmund et al.
2017,
4) zeigen, ist ein Mangel an einer echten, wissenschaftlichen Streitkultur
bzw., drastischer ausgedrückt, die Existenz einer Streitunkultur, in der
deutschsprachigen Archäologie.
Wissenschaftliche
Meinungsverschiedenheiten werden nur sehr selten in dem dafür eigentlich
vorgesehenen Rahmen, der offenen Auseinandersetzung durch veröffentlichte
Schriften und Gegenschriften, ausgetragen und damit – wenigstens hoffentlich –
aufgeklärt (Karl 2009). Stattdessen wird – insbesondere in Fragen, die
gegenwarts- und praxisrelevant sind, insbesondere in der archäologischen
Denkmalpflege – mit autoritären, wissenschaftlich unzulässigen und (wenigstens
in Einzelfällen) auch generell inakzeptablen (weil sogar theoretisch
strafrechtlich relevanten) sprachlichen Gewaltmitteln kritischer
wissenschaftlicher Diskurs zu unterdrücken versucht. Diese Gewaltmittel werden,
wie es scheint, sowohl im wissenschaftlichen Qualitätssicherungsprozess des
Peer-Reviews als auch außerhalb in privater Korrespondenz durch vermutlich
durchaus wohlgemeinte, aber nichtsdestotrotz wissenschaftlich inakzeptable,
Zensurversuche von (nicht zuletzt teilweise auch innerfachlich einflussreichen;
Siegmund et al.
2017,
4) KollegInnen eingesetzt.
Das erscheint,
wenigstens mir, hochgradig bedenklich: wissenschaftliche Qualitätssicherung
erreicht man nicht, indem man unliebsame KollegInnen mundtot zu machen oder
unter dem Schutz der Anonymität deren, von der eigenen abweichende,
Fachmeinungen zu unterdrücken versucht. Derartiges Vorgehen hebelt vielmehr den
einzigen echten Selbst- und Fehlerkorrekturmechanismus aus, den die
Wissenschaft hat, den öffentlichen, kritischen, wissenschaftlichen Diskurs, und
schadet somit der fachlichen Qualitätssicherung ebenso wie der Suche nach der ‚Wahrheit‘,
um die es letztendlich geht. Solches Vorgehen ist wissenschaftsfeindlich und
-schädlich; ist charakteristisch für fanatischen Dogmatismus, bei dem nicht nur
Abweichungen von wahren Glauben unterdrückt, sondern Häretiker gleich ganz zum Schweigen gebracht werden müssen.
Genau das ist
jedoch, wogegen sich alle Ideale der modernen (westlichen) Wissenschaft im
aufklärerischen Sinn (Kant
1784, 481) richten. Die Freiheit aller WissenschafterInnen, „ihre Erkenntnisse ohne jede Behinderung zu
verbreiten“ (Berka 1999, 344; sinngemäß auch Pieroth et al. 2015, 176-177)
ist – neben schonungsloser Ehrlichkeit (Hochschulverband 2000;
Nr. 3), auch wenn diese weh tun mag – der höchste wissenschaftsethische Wert;
nicht zuletzt, weil sie für den wissenschaftlichen Fortschritt und die
Befreiung vom Dogmatismus zwingend erforderlich ist. Erstes und wichtigstes
Grundprinzip wissenschaftlicher Forschung ist: niemand weiß, was die Wahrheit
ist; wir alle sind nur Sucher nach der Wahrheit; und keiner von uns ist vor
Fehlern gefeit.
Fehler, selbst und
insbesondere veröffentlichte Fehler, sind auch wissenschaftlich eigentlich
überhaupt kein Problem. Denn eine Fachmeinung, die so offensichtlich falsch
ist, dass sie von jedem vernünftigen Menschen, wenn er die relevante Evidenz
beobachten konnte, ohne Schwierigkeiten selbst widerlegt werden kann, wird sich
– auch wenn sie in den öffentlichen wissenschaftlichen Diskurs eindringt –
niemals wissenschaftlich durchsetzen oder auch nur weit verbreiten können. Sie
wird vielmehr rasch und effektiv widerlegt werden; was schon für sich betrachtet
wissenschaftlichen Fortschritt darstellt, weil man, wie schon Karl R. Popper
(1996, 31) festgestellt hat, aus der Widerlegung einer falschen Hypothese immer
eine ganze Menge lernt, nicht zuletzt warum die Hypothese falsch ist.
Einzig jene, denen
sachliche Argumente fehlen, oder denen es wichtiger ist, mit ihrer Meinung
recht zu behalten, als dass sich die beste wissenschaftliche Erklärung
durchsetzt, können ein Interesse daran haben, die Veröffentlichung anderer als
ihrer eigenen wissenschaftlichen Fachmeinungen zu verhindern. Öffentliche, auch
scharfe, aber sachliche Kritik brauchen nur jene zu scheuen, die nicht auf dem
wissenschaftlich adäquaten Weg, nämlich durch ebenso sachliche wie scharfe
Gegenschriften, ihren Kritikern öffentlich entgegenzutreten wagen; weil sie
Angst haben, dass sie den wissenschaftlichen Meinungsstreit verlieren könnten
(oder sogar wissen, dass sie ihn in Ermangelung irgendwelcher Argumente für
ihre Ansicht verlieren werden).
Die Streitunkultur,
die in wirklich kritischen (im Sinne von in der Gegenwart handlungsrelevanten)
Fragen in der deutschsprachigen Archäologie und archäologischen Denkmalpflege eingerissen
zu sein scheint, ist daher wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch
gefährlich. Sie stellt die Eigeninteressen jener, die recht behalten wollen,
über die Interessen der Wissenschaft und der Allgemeinheit, indem sie den
wissenschaftlichen Erkenntnisprozess korrumpiert und die Meinungsfreiheit, die
einen Grundpfeiler jeder demokratischen Gesellschaftsordnung darstellt, gerade
in dem Bereich, der der Gesellschaft verlässliche Informationen für ihre
kollektiven Entscheidungen bereitstellen soll, vollkommen untergräbt.
Wider die zahmen Worte
Wir müssen daher,
und zwar dringend, wieder (oder eher: endlich?) ordentlich öffentlich
wissenschaftlich zu streiten lernen. Denn tun wir das nicht, dann verdienen wir
nicht, als WissenschafterInnen betrachtet zu werden; und dann verdient unser
Fach auch nicht, als Wissenschaft betrachtet zu werden.
Zahme, und
insbesondere sub rosam fachlichen
Machtinteressen entsprechend gezähmte, Worte bringen uns weder wissenschaftlich
noch bei der Entwicklung fachlicher Praktiken weiter. Nur schonungslos
ehrliche, ebenso schonungslos offene und öffentliche, immer auch im klassischen
Sinn polemische, wenn auch sachlich gehaltene Argumente bringen uns weiter.
Wissenschaftliche Meinungsstreitigkeiten sind Polemiken, und müssen das auch
sein; denn alles andere bedeutet wissenschaftlichen Stillstand, wenn nicht
sogar Rückschritt in Dogmatismus.
In der Praxis
bedeutet das, dass wir von heimlichen Einflussnahmeversuchen und unsachlichen
Gutachten unter dem Schutz der Anonymität als (angeblichen)
Qualitätssicherungsmechanismen weg hin zu einer komplett transparenten und offenen
Form des wissenschaftlichen Meinungsaustausches finden müssen. Das bedeutet jedoch
keineswegs die Aufgabe wissenschaftlicher Qualitätssicherung: im Zeitalter des
Internets sind fachliche Publikationsorgane nicht mehr auf eine
entweder/oder-Entscheidung für oder gegen die Annahme eines Manuskriptes
beschränkt, sondern es gibt mehr als genug Möglichkeiten, Zwischenschritte
einzuziehen, die mit offenem (d.h. nicht anonymen) Peer-Review (z.B. Bingham et
al. 1998; van Rooyen et al. 1999; van Rooyen et al. 2010) verbunden sind.
Soll durch das
Peer-Review tatsächlich die wissenschaftliche Qualität veröffentlichter
Beiträge gesichert werden, gibt es für GutachterInnen, die tatsächlich
wissenschaftlich solide begründete Kritik an eingereichten Manuskripten üben,
keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb ihr Review anonym bleiben sollte: schließlich
würden sie wohl (hoffentlich), wenn eine ihrer Ansicht nach tatsächlich
fundamental falsche Fachmeinung veröffentlicht wird, diese nicht
unwidersprochen stehen lassen, sondern in einer kritischen Gegenschrift darauf
reagieren. Gleichermaßen sollte für fachliche Publikationsorgane nichts
dagegensprechen, zur Veröffentlichung vorgeschlagene Manuskripte auf einer
dafür vorgesehenen Unterseite ihrer Webseiten in noch nicht gesetzter Form
online zu stellen („Vorveröffentlichung“),
während das ‚offene‘ Peer-Review-Verfahren läuft. Solche Manuskripte können
dann durchaus auch für die formelle (druckschriftliche bzw. paginiert elektronisch
gesetzte) Veröffentlichung abgelehnt, aber dennoch – gegebenenfalls mit den
wissenschaftlichen Gutachten, die allfällige Mängel aufzeigen – weiter im
Internet verfügbar stehen bleiben; oder auch nach Ablehnung aufgrund negativer,
aber nicht anonymer, Begutachtung von ihren AutorInnen zurückgezogen werden.
Offenes Peer-Review
mit Gutachtenveröffentlichung im Internet senkt zwar – allerdings nur in
beschränktem Maß – die Bereitschaft von GutachterInnen, für diese Aufgabe zur
Verfügung zu stehen (van Rooyen et al. 2010). In Anbetracht dessen, was oben
anhand von Beispielen anonymer Gutachten gezeigt wurde, dürfte das allerdings
wohl eher von Vorteil als von Nachteil sein, für die HerausgeberInnen ebenso
wie für AutorInnen und vor allem für die Wissenschaft selbst. Durch das
Aufbrechen der derzeit bestehenden, asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen
HerausgeberInnen und GutachterInnen auf der einen und AutorInnen auf der
anderen Seite wird dadurch eine wissenschaftlich kritische Diskussionskultur
gefördert, gleichzeitig die Transparenz des Qualitätssicherungsprozesses
maßgeblich erhöht und die Unterdrückung unerwünschter fachlicher Gegenmeinungen
durch fachliche MachthaberInnen erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht.
Gleichzeitig sollte
radikal gegen Versuche zur Unterdrückung ungewollter Fachmeinungen wie jene,
welche die DGUF (Siegmund et al.
2017,
4) zurecht scharf zurückgewiesen hat, vorgegangen werden. Wie gut auch immer
diese gemeint sein mögen: sie stellen vermutlich wissenschaftliches
Fehlverhalten im Sinne der Empfehlung der deutschen Hochschulrektorenkonferenz
(HRK) Zum Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten in den Hochschulen (Hochschulrektorenkonferenz 1998), der
Resolution des deutschen Hochschulverbands zur Selbstkontrolle der Wissenschaft und wissenschaftliches Fehlverhalten
(Hochschulverband 2000) und der Verfahrensordnung
bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten der
Max-Planck-Gesellschaft (2000) dar, das schon allein im Sinne der
Wissenschaftsfreiheit, aber noch viel mehr im Interesse des wissenschaftlichen
Fortschritts, unterbunden werden muss.
KollegInnen,
insbesondere jene, die ihre „wichtige“
Fachposition für Versuche missbrauchen, ihnen missliebige KollegInnen einer wissenschaftlichen
„Zensur“ (Siegmund et al.
2017,
4) zu unterwerfen, sollten daher auch bei ihrem jeweiligen Dienstgeber in der
für den Verdacht auf schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten
vorgesehenen Form angezeigt werden. Gibt es hingegen an der Einrichtung, an der
die für solches Fehlverhalten Verantwortlichen beschäftigt sind, keine
Verfahrensregelung für den Umgang mit wissenschaftlichen Fehlverhalten gibt
(z.B. in privaten archäologischen Dienstleistungsunternehmen und
Denkmalbehörden, sofern diese nicht z.B. den Empfehlungen der HRK oder der MPG
folgen) ist dieses Fehlverhalten dem bzw. den Vorgesetzten der Verantwortlichen
in geeigneter Form zur Kenntnis zu bringen bzw. – wenn keine geeigneten Disziplinierungsmaßnahmen
folgen – zu veröffentlichen. Falls in ‚Gutachten‘ sogar wahrheitswidrige, ehrenrührige
Behauptungen enthalten sind, sind zusätzlich von den AutorInnen der betroffenen
Manuskripte in Deutschland Strafanträge gem. § 194 Abs. 1 StGB bzw. in Österreich
Strafanzeigen gem. § 117 Abs. 1 StGB an die zuständige
Staatsanwaltschaft in Betracht zu ziehen.
Wissenschaftliche
Meinungsverschiedenheiten bedürfen der öffentlichen, kritischen und im
klassischen Sinn durchaus auch polemischen Auseinandersetzung.
Sachlich-wissenschaftliche Polemik, die auch durchaus in polemischem Stil
gehalten sein darf, dient dem wissenschaftlichen Fortschritt und der
Selbstreinigung der Wissenschaften von vermeidbaren und unvermeidbaren Fehlern.
Versuche, die freie wissenschaftliche Meinungsäußerung durch unlautere,
unsachliche Polemiken zu unterdrücken oder gar als schwerwiegendes
wissenschaftliches Fehlverhalten zu klassifizierende Zensurversuche müssen
hingegen aus genau denselben Gründen schonungslos aufgedeckt und jene, die sie
solches Fehlverhalten begehen, als das gezeigt werden, was sie sind: als fanatische
Dogmatiker, denen das Rechtbehalten wichtiger ist als das Wohl der Wissenschaft
und der Allgemeinheit.
Ich werde daher ab
sofort sowohl in meiner herausgeberischen Tätigkeit als auch als Autor, der
gelegentlich enorm unsachliche ‚Gutachten‘ auf den Tisch bekommt, auch
entsprechend handeln und Verhalten, das für mich einen Verdacht auf
schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten begründet, in geeigneter Form behandeln.
Und zwar nicht in zarten, sondern in sachlichen, aber ebenso scharfen wie
bestimmten, kompromisslosen, d.h. polemischen, Worten.
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Effect on peer review of telling reviewers that their signed reviews might be
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Veit, U. 2000.
König und Hohepriester? Zur These einer sakralen Gründung der Herrschaft in der
Hallstattzeit. Archäologisches
Korrespondenzblatt 30, 549-65.
[1] ‚Wahr‘ bedeutet dabei
wenigstens: nicht bereits (allgemein anerkannter Weise) bekanntermaßen falsch.
D.h. eine in diesem Sinn (wenngleich nur mutmaßlich) ‚wahre“ Aussage kann sich
zu späterer Zeit bei genauerer Betrachtung (z.B. aufgrund neu verfügbar
werdender Daten) als tatsächlich falsch erweisen; diese Tatsache war jedoch zum
Zeitpunkt, an dem die Aussage getätigt wurde, weder allgemein anerkannter Maßen
noch subjektiv dem sie Tätigenden bekannt. ‚Wahr‘ bedeutet also, dass der eine
Aussage Tätigende weder (absichtlich) gelogen noch aufgrund von Schlampigkeit
bei seinen Recherchen etwas allgemein bekanntermaßen Unzutreffendes behauptet
hat, auch wenn er sich mit seiner Aussage dennoch (unabsichtlich) geirrt haben
kann.
[2] Nur vorläufig auszuscheiden
sind solche Hypothesen deshalb, weil selbstverständlich auch der
Widerlegungsversuch selbst nicht mehr als eine Hypothese ist, bei dessen
Durchführung sich der, der ihn unternommen hat, seinerseits geirrt haben kann.
Auch eine Widerlegung ist in der Regel daher nur vorläufig, nicht endgültig;
von (vergleichsweise wenigen) Ausnahmefällen (wie z.B. Naturgesetzmäßigkeiten
postulierende Hypothesen, deren Vorhersagen auch bei vielfach wiederholten
Überprüfungsversuchen regelhaft nicht eintreten) einmal abgesehen.
[3] Ein Argument ist dabei im
weiteren Wortsinn eine in logisch schlüssiger Weise begründete Aussage. Auf
einfachster Ebene sind das z.B. Aussagen wie wenn man aus dem Fenster schaut
und behauptet es regne, weil es stark bewölkt ist und Tropfen auf der Scheibe
des Fensters zu sehen seien. Die angeführte Begründung erklärt einem beliebigen
Dritten, der selbst gerade nicht aus dem Fenster schaut, weshalb der, der die
Behauptung aufgestellt hat, dass es draußen regnen würde, zu dieser Behauptung
gelangt ist.
Durch die Angabe einer (logisch
nachvollziehbaren) Begründung gewinnt die aufgestellte Behauptung für den
Dritten an Glaubwürdigkeit, weil er die logische Kohärenz der ihr
zugrundeliegenden Schlussfolgerung selbst überprüfen kann: wenn er selbst aus
dem Fenster schauen und draußen starke Bewölkung und Tropfen auf der Scheibe
sehen würde, würde er selbst wohl auch aus diesen Gründen den Schluss ziehen,
dass es draußen regnet. Das macht die Aussage seiner Gewährsperson
glaubwürdiger als wenn diese nur behaupten würde „es regnet draußen“, ohne die
Gründe zu nennen, warum sie das glaubt.
Noch wichtiger ist diese Überprüfbarkeit jedoch
im umgekehrten Fall: hätte die Gewährsperson nämlich behauptet „es regnet
draußen nicht, weil es ist stark bewölkt und es sind Tropfen auf der
Fensterscheibe zu sehen“, vermag der Dritte unschwer die Inkohärenz zwischen
den von seiner Gewährsperson gennannten Tatsachen und der von ihr daraus
abgeleiteten Behauptung zu erkennen. Schließlich legen die Prämissen ‚starke
Bewölkung‘ und ‚Tropfen auf der Fensterscheibe‘ die genau entgegengesetzte
Schlussfolgerung nahe; und der Dritte weiß daher, dass er der Aussage seiner
Gewährsperson nicht vertrauen sollte, sondern besser selbst überprüfen, ob es
nicht etwa doch draußen regnet.
Argumente haben daher eine ganz andere Qualität
als unbegründete (‚bloße‘) Behauptungen. Eine unbegründete Behauptung kann man
nur glauben oder nicht glauben (je nachdem, ob man der Gewährsperson vertraut
oder nicht); bei einem Argument kann man hingegen erkennen, ob es schlüssig ist
oder nicht; d.h. mit besserer Chance bestimmen, ob sich die Gewährsperson nicht
doch etwa geirrt haben könnte.
[4] Selbstverständlich ist nur
die sprachliche Übertreibung zulässig, nicht die Übertreibung von Messwerten,
Zählungen, etc. (Letzteres wäre nämlich Datenfälschung und ist daher in wissenschaftlichen
Argumenten völlig unzulässig). Es ist daher z.B. zulässig, übertriebener Maßen
zu sagen, dass sich ein Streitgegner bei der Berechnung einer bestimmten Zahl offensichtlich verrechnet hat, auch wenn
dieser Rechenfehler erst bei genauerer Analyse des Rechenvorganges ersichtlich
wird, also eigentlich – ohne genauere Erklärung, wo und wie sich der Streitgegner
verrechnet hat – eigentlich gerade nicht offensichtlich ist. Eine solche Aussage
ist zwar – zum Zweck der Erzeugung des gewünschten Effektes bei LeserInnen, dass
sie das Rechenergebnis des Streitgegners so klar als möglich als falsch
erkennen – übertrieben, aber dennoch in der Sache korrekt. Weil ob nun
offensichtlich oder nicht: hat sich der Streitgegner tatsächlich verrechnet und
daher ein falsches Rechenergebnis erreicht, dann ist und bleibt seine Schlussfolgerung
(das Rechenergebnis) falsch.
[5] Das exakt Gleiche gilt übrigens
auch, wenn das Argument vollständig im Dialekt statt in der normierten
Schriftsprache verfasst wurde: so lange es sachlich begründet ist, ist die
Sprache, in dem es verfasst ist, egal, ob nun Hochsprache oder Dialekt. Dialekt
ist, nicht anders als eine Fremdsprache, ebenfalls nur eine andere Sprachform,
die ebenso zulässiges Medium wie jede andere Sprache ist.
[6] Dieser Satz ist insofern
besonders problematisch, als – gerade in der Archäologie – die Gleichsetzung
der dem Gutachter zur fachlichen Beurteilung vorliegenden Argumentation in
einem Manuskript eines professionellen Wissenschafters mit der des – auch
bereits gerichtlich wegen Betrugs verurteilten – weltweit bekanntesten
‚Pseudoarchäologen‘ Erich von Däniken (dazu zuletzt Baumann 2019) ohne konkretere Begründung (bzw.
ohne Wahrheitsbeweis) nicht nur höchstgradig unsachlich, sondern sogar
ehrenrührig ist. Es wäre daher sogar (trotz der Bestimmungen des deutschen § 193 Strafgesetzbuch [StGB]) eine gerichtliche
Strafverfolgung derartiger unbegründeter Behauptungen möglich, auch wenn diese
in ‚wissenschaftlichen Gutachten‘ enthalten sind.
Das kann, insbesondere wenn der Gutachter, der
solche Behauptungen aufstellt, tatsächlich anonym handelt, auch für
HerausgeberInnen unangenehme Folgen nach sich ziehen. Glaubt nämlich der Autor
des Manuskripts, dass dadurch der Straftatbestand der Beleidigung iSd § 185, der üblen Nachrede iSd § 186 oder gar der Verleumdung iSd § 187 erfüllt wird und erstattet deswegen gem. § 194 Abs. 1 StGB Strafantrag, wird den HerausgeberInnen kaum
etwas anderes übrigbleiben, als auf Aufforderung durch die Staatsanwaltschaft
zum Zwecke der Ermöglichung der Strafverfolgung das Siegel der Anonymität zu
brechen.
[7] Bei der hier zitierten,
veröffentlichten Fassung handelt es sich um eine mit dem eingereichten
Manuskript in Wesentlichen inhaltsgleiche englische Version des ‚begutachteten‘
Beitrags.
Unsachliches anonymes Peer-Review
AntwortenLöschen"Anders und den eingangs zitierten Versuchen der Einflussnahme viel ähnlicher stellt sich das anonyme Peer-Review jedoch in Fällen dar, in denen Meinungsverschiedenheiten nicht rein akademische Fragen betreffen, sondern in denen es z.B. um fachliche Praktiken geht; d.h. um Themen, die auch in der gegenwärtigen und zukünftigen Wirklichkeit von Relevanz sind oder wenigstens sein könnten;"
Ein Gebiet, wo es nicht nur um fachlische Praktiken geht, sondern sogar um Auswirkungen auf die Politik, ist das Klima. Was da von Klimaskeptikern an Verdrehungen gesicherten Wissens gemacht wird, wie versucht wird peer-review zu mißbrauchen, ad hominin usw. das geht auf keine Kuhhaut.